Ich habe Licht gebracht!
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Ich habe Licht gebracht!

Louise Otto-Peters, eine deutsche Revolutionärin. Roman

  1. 500 Seiten
  2. German
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Ich habe Licht gebracht!

Louise Otto-Peters, eine deutsche Revolutionärin. Roman

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Über dieses Buch

"Ich habe Licht gebracht!", ruft die fünfjährige Louise Otto, als sie zum ersten Mal eines der neuen Schwefelhölzchen entzünden darf."Licht bringen" - Dieser Vorsatz zieht sich durch Louises Leben wie ein roter Faden. In einer Zeit, in der Bürgermädchen nicht einmal allein aus dem Haus gehen dürfen, bereist Louise ganz alleine Deutschland. Und obwohl es streng verboten ist, Missstände auch nur anzusprechen, wirft Louise in ihren politischen Gedichten, Artikeln und Romanen immer wieder Schlaglichter auf die entsetzlichen Lebensumstände des Industrieproletariats und nimmt sich dabei vor allem der rechtlosen Arbeiterinnen an. Und sie erkennt, dass es keine soziale Gerechtigkeit geben kann, ohne die Gleichstellung von Mann und Frau. Sie fordert - beinahe schmerzlich aktuell - Lohngleichheit und das Recht auf Erwerb für alle Frauen.Große Hoffnung auf Veränderung bringt schließlich die Revolution, die im März 1848 ihren Anfang nimmt. Louise und die ihr Gleichgesinnten glauben sich schon am Ziel ihrer Wünsche, als in der Frankfurter Paulskirche eine Nationalversammlung entsteht. Um in dieser Aufbruchstimmung für Frauen ein Netzwerk der Solidarität zu schaffen, gründet Louise die erste Frauenzeitung Deutschlands. Einen Unterstützer findet sie in dem jungen Revolutionär August Peters, mit dem sie bald mehr als eine Freundschaft verbindet.Doch die Gegenrevolution lässt nicht lange auf sich warten: Als der Dresdener Maiaufstand blutig niedergeschlagen wird, sieht sich Louise Bespitzelungen und Verhören ausgesetzt. Ihre Welt verfinstert sich vollends, als sie erfährt, dass August Peters Gefangener der preußischen Armee ist...Anja Zimmer beschreibt das Leben der Schriftstellerin und Mitbegründerin der deutschen Frauenbewegung Louise Otto-Peters (1819-1895) in einem spannenden Roman und zeigt, dass viele von Louises Forderungen nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben.

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783867295666
Leipzig, 21. August 1849
Auch aus der Zeitung hatte Louise erfahren, dass Rastatt gefallen war. Die überlebenden Freiheitskämpfer waren nun Gefangene der Preußen. Als Louise die Überschrift sah, fühlte sie einen entsetzlichen Schmerz. August! War auch er dabei? Der Artikel brachte Gewissheit: August Peters war unter ihnen. Mit zitternden Händen schrieb Louise an Augusts Bruder in Jöhstadt, um Gewissheit zu erlangen. Sie schlief nur noch sehr unruhig, aß kaum, weshalb ihr die Arbeit an ihrer Zeitung immer schwerer fiel. Sie hatte geahnt, dass er sich mit der Waffe in der Hand in diesen Kampf um Freiheit geworfen hatte. Zwar wusste sie, dass August verlobt war, aber sie spürte auch, wie ihr Herz immer schneller schlug, wenn sich sein Bild in ihre Gedanken stahl. Sie hoffte und betete, dass er bald frei kam, vielleicht sogar fliehen konnte.
