Vom Bürger zum Konsumenten
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Vom Bürger zum Konsumenten

Wie die Ökonomisierung unser Leben verändert

  1. 171 Seiten
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Wie die Ökonomisierung unser Leben verändert

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Über dieses Buch

Denken und Handeln von Individuen und Gesellschaften werden zunehmend von ökonomischen Überlegungen geleitet. Was ist uns die Rettung der Umwelt wert? Wie viel kosten unsere Kinder? Wie viel geben wir für medizinische Behandlungen aus? Die Ökonomisierung treibt seltsame Blüten und stellt die Menschheit schon heute vor enorme Probleme.Gut verständlich beschreiben Expertinnen und Experten unterschiedlicher Disziplinen das Phänomen aus ihrer jeweiligen Fachrichtung. Dabei zeigt sich: Nicht die Marktwirtschaft an sich ist das Problem, sondern das, was Menschen aus ihr gemacht haben. Durch den Perspektivwechsel zeichnen sich Auswege aus der Ökonomisierung grundlegender Güter, aus entfesselten Kapitalmärkten und zerstörerischen Oligopolen ab.

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Öffentlichkeit – der ewige Strukturwandel

Thomas Hauser

Es gibt Formulierungen, die lösen sich von ihrem Ursprung und führen ein Eigenleben bis zur floskelhaften Entleerung. Vom »Strukturwandel der Öffentlichkeit« ist heute nicht nur in den rar gewordenen gelehrten Salons die Rede, sondern auch in Talkshows oder Politikerstatements. Und irgendwie passt dieser Begriff in eine Zeit, in der Digitalisierung und Ökonomisierung auch die Kommunikation in einem Maße verändern, die Geschäftsmodelle klassischer Medienhäuser infrage stellt und global agierenden Datensammlern Geld und Macht in einem Ausmaß verschafft, das Freiheitsrechte nicht nur zentimeterweise sterben lässt. Die Digitalisierung bietet autoritären Gesellschaftsmodellen zudem bislang ungeahnte Überwachungsmöglichkeiten. Auf der anderen Seite öffnet diese Entwicklung – technisch und theoretisch – jenen Raum, in dem Bürgerinnen und Bürger sich im Ringen um das beste Argument selbst darauf verständigen, wie sie zusammenleben möchten, wie sie ihre Gesellschaft organisieren und entwickeln. Sie könnten also im Diskurs eine letztlich vernünftige öffentliche Meinung als Grundlage für politische Entscheidungen bilden. Genau dies beschreibt jenes Postulat von der diskursiven Öffentlichkeit, das der Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas in seiner Habilitationsschrift Strukturwandel der Öffentlichkeit (1962) skizziert und später zu einer Theorie des kommunikativen Handelns weiterentwickelt hat. Die medialen Utopien der Linken hat Hans-Magnus Enzensberger acht Jahre später formuliert, als er davon träumte, dass jeder Empfänger ein potentieller Sender sein müsse, Medien kollektiv und nicht durch Spezialisten produziert werden und die gesellschaftliche Kontrolle durch Selbstorganisation geschehen solle (Enzensberger 1970). Hier scheinen bereits viele Ideale der Internet-Gründergeneration auf.
Habermas’ Verdienst ist dabei die Identifizierung dieser bürgerlichen Öffentlichkeit selbst als notwendige Voraussetzung gelingender Demokratie, die begriffliche Klärung und ihre historische Herleitung. Und er beschreibt, wie Vermachtung und Ökonomisierung diesen öffentlichen Diskurs ersticken, zu einer Zeit allerdings, als dieser Diskurs – im Rückblick betrachtet – vor einer seiner raren Blütenzeiten stand.
