Schwarze Odyssee
Bericht über das Sklavenschiff Amistad
Der Bericht über die Irrfahrt jenes Schiffes mit meuternden, sich selbst befreienden Negersklaven, die es von den Küsten Kubas bis nach Neu-England und New York verschlägt, ist mehr als nur eine exotische und spannende Abenteuergeschichte. Hier erlebt man das Schicksal von 53 Afrikanern, denen sich nach haarsträubenden Zwischenfällen der Weg in die Freiheit und schließlich zurück in die Heimat öffnet. Man begreift danach genauer, was Sklaverei und Sklavenhandel bedeutet haben. Der Bericht zeigt aber auch den Wert einer auf dem Prinzip der Gewaltentrennung beruhenden demokratischen Rechtsordnung. Sie vermag Gerechtigkeit und Menschenwürde durchzusetzen, selbst gegen die in einer Gesellschaft bestehenden Vorurteile, durchzusetzen.
1.
Am Montag, dem 26. August 1839, unternehmen zwei Schiffskapitäne, Henry Green und Peletiah Fordham, in den Dünen an der Ostspitze von Long Island einen Jagdausflug. Sie wollen in dieser Gegend, die noch aus der Zeit der Indianer her den Namen »Montauk« trägt, Vögel schießen.
Plötzlich sehen sie sich vier Schwarzen gegenüber. Die Schwarzen sind fast nackt, nur mit Decken bekleidet. In Zeichensprache entwickelt sich eine Art Unterhaltung. Manchmal stoßen die Schwarzen die Worte »Afrika« und »Amerika« hervor. Den beiden Weißen wird soviel klar: die Männer, denen sie begegnet sind, wollen wissen, in was für einem Land sie sich befinden und ob die Einwohner Sklavenhalter sind. Sie versuchen, ihnen klarzumachen, dass in Long Island keine Sklaven gehalten werden. Daraufhin führen die Schwarzen die Kapitäne auf eine Anhöhe und deuten hinaus aufs Meer. Etwa eine Meile nördlich des Strandes liegt ein Schiff vor Anker. Es ist ein langer, schwarzer Schoner mit einem Adler am Bug, zerfetzten Segeln und keiner Flagge am Mast.
Ein Boot liegt auf den Strand gezogen, bewacht von weiteren schwarzhäutigen Männern. Einige haben Decken umgehängt, andere tragen nur rote Halstücher um die Lenden geschlungen. Manche aber sind mit Halsketten und Armbändern behängt, die aus Golddublonen hergestellt zu sein scheinen.
Der Anführer der Schwarzen, von dem sich später herausstellt, dass er den Namen Cinque führt, macht ihnen klar, an Bord hätten sie noch mehr Goldstücke.
Die beiden Weißen merken bald, dass sie nicht die einzigen sind, mit denen die Schwarzen verhandelt haben. Offenbar sind die Schwarzen an Land gekommen, um sich mit Proviant zu versorgen. Ein Stück Brot, eine Flasche Gin und zwei Hunde haben sie schon bei Farmern gegen Dublonen eingetauscht.
Green schlägt ihnen vor, sie sollten an Bord zurückkehren und die Kisten mit den Goldstücken holen, danach, so verspricht er, werde er ihnen ihr Schiff nach Afrika steuern helfen.
Tatsächlich rudern darauf einige der Schwarzen zum Schiff und kommen mit zwei großen Truhen zurück, in denen etwas klimpert, was Goldmünzen sein könnten. Im eben dem Augenblick, als die Kisten geöffnet werden sollen, taucht auf See ein Schiff der amerikanischen Küstenwacht auf.
Es ist die Washington unter dem Kommando von Leutnant Gedney.
Die Schwarzen raffen Truhen und Proviant zusammen und versuchen, in ihrem Ruderboot eiligst zu dem Schoner zurückzufahren. Sie werden aber von Gedney und seinen Leuten angehalten und gefangengenommen. Kurz darauf betritt Gedney mit gezogener Pistole das seltsame Fahrzeug.
Er trifft zunächst auf einen Weißen, einen heruntergekommenen, bärtigen alten Mann, der ihm schluchzend um den Hals fällt. Der alte Mann spricht nur Spanisch. Kurz darauf aber taucht ein zweiter Spanier auf. Er ist jünger, in Connecticut aufgewachsen und beginnt im besten Yankee-Englisch zu berichten.
Das Schiff, das Gedney geentert hat, trägt den Namen Amistad und ist von Havanna kommend nach der kubanischen Küstenstadt Puerto Principe unterwegs gewesen.
