Die gemeinnützige Aktiengesellschaft ist eine Kapitalgesellschaft, welche nicht wie üblich in der Arena der Wirtschaft agiert, sondern durch ihren steuerlichen Status der Gemeinnützigkeit zu einem Akteur innerhalb der Zivilgesellschaft wird.
In der Zivilgesellschaft sind überwiegend Rechtsformen anzutreffen, die sektortypische Ausprägungen aufweisen. Hierzu zählen zunächst der eingetragene Verein und die Stiftung. Zunehmende ökonomische Zwänge sowie die Tendenzen zur Ausgründung, insbesondere unter dem Aspekt der Haftungsbeschränkung, führten darüber hinaus auch zur Realisierung von Kapitalgesellschaften unter gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zweckbindung. Typischerweise wird hier die Rechtsform der gemeinnützigen GmbH gewählt.
Durch die Rechtstatsachenforschung wurde ein Phänomen offensichtlich, das aufgrund seiner lediglich punktuellen Umsetzung bis vor einigen Jahren kaum bekannt war: die Organisation des zivilgesellschaftlichen Engagements in der Rechtsform der gemeinnützigen Aktiengesellschaft.
Wissenschaftliche Publikationen zu gemeinnützigen Aktiengesellschaften sind spärlich und vor allem von theoretischen Überlegungen geprägt. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die Autoren Rainer Sprengel sowie Walter Bayer und Thomas Hoffman, die sich aus zwei verschiedenen Perspektiven dem Sujet genähert haben. Während Bayer und Hoffmann mit einer nüchternen, faktischen Herangehensweise Rechtstatsachenforschung betreiben und vor allem auf die juristischen Aspekte eingehen, ist Sprengels Zugang zur gemeinnützigen Aktiengesellschaft der des analytischen Sozialwissenschaftlers, welcher die gAG als Akteur der Zivilgesellschaft betrachtet.1
Einen empirischen Zugang hat sich hingegen Barbara Schennerlein gesucht, indem sie in sechs Fällen Vorstandsvorsitzende oder Aufsichtsratsvorsitzende, sowie eine Steuerberaterin von gemeinnützigen Aktiengesellschaften via Experteninterviews danach befragte, ob diese Rechtsform sich langfristig in der Zivilgesellschaft etablieren wird.2
Die genannten Autoren setzten sich zwischen 2004 und 2010 mit dem Thema intensiver auseinander, seitdem ist der wissenschaftliche Diskurs beinahe verstummt. 2014 erschien von Iris Janina Weber die erste Monographie zur gemeinnützigen Aktiengesellschaft, welche in ihrer Herangehensweise den Spuren von Bayer und Hoffmann folgt und sich der gAG auf juristischem Gebiet nähert.3 Während die Rechtswissenschaften das Thema zusehends erschließen, bleibt die sozialwissenschaftliche Forschung hinten an.
In den letzten Jahren hat das Thema etwas mehr an Präsenz gewonnen, nicht zuletzt weil die Organisationen in der Rechtsform gemeinnütziger Aktiengesellschaften mit ihrem operativen Geschäft auf sich aufmerksam machten. Dabei kann es sich wie bei der Phineo gAG um positive Aufmerksamkeit handeln oder um Negativschlagzeilen, wie sie von Zeit zu Zeit etwa über die Agaplesion gAG kursieren.4 Innerhalb einschlägiger Publikationen bleibt es indes oftmals bei einem bloßen Verweis auf die Existenz der Rechtsform der gAG.
Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag zum sozialwissenschaftlichen Diskurs bieten, indem sie die Funktionsweise der gemeinnützigen Aktiengesellschaft sowie ihre Sonderposition im intersektoralen Spannungsfeld zwischen der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft analysiert. Der Fokus wird darauf gelenkt, wie zielgerecht eine gemeinnützige Aktiengesellschaft den unterschiedlichen Bedürfnissen von zivilgesellschaftlichen Organisationen und deren Unternehmensgegenstand angepasst werden kann. Diese vertiefende Betrachtung gipfelt letztlich in der zentralen Frage, ob die Rechtsform der gemeinnützigen Aktiengesellschaft für den Bereich der Zivilgesellschaft von praktischem Nutzen sein kann.
