Sterben in Mexiko
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Sterben in Mexiko

Berichte aus dem Inneren des Drogenkriegs

  1. 188 Seiten
  2. German
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Sterben in Mexiko

Berichte aus dem Inneren des Drogenkriegs

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

In Mexiko befinden sich die staatlichen Institutionen in Auflösung. Drogenkrieg, Korruption und ein gigantischer illegaler Geldfluß bringen ein ganzes System zum Kollabieren. Die Bevölkerung ist der Gewalt zwischen rivalisierenden Drogenkartellen, Polizei und paramilitärischen Organisationen hilflos ausgeliefert. Es handelt sich nicht um einen Krieg gegen die Drogen, wie die mexikanische Regierung Glauben machen will, sondern um die Neuaufteilung der Märkte, bei der der Staat mitmischt. Gibler führte in vielen Landesteilen Mexikos Gespräche mit Journalisten und Opfern. Er enthüllt dabei das Innenleben einer Nation, die durch und durch korrupt ist. Ein Beitrag zur Debatte, daß der Drogenkrieg nicht gewonnen werden kann, so lange die Drogen nicht legalisiert werden.Titel der Originalausgabe: "To Die in Mexico. Dispatches from Inside the Drug War", City Lights Books, San Francisco 2011.

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Information

Verlag
Fuego
Jahr
2012
ISBN
9783862870615
Zwei
»Lassen wir uns von den schrecklichen Bildern heimsuchen. Auch wenn sie nur Zeichen sind und den größten Teil der Realität, auf die sie sich beziehen, gar nicht erfassen können, kommt ihnen doch eine wichtige Funktion zu. Die Bilder sagen: Dies ist es, wozu Menschen imstande sind – vielleicht sogar freiwillig, begeistert, selbstgerecht. Vergeßt das nicht.« Susan Sontag
Ernesto Martínez, genannt Pepis, ist ein schlaksiger, hoch gewachsener 40jähriger, der seit dreizehn Jahren in dem Nota roja-Gewerbe arbeitet. Er hat mehr Tote gesehen als die meisten Bestatter.
Primera Hora ist eine Lokalzeitung mit Sitz in Culiacán (Bundesstaat Sinaloa) und wird von Noeveste, der Haupttageszeitung der Stadt, herausgegeben. Die Redaktion von Primera Hora ist ein kleiner, fensterloser Kasten mit fünf Computern, einigen Aktenschränken und einer starken Klimaanlage. Um dorthin zu gelangen, muß man zur Rückseite des Noeveste-Gebäudes gehen, eine Sicherheitsschleuse passieren und einen langen Flur entlanggehen, der zu einem verlassenen Abstellkeller zu gehören scheint. Als ich um fünf Uhr nachmittags eintreffe, begrüßt mich Pepis, Redaktionsfotograf und Artikelschreiber, mit den Worten: »Willkommen im Bunker.«
Pepis stellt mich der Nachmittagsschicht vor: Marco Santos, der verantwortliche Redakteur, und Juan Carlos Cruz, ebenfalls Redakteur und gelegentlich auch Fotograf. Sie tragen Button-Down-Hemden mit quer über die Brust genähtem Primera Hora-Logo. Dann erzählt mir Pepis, es habe eine Stunde zuvor einen levantón , »eine Abholung«, gegeben, diese spezielle Art der Entführung in Mexiko, die unweigerlich mit der Ermordung endet. Kurz danach trafen mehrere Reporter und die örtliche Polizei am Tatort ein. Doch da kamen die Entführer zurück, um jemand anderen zu schnappen. Sie gingen auf die Reporter zu, zielten mit ihren Sturmgewehren auf deren Gesichter und schnauzten: »Keine Aufnahmen, und hütet euch, irgendetwas zu veröffentlichen.« Die Polizisten taten nichts, und die bewaffnete Gang fand es offensichtlich nicht einmal nötig, sie vor einer Verfolgung zu warnen. Pepis hat Verständnis für die Zwangslage der lokalen Polizei in einer solchen Situation: »Die hatten nur Pistolen, und die Killer trugen alle AK-47.«
