Selbstbetrachtungen
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Selbstbetrachtungen

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Selbstbetrachtungen

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Marc Aurels Selbsterkenntnisse aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. gehören in den Kanon der Weltliteratur. Sie sind Quelle über das Denken in längst vergangenen Zeiten, erweisen sich aber auch heute noch zeitlos und aktuell. Marc Aurel ging es um das Grundsätzliche im Leben und im Umgang mit anderen.Mit den Selbstbetrachtungen, kurze Aphorismen im Stil eines Tagebuchs, zeigt sich Marc Aurel (römischer Kaiser von 161 bis 180) als einer der letzten großen Vertreter der späten Stoa. In zwölf Büchern erzählt er über seine Jugend und den Einfluss seiner Lehrer und Verwandten. Marc Aurel erweist sich dabei als Meister des stoischen Denkens. Seine Kerngedanken sind Bescheidenheit und Toleranz, Furchtlosigkeit vor dem Schicksal und dem Tod, die Ergebung in sein Schicksal, aber bei allem auch eine große Selbstachtung. Das Buch zeigt einen Weg zur Gelassenheit, nutzbar auch für heutige Zeit.Der Text liegt in der aktuellen Übersetzung von F. C. Schneider vor. Ein Buch zum Nachdenken und in sich gehen, ein Klassiker!100% Sachbuchklassiker. 100% vollständig, kommentiert, relevant.

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Information

Marc Aurel’s Selbstbetrachtungen

Erstes Buch

1. Von meinem Großvater [Verus] weiß ich, was edle Sitten sind und was es heißt: frei sein von Zorn.
2. Der Ruf und das Andenken, in welchem mein Vater steht, predigen mir Bescheidenheit und männliches Wesen.
3. Der Mutter Werk ist es, wenn ich gottesfürchtig und mitteilsam bin; wenn ich nicht nur schlechte Taten, sondern auch schlechte Gedanken fliehe; auch dass ich einfach lebe und nicht prunke wie reiche Leute.
4. Mein Urgroßvater litt nicht, dass ich die öffentliche Schule besuchte, sorgte aber dafür, dass ich zu Hause von tüchtigen Lehrern unterrichtet wurde, und überzeugte mich, dass man zu solchem Zweck nicht sparen dürfe.
5. Mein Erzieher gab nicht zu, dass ich mich an den Wettfahrten beteiligte, weder in Grün noch in Blau, auch nicht, dass ich Ring- und Fechterkünste trieb. Er lehrte mich Mühen ertragen, wenig bedürfen, selbst Hand anlegen, mich wenig kümmern um anderer Leute Angelegenheiten und einen Widerwillen haben gegen jede Ohrenbläserei.
6. Diognet bewahrte mich vor allen unnützen Beschäftigungen; vor dem Glauben an das, was Wundertäter und Gaukler von Zauberformeln, vom Geisterbannen usw. lehrten; davor, dass ich Wachteln hielt, und vor andern solchen Liebhabereien. Er lehrte mich ein freies Wort vertragen; gewöhnte mich an philosophische Studien, schickte mich zuerst zu Bacchius, dann zu Tandasis und Marcian, ließ mich schon als Knabe Dialoge verfassen und gab mir Geschmack an dem einfachen, mit einem Fell bedeckten Feldbett, wie es bei den Lehrern der griechischen Schule im Gebrauch ist.
7. Dem Rusticus verdanke ich, dass es mir einfiel, in sittlicher Hinsicht für mich zu sorgen und an meiner Veredlung zu arbeiten; dass ich frei blieb von dem Ehrgeiz der Sophisten; dass ich nicht Abhandlungen schrieb über abstrakte Dinge, noch Reden hielt zum Zweck der Erbauung, noch prunkend mich als einen streng und wohlgesinnten jungen Mann darstellte, und dass ich von rhetorischen, poetischen und stilistischen Studien abstand; dass ich zu Hause nicht im Staatskleid einherging oder sonst etwas derartiges tat, und dass die Briefe, die ich schrieb, einfach waren, so einfach und schmucklos, wie er selbst einen an meine Mutter von Sinuessa aus schrieb. Ihm habe ich´s auch zu danken, wenn ich mit denen, die mich gekränkt oder sonst sich gegen mich vergangen haben, leicht zu versöhnen bin, sobald sie nur selbst schnell bereit sind, entgegenzukommen. Auch lehrte er mich, was ich las, genau zu lesen und mich nicht mit einer oberflächlichen Kenntnis zu begnügen, auch nicht gleich beizustimmen dem, was oberflächliche Beurteiler sagen. Endlich war er´s auch, der mich mit den Schriften Epiktets bekannt machte, die er mir aus freien Stücken mitteilte.
