Hilde Domins Gedichte und ihre Geschichte
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Hilde Domin (1909–2006) wurde nicht müde zu betonen, wie eng ihre Gedichte mit ihrem Leben verwoben waren. Ihr Werk bezeichnete die große Nachkriegslyrikerin als »Anthologie ihrer selbst«.Die Domin-Biografin und -Vertraute Marion Tauschwitz hat zwanzig Gedichte ausgewählt und sie der jeweiligen, oft heiklen Lebenssituation der Lyrikerin gegenübergestellt. Tauschwitz erzählt so die Entstehungsgeschichte der Gedichte, die sich im Wissen um den biografischen Kontext neu erschließen und Impulse für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Werk der jüdischen »Dichterin der Rückkehr« geben.

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Information

Jahr
2016
ISBN
9783866744684

FRANKFURT UND RUDOLF HIRSCH

1957 bis 1959
Banges NeujahrNur eine Rose als StützeWahl
»Banges Neujahr«, »Nur eine Rose als Stütze«, »Wahl« und »Unaufhaltsam« – ohne Rudolf Hirsch hätte es diese Gedichte Hilde Domins wohl nicht gegeben.
Sie war im Sommer 1957 zunächst allein nach Deutschland zurückgekehrt. Erwin Walter Palm wollte im Herbst nach Abschluss seiner Arbeiten nachkommen. Frankfurt sollte ihr neuer Standort sein. Die Metropole am Main war den Palms vertraut, denn sie war nicht nur Geburtsstadt des einen, sondern auch die von Hilde Domins Mutter. Frankfurt, Stadt der Verlage – nach den zwei Überbrückungsjahren in Spanien versprachen sich die Rückkehrer hier endlich wirtschaftlich Fuß zu fassen. Hilde Domin hoffte im Verlag S. Fischer zu publizieren, ihr Mann stand mit dem Suhrkamp Verlag über dessen Cheflektor Walter Boehlich in Kontakt. Walter Boehlich hatte für das Paar ab Herbst zwei möblierte Zimmer in einer Villa auf dem Mühlberg angemietet. Den Übergang überbrückte Hilde Domin in einem großzügigen Zimmer im »Bremerhaus«, das sie Rudolf Hirschs Einsatz verdankte.
Frankfurt begann vielversprechend. Schon in der Dezemberausgabe 1957 von Rudolf Hirschs Literaturzeitschrift »Neue Rundschau« las man neben so bekannten Namen wie Saint-John Perse und Tibor Déry, Max Frisch und Eugène Ionesco – Hilde Domin. Hirsch hatte sie mit ihrem Gedicht Wen es trifft aufgenommen. In der »Neuen Rundschau« veröffentlicht zu werden, war etwas Besonderes, eine »hohe Plattform«, wie ihr der Herausgeber selbstbewusst versichert hatte, die damals, 1957, ausser Celan kaum irgendwelche zeitgenössische Lyrik gebracht hatte. Domin wiegte sich in der berechtigten Hoffnung auf gute Zusammenarbeit.
Vor allem auch, weil sich Rudolf Hirsch gegenüber seiner zukünftigen Autorin galant und fürsorglich zeigte. Hilde Domin nahm es als Beweis seiner besonderen Sympathie. Sie hatten sich zwar erst einmal persönlich gesehen, doch über Hilde Domins Manuskripte und Gedichte waren sie sich im Brief-Gespräch vertraut geworden. Die Gedichtzeile als seien wir zu Hirten bestellt der Wolkenschafe aus Domins »Herbstzeitlosen« hatte bei beiden die erste emotionale Brücke geschlagen: Der Kunsthistoriker Hirsch hatte Studien über den französischen Maler des Barock-Klassizismus, Nicolas Poussin, verfasst, und ausgerechnet dessen Bild Schlaf der Hirten hatte Hilde Domin auf allen Exilstationen begleitet. Seit ihrer Zeit in Rom beschirmte dieses Lieblingsbild ihren Schlaf: Eine Hirtin fährt aus dem Schlaf und sieht einen stehenden, auf den Stab gelehnten Hirten an. Eros über ihr, den Pfeil abschiessend Es ist ein solches Erstaunen. In dem gerade erwachten, auf- und anblickenden Gesicht ist der Augenblick in dem die Liebe geboren wird. Der Funke der Zuneigung sprang dann schnell über. Sie haben etwas, das die Menschen zwingt, Ihnen ihre schönste Seite zuzukehren, schmeichelte Hirsch, und bald war sich Domin nicht mehr sicher, ob ihre Zuneigung zu ihrem Verlagsleiter lediglich a spell that will pass by (ein Zauber, der vorübergeht) bleiben würde.
