Der neue Staat
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Der neue Staat

  1. 51 Seiten
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Der neue Staat

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Über dieses Buch

In "Der neue Staat" befasst sich Rathenau mit der Neuordnung der politischen und wirtschaftlichen Strukturen nach dem verlorenen Krieg, der das alte Reich zerstört hatte und eine Neuordnung der politischen und sozialen Verhältnisse unumgänglich machte. Nach der Abdankung des Kaisers und der Abschaffung der Monarchie, die die Deutschen in eine tiefe Krise gestürzt hatte, herrschte keine Klarheit über die zukünftige Staatsform. Die Demokratie, wie sie entstand, war keine Zwangsläufigkeit. Rathenau griff diese Debatte über die richtige Staatsform nach dem Ersten Weltkrieg auf und lieferte seine eigenen Gedanken dazu. "100% - vollständig, kommentiert, relevant, zitierbar".

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Information

Jahr
2011
ISBN
9783940621962
Der neue Staat
von Walther Rathenau

Der neue Staat

1.
Der Augenblick, nirgends so gefürchtet wie in Deutschland, ist gekommen, wo Not uns zwingt, in das Gegebene und Historische einzugreifen, um Nichtgewesenes zu schaffen. Reich und Staaten sind hin und sollen erstehen.
Nun zeigt sich auf einmal, weil der Moment groß und außerzeitlich ist, so vieles in seinem wahren Licht, was teils verschleiert, teils aus Übergewohnheit unsichtbar geworden war; wovon wir die Wirkung sahen, zu träge, nach den Ursachen zu forschen.
Nun zeigt sich, warum die Gelehrsamkeit im Historizismus entschlief, nicht müde wurde, nach alten Methoden das langsam Entstandene, vorgeblich Natur- und Gottgewollte zu preisen und die bewusste, konstruktive Vernunft zu schmähen. Warum? Weil vorbildloses Bauen nicht in unserem Wesen liegt, die wir gewohnt sind, Formen zu übernehmen, abzuwandeln, mit Inhalt zu füllen, nicht Formen zu schaffen.
Nun zeigt sich, warum die Verfassungen des Reiches und der Staaten, warum die Verwaltungen und Hierarchien verschraubte und verwickelte Gebilde waren, in langsamer Fahrt, bei gutem Wetter brauchbar, bei scharfer Beanspruchung störrisch, in der Kunstfahrt versagend.
Warum? Weil Partikularismus nur zu einem Drittel war, was er sein sollte: Selbstgefühl und Eigenart des [7] Stammes. Zu zwei Drittel war er, als was er auftrat: stiller Bruderhass, Bequemlichkeit zum Hergebrachten und Personenfrage.
Nun zeigt sich, warum es möglich war, dass wir mindestens ein Jahrhundert zu lange die Insel des Feudalismus blieben.
Warum? Weil etwas daran war, an dem, was in vertraulichen Augenblicken die Feudalherren aussprachen: die Kruste des Militarismus gab uns Halt. Unsere Waffe ist weich; Nun, da die Kruste angestochen ist, fließt die Waffe aus, breit und formlos. Schon sind die nationalen Eigenschaften, das Selbstbewusstsein, die Sicherheit, selbst das Ehrgefühl nicht mehr Kenntlich, wir ähneln sarmatischen Gemenge. Das Plasma sträubt sich, kristallinisch zu werden, Härte, Widerstand, Richtung zu gewinnen. Ohne Festigkeit aber besteht keine Form.
2.
Wäre es anders: Wären wir in gemütvoller Gegensätzlichkeit dennoch einheitlichen Geistes, wären wir Form schaffend, durch Eigenart und Festigkeit der Substanz Form erzwingend, so wäre der Augenblick der Selbsterzeugung gewaltig.
Angemessen deutschen Geisterkräften und deutschem Willen zur Vertiefung entstünde ein Gebilde der Freiheit, ein sichtbarer Leib des Volksgeistes, als Vollendung des Vergangenen, als Gussform des Künftigen: eine selbstgeschaffene, selbstschöpferische deutsche Verfassung. So entstand England, so Amerika, so Frankreich, nach deren Bildern die großen Staaten der Erde geschaffen und umgeschaffen sind.
Ist es uns verhängt und beschieden, als letzte in später [8] Zeit uns neu zu verkörpern: so muss nicht der Geist alter Jahrhunderte und fremder Völker unser Bild bestimmen, sondern deutsches Geisteswesen und vorschauendes Erschaffen einer neuen deutschen Epoche, die zugleich Weltepoche sein soll.
Die fünzigjährige Weltmacht des zweiten deutschen Kaisertums ist dahin und wird sich niemals erneuern. Was sich als deutsches Wesen aufspielte, woran nach der Biertischflegelei seiner Vertreter die Welt genesen sollte: Kommiss und Assessorismus, philisterhafte, gehässige Kraftmeierei von Junkern, Fabrikanten, Oberlehrern und Kanzlisten, dieses undeutsche Unwesen hat sich selbst vernichtet, zugleich jedoch die Weltherrschaft den Angelsachsen ausgeliefert, die sie auf eine Zeitspanne – so lange Weltherrschaft noch möglich ist – verwalten werden, nach einfachen Regeln, ohne grob-absichtliche Ungerechtigkeit, mit politischem Verständnis, ohne menschliches Begreifen.
