Das Haus in der Schlosserstrasse
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Das Haus in der Schlosserstrasse

Eine Erzählung über Fritz Levy

  1. 176 Seiten
  2. German
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Das Haus in der Schlosserstrasse

Eine Erzählung über Fritz Levy

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Der Viehhändler Fritz Levy - letzter Jude von Jever - geboren 1901 - 1939 Flucht vor den Nazis nach China und Amerika - 1950 Exil und Rückkehr nach Jever - schwere Depressionen in den 1960er Jahren - in den 1970ern nannte er sich "Berufsverbrecher, Viehlosoph und Stabsdirektor" - 1981 wurde er Ratsmitglied - Freitod 1982.Wer war Fritz Levy? War er ein Spinner oder ein Clown? War er ein Provokateur oder ein Genie? Was hat ihn bewegt? Wie hat er gelebt? Hatte er Familie, Frau und Kinder? Warum ist er zurückgekommen nach Jever? Was hat ihn bewogen im hohen Alter für den Stadtrat zu kandidieren? Weshalb hat er den Freitod gewählt? Warum bewegt uns Fritz Levy noch immer? Es gibt viele Fragen rund um Fritz Levy, viele Legenden, Halbwahrheiten und jede Menge Unfug, der über ihn geredet wird.Eckhard Harjes erzählt in seinem Buch eindrucksvoll das Leben seines Freundes Fritz Levy unter Einbezug der heute bekannten Fakten. Als 14-jähriger lernte er Levy 1974 in Jever kennen. "Dieser Mann hat mich in all den Jahren nie mehr losgelassen. Er war irgendwie immer in meinem Kopf. Mal mehr, mal weniger", sagt Eckhard Harjes heute zurückblickend.Fritz Levy bewegt die Gemüter seit Jahrzehnten. Seine Lebensthemen - Ausgrenzung, Rassismus, Flucht und Exil - sind aktueller denn je. Fritz Levy hilft dabei Stellung zu beziehen gegen Rassismus, gegen das Vergessen und für eine demokratische Gesellschaft.

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Information

Verlag
Fuego
Jahr
2018
ISBN
9783862872145
I Rückkehr
Mittwoch, 22. November 1950: Fritz stieg aus dem Zug. Es war ein kalter Tag. Er ging durch die Wartehalle und trat aus dem Bahnhof, wie schon oft in seinem Leben. Er war hierher zurückgekommen. Seine unfreiwillige Reise von Jever nach Jever war zu Ende. Elf Jahre war er fort gewesen. Elf Jahre waren vergangen. Elf Jahre, die die Welt verändert hatten.
Fritz stellte seinen Koffer ab und blieb im Ausgang des Bahnhofs stehen. Er hörte den Zug abfahren. Sein Blick fiel auf den Bahnhofsvorplatz mit dem alten Rondell, dann auf das Bahnhofshotel, das direkt gegenüber lag.
Hier hatten sie gespielt – Johanne, Helene, Albert, Erwin, Berthold, Markus - und die anderen Kinder, jüdische und nichtjüdische. Hier am Bahnhof war immer etwas los gewesen. Hier war das Tor zur Welt für die friesische Provinzstadt im Nordwesten des Deutschen Reiches. Reisende kamen und gingen. Händler reisten an, reisten ab, übernachteten im Bahnhofshotel. Lastwagen fuhren heran, Fuhrwerke rollten vorbei. Waren wurden verladen drüben am Güterbahnhof - Kohlen, Getreide, Kartoffeln und Vieh. Die Viehhändler brachten ihre Tiere zum Verladebahnhof - Kühe, Schweine, Pferde, Schafe, Ziegen -, stellten sie unter, trieben sie in die Wagons, holten sie ab, begutachteten sie, handelten, redeten, lachten und gingen dann in die Bahnhofsgaststätte, tranken Bier, Doornkaat, rauchten dicke Zigarren und spielten Skat.
Fritz stand auf den Stufen. Sein Blick fiel in die Schlosserstraße. Er sah sein Haus, das jetzt dem Taxiunternehmer gehörte, dem er es unter Wert verkaufen musste, damit er heraus kam aus Deutschland im Mai 1939, damit er das Geld hatte für seine Flucht nach China. Sein Haus in der Schlosserstraße war schemenhaft zur erkennen im fahlen Licht der Straßenlaternen. Alle Fenster waren dunkel. Er wollte sofort hingehen, aber er konnte nicht.
Ein Zittern durchfuhr ihn. Widersprüchliche Gefühle lähmten ihn. Er wollte schreien, weinen und lachen zugleich. Und Wut stieg in ihm empor, aber auch ein Gefühl des Triumphes und der Freude, dann wieder Angst, Zweifel und Traurigkeit im Anblick seines Hauses, das sie ihm weggenommen hatten und das er wieder zurückhaben wollte.