Hilde Domin befand sich 1957 emotional in einem äußerst labilen Zustand und war empfänglich für Hirschs Fürsorge. Hatte sie diese Zuwendung überinterpretiert? Briefe, die beide austauschten, und die Gedichte, die Hilde Domin in jener Zeit verfasste, belegen ein nahes Verhältnis. Ja, mehr noch: Hilde Domin war verliebt und sprudelte vor Energie wie ein verliebter Teenager: Er ist wahnsinnig unpraktisch, aber irgendwie bezaubernd. … touch wood, tocas hierro, damit ich ganz gut und vernünftig bin. Was einem auf seine alten Tage noch alles passiert, wovon man ein Leben lang verschont geblieben ist.
Doch trotz des Gefühlstaumels überschritt das Verhältnis letztlich wohl nicht diese zwanzig dreissig Zentimeter zwischen zwei Körpern, wie es Domin in ihrem Gedicht »Zentimeter« nahelegte. Glaube nicht, dass es so etwas wie einen Kuss etwa gegeben hätte. […] Man hat mir die Hand gestreichelt. C’est tout. Im Taxi fährt man so, dass Erwin bequem dazwischen sitzen könnte. […] Vielleicht, wie Kierkegaard es definiert: »er verführt nicht, er wünscht nur. Aber der Wunsch verführt« Eine subtile Affäre. […] Ich träume viel von ihm, aber alles vague. […] Dabei, ich will ehrlich sein, kam es das letzte Mal, vor Erwins Rückkehr, zu einer ganz kleinen Liebkosung […] Stell dir vor, so winzig, so andeutungsweise die Sache war, es hat sich wochenlang nicht abwaschen lassen. […] Ich kann mich nicht erinnern, dass mir je im Leben so etwas passiert ist. Im Nachhinein bedauerte sie: Uns nicht genommen zu haben, war vielleicht eine viel grössere Sünde.
Rudolf Hirsch war vier Jahre älter als Hilde Domin, schwarzgelockt, von zarter Statur und über alle Maßen gebildet. Er hatte als Jude ein Exil hinter sich, war der Naziverfolgung 1933 mit seiner Mutter und seinem Bruder Wolfgang nach Amsterdam entkommen, wo die Mutter bis 1940 eine einfache Pension geführt hatte, in der auch Klaus Mann regelmäßig verkehrte. Hirsch hatte auch ihn mit seiner profunden Bildung für sich eingenommen. Als es ab 1940 in den Niederlanden keine Sicherheit mehr für die jüdische Familie gab, tauchte sie in Amsterdam unter, lebte knapp drei Jahre lang in einem winzigen Zimmer, die meiste Zeit unter einem Bett versteckt. Ein Anne-Frank-Schicksal, das nicht nur Hilde Domin rührte. Dem charismatischen Schöngeist lagen die Frauen zu Füßen. Er war Erwin Walter Palm nicht unähnlich, doch er unterschied sich von ihm in einem ganz wesentlichen Punkt: Er akzeptierte Hilde Domin von Anfang an als Dichterin, die sich von ihm behütet fühlte, ihn zu ihrem Engel verklärte, der Abels kleine Flamme (Domins Gedichte) gegen Kain (Erwin Walter Palms Neid) verteidigte: Ich dachte, ein Engel sei gekommen damals im Sommer 57. Nie seit Mutters Tod war ich so beschützt eingeschlafen, wie damals im Sommer 57. Ich hatte das Gefühl, beim Zubettgehen halte irgendetwas eine Art Flügel über mich.
Umgekehrt war auch Rudolf Hirsch in jenen Sommer- und Herbsttagen des Jahres 1957 für Hilde Domins Zuwendung offen. Er litt unter der Krankheit seiner verehrten Mutter. Die war, von einem Herzinfarkt kaum genesen, mit einer Krebsdiagnose konfrontiert worden. Hirsch nahm Hilde Domins Trost und Engagement für seine Mutter dankbar an. Hilde Domin holte ärztlichen Rat ein, schrieb der Mutter Briefe und hatte schon alles für einen Besuch in Amsterdam in die Wege geleitet. Sie schien mit ihrer Fürsorge den Tod der eigenen Mutter zu verarbeiten. Der Katholik Hirsch (er war zum Katholizismus übergetreten, ohne sein Judentum zu verleugnen) musste gerührt gewesen sein, als ihn Domin kindlich ermunterte, jener Instanz, die früher der liebe Gott genannt wurde, eine kleine Chance zu geben. Die Monate des Sommers und Herbstes 1957 waren für Hilde Domin die emotional verwirrendsten seit langer Zeit. Sie trug diese Liebe zu Hirsch wie wachsendes Leben in sich. Herrn Rudolf Hirsch nach meinem Tode – steht auf einem Briefumschlag im Nachlass Hilde Domins; der darin eingeschlossene Brief zeugt von aufgewühlter Liebe: Seit Sie zu meinem Körper leise »komm« gesagt haben, hat er nicht aufgehört zu Ihnen zu gehen. Ich hab ihn kaum halten können: ich wollte in Ihren Armen sterben. In den Armen des Geliebten zu sterben war für Hilde Domin die Vollendung der Hingabe.