Habermas selbst verortete die erste Blüte in die Entwicklungszeit des Kapitalismus im 18. und 19. Jahrhundert, als die Bürger nicht nur die Marktwirtschaft voranbrachten, sondern – mit dem dadurch gewonnenen Selbstbewusstsein – Fürsten und Königen auch politische Teilhabe abtrotzten. Damals, so Habermas, bildete sich die bürgerliche Öffentlichkeit überhaupt erst heraus. In Cafés, Clubs und den bürgerlichen Salons wurde diskutiert und gerungen, unzählige Zeitungen und Zeitschriften lieferten Themen und Fakten, deren Diskussion dann Meinungen und Forderungen hervorbrachten, die es politisch durchzusetzen galt. Es war die Zeit, als in ganz Europa um die Pressefreiheit gerungen wurde, weil immer deutlicher wurde, dass Demokratie und Marktwirtschaft sowohl öffentliche Institutionen (wie eine unabhängige Justiz oder Medien) als auch einen freien Zugang zu Informationen benötigen.
Der Blick zurück verleitet aber zu Idealismus. Denn die aufkommenden Massenmedien erreichten damals nur kleine Gruppen, auch wenn Lesegesellschaften die kleinen, teuren Auflagen zu einem etwas breiteren, aber noch immer exklusiven Publikum hin verlängerten. Und viele waren von diesem Diskurs schlicht ausgeschlossen oder wurden, wie die Frauen, in den kulturellen Salons bespaßt, während ihre Männer politisierten oder Geschäfte machten. Öffentlichkeit war also vor der Digitalisierung eine begrenzte, allenfalls annähernd repräsentative Öffentlichkeit.
Dass öffentlicher Diskurs zudem machtpolitische Begehrlichkeiten wecken und von Manipulatoren mithilfe von Propaganda und PR gekapert werden kann, darf ebenfalls nicht ignoriert werden. Mit Medien lässt sich sehr viel Geld verdienen und Politik machen. Dafür gibt es unzählige Beispiele, die bei Alfred Hugenberg in der Weimarer Republik beginnen und über Silvio Berlusconi in Italien bis zu den großen Internet-Konzernen in den USA und China reichen.
Im Schlepptau dieser Entwicklung zeigt sich ein zweites Grundproblem der Öffentlichkeit als Plattform für den demokratischen Diskurs. Wenn sich gut begründete Argumente gegen schlecht begründete durchsetzen sollen, braucht es informierte Bürgerinnen und Bürger, die in der Lage sind, zu argumentieren und nicht nur zu meinen. Das ist nicht nur eine Frage der Bildung, sondern auch des Zugangs zu Informationen. Das Problem der Information, so kritisiert zum Beispiel der Leipziger Medienwissenschaftler Michael Haller in einem Interview mit Hans Ulrich Probst (2012), habe Habermas aber nie interessiert. Dabei sei eine Keimzelle der modernen Öffentlichkeit der Kampf um Informationsfreiheitrechte gewesen (z. B. das Recht, in England über Parlamentsdebatten berichten zu dürfen).
Habermas hat sich mit der Kritik an seiner Theorie, insbesondere der von Niklas Luhmann wiederholt auseinandergesetzt, z. B. in der Neuauflage des Strukturwandels der Öffentlichkeit von 1990 aber auch zu seinem 90. Geburtstag in einem langen Interview mit der Zeitschrift Leviathan. Sein zentrales Verteidigungsargument:
»Die Diskursethik ist keine Handlungsanweisung, sondern eine Moraltheorie. Sie hat die Aufgabe, ein Moralprinzip zu begründen, also den Gesichtspunkt zu explizieren, unter dem Gerechtigkeitskonflikte grundsätzlich rational entschieden werden können.« (Habermas 2020, 14)
Aber schon fünf Jahre zuvor hatte er festgestellt:
»Heute kann man sogar im Westen beobachten, wie demokratische Verfahren und Einrichtungen ohne eine funktionierende Öffentlichkeit zu bloßen Fassaden verkommen. Und politische Öffentlichkeiten funktionieren nur unter anspruchsvollen normativen Voraussetzungen. Vor allem dürfen die öffentlichen Kommunikationskreisläufe nicht von aller inhaltlichen Substanz entleert und von den tatsächlichen Entscheidungsprozessen abgekoppelt werden.« (Habermas 2014)
Wohlgemerkt: Damals war Donald Trump noch nicht Präsident der USA.