Elf Jahre hatte Fritz auf diesen Tag gewartet. Immer hatte er sich gefragt, wie es sein würde, wenn er hier ankäme. Und jetzt war dieser Tag da. Und alles war anders, als er gedacht hatte. Alles in ihm war in Unordnung. Dass man ihn nicht empfangen würde, dass Jever nicht auf seine Rückkehr gewartet hatte, dass man ihn, den verrückten Juden, nicht mit offenen Armen empfangen würde, dass man ihm keine Entschuldigung entgegenbringen würde, das war ihm klar, das hätte er sowieso nicht erwartet und auch gar nicht gewollt. Das war unvorstellbar nach all dem, was diese Stadt ihm angetan hat.
Fritz wollte stark sein in diesem Moment, aber die Rückkehr nach Jever, der Bahnhofsvorplatz, sein Haus in der Schlosserstraße, die Erinnerungen, diese chaotischen Gefühle in ihm, all das brachte ihn durcheinander.
Immer wieder hatte er diesen Moment in seinen Träumen erlebt, in seiner Vorstellung, in den Gesprächen mit anderen Juden in China, in Amerika, mit den Verbannten, den Flüchtlingen, die dieser Krieg in die ganze Welt geworfen hatte, nach Shanghai, Havanna oder New York. Noch auf dem Dampfer, mit dem er heute in Rotterdam angekommen war, hatte er mit Reisenden gesprochen. Sie hatten sich ihre Geschichten erzählt über die vielen Schicksale der zerrissenen Familien, die Berichte über das Verdammtsein zum Warten im Exil.
Ein Traum verfolgte ihn immer wieder in all den Jahren: Fritz war noch ein Kind, spielte hier auf dem Bahnhofsvorplatz. Am Abend rannte er nach Hause. Er rannte, aber er kam kaum voran. Zu Hause saßen seine Mutter Nanni, seine älteren Schwestern Helene und Johanne und sein Bruder Albert am Esszimmertisch. Er konnte sie sehen. Sie warteten mit einem herrlichen Essen auf ihn, koscher, so wie Nanni es gerne und gut zubereitete. Kerzen brannten. Der Tisch war festlich eingedeckt. Alles sah friedlich aus und eine himmlische Musik klang durch das ganze Haus in der Schlosserstraße.
Auch sein Vater Julius und seine Brüder Erwin, Markus und Berthold waren dort. Sie saßen etwas abseits in einer dunklen Ecke des großen Esszimmers. Fritz konnte nur ihre bleichen Gesichter erkennen. Sie alle streckten ihre Hände nach ihm aus, als wollten sie ihn an unsichtbaren Bändern zu sich holen. Und sie riefen scheinbar seinen Namen, bewegten die Lippen, ohne dass er sie wirklich hören konnte.
Aber Fritz kam nicht zu ihnen, so sehr er sich auch anstrengte. Kurz vor der Haustür kam er nicht weiter, kam nicht mehr von der Stelle, musste aufgeben. Erschöpft brach er zusammen. Er konnte sie alle sehen, aber er konnte sie nicht erreichen.
Dann wachte Fritz auf und Schweiß rann ihm von der Stirn. Es dauerte, bis er realisierte, dass alles nur ein Traum war. Jedes Mal zweifelte Fritz, ob er nach Deutschland zurückkehren sollte. Aber tief in seinem Innern wusste er, er wollte zurück nach Jever.
Und jetzt stand er tatsächlich hier im Ausgang des Bahnhofs auf den alten, ausgetretenen Steinstufen und blickte auf sein Haus in der Schlosserstraße, den Kopf voller Erinnerungen an diesen schrecklich-wundervollen Ort.
Die Schlossturmuhr riss ihn aus seinen Gedanken. Er hörte den vertrauten Klang und der war schön. Er war zu Hause. Man konnte das Läuten hier am Bahnhof gut hören. Und nur einen Moment nach der Schlossturmuhr ertönte die Kirchturmuhr. Die Klänge mischten sich mit dem Kreischen der aufgescheuchten Krähen, die wohl seit Jahrhunderten ihre Nester in den Bäumen am Kirchplatz bauten.
Das alles erinnerte Fritz an eine andere Rückkehr nach Jever. Damals kam er aus Berlin. Das war im September 1919. Fritz war gerade 18 Jahre alt, als sein Vater der Viehhändler Julius Levy und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Erwin durch einen schrecklichen Unfall unerwartet, vor den Augen der halben Stadt aus dem Leben gerissen wurden. Es war ein Schicksalsschlag für ihn und die Familie, der seine Lebenspläne komplett veränderte.
