Paulus, Apostolat und Autorität oder Vom Lesen fremder Briefe
eBook - ePub

Paulus, Apostolat und Autorität oder Vom Lesen fremder Briefe

  1. German
  2. ePUB (handyfreundlich)
  3. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Paulus, Apostolat und Autorität oder Vom Lesen fremder Briefe

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Von keiner anderen Person des entstehenden Christentums, über ihr Leben und Denken, wissen wir so viel wie von Paulus aus Tarsus. Seine Briefe sind einzigartige und authentische Zeugnisse. Auch deshalb erhielt Paulus im Protestantismus einen besonderen Stellenwert als Apostel und Autorität, ja als Vorbild im Amt.Nicht selten jedoch fehlt der Paulusrezeption die Distanz, nicht nur bei Luther, der sich mit Paulus identifizierte; auch heute werden seine Anreden in Briefen gern direkt auf 'uns' bezogen. Die Studie möchte ins Gedächtnis rufen, dass wir fremde Briefe lesen, die fernen Menschen des Altertums galten und einen prämodernen Autoritätsanspruch des Paulus voraussetzen. Nur in der Wahrnehmung von Distanz und Fremdheit können wir die Paulusbriefe angemessen für die Gegenwart interpretieren.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Paulus, Apostolat und Autorität oder Vom Lesen fremder Briefe von Christine Gerber im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Theologie & Religion & Bibeln. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2012
ISBN
9783290176969

|35| III »Bin ich nicht Apostel?« (1Kor 9,1) – zur Bedeutung des Apostolats

»Bin ich etwa nicht Apostel?«, so fragt Paulus in 1Kor 9,1. Diese Frage ist eigentlich rhetorisch gemeint – Paulus suggeriert, dass er sich der Zustimmung sicher ist. Doch die Apostelgeschichte wird später mit Nein antworten. Paulus, der Spätberufene (s. Apg 9), ist für die Apostelgeschichte, da er keiner der Zwölf ist, nicht Apostel, sondern nur der »dreizehnte Zeuge«71. Paulus selbst jedoch beansprucht für sich, »Apostel« zu sein. Für ihn ist die Vision des Auferstandenen entscheidend, nicht die Begleitung Jesu zu Lebzeiten. »Bin ich nicht Apostel? Habe ich nicht Jesus, den Herrn gesehen?« (1Kor 9,1). Darum zählt er sich als letzten unter die Zeuginnen der Auferstehung Jesu (1Kor 15,9) und nennt sich »Apostel Jesu Christi«72. Nicht die Erfahrung des Auferstandenen allein, sondern die für ihn damit verbundene Berufung zur Verkündigung des Evangeliums, insbesondere unter die Völker, ist dabei offenbar für seinen persönlichen Apostolat wichtig: Er ist »Apostel der Völker« (Röm 11,13).
Zwei Beobachtungen sind für die folgenden Überlegungen zentral: Einerseits erkennen wir deutlich, dass Paulus seinen Apostolat durch seine Berufung in einer Vision des »Sohnes Gottes« begründet sieht (Gal 1,15). Andererseits gibt es jedoch offenbar bis gegen Ende des 1. Jh. n. Chr., die Zeit, in der wir die Abfassung der Apostelgeschichte ansetzen, und darüber hinaus kein einhelliges Konzept davon, wer und was ein »Apostel« ist.73
In unserer Beschreibungssprache ist die Rede vom »Apostel Paulus« ganz selbstverständlich, und für die Ekklesiologie der Kirchen spielt der Apostolat eine zentrale Rolle (s. u.). Umso wichtiger ist es, die mit diesem vertrauten |36| Sprachgebrauch verbundenen Assoziationen nicht unbedacht in die Lektüre der Paulusbriefe einzutragen, sondern von der Verwendung in den authentischen Paulusbriefen auszugehen: Was verbindet sich in den Briefen des Paulus mit dem Begriff apostolos tatsächlich – und was offenbar nicht?
Ich unterstreiche damit eine Forderung aus der exegetischen Zunft der letzten Jahrzehnte: Die Auslegung und Rekonstruktion des Textsinns muss sich des Unterschieds zwischen Quellensprache und Beschreibungssprache bewusst sein. Begriffe unserer Beschreibungssprache wie »Apostel« und auch »Kirche«, »Sühne«, »Opfer« oder lexikalisierte Metaphern wie »Gott Vater« oder »Versöhnung« sind nicht mit denen der Quellensprache bedeutungsgleich, selbst wenn es zunächst Übersetzungsbegriffe gewesen sind. Der Gebrauch in den zwischen den Texten und uns liegenden Jahrhunderten hat die Begriffe und Metaphern mit Bedeutungen aufgeladen, die wir nicht unreflektiert in die historisch orientierte Lektüre der Quellentexte einspeisen sollten.74
Ein Beispiel möge das verdeutlichen, die für uns älteste literarische Erwähnung von apostolos in 1Thess 2,7. Im Briefpräskript hatten sich die drei Absender, Paulus, Silvanus und Timotheus, nicht als Apostel vorgestellt, sondern nur mit Namen.75 Was also meinen die Missionare, wenn sie rückblickend auf ihren Aufenthalt in Thessalonich schreiben:
»Wir haben auch nicht Ehre gesucht bei den Leuten, weder bei euch noch bei andern – obwohl wir unser Gewicht als Christi Apostel hätten einsetzen können –, sondern wir sind unter euch mütterlich gewesen: Wie eine Mutter ihre Kinder pflegt [...]« (1Thess 2,6f in der Lutherübersetzung). Für die Auslegung ist in der Regel klar: Man bzw. Paulus habe auf die ihm als Apostel zustehende Autorität verzichtet, als man das Evangelium dort erstmals verkündigte. »Mutter« steht, so verstanden, als Gegensatz zum Autoritätsanspruch. Allerdings ist diese Übersetzung sehr ungenau; im Griechischen ist die Rede von einer Amme (trophos), die ihre eigenen Kinder (ta heautes tekna) hegt. Auch dass die Missionare in einer Erinnerung an ihren ersten Aufenthalt schreiben, sie hätten auf die Autorität, die Aposteln zusteht, verzichtet, ist nicht sinnvoll. Denn wenn man als Missionar zum ersten Mal überhaupt in einer Stadt unter andersgläubigen Menschen wirbt für die Bekehrung »zu |37| Gott, weg von den Götzen, um zu dienen dem lebendigen und wahren Gott« (1,9), dann wäre ein Autoritätsanspruch als Apostel kaum zu stellen.
Im Folgenden soll daher die Bedeutung des Begriffs »Apostel« nach allgemeinen Beobachtungen zur Semantik von der Begriffsverwendung in den authentischen Paulusbriefen her geklärt werden, ohne ein bereits klar umrissenes Konzept zu unterstellen. Das Ergebnis wird sein, dass die Paulusbriefe den Begriff in nur wenigen, aber inhaltlich klar erkennbaren Zusammenhängen verwenden – und sich bei dieser Lektüre auch die Gegenüberstellung von Apostelanspruch und Mutter in 1Thess 2,7 besser verstehen lässt.