Herrschaftsfreier Diskurs als Utopie

Es scheint deshalb geboten, sich dem Thema noch einmal dialektisch zu nähern. Dabei fällt auf: Habermas’ Öffentlichkeit setzt einen herrschaftsfreien Diskurs voraus, den es nach allem was wir über Gesellschaft wissen, nicht geben kann. Das heißt, Demokratie lebt von Voraussetzungen, die sie allenfalls annähernd erreichen kann. Das trifft auch Politiker, von denen Theo Sommer, der ehemalige Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, sagt: »Sie dürfen nicht daran verzweifeln, dass Politik immer Stückwerk bleibt, bestenfalls, um es mit Kant zu sagen, eine ins Unendliche fortschreitende Annäherung an den ersehnten Zustand.« (Sommer 2020) Das macht Demokratie zu einer permanent labilen Gesellschaftsform, die es immer wieder neu auszutarieren gilt. Sie setzt zudem Bürgerinnen und Bürger voraus, die willens und in der Lage sind, sich um diesen Diskurs zu bemühen. Konsumentinnen und Konsumenten sind das nicht.
Hinzu kommt: Um einen Disput um das beste Argument überhaupt führen zu können, müssen die zu verhandelnden Prozesse und Entscheidungen nachvollziehbar sein. Deshalb tagen Parlamente oder Gerichte in der Regel öffentlich. Zu beobachten ist aber zugleich eine Tendenz, immer mehr Sachverhalte oder Entscheidungen dem Licht dieser Öffentlichkeit zu entziehen, etwa weil durch sie angeblich Persönlichkeitsrechte oder Geschäftsgeheimnisse verletzt werden. Zudem werden viele Entscheidungen schon in nichtöffentlichen Ausschusssitzungen entschieden, das heißt, bevor sie dann im öffentlich tagenden Plenum diskutiert und abgestimmt werden. Auch dadurch verkümmert die demokratische Öffentlichkeit. Das heißt, Öffentlichkeit als Voraussetzung für rationalen Diskurs ist kein Zustand, sondern muss immer wieder neu geschaffen werden.
Wichtiger aber ist ein anderes Dilemma: Kein Mensch ist in der Lage, eine unbegrenzte Zahl von Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten. Das gilt für Bürgerinnen und Bürger ebenso wie für den Staat oder die Wirtschaft und die dort arbeitenden Menschen. Moderne Gesellschaften, global vernetzte zumal, produzieren aber eine unübersehbare Zahl von Themen und Informationen. Die gilt es auf die relevantesten zu konzentrieren, um die wenigen Themen diskutieren und bearbeiten zu können, die eine Gesellschaft zu bewältigen in der Lage ist. Wir können nicht alle Probleme gleichzeitig wahrnehmen und diskutieren, schon gar nicht lösen. Die Arbeit der Informationsbeschaffung muss also geteilt und im richtigen Maße delegiert werden. Es bedarf unabhängiger Institutionen, die diesen Informationsstrom beobachten und das herausfiltern, was einer Verbreitung bedarf, um notwendige gesellschaftliche Diskussionen in Gang zu setzen oder argumentativ zu munitionieren – Dienstleister der Bürgergesellschaft sozusagen, Journalisten. Das war und ist die Begründung für die Existenz von Medienunternehmen, ob öffentlich-rechtlich oder privat organisiert.
In diesem Vorgang stecken Zumutungen. Die erste, größte, liegt in dem Wort »unabhängig«. Wenn richtig ist, dass es in Gesellschaften keinen herrschaftsfreien Raum geben kann, kann es auch keine im strengen Sinne unabhängigen Medien geben. Die Forderung, »unabhängig« zu sein, ist also auch »nur« ein moraltheoretisches Postulat, die Annäherung daran eine permanente Herausforderung. Journalisten können die Aufmerksamkeit auf die richtigen aber auch auf unwichtige Themen lenken. Sie können zielführende oder verwirrende Argumentationsspuren legen. In ihrer Gründungszeit war die Antwort der Massenmedien auf diese Herausforderung pragmatisch. Sie waren entweder Generalanzeiger und damit weitgehend meinungsfrei oder sie waren explizit Meinungsmedien. Bis heute genießen privat geführte Medien einen Tendenzschutz, der ihren Verlegern das Recht gibt, die Tendenz der von ihnen publizierten Medien zu bestimmen. Das war lange unproblematisch: Medien waren Organe des Bürgertums in der Auseinandersetzung mit dem Obrigkeitsstaat und sorgten für die Verbreitung jener Informationen, die diese Bürger für ihre Geschäfte benötigten. Und es gab viele Zeitungen oder Zeitschriften mit höchst unterschiedlichen Grundhaltungen, wenn auch kleinen Auflagen. Sie erfüllten ihren Zweck, Gleichgesinnte für die Auseinandersetzung um gemeinsame Ziele zu informieren und zu mobilisieren. Und sie waren immer beides: Organe für den Kampf gegen staatliche Willkür und zur Stabilisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Die Entwicklung zeigt aber, dass Medien zu Propagandazwecken oder zur bloßen Geschäftemacherei missbraucht werden können. Habermas kommt in Strukturwandel der Öffentlichkeit auch deshalb zu der düsteren Vision, dass diese Öffentlichkeit durch die Machtkonzentration in immer weniger Verlagen und die Dominanz ökonomischer Prinzipien bei der Führung dieser Unternehmen zerstört würde. Paul Sethe, einer der Gründungsherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung prägte einst den Satz: »Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.« (Sethe 1965) Diese Zahl steht heute nur noch auf dem Papier und aus den »reichen Leuten« sind Kapitalgesellschaften mit zweifelhafter Haftung geworden. Von einem Newsroom in Hannover werden über 40 Lokalzeitungen des Redaktionsnetzwerkes Deutschlands gesteuert und gestaltet. Ähnlich sieht es in der Zentrale der Funke-Mediengruppe in Essen aus und in Baden-Württemberg gibt es kaum noch Zeitungen, die nichts mit der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) zu tun haben. In der Wirklichkeit lauerten und lauern zudem noch ganz andere Gefahren.