8. Apollonius zeigte mir, dass Geistesfreiheit eine Festigkeit sei, die dem Spiel des Zufalls nichts einräumt; dass man auf nichts ohne Ausnahme so achten müsse, wie auf die Gebote der Vernunft. Auch was Gleichmut sei bei heftigen Schmerzen, bei Verlust eines Kindes, in langen Krankheiten, habe ich von ihm lernen können. — Er zeigte mir handgreiflich an einem lebendigen Beispiel, dass man der ungestümste und gelassenste Mensch zugleich sein kann, und dass man beim Studium philosophischer Werke die gute Laune nicht zu verlieren brauche. Er ließ mich einen Menschen sehen, der es offenbar für die geringste seiner guten Eigenschaften hielt, dass er Übung und Gewandtheit besaß, die Grundgesetze der Wissenschaft zu lehren; und bewies mir, wie man von Freunden sogenannte Gunstbezeugungen aufnehmen müsse, ohne dadurch in Abhängigkeit von ihnen zu geraten, aber auch ohne gefühllos darüber hinzugehen.
9. An Sextus konnt´ ich lernen, was Herzensgüte sei. Sein Haus bot das Muster eines väterlichen Regimentes und er gab mir den Begriff eines Lebens, das der Natur entspricht. Er besaß eine ungekünstelte Würde und war stets bemüht, die Wünsche seiner Freunde zu erraten. Duldsam gegen Unwissende hatte er doch keinen Blick für die, die an bloßen Vorurteilen kleben. Sonst wusste er sich mit allen gut zu stellen, so dass er denselben Menschen, die ihm wegen seines gütigen und milden Wesens nicht schmeicheln konnten, zu gleicher Zeit die größte Ehrfurcht einflößte. Seine Anleitung, die zum Leben notwendigen Grundsätze aufzufinden und näher zu gestalten, war eine durchaus verständliche. Niemals zeigte er eine Spur von Zorn oder einer andern Leidenschaft, sondern er war der leidenschaftsloseste und der hingebendste Mensch zugleich. Er suchte Lob, aber ein geräuschloses; er war hochgelehrt, aber ohne Prahlerei.
10. Von Alexander, dem Grammatiker lernte ich, wie man sich jeglicher Scheltworte enthalten und es ohne Vorwurf hinnehmen kann, was einem auf fehlerhafte, rohe oder plumpe Art vorgebracht wird; ebenso aber auch, wie man sich geschickt nur über das, was zu sagen not tut, auszulassen habe, sei´s in Form einer Antwort oder der Bestätigung oder der gemeinschaftlichen Überlegung über die Sache selbst, nicht über den Ausdruck, oder durch eine treffende anderweite Bemerkung.
11. Durch Phronto gewann ich die Überzeugung, dass der Despotismus Missgunst, Unredlichkeit und Heuchelei in hohem Maße zu erzeugen pflege, und dass der Edelgeborene im allgemeinen ziemlich unedel sei.
12. Alexander, der Platoniker brachte mir bei, dass ich mich nur selten und nie ohne Not zu jemand mündlich oder schriftlich äußern dürfe: ich hätte keine Zeit; und dass ich nicht so, unter dem Vorwande dringender Geschäfte, mich beständig weigern solle, die Pflichten zu erfüllen, die uns die Beziehungen zu denen, mit denen wir leben, auferlegen.
13. Catulus riet mir, dass ich´s nicht unberücksichtigt lassen sollte, wenn sich ein Freund bei mir über etwas beklage, selbst wenn er keinen Grund dazu hätte, sondern dass ich versuchen müsse, die Sache ins Reine zu bringen. Wie man von seinen Lehrern stark eingenommen sein kann, sah ich an ihm; ebenso aber auch, wie lieb man seine Kinder haben müsse.