Jeden Tag holte Louise einen ganzen Stapel Briefe von der Post, die sie sich aus Meißen nachschicken ließ. Sie war überrascht, wie viele Frauen das Bedürfnis hatten, an ihrer Frauenzeitung mitzuarbeiten. Es hatte sich bereits eingebürgert, dass sie alle unter einem Pseudonym schrieben, meist war es nur ein Vorname. Sie bekam die unterschiedlichsten Berichte aus vielen Städten; sogar aus Orten, bei denen sie sich wundern musste, wie die Frauen dort von ihrer Zeitung erfahren hatten. Es gab offenbar viele Verteilerinnen, die Werbung für sie machten. Von Frauenvereinen, die sich in größeren Städten wie Hamburg schon vor einiger Zeit gegründet hatten, wusste Louise bereits, es zeigte ihr, wie enorm das Bedürfnis nach gemeinsamem Handeln und für Reformen, war. Die vielen Artikel, die sie aus ganz Deutschland erreichten, waren eine Bestandsaufnahme der Lage der Frauen und zeigten ein düsteres Bild.
Zwischen all diesen Briefen fand sie einen von Augusts Bruder. Hastig zerriss sie den Umschlag und fiel im nächsten Moment schreiend zu Boden. Sie hatte das Gefühl zu ersticken. Nein! Nein! Das durfte nicht sein! So sehr hatte sie für ihn gebetet, kaum einen Atemzug tun können, ohne an ihn zu denken. Auf ihr Schreien hin stürzte Hedwig ins Zimmer. Sie ahnte bereits, welche Nachricht Louise erhalten hatte, und kniete sich weinend zu ihr. Es kostete sie einige Kraft, Louise in ihre Arme zu ziehen und sie festzuhalten, denn sie war vollkommen außer sich und beruhigte sich nur langsam. Hedwig fand den fatalen Brief auf dem Boden und konnte genug erkennen, um ihre Befürchtungen bestätigt zu wissen. Lange saß sie so mit Louise, bis ihr Schluchzen endlich verebbte und sie wieder sprechen konnte: »Hier, lies! Sein Bruder schrieb mir.« Louise hob den Brief auf und hielt ihn Hedwig hin.
»Er ist gefangen«, murmelte sie lesend. »Sie befürchten das Schlimmste. – Das heißt, das Schlimmste ist noch nicht eingetroffen. Er lebt noch. Louise, fasse dich. Es ist noch keine Todesnachricht.«
»Oh, wie gerne würde ich dir glauben. Aber wir haben doch in den Zeitungen gelesen, Ernst selbst hat es gesagt, dass die Preußen Standgericht halten. Es bräuchte schon ein Wunder, das ihn vor der Erschießung rettet. Sie haben sogar Adolph von Trützschler standrechtlich erschossen. Dieser Mann war Mitglied der badischen Revolutionsregierung, ein Adliger! Wenn sie schon nicht davor zurückschrecken, einen Adligen zu morden, wie werden sie dann mit dem Sohn eines armen Strumpfwebers verfahren? Oh, ich fürchte das Schlimmste!« Wieder brach sie in Tränen aus. Hedwig konnte keine tröstenden Worte finden. Alles sprach dagegen, dass August überleben würde. Ob er überhaupt noch lebte, während sie hier saßen und weinten?
Louise zitterte noch immer, als sie sich an den Tisch setzte und die Feder in die Hand nahm. Ihr erster Brief galt Minister Martin Oberländer. Ihn bat sie um Hilfe für August und war sicher, dass Oberländer sich ihrem flehentlichen Hilferuf nicht entziehen würde. Aber würde er etwas ausrichten können? Musste er nicht selbst vorsichtig sein mit allem was er tat und sagte? Brachte er sich nicht selbst in Gefahr, wenn er für einen Mann wie August Peters bat?
Gleich der nächste Brief ging an August selbst. Konnte, durfte sie ihm ihre Liebe gestehen? An der Schwelle zum Tode musste sie diese Frage nicht mehr stellen. Zögernd erst, dann immer schneller flog ihre Feder über das Papier, als schreibe mehr ihr Herz als ihr Kopf. Ja, sie liebte ihn und wollte ihn wissen lassen, wie sehr, wie innig sie ihn liebte; dass sie für ihn betete und keinen Atemzug tun konnte, ohne ihn in Sicherheit zu wissen – am liebsten in ihren Armen. Sie küsste ihre eigenen Zeilen, hoffend, dass er das Gleiche tun würde. Lange hielt sie den verschlossenen Brief fest an ihre Brust gepresst, bis Hedwig sie fand und ihr mit sanfter Stimme anbot, den Brief zur Post zu bringen. Als Hedwig gegangen war und das Ticken der Uhr übermächtig wurde, griff Louise erneut zur Feder und schrieb einen weiteren Brief.