Während wir in der Redaktion miteinander sprechen, sind Repräsentanten der UNO und der Organisation der Amerikanischen Staaten im Begriff, sich mit einer Gruppe von Journalisten zu treffen, um sich über die Pressefreiheit in Culiacán zu erkundigen. Ich frage, ob irgendein Mitarbeiter von Primera Hora an dem Treffen teilnehmen wird, und Marco antwortet, daß niemand von den lokalen Zeitungen eingeladen worden sei, aber er würde sowieso nicht dorthin gehen wollen. »Solche Veranstaltungen bringen nichts, sie führen nie zu irgendetwas Konkretem«, sagt er.
Die Zensurmacht der Kartelle sei unangreifbar, sagen die Zeitungsleute übereinstimmend. Bei Primera Hora versuchen sie, vor allem zu vermeiden, den Zorn eines Kartells auf sich zu ziehen. Ihr Job ist es, Leichen zu zählen und Tatorte zu fotografieren und zu beschreiben. An besonders blutigen Tagen erscheint auf der Titelseite ein ejecutómetro, ein »Exekutionenzähler«, der die trostlose Gesamtzahl anzeigt.
»Investigativer Journalismus ist hier ausgestorben«, sagt Pepis.
Wenn zum Beispiel eine Gruppe von Drogenkillern am Tatort eine schriftliche Botschaft hinterläßt, verweist Primera Hora darauf, daß es eine Botschaft gab, veröffentlicht aber weder in dem Artikel noch auf dem Foto den Text selbst. Diese redaktionelle Entscheidung wurde von jemanden aus dem Sinaloa-Kartell getroffen.
Die beiden Redakteure erzählen mir, daß vor einiger Zeit ein Küchenchef, der für den Boss des Sinaloa-Kartells, Ismael »El Mayo« Zambada, auch als MZ bekannt, Regionalgerichte zubereitete, erschossen wurde. Die Mörder hinterließen die Botschaft: DIES GESCHIEHT ALLEN, DIE FÜR MZ ARBEITEN. Primera Hora veröffentlichte den Text in dem Nachrichtenartikel, den sie ins Internet stellten, und erhielten schon Minuten später einen Anruf. Die Stimme am Telefon befahl: »Entfernt diesen Scheiß!« Marco rief den Nachrichtendirektor bei Noroeste an, um sich mit ihm zu beraten. Der Vorgesetzte wies ihn an: »Entfernt den Text und erwähnt nur, daß eine Botschaft hinterlassen wurde.« Und von da an gab es eine neue Redaktionspolitik.
Pepis begann bei Noroeste als Mitglied der Morgencrew, die die Frühausgabe zusammenstellte. Nach sechs Monaten durfte er die Negative und Dias für den Druck vorbereiten. Zu der Zeit hatte Primera Hora für die Tagesschicht einen Redaktionsfotografen, der berüchtigt für seine Trägheit war. Während der Mittagspause verschwand er, stellte sein Mobiltelefon ab und tauchte gegen 18 Uhr wieder auf, so daß vier Stunden des Tages ohne Berichterstattung blieben. Mehrere der Kriminalreporter scherzten mit Pepis, er solle doch das Fotografieren lernen, dann könne er die Ausfallzeit des allzu lässigen Fotografen abdecken. Pepis gefiel die Idee. Von seinen Ersparnissen kaufte er sich eine alte Yashica 35 mm Kamera und lernte die Entwicklungstechnik in der Dunkelkammer, wie man eine Kamera bedient, und schließlich das Handwerk des Fotografierens. Dann machte er eine unbezahlte Lehre als inoffizieller Mitarbeiter für die »Lunch«-Schicht von 14 bis 18 Uhr, bevor er seine Nachtschicht an der Druckerpresse antrat. Nach einem Jahr begann er als Polizeifotograf in der Redaktion von Primera Hora.