14. An meinem Bruder Severus hatte ich häuslichen Sinn, Wahrheits- und Gerechtigkeitsliebe zu bewundern Er machte mich mit Thraseas, Helvidius, Cato, Dio und Brutus bekannt und führte mich zu dem Begriff eines Staates, in welchem alle Bürger gleich sind vor dem Gesetz, und einer Regierung, die nichts so hoch hält als die bürgerliche Freiheit. Außerdem blieb er, um anderes zu übergehen, in der Achtung vor der Philosophie sich immer gleich; war wohltätig, ja in hohem Grade freigebig; hoffte immer das Beste und zweifelte nie an der Liebe seiner Freunde. Hatte er etwas gegen jemand, so hielt er damit nicht zurück, und seine Freunde hatten niemals nötig, ihn erst auszuforschen, was er wollte oder nicht wollte, weil es offen am Tage lag.
15. Von Maximus konnte ich lernen, mich selbst beherrschen, nicht hin-und herschwanken, guten Mutes sein in misslichen Verhältnissen oder in Krankheiten auch wie man in seinem Benehmen Weisheit mit Würde verbinden muss, und an ein Werk, das rasch auszuführen ist, doch nicht unbesonnen gehen darf. Von ihm waren alle überzeugt, dass er gerade so dachte, wie er sprach, und was er tat, in guter Absicht tat. Etwas zu bewundern oder sich verblüffen zu lassen, zu eilen oder zu zögern, ratlos zu sein und niedergeschlagen oder ausgelassen in Freude oder Zorn oder argwöhnisch — das alles war seine Sache nicht. Aber wohltätig zu sein und versöhnlich, hielt er für seine Pflicht. Er hasste jede Unwahrheit und machte so mehr den Eindruck eines geraden als eines feinen Mannes. Niemals hat sich einer von ihm verachtet geglaubt; aber ebensowenig wagte es jemand, sich für besser zu halten als er war. Auch wusste er auf anmutige Weise zu scherzen.
16. Mein Vater hatte in seinem Wesen etwas Sanftes, aber zugleich auch eine unerschütterliche Festigkeit in dem, was er gründlich erwogen hatte. Er war ohne Ehrgeiz hinsichtlich dessen, was man gewöhnlich Ehre nennt. Er arbeitete gern und unermüdlich. Wer mit Dingen kam, die das gemeine Wohl zu fördern versprachen, den hörte er an und versäumte es nie, einem jeden die Anerkennung zu zollen, die ihm gebührte. Wo vorwärts zu gehen und wo einzuhalten sei, wusste er. Er war herablassend gegen jedermann; erließ den Freunden die Pflicht, immer mit ihm zu speisen oder, wenn er reiste, mit ihm zu gehen; und stets blieb er sich gleich auch gegen die, die er notgedrungen zu Hause ließ. Seine Erörterungen in den Ratsversammlungen waren stets sehr genau, und er hielt aus und begnügte sich nicht mit Ideen, die auf der flachen Hand liegen, bloß um die Versammlung für geschlossen zu erklären. Er war sorgsam bemüht, sich seine Freunde zu erhalten, wurde ihrer niemals überdrüssig, verlangte aber auch nicht heftig nach ihnen. Er war sich selbst genug in allen Stücken und immer heiter. Er hatte einen scharfen Blick für das, was kommen würde, und traf für die kleinsten Dinge Vorbereitungen ohne Aufhebens zu machen, so wie er sich denn überhaupt jedes Beifallrufen und alle Schmeicheleien verbat. Was seiner Regierung notwendig war, überwachte er stets, ging mit den öffentlichen Geldern haushälterisch um und ließ es sich ruhig gefallen, wenn man ihm darüber Vorwürfe machte. — Den Göttern gegenüber war er frei von Aberglauben, und was sein Verhältnis zu den Menschen betrifft, so fiel es ihm nicht ein, um die Volksgunst zu buhlen, dem großen Haufen sich gefällig zu erzeigen und sich bei ihm einzuschmeicheln, sondern er war in allen Stücken nüchtern, besonnen, taktvoll und ohne Sucht nach Neuerungen. Von den Dingen, die zur Annehmlichkeit des Lebens beitragen — und deren bot ihm das Glück eine Menge dar — machte er ohne zu prunken, aber auch ohne sich zu entschuldigen Gebrauch, so dass er, was da war, einfach nahm, was nicht da war, auch nicht