Dead Man Working
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Dead Man Working

Die schöne neue Welt der toten Arbeit

  1. 128 Seiten
  2. German
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Dead Man Working

Die schöne neue Welt der toten Arbeit

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Über dieses Buch

Der Kapitalismus wird immer seltsamer. Während das "Zeitalter der Arbeit" zu Ende geht, wird die Arbeit immer präsenter - wir leben in einer "Arbeitsgesellschaft", der sich niemand entziehen kann. Der Arbeiter heute fühlt sich leer und tot. Dieses Buch erzählt die Geschichte des toten Menschen, von den erniedrigenden "Teambildungsübungen" und den peinlichen Begegnungen mit dem hippen Boss, der vorgibt, den Kapitalismus zu hassen, und seine Untergebenen auffordert, "authentisch" zu sein. In dieser Gesellschaft wird Arbeit als lebendiger Tod erfahren. Wenn die Unternehmen das Leben bis in unsere Träume hinein kolonisiert haben, dann wird die Frage nach dem Entkommen umso drängender.

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Information

Verlag
Fuego
Jahr
2013
ISBN
9783862870684
Der große Abgang
Mit seiner herrlichen Dachterrasse, von der aus man einen Blick auf die Innenstadt Londons hat, ist das französische Luxusrestaurant Coq d’Argent laut dem Magazin Time Out »eine eindeutige Empfehlung für Leute, die einen Ort für einen besonderen Anlass suchen.« Zwei Tage vor seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag, am 9. Juli 2009, fügte Anjool Malde, gekleidet in seinen Lieblingsanzug von Hugo Boss, dieser Beschreibung eine neue Wendung hinzu, als er mit einem Glas Champagner in der Hand von der Terrasse im achten Stock in die Tiefe sprang. Er war Aktienhändler bei der Deutschen Bank. Am Morgen seines Selbstmords hatte sein Arbeitgeber sein spezielles Konto gelöscht. Er wurde aufgefordert, früher zu gehen und sich nicht in die laufende Ermittlung zu einem anonymen Computereintrag einzumischen. Weitere Einzelheiten wurden nicht veröffentlicht. Sein Tod war nicht der erste in der Serie von Banker-Selbstmorden, aber wohl der spektakulärste. »Er verabschiedete sich mit Stil«, soll einer seiner Angehörigen gesagt haben.
Fast ein Jahr zuvor, Ende September 2008, warf sich der 47-jährige Kirk Stephenson vor einen heranrasenden Schnellzug und markierte damit den Anfang dessen, was später als eine Suizidepidemie unter Bankern beschrieben wurde. Als Vorstand für das operative Geschäft bei der in Chelsea ansässigen Olivant Advisers Ltd. verdiente Stephenson 330000 Pfund im Jahr. In einer Erklärung, die später den Geschworenen eines Gerichts zur Untersuchung der Todesursache vorgelesen wurde, schrieb seine Frau:
»Als das Bankensystem zusammenzubrechen begann, wurde er sehr angespannt und machte sich Sorgen über eine Menge Dinge, für die er hart gearbeitet hatte. Er wurde allmählich immer besorgter. Am Montag, den 22. September, kam er zum Mittagessen nach Hause. Er sah sehr gestresst aus und äußerte, er würde sich wegen der Kreditkrise umbringen wollen, aber könnte es nicht tun, weil er mich und das Kind zu sehr liebte.«
Neben seiner Frau hinterließ Stephenson einen achtjährigen Sohn.