Ich bitte die drei Redakteure, mir Hintergrundinformationen zum gegenwärtigen Kriegszustand zu geben. Im Jahr 2001 brach El Chapo aus einem Hochsicherheitsgefängnis aus und forderte sein Territorium zurück. Zu diesem Zeitpunkt bestand unter dem Namen La Federación eine große Allianz zwischen Drogenkartellen in Sinaloa. Zu diesem Bündnis gehörten die Arrellano Félix Brüder (aus Sinaloa, aber unter Kontrolle der plaza in Tijuana), die Carrillo Fuentes Familie (auch aus Sinaloa, aber unter Kontrolle der plaza in Ciudad Juárez) und El Chapo und El Mayo Zambada (beide aus Sinaloa und unter Kontrolle der plaza in Sinaloa).
2004 erschossen Auftragsmörder, die für El Chapo arbeiteten, Rodolfillo Carrillo Fuentes – der Bruder von Amado, den man »Der Herr der Himmel« nennt – und seine Frau, Giovanna Quevedo Gastélum, vor einem Kino in Culiacán. Die Carrillo Fuentes-Gang schickte eine Gruppe von Killern los, um El Chapos Bruder zu ermorden. Mit diesen gegenseitigen Tötungen löste sich »Die Föderation« auf, die Allianzen zerfielen, und der Krieg begann. Die Gewalt ging 2005 zurück, stieg aber im folgenden Jahr wieder stark an. Während dieser Zeit schloß El Chapo ein Bündnis mit den Beltrán Leyva Brüdern: Arturo, Héctor, Alfredo, Mario und Carlos. Die Brüder rekrutierten Edgar »La Barbie« Valdez vom gegnerischen Golf-Kartell, und zusammen wurden sie der bewaffnete Flügel des Sinaloa-Kartells, der die Aufgabe hatte, in neue Territorien einzudringen, sie zu übernehmen und neue plazas zu eröffnen. Einer der ersten Plätze, die sie sich vornahmen, war Acapulco im Bundesstaat Guerrero, wo am 6. April 2006 zwei Polizeibeamte enthauptet und ihre abgetrennten Köpfe auf einen Zaun gespießt wurden.
2008 fiel das Bündnis zwischen El Chapo und El Mayo und den Beltrán Levya Brüdern auseinander. El Chapo verriet offensichtlich den Bundesbehörden Alfredo »El Mochomo« [Die Wüstenameise] Beltráns Unterschlupf in Mexiko Stadt – wo Alfredo am 21. Januar 2008 verhaftet wurde –, um im Tausch die Entlassung seines Sohnes aus einem Hochsicherheitsgefängnis im Bundesstaat México zu erreichen. Tatsächlich wurde El Chapos Sohn Archibaldo Guzmán drei Monate später aus der Haft entlassen. Die Beltrán Levyas forderten die Freilassung ihres Bruders, und wahrscheinlich entsandten sie, als El Chapo sich weigerte zu helfen, ein Killerkommando, das am 9. Mai El Chapos zweiten Sohn, Édgar, auf dem Parkplatz eines Supermarkts tötete. An den beiden Tagen zuvor hingen an mehreren Orten in Sinaloa handbemalte Transparente mit Botschaften wie POLIZEI-SOLDATEN, DAMIT DAS KLAR IST, EL MOCHOMO IST IMMER NOCH DA. GRUSS ARTURO BELTRÁN. Der Krieg brach wieder aus. Die Beltrán Leyva Gang schloß Bündnisse mit El Chapos erbitterten Feinden, den Carrillo Fuentes vom Juárez-Kartell und den Zetas, die damals noch für das Golf-Kartell arbeiteten.