entbehrte. Niemand konnte sagen, dass er ein Krittler, oder dass er ein gewöhnlicher Mensch oder ein Pedant sei, sondern man musste ihn einen reifen, vollendeten, über jede Schmeichelei erhabenen Mann nennen, der wohl imstande sei, eigenen und fremden Angelegenheiten vorzustehen. Außerdem, die echten Philosophen schätzte er sehr, ließ aber auch die andern unangetastet, obschon er ihnen keinen Einfluss auf sich einräumte. In seinem Umgange war er ferner höchst liebenswürdig und witzig, ohne darin zu übertreiben. In der Sorge für seinen Leib wusste er das rechte Maß zu halten, nicht wie ein Lebenssüchtiger oder wie einer, der sich schniegelt oder sich vernachlässigt; sondern er brachte es durch die eigene Aufmerksamkeit nur dahin, dass er den Arzt fast gar nicht brauchte und weder innere noch äußere Mittel nötig hatte. — Vor allem aber war ihm eigen, denen, die wirklich etwas leisteten, sei´s in der Beredsamkeit oder in der Gesetzeskunde oder in der Sittenlehre oder in irgendeinem anderen Fach, ohne Neid den Vorrang einzuräumen und sie wo er konnte zu unterstützen, damit ein jeder in seinem Fache auch die nötige Anerkennung fände. Wie seine Vorfahren geherrscht, so herrschte er auch, ohne jedoch die Meinung hervorrufen zu wollen, als wache er über dem Althergebrachten. Er war nicht leicht zu bewegen oder von etwas abzubringen, sondern pflegte auch gern zu bleiben, wo er gerade war und wobei. Nach den heftigsten Kopfschmerzen sah man ihn frisch und kräftig zu den gewohnten Geschäften eilen. Geheimnisse pflegte er nur äußerst wenige und nur in seltenen Fällen zu haben und nur um des allgemeinen Wohles willen. Verständig und mäßig im Anordnen von Schauspielen, von Bauten, von Spenden an das Volk u. dgl. mehr, zeigte er sich als ein Mann, der nur auf seine Pflicht sieht, sich aber um den Ruhm nicht kümmert, den seine Handlungen ihm verschaffen können. — Er badete nur zur gewöhnlichen Stunde, liebte das Bauen nicht, legte auf das Essen keinen Wert, auch nicht auf Kleider und deren Stoffe und Farben, noch auf schöne Sklaven. Seine Kleider ließ er sich meist aus Lorium, dem unteren Landgute, oder aus Lanubium kommen und bediente sich dazu des Generalpächters in Tusculum, der ihn um diesen Dienst gebeten hatte. — In seiner ganzen Art zu sein war nichts Unschickliches oder gar Ungeziemendes oder auch nur Ungestümes oder was man sagt: „bis zur Hitze”, sondern alles war bei ihm wohl überdacht, ruhig, gelassen, wohl geordnet, fest und mit sich selbst im Einklang. Man könnte auf ihn anwenden, was man vom Sokrates gesagt hat, dass er sowohl sich solcher Dinge zu enthalten imstande war, deren sich viele aus Schwachheit nicht enthalten können, als auch dass er genießen durfte, was viele darum nicht dürfen, weil sie sich gehen lassen. Das eine gründlich vertragen, und in dem andern nüchtern sein, das aber ist die Sache eines Mannes von starkem, unbesiegbaren Geiste, wie er ihn z.B. auch in der Krankheit des Maximus an den Tag gelegt hat. —
17. Den Göttern habe ich´s zu danken, dass ich treffliche Vorfahren, treffliche Eltern, eine treffliche Schwester, treffliche Lehrer, treffliche Diener und fast lauter treffliche Verwandte und Freunde habe, und dass ich gegen keinen von ihnen fehlte, obgleich ich bei meiner Natur leicht hätte dahin kommen können. Es ist eine Wohltat der Götter, dass die Umstände nicht so zusammentrafen, dass ich mir Schande auflud. Sie fügten es so, dass ich nicht länger von der Geliebten meines Großvaters erzogen wurde; dass ich meine Jugendfrische mir erhielt und dass ich meinem fürstlichen Vater untertan war, der mir allen Dünkel austreiben und mich überzeugen wollte, man könne bei Hof leben ohne Leibwache, ohne kostbare Kleider, ohne Fackeln, ohne gewisse Bildsäulen und ähnlichen Pomp, und dass es sehr wohl anging, sich so viel als möglich bürgerlich einzurichten, wenn man dabei nur nicht zu demütig und zu sorglos würde in Erfüllung der Pflichten, die der Regent gegen das Ganze hat. —