Am 17. Dezember desselben Jahres wurde der in Dänemark geborene Christen Schnor, HSBCs Leiter des Versicherungsressorts für Großbritannien, die Türkei, den Mittleren Osten und Malta, im Jumeriah Carlton Tower Hotel in Knightsbridge tot aufgefunden. Er hatte sich mit seinem Gürtel erhängt. Einem Sprecher der Londoner Polizei zufolge »wurde er am Tatort für tot erklärt«. Das Motiv blieb unklar. Der Daily Telegraph wusste von »ernsten Probleme in seiner Ehe« zu berichten. Eine andere Tageszeitung schrieb, Schnor sei in letzter Zeit regelmäßig von seiner Arbeit verschwunden, »da er sich auf einer persönlichen Zerstörungsreise befand«. Eine von der Zeitung zitierte Quelle sagte, dass Schnor »ein kleines Vermögen für die Bestellung von Prostituierten durch eine Escort-Agentur und für Drogen ausgab«. Schnor hinterließ Frau und zwei Kinder.
Colin Birch beging am 30. Juli 2010 Selbstmord durch Erhängen. Er hatte kurz zuvor seinen Job als Vizedirektor bei der Deutschen Bank verloren. Er wurde von zwei Prostituierten tot aufgefunden, die unwissentlich dafür bezahlt worden waren, ihm bei der Selbsttötung zu helfen. Er hatte sie um Mitternacht in den Wald von Dartford Heath (Kent) bestellt. Bei ihrer Ankunft trafen sie auf einen weinenden Colin Birch. Er stand unter einem Baum auf einem Stuhl, um den Hals eine Schlinge, und forderte die beiden Frauen auf, ihn zu beschimpfen, vor allem mit den Worten, dass er »es verdient (habe) zu sterben«. Wie sie später beim Verhör angaben, hatte Birch ihnen gesagt, dass er einen Sicherheitsgurt trage und dass es um eine sadomasochistische Fantasie gehe. Ihre Geschichte wurde von einer Textmessage gestützt, die Birch vor jenem nächtlichen Treffen an den Escort-Service geschickt hatte:
»Mädchen wird Hinrichtungsgebühr verlangen und ich werde zu dem Ort der Exekution gehen.
Mein Verbrechen ist es, ein Loser zu sein.
Mädchen stößt Stuhl um und lacht, geht dann zurück zum Wagen, ohne sich umzudrehen, um zu zeigen, dass sie nichts fühlt.«
Nachdem sie Birch beschimpft hatten, verließen die beiden Prostituierten den Ort für kurze Zeit. Als sie zurückkehrten, sahen sie, dass Birchs Lippen ganz blau geworden waren. Er atmete nicht mehr. Jede von ihnen hatte 60 Pfund erhalten.
Wie viele Selbstmorde genau auf den Bankenzusammenbruch folgten, ist nicht bekannt. Es gibt keine verlässlichen Zahlen. Einige Kommentatoren haben darauf hingewiesen, dass die eigentliche Selbstmordwelle noch bevorsteht, da es gewöhnlich eine Anzahl von Jahren nach der Krise dauert, wenn die Ursachen sich nachdrücklich bemerkbar gemacht haben, dass die wirkliche Tragödie eintritt.
So oder so, diese Selbstmorde sind im wörtlichen Sinn tragisch. Der Sprung mit einem Glas Champagner in der Hand von einem Dach erzeugt ein überwältigendes, fast mythisches Bild. Jedoch ist es nicht die klassische Tragödie, in der wir die Antwort auf diese Selbstmorde finden, sondern im England des 18. Jahrhunderts.
In seinem Essay über Suizidwaffen bemerkt Ian Hacking, dass die bestimmenden aristokratischen Laster während dieses Zeitalters »Duelle, Selbsttötung und Glücksspiel« waren. Unter diesem Blickwinkel könnte die jüngste Selbstmordwelle als die finale Errungenschaft der Banker gedeutet werden, ihre Verwandlung in eine postmoderne Version des Aristokraten. Glücksspiel erklärt sich von selbst. Das Spiel mit großen Einsätzen, ohne ernsthaft die Konsequenzen zu bedenken, ist eine Beschreibung des Bankgewerbes, der kaum jemand widersprechen würde, am wenigsten die Banker selbst. Das Duellieren scheint nicht so offensichtlich zu sein, zumindest nicht, wenn man es in einem traditionellen Sinn des Wortes meint. Doch ein Artikel der Huffington Post beschrieb vor kurzem das Auftauchen eines Phänomens mit dem Namen »Wall Street Fight Clubs«. Inspiriert von dem gleichnamigen Film (und dem Roman Chuck Palahniuks) kommen nun Banker nach der Arbeit zusammen, um sich gegenseitig zu verprügeln. Anders als die Duelle des achtzehnten Jahrhunderts, die meist an einem schönen Ort in eleganter Kleidung unter zeremoniellen Umständen stattfanden, treffen sich die Banker halbnackt in Souterrainräumen. Auch wenn sie noch zum Teil ein Untergrundphänomen ist, hat diese Aktivität inzwischen weit verbreitete Akzeptanz erlangt. Sogar der Generaldirektor der Deutschen Bank Securities soll sich positiv geäußert haben: »Es ist ein großartiger Stressminderer.