Fritz ging in Berlin zur Schule. Tierarzt wollte er werden. Das war sein Ziel. Er konnte schon immer sehr gut mit Tieren umgehen, insbesondere mit dem Weidevieh, das er von klein auf kannte. Schon als Kind war er mit seinem Vater bei den Viehhändlern, Bauern und Schlachtern im Jeverland unterwegs gewesen. Er kannte und liebte das Leben auf den Höfen, den Stallungen und Viehmärkten. In dieser Welt fühlte sich Fritz wohl. Er konnte Tiere schnell und gut beurteilen, Alter, Stärken, Schwächen und Krankheiten sofort erkennen.
Als Tierarzt wollte er seinen Vater unterstützen. Erwin sollte den Betrieb übernehmen und dafür machte er eine Ausbildung zum Schlachter bei Bekannten in Speyer. Zusammen wollten sie dann den Betrieb Levy in Jever weiterführen und nach vorne bringen.
Fritz dachte an seine Kindheit und Jugend, die damals mit seiner Rückkehr aus Berlin im September 1919 abrupt endete. Als Kind war Fritz jeden Morgen die Schlosserstraße hoch gegangen zur Stadtknabenschule am Schlosserplatz, wo das Denkmal stand mit dem Spruch, den er immer im Kopf hatte: „Wehe dem Volk, dem die Wahrheit nicht mehr heilig ist“. Hier in der Schlosserstraße wohnten viele jüdische Geschäftsleute mit ihren Familien - die Sternbergs, die Josephs, die Familie de Levie, Viehhändler, Landwirte, Pferdehändler. Fritz kannte sie alle gut. Auf dem Schlosserplatz vor der Schule spielten die Kinder Verstecken und Fangen rund um das Denkmal. Von der Knabenschule aus konnte er die Kuppel der Synagoge in der Wasserpfortstraße sehen.
Fritz war ein aufgewecktes Kind und er lernte schnell Lesen und Schreiben. Es war eine unbeschwerte Zeit. Bald ging er zusammen mit Erwin diesen Weg zur Schule. Fritz brachte gute Noten mit nach Hause und 1912 schickten seine Eltern ihn auf das Großherzogliche Mariengymnasium in Jever, das er bis Weihnachten 1916 besuchte. Hier lernte er Latein und die deutschen Klassiker kennen. Und er hörte zum ersten Mal von Sokrates und Diogenes, Goethe, Schiller, deutscher Geschichte mit dem Blick des Kaiserreiches. Fritz hatte eine gute Auffassungsgabe und früh zeigte sich seine Wortgewandtheit.
Er sah den Unterricht und die Lehrer am Mariengymnasium vor seinen Augen, die Schüler aus den gutbürgerlichen, meist deutsch-nationalen Akademikerfamilien, Lehrerkinder, Arztkinder, Juristenkinder. Und er sah sich selbst: den wortwitzigen Lausebengel aus der jüdischen Viehhändlerfamilie vom Bahnhof.
An dem altehrwürdigen Gymnasium gab es mehrere jüdische Jungen. Und die meisten von ihnen machten hier das Abitur. Aber der lebhafte Fritz legte sich immer wieder mit den kaisertreuen Lehrern an. Es herrschte eine nationalistische Stimmung in der Schule und nach Ausbruch des I. Weltkrieges gab es ein klares Feindbild: die Franzosen, die Engländer, Amerikaner und natürlich die Sozialdemokraten und Kommunisten. Militarismus und Patriotismus prägten das Bild der Schule und der Stadt.
Fritz hatte ständig Unfug im Kopf und gab nicht viel auf das nationalistische Getue. Seine burschikose, vorlaute Art gefiel den Gymnasialprofessoren ganz und gar nicht. Es verwunderte also niemanden, dass Fritz schließlich sitzen blieb und die 6. Klasse wiederholen musste.
Doch sein Vater wünschte, dass er einen guten Schulabschluss machte und so holte er Fritz Weihnachten 1916 aus der 8. Klasse des Mariengymnasiums, damit er nicht noch von der Schule flog. Er meldete Fritz zu Beginn des neuen Schuljahrs 1917 an der Städtischen Oberrealschule in Oldenburg an. Doch auch hier ging es streng nationalistisch zu und die Noten wurden nicht besser.
Deshalb wurde Fritz von Julius nach Berlin auf eine Privatschule geschickt – auf die Friedrich-Körner-Realschule, eine moderne Einrichtung mit vielen hundert Schülern. Körner war ein guter Pädagoge. Die Jungen fühlten sich wohl und respektierten auch den Direktor der Schule - Prof. Dr. Lücking. Fritz wohnte mit einigen anderen Jungen aus wohlhabenden Jeverländischen Familien in einer Pension in Wilmersdorf.
Fritz war gerne in Berlin. Und Familie Körner war dankbar über die Schüler vom Lande, denn regelmäßig kamen aus Jever Fresspakete mit Rindfleisch, Würsten und allerlei anderen guten Sachen. Die Körners genossen das, denn es gab große Versorgungsschwierigkeiten in Berlin vor allem im letzten Kriegsjahr 1918.