Götter haben mir einen Bruder gegeben, dessen sittlicher Wandel mich antrieb, auf mich selber Acht zu haben, und dessen Achtung und Liebe mich glücklich machten. — Sie haben mir Kinder gegeben, die nicht ohne geistige Anlagen sind und von gesundem Körper. — Den Göttern verdanke ich´s, dass ich nicht weiter kam in der Redekunst und in der Dichtkunst und in den übrigen Studien, welche mich völlig in Beschlag genommen hätten, wären mir gute Fortschritte beschieden gewesen. Ebenso dass ich meine Erzieher frühzeitig schon so in Ehren hielt, wie sie´s zu verlangen schienen, und ihnen nicht bloß Hoffnung machte, ich würde das später tun, indem sie zu der Zeit ja noch so jung seien. Ferner, dass ich Apollonius, Rusticus und Maximus kennen lernte; dass ich das Bild eines naturgemäßen Lebens so klar und so oft vor der Seele hatte, dass es nicht an den Göttern und an den Gaben, Hilfen und Winken, die ich von dorther empfing, liegen kann, wenn ich an einem solchen Leben gehindert worden bin; sondern wenn ich´s bisher nicht geführt habe, muss es meine Schuld sein, indem ich die Erinnerungen der Götter, ich möchte sagen, ihre ausdrücklichen Belehrungen, nicht beherzigte. Den Göttern verdanke ich´s, dass mein Körper ein solches Leben so lange ausgehalten hat; — dass ich weder die Benedicta noch den Theodot berührt habe, und dass ich später überhaupt von dieser Leidenschaft genas; dass ich in meinem heftigen Unwillen, den ich so oft gegen Rusticus empfand, nichts weiter tat, was ich hätte bereuen müssen; und dass meine Mutter, der ein früher Tod beschieden war, doch noch ihre letzten Jahre bei mir leben konnte. Auch fügten sie´s, dass ich, sooft ich einen Armen oder sonst Bedürftigen unterstützen wollte, nie hören durfte, es fehle mir an den hierzu erforderlichen Mitteln, und dass ich selbst nie in die Notwendigkeit versetzt wurde, bei einem andern zu borgen; und dass ich ein solches Weib besitze: so folgsam, zärtlich und in ihren Sitten so einfach, und dass ich meinen Kindern tüchtige Erzieher geben konnte. Die Götter gaben mir durch Träume Hilfsmittel an die Hand gegen allerlei Krankheiten, so gegen Blutauswurf und Schwindel. Auch verhüteten sie, als ich das Studium der Philosophie anfing, dass ich einem Sophisten in die Hände fiel oder mit einem solchen Schriftsteller meine Zeit verdarb, oder mit der Lösung ihrer Trugschlüsse mich einließ, oder mit der Himmelskunde mich beschäftigte. Denn zu allen diesen Dingen bedarf es der helfenden Götter und des Glückes.
Geschrieben bei den Quaden am Granna.
18. Man muss sich beizeiten sagen: ich werde einem vorwitzigen, einem undankbaren, einem schmähsüchtigen, einem verschlagenen oder neidischen oder unverträglichen Menschen begegnen. Denn solche Eigenschaften liegen jedem nahe, der die wahren Güter und die wahren Übel nicht kennt. Habe ich aber eingesehen, einmal, dass nur die Tugend ein Gut und nur das Laster ein Übel, und dann, dass der, der Böses tut, mir verwandt ist, nicht sowohl nach Blut und Abstammung, als in der Gesinnung und in dem, was der Mensch von den Göttern hat, so kann ich weder von jemand unter ihnen Schaden leiden — denn ich lasse mich nicht verführen — noch kann ich dem, der mir verwandt ist, zürnen oder mich feindlich von ihm abwenden, da wir ja dazu geboren sind, uns gegenseitig zu unterstützen, wie die Füße, die Hände, die Augenlider, die Reihen der oberen und unteren Zähne einander dienen. Also ist es gegen die Natur, einander feindlich zu leben. Und das tut doch, wer auf jemand zürnt oder ihm entgegenwirkt.