Die Amistad ist am 28. Juni mit fünf weißen Männern ausgelaufen, nämlich mit dem Kapitän und Schiffseigner, Ramón Ferrer, dem alten Mann, Pedro Montes, dem jüngeren José Ruiz und zwei Matrosen.
Zur Besatzung gehörten außerdem ein Mulatte als Koch und ein zweiter Schiffsjunge, Antonio, beide Eigentum von Montes, drei kleine schwarze Mädchen und ein schwarzer Junge, dazu 49 männliche Sklaven, die Ruiz in Havanna gekauft hatte.
Ruiz und Montes befanden sich auf der Heimreise nach Principe. Außer den Sklaven hatte das Schiff Seidenstoff, Baumwolle, Spitzen, Spiegel, Bücher, Lederzeug, Früchte, Oliven und Wein geladen – und mehrere Kisten mit Golddublonen.
Während der dritten Nacht auf See gelingt es den Sklaven, sich aus den Fesseln zu befreien. Sie töten den Koch und den Kapitän. Die beiden Matrosen werden in einem Boot ausgesetzt. Montes, der verwundet worden ist, bleibt am Leben, weil er beteuert, er könne das Schiff nach Afrika hinüber steuern. Auch Ruiz hat man am Leben gelassen. Er soll Montes bei der Navigation helfen.
Die Amistad kommt auf ihrem Kurs nach Osten nur langsam voran. Jeweils nachts geht Montes unbemerkt, wie er meint, wieder auf Westkurs, in der Hoffnung, die Südküste der Vereinigten Staaten zu erreichen. Wann immer sie anderen Schiffen begegnen, setzt er einen Kurs ab, der die Aufmerksamkeit jedes erfahrenen Kapitäns oder Steuermannes erregen muss.
Mehrmals ankert die Amistad vor den Bahamas. Die Schwarzen gehen auf der unbewohnten Insel an Land, um ihre Wasservorräte zu ergänzen.
Nach mehr als sechs Wochen hat der Schoner jene Stelle vor der Küste von New York erreicht, an de rer von der Washington aufgebracht wurde. Während Ruiz noch all dies berichtet, gelingt es dem Anführer der Afrikaner, durch eine Luke aus dem Schiffsrumpf ins Wasser zu springen. Außer seinem kostbaren
Halsband ist er nackt. Die Washington setzt ein Boot aus. Der Schwarze bleibt zunächst eine Weile untergetaucht. Als er wieder an die Wasseroberfläche kommt, wird er gefasst.
Das Halsband aus Golddublonen allerdings hat er vorher abgestreift. Es ist für immer ins Meer versunken. Gedney läßt den Mann in Ketten legen und gibt allen Schwarzen zu verstehen, sie seien jetzt Gefangene. Darauf fährt die Washington, mit dem Schoner im Schlepptau, zum Hafen von New London. Gedney reist mit einem Dampfboot voraus.
Der Vorfall erregt in den Nordstaaten beträchtliches Aufsehen. Die meisten der größeren Zeitungen berichten darüber. Je nachdem welcher Partei sie in der Sklavenfrage zuneigen, feiern sie die Schwarzen an Bord der Amistad entweder als Helden oder bezeichnen sie als Piraten.
2.
Am 29. August 1839 findet an Bord der Washington eine gerichtliche Vorverhandlung unter Vorsitz des Richters Judson statt.
Leutnant Gedney und die Besatzung der Washington erheben Anspruch auf eine Bergungsprämie. Der Wert der Ladung der Amistad wird auf 40.000 Dollar geschätzt. Im Hafen von Havanna wäre der Wert der Afrikaner, sofern sie als Sklaven verkauft würden, zwischen 20,000 und 30.000 Dollar.
Bei der Verhandlung wird die Frage untersucht, ob die Schwarzen sich der Meuterei schuldig gemacht haben und ob Gedney und seine Matrosen die Bergungsprämie beanspruchen können.
Über die Vorgänge auf dem Schiff während seiner letzten Fahrt wird nichts wesentlich Neues bekannt. Ruiz macht seine Aussage in Englisch, der alte Senor Montes spricht Spanisch. Leutnant Meade, einer der Offiziere der Washington, übersetzt.