Dem Volke aber steht es zu, das wahrhaft deutsche Wesen zu verwirklichen, das unantastbar, von äußerer Macht und Geltung unabhängig ist: dies Wesen, das sich gründet auf Sachlichkeit und Persönlichkeit, auf Vielfalt und Gemeinschaft, auf Spekulation und Wirklichkeit, auf Logik und Gefühl; es vor allem andern zu verkörpern im Staatsbau.
Eine Verfassung müsste entstehen, der man es von weitem ansieht, das sie deutsch ist, die das Gegebene nicht umschmeichelt, sondern mit neuem Sinn erfüllt, die, nicht einfach zwar – das kann sie nicht sein, denn wir sind nicht einfach, - doch nicht als Kompromiss, sondern als lebendiges Organ jedem Gliede seine eigentümliche Wirkung anweist, die in Stuttgart so verständlich, so [9] selbstverständlich wie in Königsberg, den Geist des Landes aufnimmt, die vor allem einer neuen Zeit zur Heimat wird, einer Zeit der Gleichheit aller Stände und Schichten.
Es ist vollkommen wahr was die Revolutionäre sagen: Die deutsche Revolution ist nicht erfüllt, sie hat noch nicht einmal angefangen. Erfüllt wird sie nicht von heute auf morgen; erfüllt wird sie nicht durch Bolschewisten und Spartakisten, sondern durch eine Reihe von Volksschöpfungen, deren erste die soziale und demokratische Verfassung sein soll, die dann freilich eine Verfassung sein muss, wie sie weder in imperialen noch plutokratischen noch rentenbürgerlichen noch ackerbürgerlichen Staaten besteht. Sondern eine Verfassung deutscher Zukunft.
Gleichviel, welches Stück man auf Goethes erneuter Bühne einstudiert, den Schwur der Eidgenossen, den polnischen Reichstag oder den Jahrmarkt von Plundersweilern: In diesem endgötterten Raume, unter dem Druck von Spa und Trier, im Kreise behäbiger Jakobiner und Bürgergeneräle wird der deutsche Staat nicht geboren. Was entsteht, mag es den deutschen Reklamebedarf auf der Ausstellung in Chicago ähneln oder Bismarcks Dynastenkaserne, es wird, um noch einmal in der Sprache der „großen Zeit“ zu reden, Ersatz und Behelf.
Umso besser; wir haben Zeit. Was gebaut wird, wächst aus der Tiefe. Die Tiefe zu lockern, dient der Zweifel. Wir wollen Zweifel anlegen an bestehende Begriffe, vor allem des Staates, und wollen von dem reden, was der Bürger Utopie nennt, und was von allem das Realste ist, vom Vernünftigen. Dann werden wir Raum schaffen für Fundamente, aus denen spät, niemals zu spät, ein künftiger Bau erwachsen kann. [10]
3.
Der politische Staat in seiner höchsten Form des Imperialstaates hat im Kriege seine große, seine letzte Zeit gehabt. Für uns ist der Imperialismus beendet, bei den andern überschreitet er seinen Höhenpunkt. Der Völkerbund nimmt einen Teil der kriegerischen Souveränität hinweg, die soziale Umwälzung der Welt tut das übrige. Die Souveränität wird im Laufe dieses Jahrhunderts zum Kollektivbegriff.
Dann ist eine tausendjährige Bewegung beendet: Der rein politische Staatsbegriff hat seine einzigartige, nie bezweifelte Suprematie im Aufbau der Nation eingebüßt, es ist Raum für neue Gebilde.
Auch der Einzelmensch war zuerst ein Geschöpf der reinen Verteidigung, dann des Erwerbs, zuletzt der Sitte und Kultur. Kaum in bewegten Zeiten denkt heute der Mensch an Selbstverteidigung, er wirkt für die innere und äußere Gestaltung seines Lebens.
Der Staat hat so früh, vor so viel Jahrtausenden, begonnen, das ganze Willensleben der Nation zu umfassen, dass wir – gleichwohl ob Verwandtschaft, Gesellschaft, Religion, Verteidigung seiner zeugenden Kräfte waren – uns nur das universale Gebilde vorzustellen vermögen, und kaum die Paradoxie empfinden, dass alle seine Fakultäten der Politik untergeordnet sind.
Es sollte uns stutzig machen die unermessliche Vielfalt der Verwaltungskörper, Genossenschaften, Verbände, Vereine und Gesellschaften, deren Netz sich täglich mit neuen Fäden verdichtet, so dass keiner von uns mehr sagen kann, wie viele Bindungen in ihm sich verknüpfen. Manche dieser Bindungen, die das bürgerliche, örtliche, berufliche, erwerbliche, gesellige, geistige und religiöse Leben [11] durchadern, führen zum Zentrum des politischen Staates zurück, viele bilden ein losgelöstes, von wechselnden Sonderungen und Gemeinschaften bestimmtes Gewebe.