19. Was ich bin, ist ein Dreifaches: Körper und Seele und was das Ganze beherrscht. — Lege beiseite, was dich zerstreut, die Bücher und alles, was hier zu nichts führt; des Fleischlichen achte gering wie einer, der bald sterben muss! Es ist Blut und Knochen und ein Geflecht aus Nerven, Adern und Gefäßen gewebt. Dann betrachte deine Seele, und was sie ist: ein Hauch; nicht immer dasselbe, sondern fortwährend ausgegeben und wieder eingesogen. Drittens also das, was die Herrschaft führt! Da sei doch kein Tor, du bist nicht mehr jung: so lass auch nicht länger geschehen dass es diene; dass es hingenommen werde von einem Zuge, der dich dem Menschlichen entfremdet; dass es dem Verhängnis oder dem gegenwärtigen Augenblicke grolle oder ausweiche dem, was kommen soll!
20. Das Göttliche ist voll von Spuren der Vorsehung, das Zufällige nach Art, Zusammenhang und Verflechtung ist nicht zu trennen von dem durch die Vorsehung Geordneten. Alles fließt von hier aus. Daneben das Notwendige und was dem Weltall, dessen Teil du bist, zuträglich ist. Jedem Teile der Natur aber ist das gut, was seinen Halt an der Natur des Ganzen hat und wovon diese wiederum getragen wird. Die Welt aber wird getragen wie von den Verwandlungen der Grundstoffe so auch von denen der zusammengesetzten Dinge. — Das muss dir genügen und feststehen für immer. Nach der Weisheit, wie sie in Büchern zu finden ist, strebe nicht, sondern halte sie dir fern, damit du ohne Seufzer, mit wahrer Seelenruhe und den Göttern von Herzen dankbar sterben kannst.

Zweites Buch

1. Erinnere dich, seit wann du diese Betrachtungen nun schon aufschiebst, und wie oft dir die Götter Zeit und Stunde dazu gegeben haben, ohne dass du sie nutztest. Endlich solltest du doch einmal einsehen, was das für eine Welt ist, der du angehörst, und wie der die Welt regiert, dessen Ausfluss du bist; und dass dir die Zeit zugemessen ist, die, wenn du sie nicht brauchst dich abzuklären, vergehen wird, wie du selbst, und nicht wiederkommen.
2. Immer sei darauf bedacht, wie es einem Manne geziemt, bei allem, was es zu tun gibt, eine strenge und ungekünstelte Gewissenhaftigkeit, Liebe, Freimut und Gerechtigkeit zu üben, und dir dabei alle Nebengedanken fernzuhalten. Und du wirst sie dir fernhalten, sobald du jede deiner Handlungen als die letzte im Leben ansiehst: fern von jeder Unbesonnenheit und der Erregtheit, die dich taub macht gegen die Stimme der richtenden Vernunft, frei von Verstellung von Selbstliebe und von Unwillen über das, was das Schicksal dir beschieden hat. — Du siehst, wie wenig es ist, was man sich aneignen muss, um ein glückliches, ja göttliches Leben zu führen. Denn auch die Götter verlangen nicht mehr von dem, der dies beobachtet.
3. Fahre nur immer fort, dir selbst zu schaden, liebe Seele! Dich zu fördern wirst du kaum noch Zeit haben. Denn das Leben flieht einen jeglichen. Für dich ist es aber schon so gut als zu Ende, der du ohne Selbstachtung dein Glück aus dir heraus verlegst in die Seelen anderer.
4. Trotz deines Bestrebens, an Erkenntnis zu wachsen und dein unstetes Wesen aufzugeben, zerstreuen dich die Außendinge noch immer? Mag sein, wenn du jenes Streben nur festhälst. Denn das bleibt die größte Torheit, sich müde zu arbeiten ohne ein Ziel, auf das man all sein Dichten und Trachten lenkt.