« Die Aristokraten des 18. Jahrhunderts spielten, duellierten sich oder begingen Selbstmord, um einem tief sitzenden Gefühl der Langeweile zu entfliehen. Banker dagegen sind nicht gelangweilt. Das wäre ein Segen. Nein, sie suchen ihrem lebendigen Tod zu entkommen, indem sie mit der realen Sache flirten, da nur riskantes Verhalten einen flüchtigen Blick auf so etwas wie ein Ende erlaubt.
Auf der anderen Seite des Einkommensspektrums finden wir das, was man den Arbeitersuizid nennen könnte. Innerhalb von Foxconn City, dem schwer gesicherten Komplex außerhalb von Shenzhen (China), haben etwa 420000 Arbeiter ihr Zuhause. Abgesehen davon, dass Foxconn der weltweit größte Hersteller von elektronischen Geräten ist, darunter eine Reihe von Apple-Produkten, ist das Unternehmen bekannt geworden wegen einer Serie von Selbstmorden. Sie begann 2009, als der 25-jährige Sun Danyong aus dem Fenster seines Wohnheims sprang. Nach außen hin sieht Foxconn nicht wie ein Arbeitslager aus. Eine Führung durch das Firmengelände bietet ein Bild, das so gar nicht den Fabriken des düsteren Industriezeitalters ähnelt. Es gibt dort Swimmingpools, Tennisplätze und Turnhallen für die Angestellten als auch zahlreiche Clubs für Schach, Kalligraphie und Angeln, um nur wenige zu nennen. Der Haken ist nur, dass keine dieser Einrichtungen genutzt wird. Abgesehen von kurzen Pausen für Essen und Schlaf haben die Arbeiter keine Freizeit. Die Swimmingpools und Tennisplätze scheinen daher grausame Requisiten zu sein, die den Eindruck erwecken sollen, dass ein Ende der Arbeit vielleicht kommt. Aber wie unser immer drohender Tsunami geschieht das nie.
Um die Arbeitsbedingungen bei Foxconn zu untersuchen, schickte die chinesische Zeitschrift Southern Quarterly ein Team Undercover Rechercheure auf das Gelände. Nach 28 Tagen voll grausamer Eindrücke kamen sie zurück und berichteten von Lebensverhältnissen, die total von der Arbeit bestimmt werden: »Die Arbeiter, mit denen wir sprachen, sagten, dass ihre Hände auch nachts nicht aufhören zu zucken oder dass sie selbst beim Gehen auf der Straße die Bewegungen am Fließband nachahmen. Sie sind nicht mehr in der Lage, sich zu entspannen.« Einer der Reporter vermutete deshalb: »Ihr Leben zu beenden, ist für viele Arbeiter die einzige Flucht aus diesem Teufelskreis.« Das Foxconn-Management hat große Anstrengungen unternommen, die Suizidepidemie einzudämmen. Man hat Sicherheitsnetze zwischen den Gebäuden aufgespannt, um in den Tod springende Arbeiter aufzufangen. Es gibt einen Stressraum, wo die Beschäftigten mit Baseballschlägern auf lebensgroße Puppen einprügeln können. Über einhundert Berater wurden eingestellt. Und man hat dreißig buddhistische Mönche geholt, die »die Seelen der Selbstmörder vom Purgatorium befreien« sollen. Foxconn ist nun führend auf einem neuen Gebiet des Managements … des Selbstmordmanagements.