Glücklicherweise konnte sie noch eine Weile in Leipzig bleiben. Hier traf sie immer wieder liebe Bekannte, mit denen sie sich austauschen konnte, und Frauen, mit denen sie Artikel für ihre Frauenzeitung besprach, neue Kontakte knüpfte, Texte sammelte und redigierte. Außerdem gab es auch hier Vereine, die sich um die Angehörigen der Maihelden kümmerten und die Louises Unterstützung dankbar annahmen.
Es zog sie keineswegs zurück nach Meißen, denn dort waren noch immer Preußen einquartiert. – Wobei die Preußen sie weitgehend in Ruhe ließen, was man von Tante Malchen nicht behaupten konnte. Die Tante wurde nicht müde, Fragen zu stellen, sich Sorgen zu machen und Louise den neuesten Tratsch aus der Stadt zu erzählen. Vor allem dieser Tratsch war lästig und rankte sich oft in abenteuerlicher Weise um Louise.
Rastatt, Ende August 1849
Mittlerweile hatte man die Hauptleute in ein Gefängnis verlegt, das im Vergleich zu den nassen Kasematten überaus angenehm erschien. Der Boden war trocken, man konnte sich zu Essen bringen lassen und in einem kleinen Hof Atem schöpfen. Allerdings hatten sie ihre Uniformen ausziehen müssen. Statt dieser hatte man ihnen Kleider hingeworfen, die so schmutzig und zerrissen waren, dass man kaum erkannte, ob man eine Jacke oder Hose in Händen hielt. Dazu hatten die Preußen jedem Mann die Haare und den Bart geschoren.
Die Kranken wurden heraufgeschleppt, auf das Stroh gebettet, wo sie sich bald ein wenig erholten.
Die übergroße Mehrzahl der Gefangenen musste in den Kasematten bleiben. Durch die Schießscharten würde bald der Herbstwind pfeifen und wahrscheinlich auch der Schnee wehen. Krankheiten würden die Männer viel eher umbringen als preußische Kugeln.
August fühlte sich unendlich müde. Er war froh, dass er sich auf etwas Stroh legen und einfach vor sich hindösen konnte. Unter halbgeschlossenen Lidern blickte er sich um: Im Zwielicht des Gefängnisses sah er seine Kameraden. Manche standen, die meisten hockten am Boden, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. In einer Ecke kauerte ein junger Bursche, den August von einigen Kämpfen kannte. Er war mutig gewesen, voller Eifer für die Demokratie. Jetzt hatte er sein bartloses Gesicht in seinem Arm geborgen und weinte leise. Es war Major Jacobi, der sich zu ihm kniete und ihn tröstete. »Junge, man hat uns einen gerechten Prozess zugesichert. Wir haben der provisorischen Regierung gedient. Daher haben wir keine Verbrechen begangen, sondern nur unsere Pflicht getan, wie es sich für Soldaten gehört«, sagte er, indem er sich zu ihm kniete.
»Sind Sie da ganz sicher?« Der Junge wagte kaum, dem Major sein tränennasses Gesicht zu zeigen.
»Die Preußen sind bekannt für ihr Militär. Zur Soldatenehre gehört, dass man Versprechen hält und den besiegten Gegner gerecht behandelt.«
»Das klingt, als sei der Krieg ein Spiel, eine Art von Sport, nach dessen Ende man gemeinsam ins Wirtshaus gehen kann«, dachte August. Und außerdem war »gerechte Behandlung« angesichts der Zustände in den Kasematten eher relativ. Er hoffte inständig, dass der Junge noch ein langes Leben vor sich hatte und spätestens als alter Mann ein geeintes, demokratisches Deutschland erleben würde.
Im nächsten Moment öffnete sich die Tür und zwei Preußen erschienen. »Major Jacobi! Zum Verhör!«, rief einer.