5. Wenn man nicht herausbringen kann, was in des andern Seele vorgeht, so ist das schwerlich ein Unglück; aber notwendigerweise unglücklich ist man, wenn man über die Regungen der eigenen Seele im unklaren ist.
6. Daran musst du immer denken, was das Wesen der Welt und was das deinige ist, und wie sich beides zueinander verhält, nämlich was für ein Teil des Ganzen du bist und zu welchem Ganzen du gehörst, und dass dich niemand hindern kann, stets nur das zu tun und zu reden, was dem Ganzen entspricht, dessen Teil du bist.
7. Theophrast sagt in seiner Vergleichung der menschlichen Fehler — wie diese denn allenfalls verglichen werden können — : schwerer seien die, die aus Begierde, als die, welche aus Zorn begangen werden. Und wirklich erscheint der Zornige als ein Mensch, der nur mit einem gewissen Schmerz und mit innerem Widerstreben von der Vernunft abgekommen ist, während der aus Begierde Fehlende, weil ihn die Lust überwältigt, zügelloser erscheint und schwächer in seinen Fehlern. Wenn er nun also behauptet: es zeuge von größerer Schuld, einen Fehler zu begehen mit Freuden als mit Bedauern, so ist das gewiss richtig und der Philosophie nur angemessen. Man erklärt dann überhaupt den einen für einen Menschen, der gekränkt worden ist und zu seinem eigenen Leidwesen zum Zorn gezwungen wird, während man bei dem andern, der etwas aus Begierde tut, die Sache so ansieht, als begehe er das Unrecht aus heiler Haut.
8. Jegliches tun und bedenken wie einer, der im Begriff ist, das Leben zu verlassen, das ist das Richtige. Das Fortgehen von den Menschen aber, wenn es Götter gibt, ist kein Unglück. Denn das Übel hört dann wohl auf. Gibt es aber keine, oder kümmern sie sich nicht um die menschlichen Dinge, was soll mir das Leben in einer götterleeren Welt, in einer Welt ohne Vorsehung? Doch sie sind und sie kümmern sich um die menschlichen Dinge. Noch mehr. Sie haben es, was die Übel betrifft, und zwar die eigentlichen, ganz in des Menschen Hand gelegt, sich davor zu bewahren. Ja auch hinsichtlich der sonstigen Übel, kann man sagen, haben sie es so eingerichtet, dass es nur auf uns ankommt, ob sie uns widerfahren werden. Denn wie sollte etwas, wobei der Mensch nicht schlimmer wird, sein Leben verschlimmern? Selbst die bloße Natur — sei es, dass wir sie uns ohne Bewusstsein oder mit Bewusstsein begabt vorstellen; gewiss ist, dass sie nicht vermag, dem Übel vorzubeugen oder es wieder gut zu machen — hätte dergleichen nicht übersehen, hätte nicht in dem Grade gefehlt aus Ohnmacht oder aus Mangel an Anlage, dass sie Gutes und Böses in gleicher Weise guten und bösen Menschen unterschiedslos zuteil werden ließe. Tod aber und Leben, Ruhm und Ruhmlosigkeit, Leid und Freude, Reichtum und Armut und alles dieses wird den guten wie den bösen Menschen ohne Unterschied zuteil, als Dinge, die weder sittliche Vorzüge noch sittliche Mängel begründen: also sind sie auch weder gut noch böse (weder ein Glück noch ein Unglück).
9. Wie doch alles so schnell verbleicht! In der sichtbaren Welt die Leiber, in der Geisteswelt deren Gedächtnis! Was ist doch alles Sinnliche, zumal was durch Vergnügen anlockt oder durch Schmerz abschreckt oder in Stolz und Hochmut sich breit macht! Wie nichtig und verächtlich, wie schmutzig, hinfällig, tot! — Man folge dem Zug des Geistes; man frage nach denen, die sich durch Werke des Geistes berühmt gemacht haben; man untersuche, was eigentlich sterben heißt (und man wird, wenn man der Fantasie keinen Einfluss auf seine Gedanken verstattet, darin nichts anderes als ein Werk der Natur erkennen: kindisch aber wäre es doch, vor einem Werk der Natur, das derselben ohnehin auch noch zuträglich ist, si...

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung
  2. Marc Aurel’s Selbstbetrachtungen