Irgendwo zwischen den spektakulären Selbstmorden im Finanzsektor und den chinesischen Arbeitern, die sich von Fabrikdächern stürzen, befindet sich France Télécom. Vermutlich über sechzig Angestellte des französischen Konzerns haben Selbstmord begangen. Der Vorstand hat jede Kritik abgetan mit dem Hinweis auf die nationale Suizidrate, die nur geringfügig niedriger sei als die bei France Télécom. Tatsache jedoch bleibt, dass die Mehrheit der Selbstmorde eindeutig auf die Unruhe infolge der Umstrukturierung des Konzerns zurückzuführen ist. Seitdem France Télécom 1998 privatisiert wurde, sind etwa 40000 Stellen verschwunden, und die übriggebliebenen Angestellten sehen sich ständig härteren Bedingungen ausgesetzt, mit mehr Stress, mehr Management, mehr Arbeit.
Während sich die Lebensweisen dieser drei Gruppen stark unterscheiden, haben sie etwas miteinander gemein: die Bevorzugung des Todes vor einem Nicht-Leben der Arbeit. So wie der Foxconn-Arbeiter, der ungewollt noch im Schlaf die Bewegungen am Fließband nachahmt, wird der Banker wahrscheinlich innerhalb der Logik des Aktienmarkts träumen und seine Nachtruhe immer wieder von wahllos aufblitzenden Zahlen gestört sehen. Da ihr Leben ihnen langsam entgleitet, ist der Tod irgendwann nicht mehr etwas, vor dem man Angst haben muss. Er wird ein Geschenk, eine Option, die eine gewisse Unbeschwertheit hat. Der Dead Man Working ähnelt in diesem Sinne dem anonymen Opfer in James Camerons Film Aliens. Die zum Untergang verurteilten Astronauten entdecken die junge Frau, die in Alienschleim eingeschlossen ist und zum Ausbrüten schrecklicher Kreaturen missbraucht wird. Im Glauben, sie sei tot, sind wir entsetzt, als sie ihre Augen aufschlägt und leise fleht: »Bitte tötet mich … bitte tötet mich!« Sie verlangt einen zweiten Tod, einen wirklichen Tod. Ähnlich können wir uns den Börsenmakler spät abends in der U-Bahn vorstellen, wie er einen bekannten Song mitsummt, der auf seinem iPod spielt: »Suicide is painless«.
Ein Leben, das sich weder von der Leblosigkeit der Arbeit noch von der Leichtigkeit des Todes unterscheidet, ist kein lebenswertes Leben. Um dies besser zu verstehen, empfiehlt sich die Lektüre von David Humes Essay über Selbstmord, der wegen seiner im 18. Jahrhundert offenkundigen Blasphemie erst nach dem Tod des Philosophen veröffentlicht werden konnte. Nach Hume haben wir gegenüber Gott, unserem Schöpfer, keine Schuldigkeit, unsere Existenz zu verlängern, wenn sie nicht wenigstens ein Minimum an Sinn und Freude enthält. In der Tat, angesichts einer nicht enden wollenden Sinnlosigkeit haben wir nicht mehr die Pflicht, weiterzumachen: »Warum darf ich nicht auf einmal durch eine Handlung, welche für die Gesellschaft nicht nachteilig ist, all dieses Elend abschneiden?« Und weiter bemerkt Hume: »Die Macht, Selbstmord zu begehen, wird von Plinius als Vorzug angesehen, welchen der Mensch vor der Gottheit selbst hat.« Der amerikanische Comedian Bill Maher drückte es lakonischer aus: »Selbstmord ist die Art des Menschen, Gott zu sagen: Du kannst mich nicht feuern – ich kündige.«
Als Humes Gedanken zum Selbstmord schließlich veröffentlicht wurden, empörten sie die damalige Öffentlichkeit, aber heute machen sie ihn immens populär, nicht zuletzt unter Anhängern der Sterbehilfe. Mit Verweis auf Hume (neben anderen) bestehen diese Interessengruppen auf dem Recht, ihr eigenes Leben zu beenden, zumindest wenn es einen Punkt erreicht hat, da wir es nicht länger für lebenswert halten. Die beunruhigende Frage, die sich hier erhebt, ist, ob wir eine Reihe »objektiver« oder »externer« Umstände bestimmen können, die so schwer wiegend sind, dass sie die Selbsttötung rechtfertigen. Wir sind versucht vorherzusagen, dass die meisten Unternehmen heute, wenn solche objektiven Kriterien gefunden würden, ihre eigenen, eher großen Hilfstrupps bräuchten, um den tausenden von Arbeitern beizustehen, die Schlange stünden für den Tod.