Blütezeit trotz Konzentration

Dieser vielfältige Strukturwandel und die Digitalisierung der Medienöffentlichkeit hat Habermas wohl veranlasst, seine Einschätzung in der Neuauflage seines Standardwerkes 1990 zu relativieren. In der Zeit dazwischen waren einige Entwicklungen zu beobachten, die eine solche Revision nahelegen, andere, die seine ursprüngliche Einschätzung eher stützen – was nur beweist, dass Medien in demokratischen Gesellschaften komplexer und zugleich anfälliger für Missstände und Fehlentwicklungen sind, als moraltheoretische Postulate dies abbilden können. In den Jahrzehnten nach der Erstveröffentlichung des Strukturwandels lässt sich nicht nur in der Bundesrepublik eine Blütezeit des kritischen und investigativen Journalismus beobachten, der aber auch schon den Kern der späteren Legitimationskrise in sich trug. Diese Entwicklung lief parallel zu einer massiven Politisierung der Bürgergesellschaft. Es war dies die Zeit der Bürgerinitiativen, der Demonstrationen, der Aktionen bürgerlichen Ungehorsams wie Hausbesetzungen oder der Besetzung von Bauplätzen geplanter Kernkraftwerke, eine Zeit aber auch, in der sich der Protest bis hin zum Terrorismus der Roten Armee Fraktion (RAF) radikalisierte.
Nicht nur im Nachrichtenmagazin Der Spiegel, sondern in vielen Zeitungsredaktionen, aber auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen, entwickelte sich ein Selbstbewusstsein, das den aufbrechenden demokratischen Diskurs in einer Art befeuerte, die den Überzeugungen des konservativen Bürgertums und denen ihrer mehrheitlich konservativen Verleger zuwiderlief. Dass dies geschehen konnte, lässt sich damit begründen, dass diese aufklärerische Tendenz dem Zeitgeist entsprach und den Geschäften der Verleger nicht schadete. Auflagen, Werbeeinnahmen und Gewinne der Medien wuchsen kontinuierlich. Dies ließ auch die Redaktionen kräftig wachsen. Viele zusätzliche Stellen entstanden, was zeigt, dass Medien, denen es wirtschaftlich gut geht, sich tendenziell auch kritischeren und besseren Journalismus leisten können. Gründliche Recherche braucht Zeit, Personal und Mobilität. Alles drei aber sind Kostentreiber. Publizistischer Erfolg aber macht Redaktionen unabhängiger gegenüber Verlagen und diese weniger leicht erpressbar durch Anzeigenkunden und politisch organisierte Leser.
Den Redaktionen half zudem der Umstand, dass viele Verleger zum Teil noch aus eigener leidvoller Erfahrung im Dritten Reich wussten, was der Verlust von Meinungsfreiheit in den Medien für die Pressefreiheit insgesamt bedeutet. Das heißt, sie schätzten auch den Wert der inneren Pressefreiheit, also der Unabhängigkeit der Redaktion gegenüber dem Verlag. Dieses für den demokratischen Diskurs wichtige Prinzip ist aber nur in den wenigsten Verlagen institutionell verankert, eine gesetzliche Regelung ist bislang gescheitert. Spätestens seit der Spiegel-Affäre 1962 gab es in der Gesellschaft aber eine hohe Sensibilität für jede Form von Einflussnahme auf die Berichterstattung. