Der Mensch als Holobiont - Mikroben als Schlüssel zu einem neuen Verständnis von Leben und Gesundheit
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Der Mensch als Holobiont - Mikroben als Schlüssel zu einem neuen Verständnis von Leben und Gesundheit

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Der Mensch als Holobiont - Mikroben als Schlüssel zu einem neuen Verständnis von Leben und Gesundheit

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Alle lebendigen Organismen – auch der Mensch – können nicht alleine bestehen, sondern sind Holobionten oder Metaorganismen. Unzählige, gutartige Mikroorganismen besiedeln den gesamten Körper, die äußerst wichtige Funktionen übernehmen und ohne die kein Lebewesen existieren kann.Thomas Bosch zeigt in diesem Buch, wie die Forschung immer tiefer in das komplexe Zusammenwirken von Mikroben und Wirtskörper eindringt. Er zeigt auf, wie diese völlig neue Sicht auf den Menschen als Ökosystem nicht nur unser Verständnis von Lebensprozessen revolutioniert, sondern auch ganz neue Ansätze in der Therapie von chronischen Erkrankungen wie z.B. Darmentzündungen oder Krebs liefert. Eine veränderte Lebensweise, die auch unsere"Mitbewohner" beachtet, erscheint als der neue Schlüssel zu langfristiger Gesundheit.

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783869353258

1 Was ist Leben?
Zellen sind mehr als nur kleine Turing-Maschinen

»Was ist Leben?«, fragte der Physiker Erwin Schrödinger in einer populärwissenschaftlichen Abhandlung, die 1948 veröffentlicht wurde. Er legt darin dar, dass Regeln und Konzepte der Physik und Chemie ausreichen, um komplexe räumliche und zeitliche Ereignisse, die innerhalb eines lebenden Organismus und auch in einer einzigen Zelle stattfinden, zu erklären. Er lenkte in dieser wichtigen Arbeit die Aufmerksamkeit auf ein sehr allgemeines Prinzip, welches unserer naturwissenschaftlichen Denkweise zugrunde liegt: das Prinzip der Verständlichkeit der Natur. Die Natur und damit das Leben kann verstanden werden. In dem Buch führte Schrödinger die Idee eines »aperiodischen Kristalls« ein, in dem die genetische Information in der Konfiguration der kovalenten Bindungen enthalten ist. In den 1950er Jahren stimulierte diese Idee die Begeisterung der Forscher für die Suche nach der chemischen Natur der Erbinformation.
Was also ist Leben? Peter Hemmerich charakterisiert »Leben« und den Begriff des »Lebendigen« in seiner Antrittsvorlesung »Anorganische Aspekte des Lebens« 1968 an der Universität Konstanz mit zwei Merkmalen: Selbsterhaltung und Selbstvermehrung. Die Natur des Lebendigen kann damit nach Hemmerich verstanden werden, wenn wir die Regeln und Prinzipien verstehen, die für Selbsterhaltung und Selbstvermehrung verantwortlich sind.
Natürlich reicht das für eine befriedigende Annäherung an das Phänomen »Was ist Leben« nicht aus und wird der Komplexität der Frage auch nicht gerecht. Alles Lebendige besteht aus Zellen (Abbildung 1). »Rücken wir bis an die letzten Grenzen vor, an denen es noch Elemente mit dem Charakter der Totalität oder wenn man will, der Einheit gibt, so bleiben wir bei den Zellen stehen. ... Ich kann nicht anders sagen, als dass sie die vitalen Elemente sind, aus denen sich die Gewebe, die Organe, die Systeme, das ganze Individuum zusammensetzen.« Mit diesen Worten wies Rudolf Virchow bereits 1855 in seinem berühmten Artikel über »Cellular-Pathologie« auf die zentrale Rolle der Zellen in gesundem Gewebe wie bei Krankheitsprozessen hin. Die »Cellular Pathologie« war Virchows erste Publikation über ein Thema, das die folgenden 50 Jahre nicht nur sein Denken beherrschte, sondern auch theoretischer Mittelpunkt der naturwissenschaftlichen Medizin wurde.