Mit einem langen Atemzug erhob sich Major Jacobi. August konnte ihn nur bewundern, wie würdevoll er vor den Preußen stand. »Ich bin hier«, erwiderte er ruhig und folgte den Soldaten, ohne sich noch einmal umzublicken. Es dauerte nicht lange und August konnte vom Fenster aus sehen, wie der Major im Festungsgraben erschossen wurde.
Die Preußen hielten ihre Zusagen nicht.
August musste mit ansehen, wie einer nach dem anderen abgeführt wurde. Die Hingerichteten wurden nicht einmal ordentlich bestattet. Kein Sarg nahm ihre Leiber auf, kein Grabhügel kündete von ihrer letzten Ruhestätte. Wie Hunde wurden sie im Festungsgraben verscharrt, als wolle man sie gänzlich aus dem Gedächtnis der Geschichte tilgen. Doch das würde ihnen nicht gelingen. August wusste, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis sie auch ihn abholten. Und er wusste auch, dass er nicht umsonst sterben würde. Sie konnten ihn erschießen, aber niemals die Ideen, die er und seine Kameraden in die Welt getragen hatten. Ihre Ideen, ihre Ideale und Vorstellungen von einer freien, gerechten Welt würden leben. Und irgendwann würden sie Wirklichkeit werden. Ob er dann mit Therese in Frieden leben könnte? Warum beantwortete sie nicht seine Briefe? Seinem Bruder, Louise Otto und Therese hatte er geschrieben. Einzig sein Bruder hatte ihm geantwortet. Sehr liebevoll hatte er geschrieben. Dass Louise Otto ihm nicht geantwortet hatte, konnte nur bedeuten, dass auch sie in Schwierigkeiten steckte. Wie sollte sie nicht, bei allem, was sie zuvor geschrieben, gesagt und getan hatte. Ob sie ihre Frauenzeitung noch veröffentlichen durfte? Der Gedanke, dass man sie gefangen hielt, verhörte, schnitt ihm ins Herz.
Aber Therese? Konnte sie nicht ahnen, wie sehr er sich nach einem Brief von ihr verzehrte? Wieso schrieb sie ihm nicht? Die einzige Erklärung, an die er sich klammerte, war, dass die Preußen Briefe abfingen, die den Gefangenen Trost und Hoffnung spenden könnten.
Generalleutnant von Gröben saß unterdessen an seinem Schreibtisch und las den Bericht, den Hauptmann August Peters über den Angriff auf das Dorf Niederbühl verfasst hatte.
»Soll ich Peters zum Verhör holen, Herr Generalleutnant?«, fragte sein Adjutant.
Von Gröben warf den Bericht zurück auf seinen Schreibtisch und winkte ab.
»Ein Verhör wird nicht nötig sein. Seine eigene Hand bezeugt schon genug gegen ihn. Seine Verbrechen sind so gravierend, dass wir ihn gleich erschießen können. Außerdem haben wir ihn sicher schon richtig mürbe gemacht. In den letzten Tagen hat er seine Kameraden Mann für Mann schwinden sehen. Er weiß genau, was ihn erwartet. Mittlerweile wäre er Ihnen sicher dankbar, wenn das Warten auch für ihn ein Ende hätte.« Er nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife. »Sie können sich also gerne noch ein paar Tage Zeit lassen.«
Leipzig, 6. September 1849
Louise musste Abschied nehmen aus Leipzig. Am Bahnhof traf sie auf Keils und Brendels, die ihr stumm die Hände drückten. Selbst ein »Auf Wiedersehen!« war nicht möglich. Konnte man diese Worte gebrauchen, die so oft unbedacht ausgesprochen wurden? Der Wunsch nach einem Wiedersehen in Freiheit war so übermächtig groß und gleichzeitig so zerbrechlich wie dünnes Eis. Ernst Keil stand mit einem Bein im Zuchthaus.
»Wir werden uns schon wiedersehen! Lebendig oder tot, frei oder gefangen! – Immer treu.«
»Lebendig oder tot«, erwiderte Louise, dann stieg sie ein.