Montes sagt aus:
»Wir verließen Havanna am 28. Juli. Mir gehörten vier der Sklaven, drei Frauen und ein Mann. Für drei Tage hatten wir günstigen Wind, und alles ging glatt. In der vierten Nacht legte ich mich bei Mondaufgang, irgendwann zwischen 11 und 12 Uhr, auf meine Matratze. Zwischen drei und vier Uhr morgens wurde ich von einem Geräusch geweckt. Es rührte von den Schlägen her, die man dem Koch versetzte. Ich griff mir einen Stock und ein Messer, um mich zu verteidigen. Ich wollte niemanden töten oder verletzen. Ich ging aufs Deck, und sie griffen mich an. Ich erhielt Schläge mit einer Machete auf den Kopf und auf den Arm. Ich rannte nach unten und versteckte mich zwischen zwei Fässern und wickelte mich in eine Segelbahn. Die Schwarzen kamen mir nach und versuchten, mich zu töten, aber ihr Anführer trat dazwischen. Ich erinnere mich noch daran, welcher der Schwarzen mir die Schläge versetzte. Ich wurde mit Ruiz zusammengeschlossen und an Deck gebracht. Die Schwarzen befahlen mir, zu ihrem Land zu segeln. Ich sagte ihnen, ich wisse den Kurs nicht. Ich hatte große Angst und war halb ohnmächtig. Also kann ich nicht mehr genau sagen, wer mich gefesselt hat.
Am zweiten Tag nach der Meuterei kam ein heftiger Sturm auf. Ich war am Steuer, weil ich ja auch schon zuvor das Schiff geführt hatte. Als ich wieder besser dran war, hielt ich Kurs auf Havanna. Ich orientierte mich nachts nach den Sternen, am Tag nach der Sonne. Ich achtete darauf, dass wir bei Tag nicht zu viel Fahrt machten. Nachdem wir 80 Seemeilen zurückgelegt hatten, trafen wir ein amerikanisches Handelsschiff, das uns aber nicht ansprach. Wir passierten auch einen Schoner, der uns nicht sah. Jeden Augenblick war ich in Lebensgefahr. Ich wusste nichts davon, dass der Kapitän ermordet worden war. Ich wusste nur, dass sie den Koch umgebracht hatten. Sie griffen ihn an, während er schlief. Am nächsten Morgen hatten die Schwarzen das Deck gewaschen. Sie waren alle sehr froh über ihren Sieg. Ich wurde ziemlich grob behandelt. Wäre nicht immer wieder einer dazwischengetreten, so hätten sie mich wohl irgendwann erschlagen. Ich verlor die Zeitrechnung, und als der Offizier an Bord kam, wusste ich nicht mehr, wie viele Tage wir auf See gewesen waren, noch welchen Wochentag wir hatten. Mindestens dreissigmal haben wir unterwegs Anker geworfen. Einen Anker verloren wir bei New Providence. Sobald wir vor Anker lagen, wurden wir gut behandelt, aber wenn wir wieder Fahrt machten, waren sie sehr grausam mit uns. Einmal auf hoher See wollten sie vor Anker gehen. Ich hatte nicht den Wunsch, jemanden von ihnen zu töten. Vielmehr habe ich verhindert, dass sie sich bei Meinungsverschiedenheiten gegenseitig totschlugen.«
Montes und Ruiz fordern Richter Judson auf, das Schiff dem spanischen Konsul in Boston zu übergeben. Dies geschieht nicht. Wegen der schwierigen Frage der Bergungsprämie befindet der Richter, der Fall müsse von dem nächst höheren Gericht, dem Bezirksgericht, noch einmal überprüft werden.
Die Schwarzen übergibt er einem U.S.-Marshai, also einem Polizeibeamten, der den Bundesbehörden untersteht.
Da das Gefängnis von New London auf so viele Insassen nicht eingerichtet ist, bringt man die Schwarzen auf dem Seeweg nach New Haven ins dortige Kreisgefängnis. Cinque, der Anführer, bleibt weiterhin in Ketten. Alle Schwarzen sind zu diesem Zeitpunkt fest davon überzeugt, dass man sie früher oder später nach Havanna ausliefern werde, wo ihnen die Todesstrafe auf dem Scheiterhaufen oder am Galgen droht.
3.
Nun aber nehmen sich die Abolitionisten des Falles an. Abolitionisten nennen sich jene Weißen, die für die Abschaffung der Sklaverei in sämtlichen Staaten der Union eintreten.
Abolitionisten haben es selbst in den Nordstaaten zu Anfang des 19. Jahrhunderts nicht leicht. Immer wieder werden ihre Versammlungen von Rassenfanatikern gesprengt. Einer ihrer Anführer, Arthur Tappan, ist sogar von einem Mann mit einem Messer angegriffen worden. Kurz darauf hat man seinen Laden in New York verwüstet. Als 1833 Miss Crandali, eine Lehrerin aus Canterbury in Connecticut, schwarze Kinder in ihre Schule aufgenommen hat, ist sie heftig kritisiert worden.
Miss Crandall hat dann eine Schule nur für Schwarze eing...