Abbildung 1 Alle Lebewesen sind aus Zellen aufgebaut. A) Vereinfachtes Schema einer eukaryotischen Zelle B) Tierisches Gewebe mit proliferierenden Zellen. Auf der rechten Seite des Bildes mittig ist eine Zelle mit einsetzender Zellteilung dargestellt.
Die Zelle ist der Grundbaustein sämtlicher Organismen und damit Ausgangspunkt jedes Lebewesens auf dem Planeten Erde. Diese kleinste, selbstständig lebende Einheit bewältigt tagtäglich Aufgaben von immenser Komplexität. Der ausgewachsene menschliche Körper setzt sich aus rund 75 Billionen Zellen zusammen. Eine durchschnittliche menschliche Zelle hat einen Durchmesser von in etwa 25 Mikrometern und ist damit für das bloße menschliche Auge nicht sichtbar. Insgesamt unterscheidet man zwischen mehr als 200 verschiedenen Zelltypen im menschlichen Körper, die alle denselben Grundbauplan haben, die sich aber – je nach Aufgabe – wesentlich voneinander unterscheiden. So gibt es beispielsweise Nervenzellen, Blutzellen, Muskelzellen, Gehirnzellen, Drüsenzellen und so weiter.
In einem viel beachteten Aufsatz schlug Nobelpreisträger Sydney Brenner 2012 vor, dass Zellen und Zellverhalten mit den mathematischen Prinzipien von Turing-Maschinen erklärt werden können. Benannt nach dem Mathematiker Alan Turing, der sie 1936 einführte, ist die Turing-Maschine ein wichtiges Rechnermodell der theoretischen Informatik. Die Turing-Maschine hat ein Steuerwerk, in dem sich das Programm befindet, und besteht außerdem aus einem unendlich langen Speicherband mit unendlich vielen sequentiell angeordneten Feldern. Pro Feld kann genau ein Zeichen aus einem vordefinierten Alphabet gespeichert werden. Die Turing-Maschine modifiziert die Eingabe auf dem Band nach dem festgelegten Programm. Die Idee, Zellen als »lebende Systeme« mit Maschinen oder Computern zu vergleichen, ist nicht unbedingt ein neues Konzept; sie wurde auch vor Sydney Brenner schon mehrfach geäußert. Aber ist es wirklich so? Der Körper als komplizierte Maschine mit einer endlichen Zahl von Einzelteilen? Sind Zellen daher nichts als kleine Turing-Maschinen? Reflektieren populäre Analogien mit Maschinen oder Computern die wahre Natur biologischer Systeme? Und kann man komplexe Prozesse des Lebens alleine mit mathematischen Algorithmen und Programmen erklären? Reichen daher Physiologie und funktionelle Morphologie (»Wie funktioniert es?«), Entwicklungsbiologie (»Wie entsteht es?«) und Evolutionsbiologie (»Wo kommt es her?«) aus, um die Komplexität des Lebens zu begreifen?
Ich denke, dass die Analogie zwischen Zellen und Maschinen irreführend und fehl am Platze ist. Ein solch mechanistischer Ansatz konnte bisher nicht und wird auch in Zukunft nicht helfen, die Komplexität von Lebensprozessen zu verstehen. Wie ich im Folgenden zeigen werde, werden Zellen und Zellverhalten nicht nur maßgeblich von der jeweiligen Umwelt beeinflusst – und damit von Faktoren, die außerhalb des eigentlichen Programmes stehen –, sondern Zellen verlagern auch manche überlebensnotwendige Funktionen nach außen (»outsourcing«), in Komponenten der sie umgebenden Umwelt. Zwei Beispiele vorweg: Bestimmte Aufgaben des Immunsystems werden gar nicht von unseren eigenen Körperzellen erfüllt, sondern von Mikroben, die in unserem Körper leben. Auch die Aktivierung und Steuerung so mancher Nervenzellen geschieht nicht über Neurotransmitter und Signale, die in unserem Körper produziert werden, sondern über Produkte, die letztendlich von Mikroben herrühren.