Sonntags unternahmen die Jungen Ausflüge aufs Land oder zogen gemeinsam in die Stadt. Es wurde gelacht, gesungen, getrunken. Wenn die anderen Jeveraner an Wochenenden zurück nach Jever fuhren, blieb Fritz in Berlin und ging allein auf Erkundungstour. Er lernte die Hauptstadt kennen. Es war eine aufregende Zeit.
Berlin war in Aufruhr nach dem Krieg: Novemberrevolution, Sturz der Monarchie, Rätesystem, die Republik wurde ausgerufen, Spartakusbund, Demokratie, Versailler Friedensverträge, Reichstagswahlen, Friedrich Ebert wurde Reichspräsident, Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, rechte Freikorps verbreiteten Angst und Schrecken. Neue Kunst- und Kulturrichtungen der Moderne entstanden. Und Fritz Levy aus der friesischen Kleinstadt war mittendrin in diesem brodelnden Berlin.
Manchmal fuhr Fritz mit der Straßenbahn zum Alexanderplatz. Dort stieg er aus und ließ die Stadt auf sich wirken. Nicht selten lief er zurück bis nach Wilmersdorf. Die neuen politischen Ideen, Parlamentarismus, Sozialdemokratie, Kommunismus, beschäftigten ihn und er saugte sie auf in diesen Jahren des Umbruchs.
Aber im September wurde er aus dieser Welt herausgerissen. Am 22.09.1919 erreichte ihn das Telegramm aus dem Postamt Jever. Fritz war gerade erst nach Berlin zurückgekehrt. In Jever hatte er mit der Familie die Hochzeit seiner Schwester Helene gefeiert. Dann erreichte ihn diese Nachricht: „An Fritz Levy, Uhlandstraße 7, Berlin-Wilmersdorf – stopp – Komm nach Hause – stopp – Dein Vater ist schwer verletzt – stopp – Mutter.“ Fritz las das Telegramm wieder und wieder. Sein Herz schlug schnell. Sein Vater war sein Vorbild. Er wollte so werden wie Julius.
Fritz schmiss eilig einige Sachen in seinen Koffer, rannte zur Schule und wollte sich abmelden, um mit dem nächsten Zug nach Hause zu fahren. „Levy“, rief der Direktor Prof. Dr. Lücking, „wo wollen Sie denn jetzt hin?“ Fritz reichte ihm das Telegramm. Lücking las es und dann legte er die Hand auf Fritz Schulter. „Das tut mir leid. Sie reisen aber jetzt nicht ab. Morgen nach dem Frühstück nehmen Sie den ersten Zug, Levy. Sie kommen heute Nacht ab Hannover sowieso nicht mehr weiter. Und es sind unruhige Zeiten.“ Fritz machte in dieser Nacht kein Auge zu. Am nächsten Morgen stieg er in den ersten Zug nach Hannover und mit dem Nachmittagszug kam er in Jever an.
Er rannte durch die Bahnhofshalle, stolperte die Stufen hinunter und lief, so schnell er konnte, mit dem Koffer unter dem Arm nach Hause. Er öffnete die Haustür. Drinnen war alles still. Seine Mutter Nanni saß auf einem Stuhl im Wohnzimmer. „Gut dass du da bist, Fritz. Gut, dass du da bist. Hier ist so viel Arbeit und du kannst mit anfassen“, sagte sie. Johanne stand stumm in dem dunklen Raum. Sie war in Schwarz gekleidet und blass, tiefe Ränder unter den Augen. „Was ist passiert?“ rief Fritz. „Wo ist Vater? Wo ist Erwin?“
Nanni erhob sich langsam. In ihrem weiten, schwarzen Kleid trat sie ans Fenster und blickte auf die Schlosserstraße. Sie berichtete kühl und sachlich und scheinbar unberührt von den Geschehnissen der letzten Tage: „Erwin ist tot, Fritz. Dein Vater ist verletzt. Er liegt im Krankenhaus.“
Fritz stellte den Koffer ab und setzte sich auf einen Stuhl. Johanne lief weinend die Treppe hoch. „Mutter, was ist geschehen? Sprich doch, bitte“, insistierte Fritz.
Nanni stand am Fenster und beherrschte mit ihrer Erscheinung das ganze Wohnzimmer. Ihr Umriss setzte sich in scharfen Konturen vor dem herbstlichen Nachmittags-Sonnenlicht ab, das durch das Fenster fiel. Fritz starrt...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Über dieses Buchprojekt
  3. I Rückkehr
  4. II Exil
  5. III Triumph
  6. Lebendig durch Erzählen
  7. Über den Autor
  8. Über Fuego
  9. Impressum