1. Zur Bedeutung von apostolos76

Apostolos ist eine maskuline Nominalbildung zum Verb apostellein, das u. a. »absenden, ausschicken« bedeutet. Apostolos kann in nichtchristlichen Kontexten verschiedenes »Ausgesandtes« bezeichnen, mitnichten nur Menschen, sondern auch die Flottenexpedition oder den Lieferschein.77 Erst in frühchristlichen Texten wird der Begriff spezifischer und letztlich exklusiv für Gesandte der ersten christlichen Generation verwendet.
Weil die »Apostel« für das Selbstverständnis der späteren Kirchen so relevant wurden, findet die Frage großes Interesse, woher dieses frühchristliche Konzept kommt. Steht trotz der uns erkennbaren Divergenz des neutestamentlichen Gebrauchs am Anfang ein einheitliches Verständnis von Apostolat? Geht dieses womöglich auf Jesus selbst zurück?78 Besonderen Reiz hatte die These, dass apostolos analog dem hebräischen schaliach (Gesandter) gebildet wurde und mit diesem das altsemitische Botenrecht erinnert:79 »Der Gesandte eines Menschen ist wie dieser selbst«80. Das zeige, dass mit |38| apostolos das Konzept von Repräsentanz verbunden sei, apostolos »ein formaler Autorisationsterminus« gewesen sei, der im christlichen Kontext spezifiziert wurde.81 Neu sei vor allem gewesen, dass hier die Sendung eine lebenslange Beauftragung implizierte.
Die Verwendung im Neuen Testament lässt allerdings diese Repräsentanzfunktion kaum erkennen82 und auch keinen Anschluss an die hebräische Rede von schaliach. Dass die Bezeichnung »Apostel« auf Jesus zurückgeht, ist mehr als zweifelhaft.83 Darum wird hier eine andere Ableitung favorisiert, die gerade keine den Begriff prägende Vorgeschichte voraussetzt.84 Vielmehr scheint es, dass das griechische Wort zur Verwendung im frühchristlichen Kontext gerade wegen seiner semantischen Unscheinbarkeit brauchbar war. Als es darum ging, eine neue Form der Aussendung von Menschen zu beschreiben, das geläufige Wort für Bote aber, angelos, als Bezeichnung für den »himmlischen Boten« nicht mehr zur Verfügung stand85, bot sich apostolos an.
Ein Apostel bzw. eine Apostelin ist nach diesem Sprachgebrauch zunächst ein Ausgesandter bzw. eine Ausgesandte; die Bezeichnung impliziert eine Beauftragung und ein Ziel, ohne diese bereits inhaltlich zu spezifizieren. So spricht Paulus z. B. im Zusammenhang einer Geldsammlung, die im Bereich der Paulusmission für die erste Gemeinde in Jerusalem erbracht werden soll, von »Geschwistern, Aposteln der Gemeinden« (2Kor 8,23), also Abgesandten von Gemeinden.86 Diese hatten gewiss einen zeitlich befristeten Auftrag. Wenn Paulus sich in Gal 1,1 als »Apostel nicht von Menschen noch durch einen Menschen« präsentiert, meint er es offenbar anders. Deshalb ist die Annahme, dass der Begriff »Apostel« im frühen Christentum nicht klar |39| definiert war, am plausibelsten. Um zu verstehen, was Paulus in Bezug auf seine Person damit verband, ist daher von der Frage auszugehen, wann er den Begriff gebraucht – und auch, wann nicht. Dass Paulus bereits seit seiner Bekehrung ein festes Konzept von einem »Apostel« und seinem Apostolat gehabt hätte, ist dabei nicht zu unterstellen. Wahrscheinlicher ist, dass er es erst schärfte in kritischen Situationen, wie sie die Briefe jeweils voraussetzen.87