Das heißt, dass zur Erklärung der Natur des Lebendigen zusätzlich zu den drei biologischen Fragen: »Wie funktioniert es? Wie entsteht es? Und wo kommt es stammesgeschichtlich her?« unbedingt auch die Frage »In welchem Sinn- und Umweltzusammenhang funktioniert es?« gehört. Informationsverwaltung in lebenden Organismen ist nicht zu vergleichen mit den mathematischen Regeln und Algorithmen der theoretischen Informatik. Organismen erzeugen ständig und in steter Anpassung an das sie umgebende Milieu neue Informationen. Ohne auf Algorithmen zurückgreifen zu müssen, haben sie die inhärente Kompetenz, kontextabhängig auf Signale ganz unterschiedlicher Natur und Komplexität, von einzelnen Molekülen bis zu komplexen Ökosystemen, reagieren zu können. Bei der Entschlüsselung und Dechiffrierung der Signale aus dem jeweiligen Milieu sind Organismen in der Lage, diese korrekt und im gegebenen Zusammenhang zu interpretieren. Schon für eine einzelne Zelle ist die Komplexität der umweltabhängigen Signale enorm groß. Lebende Systeme sind daher nur zu verstehen als ein interagierendes Netzwerk von multiplen Komponenten, die alle und jedes für sich in der Lage sind, Signale aus der zellulären und nicht-zellulären Nachbarschaft nicht nur wahrzunehmen, sondern sie auch im Zusammenhang korrekt zu interpretieren und für das erfolgreiche Überleben und die eigene Fitness einzusetzen.

2 Das Biozönose-Konzept: Die rätselhafte Zunahme von chronischen Erkrankungen

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden grundsätzliche biologische Fragen wie »Wie funktioniert ein Lebewesen oder ein Organ?« mit beschreibenden naturkundlichen Methoden beantwortet. Auf Experimenten gründende Kausalerklärungen waren eher unbekannt. Um ein Beispiel zu geben: Im Jahr 1877 prägte Karl August Möbius, Zeitgenosse von Charles Darwin und Ernst Haeckel, Professor der Zoologie an der Kieler Universität und Gründer des dortigen Zoologischen Museums, den Begriff »Biozönose« für Lebensgemeinschaften, die sich aus verschiedenen Arten bilden und durch interspezifische Wechselbeziehungen miteinander verbunden sind. In einer seiner frühen Studien in der gerade entstehenden Wissenschaft der Meeresökologie, die später ein klassisches Forschungsfeld werden sollte, versuchte Möbius zu bestimmen, warum Austernbänke im Atlantik in der Nähe von Cancale, Marennes und Arcachon an Ergiebigkeit abnahmen, während jene in den britischen Flussmündungen sowie in Schleswig-Holstein durchaus reichhaltig waren. Möbius führte dieses Phänomen in einer für die damalige Zeit ungeheuer weitsichtigen und originellen Art eher auf die weiteren in der Austernbank vorhandenen Tierarten zurück als auf die Austern selbst. Damit erkannte er als Erster, dass ein ökologisches System als Ganzes betrachtet werden muss, und prägte den Begriff »Biozönose«, um diese Lebensgemeinschaft aus ganz unterschiedlichen Tierarten zu beschreiben. Seine Theorie der Biozönose wurde zur Grundlage der allgemeinen Ökologie. Zu seiner Zeit wusste Möbius natürlich noch nichts von der Komplexität und den Mitgliedern dieser Austern-Gemeinschaft und hatte auch keine kausale Erklärung für ihre Bedeutung. Heute wissen wir, dass es unter anderem die symbiotischen Mikroorganismen sind, die den Austern helfen, in einem vorhandenen Meereslebensraum sich erfolgreich zu behaupten.