Als ich die Redakteure nach Präsident Calderon und seinem Krieg gegen Drogen frage, machen sie folgende Unterscheidung: Es gibt den Krieg gegen Drogen (la Guerra del Narco) und den Drogenkrieg (la Narcoguerra). Im Krieg gegen Drogen schickt die Bundesregierung Zehntausende Soldaten und Polizisten auf die Straßen und verkündet dann und wann die Beschlagnahmung von Drogen und Waffen und die Verhaftung angeblicher Drogenhändler. In dem Drogenkrieg kämpfen Kartelle – und die verschiedenen lokalen, bundesstaatlichen und staatlichen Behörden, die mit ihnen verbunden sind – auf den Straßen und versuchen, sich gegenseitig zu vernichten und die absolute Herrschaft über eine bestimmte plaza durchzusetzen. Die beiden Kriege überschneiden sich manchmal, aber sie sind nicht identisch.
Pepis trägt ein Funkgerät mit sich, ähnlich dem, das auch vom Roten Kreuz benutzt wird. Er ist damit in der Lage, ihre Gespräche abzuhören. Er hat ihre Codes gelernt. So erfährt er, wann und wo Morde passieren. Früher konnte er auch den Polizeifunk anzapfen, aber vor kurzem haben sie zu einem unerschwinglich teuren israelischen Unternehmen gewechselt, und so bleibt ihm nur der Funkverkehr der Krankenwagen.
Während wir uns in dem Bunker unterhalten, kommen Stimmen aus seinem Gerät, und Pepis preßt es dicht ans Ohr. Er hört: »Fünf Bravo Vierzehn«, greift nach seinem Mobiltelefon und macht mehrere Anrufe, um sicher zu gehen. »Fünf« bedeutet verwundet, »Bravo« Schußwunde und »Vierzehn« tot. Also lautet die Mitteilung: »Das Schußwundenopfer ist tot«. Das ist das Stichwort. Pepis schaut auf und sagt, jemand sei am Stadtrand ermordet worden. »Es scheint der Typ zu sein, den sie sich vor etwa zwei Stunden in Anwesenheit von Reportern geholt haben«, sagt er.
Wir zwängen uns in den weißen Chevy Pickup mit dem an den Seiten aufgemalten Primera Hora-Logo und fahren los. Die Fahrt dauert etwa fünfzehn Minuten.
Der Stolz eines »Blutfotografen« bestand früher darin, vor Polizei, Sanitätern und, am wichtigsten, vor anderen Reportern am Tatort einzutreffen. Er oder sie konnte geradewegs zu der Leiche gehen, ohne Absperrbänder überwinden zu müssen, und hatte einige Minuten Zeit, um den richtigen Winkel zu finden und das Licht einzufangen, bevor das Bild von Kriminalbeamten, Rettungswagen und anderen Fotografen verstellt wurde. Der Fotograf konnte die Aufnahme mit dem Tod und sonst nichts füllen und auf einen Abdruck auf der Titelseite und gute Verkaufszahlen hoffen. Das ist vorbei. In zu vielen Fällen kehren Killer zu dem Ort einer Hinrichtung zurück, um entweder sicherzugehen, daß das Opfer tatsächlich tot ist, oder jemanden zu töten, den sie beim ersten Mal verpaßt haben. In solchen Situationen töten die Killer jeden, der ihnen im Weg steht. Daher warten nun oft Reporter, Sanitäter und selbst die Polizei eine Zeit lang, bevor sie sich einer Leiche auf der Straße nähern.
»Der Versuch, die exklusive Aufnahme zu bekommen, ist Vergangenheit«, sagt Pepis. »Wir mußten dem ein Ende setzen, Selbstzensur. Jetzt fahren wir dorthin, wo etwas passiert ist, aber wir versuchen nicht mehr, vor den Behörden dort zu sein.«