In krassem Gegensatz dazu behauptet Cioran, dass »niemand Selbstmord aus externen Gründen begeht, sondern nur aufgrund eines inneren Ungleichgewichts«. Für ihn gibt es keinen rationalen Antrieb für die Selbsttötung, »nur organische, geheime Ursachen, die die Tat vorherbestimmen«. Kurzum, für ihn ist Selbstmord eine strikt private Angelegenheit.
Nachdem der Selbstmordskandal ausgebrochen war, gab France Télécoms Management eine öffentliche Stellungnahme ab, in der sie erklärten, dass die Tode aus persönlichen, nicht beruflichen Gründen geschehen seien. Das entsprach Ciorans Ansicht, dass Selbstmord vielmehr eine Frage der Veranlagung und nicht situationsbedingt sei. Was dabei jedoch außer Acht gelassen wird, ist die Tatsache, dass die postindustriellen Verhältnisse die Grenze zwischen dem Beruflichen und dem Privaten aufgelöst haben. Wie wir in den vorherigen Kapiteln gezeigt haben, ist die Logik der Arbeit nun aufs Engste mit dem verwoben, wer wir sind, und bestimmt selbst die elementarsten Funktionen des Lebens. Wir sind unsere Jobs geworden, und daher liegt es nahe, die Tyrannei der Arbeit zu beenden, indem wir mit uns selbst Schluss machen.
Vor diesem Hintergrund ist es interessant, einen Blick auf die Beschäftigung mit der höchsten Suizidrate zu werfen. Nein, es ist nicht der Banker, der Büroangestellte oder Fabrikarbeiter, die am ehesten frühzeitig »auschecken«. Es ist der Künstler. »Kaum überraschend«, wird mancher sagen, denn tief sitzt die Annahme, dass Künstler immer schon einsame und selbstzerstörerische Seelen gewesen sind. Man denke nur an Van Gogh, Rothko, Sylvia Plath oder Ian Curtis – sie alle waren von Natur aus schwermütige Grübler. Aber solche Erklärungen, wie üblich sie auch sein mögen, verraten nicht nur ziemlich alberne bourgeoise Werte, sie übersehen auch die strukturellen Bedingungen, unter denen Künstler gewöhnlich arbeiten und leben: ständiger Stress, flexible Arbeitszeiten, keine sicheren Verträge und Einkommen, keine Altersversorgung und oft schlechte Bezahlung. Mit anderen Worten Bedingungen, die fast identisch mit denjenigen sind, die sich nun in der postindustriellen Landschaft ausbreiten. Während den meisten Jobs alles Kreative fehlt außer die Fantasie, ihnen zu entrinnen, spiegeln die materiellen Bedingungen vieler Beschäftigter heute zunehmend die Prekarität des Künstlers wider.
In ihrem 2009 veröffentlichten Essay »Wenn das Leben zur Arbeit geht« vertieft Isabelle Graw diese Verbindung zwischen dem Künstler und postindustriellen Beschäftigten, indem sie zeigt, dass Andy Warhol heutzutage als der ideale Arbeiter gelten würde.
Der grelle, Perücken tragende Pop-Art-Künstler ist der feuchte Traum jedes progressiven Managers. Er ist antikonformistisch, gesellschaftlich gewandt und ungeheuer kreativ. Aber wichtiger noch, er hat eine besondere Haltung gegenüber Arbeit und Leben, eine, bei der beides fast nicht mehr unterscheidbar ist. Warhol hasste Entspannung und Freizeit.
»Selbst Spaß haben bedeutete arbeiten, da er jeden sozialen Anlass (wie etwa Partys) dazu benutzte, um ›mehr Porträts oder Ideen zu bekommen‹ oder um ›mehr Anzeigen für [seine Zeitschrift] Interview zu verkaufen‹.«
In diesem Sinn könnte man sagen, Warhol kam äußerst berei...

Inhaltsverzeichnis

  1. Über dieses Buch
  2. Dead Man Working
  3. Leben in tote Arbeit »spritzen«
  4. Unter dem Pflaster – das Unternehmen!
  5. Die Unannehmlichkeit, man selbst zu sein
  6. Gescheiterte Fluchten
  7. Der große Abgang
  8. Postskript: Was will ein kleines Mädchen?
  9. Literaturverzeichnis
  10. Danksagung
  11. Über den Autor
  12. Über Fuego
  13. Impressum