Aber es sind nicht nur die Austern, die eine komplexe Lebensgemeinschaft unterschiedlicher Arten benötigen, um zu wachsen und zu gedeihen. Es sind auch wir Menschen. In einer im Jahr 2002 veröffentlichten Studie macht Jean Francois Bach vom Institute Pasteur auf einen unerhört spannenden und wichtigen Zusammenhang aufmerksam: Ein Blick in die medizinischen Statistiken (Abbildung 2) zeigt, dass es in den letzten 60 Jahren den gemeinsamen Anstrengungen von Immunologie, Mikrobiologie und Medizin gelungen ist, Krankheiten wie Masern, Mumps und Tuberkulose praktisch auszurotten. Ein großartiger Erfolg der biomedizinischen Wissenschaft. Auf der anderen Seite macht Jean Philippe Bach in derselben Studie aber auch darauf aufmerksam, dass parallel dazu im gleichen Zeitraum völlig neue Krankheiten aufgetreten sind und immer noch auftreten. Die Medizin spricht dabei von sogenannten »komplexen Erkrankungen« oder »Umwelterkrankungen«. Dazu zählen die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Asthma, Adipositas wie auch neurodegenerative Erkrankungen und Autismus. Eine stetig steigende Zahl an Patienten ist davon betroffen. Bis heute gibt es gegen keine dieser Erkrankungen ein dauerhaftes Heilmittel oder auch nur eine Präventionsmaßnahme. Die World Health Organization (WHO) spricht bei diesen chronischen Erkrankungen, die nicht einfach von Person zu Person übertragen werden, von »noncommunicable diseases (NCDs)« und hat NCDs als eine der großen Herausforderungen für das weltweite öffentliche Gesundheitswesen identifiziert.
Abbildung 2 Entgegengesetzte Beziehung zwischen dem Verschwinden von Infektionskrankheiten (links) und dem vermehrten Auftreten von chronisch entzündlichen Erkrankungen zwischen 1950 und 2000
Es ist kein Geheimnis, dass sich gerade in den letzten 50 oder 60 Jahren die Welt, in der wir leben, erheblich verändert hat. Wissenschaftler sprechen vom »Anthropozän«, um das Erdzeitalter zu beschreiben, das maßgeblich vom Menschen beeinflusst und geprägt ist. Forschungsaktivitäten unterschiedlichster Richtungen versuchen derzeit, die Komplexität dieser neuen Umwelt zu durchdringen und die Faktoren zu identifizieren, die das Anthro­pozän charakterisieren. Darunter befinden sich offensichtliche Faktoren wie die geänderte Produktionsweise für Lebensmittel, die Ernährungsweise, die zunehmende Mobilität, eine gesteigerte Hygiene; aber auch weniger offensichtliche Faktoren wie eine zunehmend urbane Lebensweise mit fehlendem direkten Kontakt zu Natur und Tieren. Dazu kommt ferner der drastisch gesteigerte Einsatz von Antibiotika in Medizin und Tierzucht und vieles mehr. Sind diese das Anthropozän charakterisierenden Faktoren ursächlich für die oben angeführten modernen und chronischen Krankheiten des Menschen? Wie sieht es in anderen tierischen Populationen aus?
Wir werfen einen Blick auf ein Korallenriff im Great Barrier Reef in Australien. Korallenbänke zeichnen sich durch eine hohe Vielfalt an unterschiedlichen Arten aus, die ihren Lebensraum seit Millionen von Jahren erfolgreich besiedeln. Die Gründer und essentiellen Baumeister dieser Lebensgemeinschaft sind Polypen, die zum Tierstamm der Nesseltiere gehören und die mit ungeschlechtlicher und geschlechtlicher Fortpflanzung große Populationen bilden, die unter Wasser ganze Landschaften gestalten können. Der Erfolg jedes einzelnen Polypen hängt von einer engen Partnerschaft mit Grünalgen und Bakterien ab. Die Algen leben in den Zellen der Polypen und sind dank ihrer Fähigkeit zur Photosynthese ein potenter Energielieferant für die Polypen.