Franz Brendel half ihr, den Koffer in den Waggon zu heben, dann liefen die Vier auf dem Bahnsteig entlang, immer Louise durch die Fenster des Waggons mit ihren Blicken folgend. Louise erreichte ein freies Abteil, dessen Fenster sie öffnete. Stumm nickten sie einander zu, dann fuhr der Zug an und Louise sank mehr tot als lebendig in ihren Sitz.
Es war Abend, als sie in ihrer Wohnung ankam. Aus den Wohnungen, die die Preußen beschlagnahmt hatten, drang Lärm, wie aus einer Wirtschaft. Louise sah mit Schrecken, wie schmutzig ihr Treppenhaus war. Sie hoffte nur, sie würde das Haus nicht von Grund auf renovieren müssen, wenn die Preußen wieder fort waren.
Die Tante war nicht da, auf dem Küchentisch lag ein Zettel: »Bin bei Francisca in der Steyermühle«. Daneben lag ein Stapel Briefe. Sie wagte kaum, sie anzurühren, schaute sie nur zögernd durch und blieb an einem hängen, der Augusts Handschrift trug. Ihr Herz raste noch schneller als ihr fliegender Atem, als sie ihn öffnete und die ersten Zeilen las. Der Brief war tatsächlich von seiner Hand. »Er lebt!«, schrie sie, weinend, lachend gleichzeitig und immer wieder »Er lebt!« Karge Worte nur waren es, die er geschrieben hatte, kaum etwas zu seiner Situation. Aber er sprach sie in seinem Brief mit »Du« an und nannte sie »meine liebe Freundin«. Louise war selig. Wie süß klang dieses »Du« aus seiner Feder. Konnte es ein größeres Glück geben als diese Nachricht? Und sie konnte ihr Glück ganz für sich allein genießen, ohne eine Tante, die sich fragte, was wohl ihre Freundinnen dazu sagen würden, dass ihre Nichte eine Liebesbeziehung zu einem Gefangenen unterhielt. Konnte es eine größere Ehre geben, als von einem solchen Mann geliebt zu werden?
Rastatt, Mitte September 1849
August fühlte sich immer elender. Kopfschmerzen marterten ihn dergestalt, dass er zeitweise sein Bewusstsein verlor. Er hörte nicht, wie zwei Preußen seinen Namen riefen, und spürte kaum, wie sie ihn traten, weil er ihrem Befehl, sich zu erheben, nicht Folge leistete.
»Heda, Peters! Aufgestanden!«, rief der eine, der ihn am Hemd zerrte. Der ohnehin zerschlissene Stoff zerriss vollends und entblößte Augusts Brust. Schon wollte der Preuße mit seinem Gewehrkolben zuschlagen, da riss ihn sein Kamerad zurück. »Bist du wahnsinnig? Schau dir den Kerl an. Siehst du nicht die roten Flecken auf seiner Brust? Mann, das ist Typhus.«
»Typhus?«, schrie der erste auf und suchte panisch nach etwas, woran er seine Hände abwischen könnte.
»Das ist hier überall. Raus hier! Schnell die Tür zu! Ist doch egal, ob der Kerl an unseren Kugeln stirbt oder am Typhus verreckt.«
Kurz darauf standen die beiden vor Generalleutnant von Gröben und machten Meldung.