In Zeiten schwacher und zersplitterter Staatsgewalt mag es geschehen, dass zentrale Funktionen, Rechtspflege, örtliche Verwaltung und Verteidigung, Verkehrswesen sich absplittern und auf Sondervereinigungen übergehen. Im organischen Staatsaufbau dagegen werden die Bindungen sich mehren, die vom Staatskörper ausstrahlen und die Staaten-im-Staat zu zentralisieren trachten.
In einem politischen Staatsmittelpunkt laufen alle Nervenfäden zusammen. Dieser Mittelpunkt, gleichviel ob monarchisch oder republikanisch, demokratisch oder plutokratisch oder feudal: dieser Mittelpunkt ist noch immer der unveränderte Ort, der festgehalten wurde aus der Epoche der politischen Politik, des vorherrschenden Kriegs-, Verteidigungs- und Machtwesens.
Nicht das ich glaubte, in Zukunft werden diese rein politischen Dinge aufhören. Sie werden bestehen neben andern, und auch der letzte aller Kriege ist noch nicht gewesen. Doch sie werden ihre Vorherrschaft verlieren: nein, sie haben sie schon verloren.
Auch die alten Staaten betrieben Verwaltung, Justiz, Wirtschafts-, Religions- und Kulturpolitik, und es wäre ungerecht zu sagen, dass sie diese Werke im Nebenamt betrieben. Wohl aber gleichsam im Ausblick zu einem Höheren: zur äußeren Herrlichkeit und Macht der Nation, zumal wenn sie sich monarchisch verkörperten; der Staat verwaltete sich als Selbstzweck.
Und während er dies zu tun glaubte, musste er mit ärgerlichem Staunen wahrnehmen, dass seine herrschaftlichste Wirkung, die äußere Politik, sich mehr und mehr, [12] ja schließlich ganz in den Dienst einer unpolitischen Funktion stellte, der Wirtschaft; Verwaltung, Erziehung und Religion, die der Staat – eingestanden oder unwissentlich – auf sich genommen hatte um seiner Herrlichkeit willen, wurden unmerklich zu Mitteln des Kampfes, in reaktionären Staaten gegen das Volk, in revolutionären Staaten gegen die Herrenklasse.
Während der Imperialismus der Herrschenden zum Gipfel stieg, war der Staat längst zur Interessenausgleichsstelle, zum Ordnungs- und Verwaltungsmechanismus mit unvollkommener Selbstverwaltung geworden, und weil er dieser Wandlung sich nicht Bewusst werden wollte, trieb er, gestützt auf seine Herrschaftsschichten, den Imperialismus zum Gipfel.
Die zentralistischen Denkformen aber blieben bestehen und wurden zum Unsinn.
Eine zentrale Weisheit, im Falle der Monarchie eine dynastische, mit sittlich gemilderten Hausinteressen, im Falle der Republik eine Parteipolitische wechselnder Färbung, regelte nach außen den Staatenkampf, nach innen den Ausbau und Ausgleich. Die Monarchie sorgte für ihre Rechtfertigung selbst; von der Parlamentsherrschaft wurde stillschweigend angenommen, dass sie eine reine Selbstverwaltung, eine Herrschaft des souveränen Volkes über sich selbst sei.
Zweifellos war sie das im Vergleich zur Monarchie. Sie war es auch, in gewisser Annäherung, an sich selbst gemessen, solange nämlich die „großen“ Fragen, die Fragen nach der Regierungsform, der auswärtigen, der politischen Politik als Zentralfragen erschienen, denen in weitem Abstande sich die „kleineren“ Fragen der Wirtschaft, der Gesellschaft, der Kultur unterordneten. Sie war es, in [13] größerer Annäherung, in Ländern homogener Menschengruppen und Interessen, wie in England und Amerika, wo Interessen- und Idealkomplexe sich zu handgreiflichen Einheiten mit wenig fühlbarer Ortsabstufung geballt hatten.
Der Krieg mit seiner Fortsetzung, dem Frieden, hat die großen Fragen der politischen Politik scheinbar zur höchsten Höhe getrieben, in Wirklichkeit vernichtet. Auch die imperial übersättigten Staaten werden mit eigener Heilung und Erneuerung beschäftigt, nur noch mit einem Grundproblem zu tun haben, dem der Klassen und Schichten. Die auswärtige und politische Politik gibt noch einige Theatervorstellungen, dann tritt sie ab, und an ihrer Stelle steht internationale Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Diese scheinbar materiellsten aller Fragen aber werden entschieden werden durch ideelle Werte: Geist und Sitte. Denn wenn auch in einer schweren Übergangszeit die Monopole der Rohstoffe und Forderungen die Lage entscheiden, so wird auf die Dauer jede Nation so viel empfangen, wie sie gibt. Das ungemessene Geben aber liegt auf der Seite der geistigen Werte.
Nun aber tritt die Fiktion der zentralen Weisheitsmacht und der parlamentarischen Selbstverwaltung deutlich her...

Inhaltsverzeichnis

  1. Inhaltsverzeichnis
  2. Einleitendes Essay: Walther Rathenau, wirtschaftspolitischer Vordenker und Rebell.
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