Der Sommer 1957 glich anfangs einer Fahrt über rosa Wolken, die nur zu schnell in eine Achterbahnfahrt der Gefühle überging. Hirschs Einladung zu einer gemeinsamen Kahnfahrt am Ammersee schürte Domins Sehnsucht. Die Fahrt nahm nicht die erhoffte Richtung. Eine heftige Auseinandersetzung mit Rudolf Hirsch im Sommer 1957 löste das Gedicht »Treulose Kahnfahrt« aus, das den Wunschtraum von einer neuen Liebe thematisiert und gleichzeitig der Enttäuschung über die Nicht-Erfüllbarkeit Ausdruck verleiht. Das lyrische Ich hatte sich auf ein vertrautes Verhältnis eingelassen, den schimmernden Holzsteg des Gestern mit der Aussicht auf eine Fahrt über rosa Wolken betreten, die doch sogleich sanft die Richtung verlor. Der Kahn treibt wie seine Passagiere leicht und steuerlos, es knirscht der Sand schon unter dem Kiel und kündet von einer unsanften Landung.
Einen kleinen aus Olivenholz geschnitzten Kahn schenkte Hilde Domin Rudolf Hirsch, als er ihr schließlich ankündigte, bald schon seine langjährige Verlobte zu heiraten. »Aber« war in den Bug des Holzschiffchens eingraviert. Mit diesem aufbäumenden »Aber« beginnt das Gedicht »Treulose Kahnfahrt«: Aber der Traum ist ein Kahn. Autorin und Verleger hatten diesen Auftakt als Gedichtanfang ausgiebig diskutiert. Auch Hirsch war dafür gewesen, dieses »Aber« aufzunehmen.
Hilde Domins Sprache wurde immer wieder als schlicht im Vollkommenen bezeichnet. Doch scheinbar einfache Worte täuschen, denn die Lyrikerin schöpfte aus einem immensen Wissensbrunnen. Immer wieder ganz bewusst aus der Mythologie: Das sprechende Ich hätte in jenem Gedicht auch ein »Boot« oder ein »Schiff« besteigen können. Doch es hatte sich für den »Kahn« entschieden – der nur ein Ziel kannte. Wie Charon, der in seinem Kahn die Toten in die Unterwelt übersetzte, nahm die treulose Kahnfahrt Richtung auf die Schattenwelt: weg von der Wiese im Licht, hin zu den Schatten der Weiden. Bemerkenswert ist, dass Hilde Domin im Originalmanuskript nicht »Weiden«, sondern »Weide« schrieb, den Singular bewusst gesetzt hatte. Als »Weide« hatte sie in Briefen Rudolf Hirschs Verlobte bezeichnet. Das lyrische Ich schien zu ahnen, dass der Mit-Fahrende letztlich den Hafen der Ehe ansteuern würde. Wusste der Lektor um diese vertrauliche Besonderheit? Schon in der Erstausgabe von Domins erstem Gedichtband war »Weide« durch »Weiden« ersetzt worden.
Erwin Walter Palm konnte die Nähe seiner Frau zu Rudolf Hirsch nicht verborgen bleiben. Es sei wohl ideal, von seinem Verleger geliebt zu werden, kommentierte er die Stimmung nach einem gemeinsamen Abendessen zu dritt. Und tatsächlich hatte Hilde Domin ihrem Mann ihre Zuneigung zu Rudolf Hirsch nicht verheimlicht – doch offensichtlich nicht mit letzter Konsequenz. Sie versicherte dem Verlagsleiter, dass Erwin nichts vom letzten Dezember weiss. Obwohl ich mehr als einmal ganz offen gesagt habe, dass es eine Möglichkeit wäre, mit Ihnen zu leben. Aber von der Möglichkeit bis zur konkreten Erwägung ist ein weiter Weg. Wie viel von diesem Weg ich gemacht habe, braucht er nie zu wissen.
In jenen Tagen bat Hilde Domin ihren Mann in Briefen offen um eine lange Leine. Rudolf Hirsch dagegen setzte auf Diskretion: Nicht demonstrieren, eher verbergen solle man, wenn man schon dem Schwierigen nicht gänzlich ausweichen könne, hatte Hirsch zeitgleich an Paul Celan geschrieben und fast scheinen diese Worte die Beziehung zu seiner Autorin zu thematisieren. Für die war ihre Liebe zu Hirsch eine Erschütterung ihres Lebens, die für eine Ehe taugte – nicht jedo...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Einleitung
  6. Santo Domingo / Haiti: 1951 bis 1952
  7. New York: Herbst 1952 bis Februar 1954
  8. Deutschland: 1954 bis 1955
  9. Spanien: 1955 bis 1957
  10. Frankfurt und Rudolf Hirsch: 1957 bis 1959
  11. Astano 1959
  12. Spanien: 1959 bis 1961
  13. Die Sechzigerjahre
  14. Erwin Walter Palms Tod am 7. Juli 1988
  15. Editorische Notiz
  16. Weiterführende Literatur