»Typhus, sagen Sie?« Er schaute die beiden kritisch an. »Sie haben ihn hoffentlich nicht angefasst!« Er erhob sich und trat ans Fenster, von wo aus er den Schlossgarten mit seinen exakt geschnittenen Hecken sehen konnte. »Nein, Herr Generalleutnant. Wir haben ihn nicht angefasst.«
»Wenn er so schwach ist, dass er nicht aufstehen kann u...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Titel
  4. Vorwort
  5. Prolog
  6. Karlsbad 1819
  7. Meißen, im Frühjahr 1824
  8. Dresden im Frühjahr 1839
  9. Januar 1840, auf dem Weg von Meißen: nach Oederan im Erzgebirge
  10. Ausflüge
  11. Ende Januar 1840
  12. Meißen, Mitte Februar 1840
  13. Dresden, im April 1840
  14. Meißen, im Mai 1840
  15. Meißen, Ende Juni 1840
  16. Dresden, Juli 1840
  17. Naumburg, im August 1840
  18. Meißen, im September 1840
  19. Dresden – Strehlen, im April 1841
  20. Hallgarten im Rheingau, Pfingsten 1843
  21. Reisevorbereitungen in Meißen, Anfang Mai 1845
  22. Auf der Straße nach Jena, Juli 1845
  23. Leipzig, Anfang August 1845
  24. Meißen, Ende August 1845
  25. Mühlberg, Januar 1846
  26. Freiberg, März 1846
  27. Meißen, Anfang April 1846
  28. Schneeberg, 10. April 1846
  29. Meißen, Ende April 1846
  30. Schneeberg, Mai 1846
  31. Meißen, 13. Juli 1846
  32. Die Schlesienreise
  33. Hirschberg (heute Jelenia Góra), August 1846
  34. Meißen, Ende August 1846
  35. Dresden, Ende September 1846
  36. Leipzig, Ostern 1847
  37. Leipzig, 20. Mai 1847
  38. Leipzig, Hôtel de Pologne am 29. Februar 1848
  39. Oederan, 26. März 1848
  40. Dresden, Anfang April 1848
  41. Meißen, 20. April 1848
  42. Meißen, Mitte Mai 1848
  43. Meißen, Anfang Oktober 1848
  44. Wien, November 1848
  45. Komotau, 20. November 1848
  46. Oederan, 31. Januar 1849
  47. Dresden, im Februar 1849
  48. Meißen, 23. April 1849
  49. Dresden, 3. Mai 1849
  50. Meißen, 12. Mai 1849
  51. Dresden, Mitte Mai 1849
  52. Meißen, Anfang Juni 1849
  53. Rastatt, Anfang Juli 1849
  54. Dresden, Ende Juni 1849
  55. Rastatt, 8. Juli, später Abend
  56. Anfang Juli 1849, auf dem Weg von Dresden: in die Steyermühle
  57. 23. Juli 1849, Rastatt abends, 9 Uhr
  58. Leipzig, 25. Juli 1849
  59. Rastatt, zur selben Zeit
  60. Leipzig, Anfang August 1849
  61. Rastatt, Mitte August 1849
  62. Leipzig, 21. August 1849
  63. Rastatt, Ende August 1849
  64. Leipzig, 6. September 1849
  65. Rastatt, Mitte September 1849
  66. Meißen, Mitte September 1849
  67. Rastatt, Ende Oktober 1849
  68. Meißen, 8. November 1849
  69. Dresden, 6. Dezember 1849
  70. Rastatt, Mitte Dezember 1849
  71. Meißen, 22. Dezember 1849
  72. Meißen, 1. Januar 1850
  73. Bruchsal, 13. Mai 1850
  74. Jöhstadt, Ende Juni 1850
  75. Meißen, 17. Juli 1850, 7 Uhr morgens
  76. Dresden, Ende Juli 1850
  77. Bruchsal, Ende Juli 1850
  78. Meißen, 6. August 1850
  79. Bruchsal, Herbst 1850
  80. Meißen, 20.08.1850
  81. Dresden, September 1850
  82. Meißen, 14. September 1850
  83. Bruchsal, 27. August 1851
  84. Dresden, September 1851
  85. Meißen, Oktober 1851
  86. Bruchsal, Juli 1852
  87. Zöblitz, April 1853
  88. Waldheim, August 1853
  89. Leipzig, August 1853
  90. Meißen, 8. Mai 1855
  91. Jöhstadt, im August 1856
  92. Meißen, Mitte Februar 1857
  93. Freiberg, Anfang März 1857
  94. Meißen, 24. November 1858
  95. Leipzig, Ende Februar 1865
  96. Leipzig, 7. März 1865
  97. Ende
  98. Epilog
  99. Anhang
  100. Über die Autorin