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk war diese Sensibilität noch wirksamer öffentlich zu instrumentalisieren, weil es hier schon im Gründungsauftrag um Staatsferne, also die Unabhängigkeit von politischen Einflüssen ging. Die öffentlich-rechtlichen Medien verdanken ihre Existenz schließlich im Wesentlichen dem Umstand damals begrenzter Übertragungsfrequenzen, die nur eine Binnenpluralität des Angebots, keine Vielfalt der Anbieter ermöglichte.
Diese Erfolgswelle des kritischen Journalismus in den 70er- und 80er-Jahren hat aber zu Übertreibungen, Selbstüberschätzungen und Fehlentwicklungen geführt, die spätestens dann die Legitimation der klassischen Medien untergruben, als ein kritisch gewordenes, zum Teil grundsätzlich demokratiekritisches Publikum durch das Internet die Chance hatte, deren Arbeit zu überprüfen, und (mehr oder weniger glaubwürdige) Alternativen fand. Dabei ist ein Großteil dieser Fehlentwicklungen wesentlich auf die Technisierung der Redaktionen und eine Ökonomisierung des Denkens und Handels in den Redaktionen als Antwort auf eine schleichende ökonomische Auszehrung zurückzuführen. Die Technisierung begann in der Presse mit der Einführung des Fotosatzes in den achtziger Jahren, als zunächst die Arbeit der Setzer, dann der Metteure (Seitenbauer), Bildbearbeiter und Korrektoren zum Teil durch Technik ersetzt, zu einem beträchtlichen Teil aber in die Redaktionen verlagert wurde. Redakteure wurden also zu Hilfstechnikern. Das hat die Arbeit beschleunigt, verändert und die Zeit für Recherche verknappt. Eine Folge waren verstärkt Geschichten statt harter Informationen, eine andere verstärkt Meinungen statt Argumente.

Der Strukturwandel der Jahrtausendwende

Der technische Wandel fiel in das Ende der ökonomisch goldenen Jahre für Verlage. Seit Mitte der 90er-Jahre sinken die Auflagen und seit dem Platzen der Dotcom-Blase an den Börsen 2001 gehen auch die Anzeigenerlöse dramatisch zurück. Die Logik der Digitalisierung le...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Ökonomisierung: Eine Herausforderung wird besichtigt
  6. Die Privatisierung des Marktes und das Ende des Neoliberalismus
  7. Der verschenkte Konsum – Die Gratisökonomie der Digitalwirtschaft als neues Marktmodell
  8. Die Ökonomisierung der Natur und ihrer Leistungen
  9. Warum die Identität der Medizin durch die Ökonomisierung gefährdet wird
  10. Öffentlichkeit – der ewige Strukturwandel
  11. Wohnen – Zwischen Rendite und Gemeinwohl
  12. Humankapitalismus: Bildung als Ware und Währung
  13. Die Entleerung der Bildung – Ökonomisierung als radikales Reframing
  14. Das Ich als Unternehmen: Selbstökonomisierung
  15. Smarte Optimierung im digitalen Kontrollregime: Vom quantifizierten Selbst zum quantifizierten Kollektiv
  16. Auswege aus der Ökonomisierung oder: Wo bleibt das Rettende?
  17. Verzeichnis der Autorinnen und Autoren