Heute sind viele Korallenriffe krank. Todkrank und bleich. Die Wissenschaftler sprechen von der Korallenbleiche (»coral bleaching«) und beschreiben damit das Verschwinden der grünen Algen aus der Lebensgemeinschaft mit den Polypen. Und so wie in den medizinischen Statistiken wird auch in Aufzeichnungen von Meeresbiologen deutlich, dass die Korallenbleiche eine Erscheinung des Anthropozäns ist und in den vergangenen 50 Jahren dramatisch zugenommen hat. 2016 ging als »Das Horrorjahr für das Great Barrier Reef« (FAZ vom 28.12.2016) in die Geschichte ein. Die beispiellose Korallenbleiche hat Hunderte Quadratkilometer des Weltnaturerbes zerstört und die schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Wir wie auch zahllose andere Tiere und auch die Pflanzen stehen ganz offensichtlich vor einer rätselhaften Zunahme von komplexen und chronischen Erkrankungen.
Unsere Unkenntnis über Ursache und Mechanismen lässt uns hilflos erscheinen beim Umgang mit diesen Veränderungen. Was haben die gehäuft auftretenden Meldungen zum Korallensterben mit der Zunahme an chronisch entzündlichen Erkrankungen des Menschen zu tun? Zum gehäuften Auftreten dieser Krankheiten beim Menschen trägt sicher die gesteigerte Lebenserwartung bei. Daneben wird aber auch vermutet, dass die Urbanisierung und Globalisierung ungesunder Lebens- und Ernährungsweisen zu dem stetig steigenden Anteil an Patienten mit gesteigertem Blutdruck, erhöhten Blutzuckerwerten und Fettleibigkeit beitragen. Die Wissenschaft hat in den letzten Jahren Hinweise gesammelt, die es wahrscheinlich machen, dass Änderungen in der symbiotischen Mikrobengemeinschaft die Ursache für die chronischen Umwelterkrankungen sind. In beiden Fällen, bei Mensch und Koralle, handelt es sich offensichtlich um eine erhebliche Störung der Kommunikation und des Gleichgewichtes zwischen symbiotischen Mikroorganismen und dem Wirt.
Dass die Forschung mit dieser Vermutung nicht ganz falsch liegt, zeigt der Erfolg einer neuen Therapie, der Stuhltransplantation, bei Clostridienkolitis, einer chronisch entzündlichen Erkrankung des Darms, bei der durch die Gabe von Antibiotika die Darmflora so verändert wird, dass Clostridien sich rasant vermehren und durch Toxinbildung die Erkrankung (Diarrhoe, Fieber, Krankheitsgefühl) auslösen können. Bei Patienten, die an rezidivierenden Schüben einer Clostridienkolitis leiden, führt ei...

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorbemerkung
  2. 1 Was ist Leben?Zellen sind mehr als nur kleine Turing-Maschinen
  3. 2 Das Biozönose-Konzept: Die rätselhafte Zunahme von chronischen Erkrankungen
  4. 3 Eine neue Ära für die Biologie und Medizin: Neue Techniken entdecken den Metaorganismus
  5. 4 »Nichts in der Biologie ergibt einen Sinn außer im Licht der Evolution«: Unsere evolutionäre Partnerschaft mit den Mikroben
  6. 5 Das biologische Individuum: Ein Irrtum?
  7. 6 Der Einsatz von einfachen Modellorganismen: Schlüsseltechnologie für ursächliche Erkenntnisse in der Mikrobenforschung
  8. 7 Der Wirt bestimmt: Mit welchen Mikroben lebt er langfristig zusammen?
  9. 8 Das angeborene Immunsystem: Die Kontrolle des Metaorganismus
  10. 9 Das Mikrobiom: Ein vergessenes Organ
  11. 10 Das Mikrobiom und Stammzell-differenzierung: Was haben sie gemeinsam?
  12. 11 Der Einfluss der Mikroben: Bestimmen sie, ob wir Krebs bekommen?
  13. 12 Ein neues Frontgebiet der Forschung: Die Darm-Mikrobiom-Hirn-Achse
  14. 13 Umweltsignale: Die Filterung durch das Mikrobiom
  15. 14 Den Weg ebnen für ein gesundes Mikrobiom: »Natur genießen, Grünzeug essen und Dreck zulassen«
  16. 15 Organismen und Mikroben neu denken – Paradigmenwechsel und Perspektiven