Die Polizei von Culiacán behauptet, nach einem Mordanruf in vier bis acht Minuten am Ort des Geschehens zu sein. Pepis sagt, sie bräuchten meist mehr als dreißig Minuten, und nicht selten dauere es auch schon mal ein paar Stunden. Er gibt uns ein Beispiel: »Ich fuhr einmal nach Navolato, um über einen Mord zu berichten … Sobald ich die Nachricht hörte, stimmte ich mich mit meinen Kollegen ab und verlor dadurch zehn Minuten. Ich brauchte weitere fünfundzwanzig Minuten, um nach Navolato zu fahren, das sind inzwischen fünfunddreißig Minuten. Ich komme am Tatort an und sehe dort eine Leiche liegen, aber niemand ist in der Nähe außer ein paar neugierigen Anwohnern. Ich frage einen von ihnen: ›Hey, wo sind die Bullen?‹ ›Sie sind noch nicht da‹, sagt er. Ich warte etwa weitere dreißig Minuten, als wir mehrere Lastwagen mit aufmontierten Scheinwerfern, wie die Drogengangs sie benutzen, von weitem auf uns zukommen sehen. Und sie fahren mit voller Geschwindigkeit trotz der Bodenschwellen auf der Straße. Die Leute schreien: ›Die Killer kommen!‹ Sie rennen in alle Richtungen oder suchen eilig Deckung im Gebüsch. Und wieder ist die Leiche allein wie ein totes Tier im Wald. Ich stehe in der Nähe. Die Lastwagen gehörten zur Staatspolizei, die so schnell, wie sie konnte, eintraf und ihre Show abzog, aber über eine Stunde war vergangen, seit die Meldung erfolgte.«
Wir kommen am Tatort an und parken das Auto. Die Leiche ist vor einem Stacheldrahtzaun an der Seite einer Schotterstraße abgelegt. Alles ist grün; es ist Regenzeit. Wir sind am nördlichen Rand der Stadt, etwa hundert Meter von der rückwärtigen Mauer der letzten Wohnsiedlung entfernt. Über ein unkrautbewachsenes Feld hinweg können wir deutlich die Fenster im zweiten Stock von wenigstens zehn Häusern sehen. Die Menschen, die dort leben, müssen die Schüsse gehört haben. Niemand aber würde auch nur daran denken, an ihre Türen zu klopfen und sie zu fragen, ob sie etwas gehört hätten: weder die Reporter noch die Polizei. Denn mit Sicherheit würden sie nichts sagen; allerdings kann es immer passieren, daß sie den Männern, die mit Maschinengewehren in Geländewagen herumfahren, berichten, daß Fremde in der Gegend herumschnüffeln.
Wir sind die ersten Reporter vor Ort. Zwei Polizeilaster sind bereits da, und die Polizisten sperren die unmittelbare Umgebung um die Leiche mit gelbem Warnband ab, ziehen es über die Straße und befestigen es an einem Baum auf der anderen Seite. Wir ducken uns darunter weg und sind ganz in der Nähe der Leiche. Die Fotografen gehen in die Hocke und machen sich an die Arbeit.
Ich schreibe erste Beobachtungen in mein Notizbuch, als ein junger Mann auf mich zukommt und fragt: »Wollen Sie den Namen?«
Er fragt nicht, ob ich »seinen Namen« haben will, sondern »den Namen«.
Ich bejahe, und er sagt: Juan Antonio González. Ich bedanke mich.
Das kriminaltechnische Team trifft ein und beginnt mit der Untersuchung des Tatorts.
Juan Antonio González’ Leiche liegt mit dem Gesicht nach unten. Sein T-Shirt ist über den Kopf gezogen und fesselt beide Arme. Auf der linken Seite seines Körpers kann man zwei kreisförmige Wunden sehen. Einer der Fotografen kommentiert: »Die Öffnungen sind sehr klein, aus kurzer Entfernung, muß ein Bullen-Killer gewesen sein«, eine Pistole Kaliber 5.7 x 28 mm, die berüchtigt ist für ihre Fähigkeit, sogar eine Schutzweste zu durchlöchern. Das T-Shirt, das seinen Kopf bedeckt, ist voller Blut, das langsam d...

Inhaltsverzeichnis

  1. Über dieses Buch
  2. Eins
  3. Zwei
  4. Drei
  5. Vier
  6. Fünf
  7. Literaturverzeichnis
  8. Quellen
  9. Danksagung
  10. Über den Autor
  11. Über Fuego
  12. Impressum