Apostolos in den authentischen Paulusbriefen

Ein Blick in die Konkordanz legt nahe, dass sich mit dem Stichwort apostolos nicht das ganze Wirken des Paulus und seine briefliche Aktivität erklären lassen. Paulus verwendet die Worte apostolos und Derivate relativ selten88 und etwa genauso oft in Bezug auf sich allein wie in Bezug auf andere bzw. allgemein. Er weiß um andere Apostel vor ihm,89 namentlich zählt er Petrus zu den Aposteln (1Kor 9,5; Gal 2,8). Bemerkenswert ist – vielleicht nicht für Paulus selbst, aber für die kirchliche Tradition, die den Apostolat als Männerdomäne kennt –, dass er in der Grußliste in Röm 16,7 wohl auch eine Frau nennt: »Grüßt Andronikus und Junia, meine Verwandten, meine Mitgefangenen, die hervorragend sind unter den Aposteln und die auch vor mir in Christus waren.«90 Die beiden sind also wie Paulus jüdisch und bereits vor Paulus zum Christusglauben gekommen. Junia wird allerdings in vielen Bibelausgaben und -übersetzungen bis heute als »Junias« geführt und ist erst in den 1970er Jahren wieder als Frau entdeckt worden.91 Die älteste Handschriftenüberlieferung kannte Junia als Frau; später wurde dann der Name so akzentuiert, dass aus dem Akkusativ des verbreiteten Frauennamens Junia der eines Männernamen Junias wurde, obwohl dieser Name sonst nicht belegt ist. Prinzip der Überlieferung war offenbar, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.
Im Unterschied zu diesem Lob nennt Paulus sich selbst in der Reihe der Auferstehungszeugen »den letzten der Apostel«, »gewissermaßen eine Fehlgeburt.92 |40| Denn ich bin nicht würdig, dass ich ›Apostel‹ genannt werde, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgte. Durch die Gnade Gottes aber bin ich, was ich bin, und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern übermäßiger als sie alle habe ich gearbeitet – nicht ich aber, sondern die Gnade Gottes, die mit mir ist« (1Kor 15,8–10). Das zeigt, dass »Apostelin« zu sein kein »Amt« ist, das man anstreben kann, sondern eine Auszeichnung; für sich spricht Paulus von charis, Begnadung, die also nicht »verdient« ist.93 Der Sprachgebrauch bei Paulus setzt voraus, dass diese nur manchem zuteil wurde und auf eine frühe Generation von Jesusanhängern bes...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titelei
  2. Inhaltsverzeichnis
  3. I Vom Lesen fremder Briefe – zum Thema der Studie ∗
  4. II »Wie wenn ich anwesend wäre« (1Kor 5,3) – zur Bedeutung der Brieflichkeit
  5. III »Bin ich nicht Apostel?« (1Kor 9,1) – zur Bedeutung des Apostolats
  6. IV »Ich habe euch Christus verlobt« (2Kor 11,2) – die metaphorische Inszenierung der Beziehung
  7. V »Werdet meine Nachahmer!« (1Kor 4,16) – Niedrigkeit und Autoritätsanspruch
  8. VI »Was sollen wir nun hierzu sagen?« (Röm 8,31) – ein Schluss
  9. Literaturverzeichnis
  10. Fußnoten
  11. Seitenverzeichnis