Dafür wurden erstmals umfassende empirische Daten zum Phänomen der gemeinnützigen Aktiengesellschaft in der Bundesrepublik erhoben. Diese Daten bilden die Ausgangsbasis, um zu untersuchen, welche Merkmale dieser arenauntypischen Organisationsform zur Steuerung von zivilgesellschaftlichen Organisationen geeignet sind. Dabei wird insbesondere auf die unterschiedlichen Wirkungsweisen der gleichbleibenden inneren Struktur der Aktiengesellschaft im jeweils gewinnorientierten beziehungsweise gemeinwohlorientierten Bereich eingegangen.
Die vorliegende Untersuchung bewegt sich in der Tradition der zivilgesellschaftlichen Forschung, welche von jeher ein interdisziplinäres Forschungsfeld ist. Üblicherweise addiert sich ihre Schnittmenge aus den drei Fächern Soziologie, Ökonomie und Politikwissenschaft; aufgrund der inhaltlichen Ausrichtung dieser Arbeit wird die politikwissenschaftliche Komponente durch einen rechtswissenschaftlichen Fokus und die Überlagerung des Gesellschaftsrechts durch die steuerlichen Anforderungen der Abgabenordnung substituiert. Die Betrachtung der gemeinnützigen Aktiengesellschaft aus den Blickwinkeln dieser verschiedenen Disziplinen erlaubt einen Rundumblick, der nicht nur Stärken, sondern auch formelle und kostenverursachende Hürden sowie Grenzen dieser Rechtsform aufzeigt.
Aufgrund der erstmalig ausgewerteten Daten handelt es sich hier um eine Explorationsstudie. Ihre Kernaufgabe liegt darin, durch deskriptive Datenanalyse das Randphänomen der gemeinnützigen Aktiengesellschaft zu erfassen, zu beschreiben und zu kategorisieren, um das sozialwissenschaftliche Forschungsdefizit zu verringern.
Zur umfassenden Bearbeitung des Forschungsobjektes schließt sich dieser Einführung ein allgemeiner Abschnitt zur Methodologie an, in welchem die Datenauswahl, Termini und die Vorgehensweisen erläutert werden. Dem folgt ein verkürzter Problemabriss der Kulturfinanzierung, um den Handlungshintergrund der Untersuchung schemenhaft zu umreißen. Ebenso wurden zwei Bewältigungsansätze thematisiert, um zu verdeutlichen, wie innerhalb der Kulturpolitik mit den aktuellen Problemen umgegangen wird.
Dieser Vorgehensweise entsprechend wird im darauffolgenden Schritt das Untersuchungsobjekt in seine drei Aspekte: zivilgesellschaftlicher Handlungsrahmen, steuerrechtliche Vorgaben und gesetzlich definierte Organisationsform zergliedert.
Der erste Aspekt beinhaltet die vertiefende thematische Auseinandersetzung mit der Zivilgesellschaft, ihren Organisationen sowie deren Handlungslogik. Der zweite Aspekt summiert sich aus den juristischen Ausführungen zur Gewährung des fiskalen Status der Gemeinnützigkeit sowie damit einhergehender Normen. Ergänzt wird dies im dritten Aspekt durch die Entwicklungsgeschichte der Aktiengesellschaft, aus welcher sich ihre heutige Funktionsweise ableitet. Schrittweise wird dann die Rechtsform der Aktiengesellschaft in der Überlagerung der steuerlich motivierten Gemeinnützigkeitsanforderungen geprüft und ihre Verankerung in der Zivilgesellschaft dargelegt.
Darauf aufbauend präsentiert die Bestandsaufnahme von gAGs in Deutschland erste empirische Daten zu der Entwicklung, der Verbreitung, den Tätigkeitsbereichen und der personalen Struktur von gemeinnützigen Aktiengesellschaften.
Die Untersuchungsschwerpunkte der vorliegenden Arbeit orientieren sich zum einen an den Potenzialen der gemeinnützigen Aktiengesellschaft als Organisationsform sowie an den Anforderungen, welche die Zivilgesellschaft und ihre Akteure an die areneninternen Organisationen stellen. Aus dieser Schnittmenge ergeben sich die vier thematischen Kernkompetenzen der gemeinnützigen Aktiengesellschaft: die Partizipation, die Professionalisierung, die Transparenz und das Fundraising. Die gewonnenen empirischen Daten werden um theoretische Ausführungen bezüglich des Potenzials dieser Rechtsform für die Zivilgesellschaft ergänzt.
Der Aspekt der Partizipation beinhaltet die grundlegenden Fragen, wer unter welchen Voraussetzungen und in welcher Form teilhaben darf. Die Priorität liegt hier in der Offenlegung der quantitativen wie auch strukturellen Beteiligungszusammensetzung, der Dimension der gewährten Mitbestimmungsrechte sowie deren eventuellen Einschränkung.
Die Professionalisierung untersucht Zusammenhänge zwischen der Professionalität von Führungsgremien der gAG und den Kernaufgaben des Vorstands. Hier werden die Entwicklung von wirtschaftlichen Kennzahlen sowie die Qualität der Web-Präsenzen als ein Aspekt der Öffentlichkeitsarbeit zum Gradmesser.
Der Untersuchungsschwerpunkt Transparenz summiert sich aus einer inneren wie äußeren Komponente, welche das Unternehmen für Dritte nachvollziehbar vermittelt und eine offene sowie aktionärsbezogene Kommunikation anstrebt. Hier stehen Kriterien des Vertrauensschutzes und vertrauensbildende Maßnahmen im Vordergrund der Betrachtung. Untersucht werden in diesem Zusammenhang das Einhalten sektorspezifischer Transparenznormen, das Berufen zusätzlicher Gremien, die durch die Abgabenordnung gesetzlich vorgegebene Mittel-Zweck-Bindung sowie eventuelle Rechtsformwechsel.
Innerhalb der gAG-Forschung wird angenommen, dass der Typus der gemeinnützigen Aktionäre zu differenzieren ist von Spendern und Stiftern, weswegen das Fundraising als vierte Kernkompetenz der gAG betrachtet wird.5 Im Mittelpunkt stehen hier die Instrumente der Aktienemission, welche vom formalen Akt der Führung eines Aktionärsregisters bis zu Marketingaspekten durch die Ausgabe von Kunstaktien reichen. Diese Untersuchungen sollen prüfen, ob und wie die gAGs zielgruppenspezifisch auf ihre potenziellen Anteilseigner zugeschnitten werden können.
Es wird jeweils die angewendete Methodik einem jeden Analyseabschnitt vorangestellt. Die statistische Nachweisführung wird zur besseren Übersichtlichkeit im Anhang gebündelt.
In Folge der Analyse wird die von Sprengel vorgelegte Typisierung von gemeinnützigen Aktiengesellschaften ausgebaut.6 Diese Arbeit erschließt praxisnahe Parameter zur qualitativen Klassifizierung von Unternehmen in der Rechtsform der gAG.
Den Abschluss bildet das Resümee der Analyseergebnisse, welches fortführende Ansatzpunkte bieten wird für weiterführende sozialwissenschaftliche Forschungsprojekte.
Innerhalb dieser Arbeit erfolgt eine Begrenzung auf die Funktionsweise und Potenziale der Rechtsform der gAG. Der Aktionär und seine persönliche Motivation zur Partizipation bleiben dabei unberücksichtigt.
Die vorliegende Untersuchung stellt nicht nur die Wechselwirkungen des intersektoralen Charakters der gemeinnützigen Aktiengesellschaft dar, sondern sie leistet einen Beitrag zur Verknüpfung der Erkenntnisse aus den verschiedenen Disziplinen der zivilgesellschaftlichen Forschung und des Kulturmanagements.