Vom Kriege
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Über dieses Buch

"Vom Kriege" von Carl von Clausewitz (1780-1831) ist eines der berühmtesten und berüchtigtsten Sachbücher der Literaturgeschichte. Der preußische Kriegsphilosoph gilt als der europäische Strategielehrmeister. Kaum ein Managerkurs verzichtet heute auf "Vom Kriege", um das strategische Denken von Entscheidern zu schärfen. Mit einem einleitenden Essay von Alexander Schug und allen wichtigen Facts zum Buch sowie sechs talking lines für's intelligente Konversieren von Krieger zu Krieger. 100% Sachbuchklassiker: vollständig, kommentiert, relevant, zitierbar.

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Information

Jahr
2011
ISBN
9783940621122

Sechstes Buch: Verteidigung

[338]

Erstes Kapitel: Angriff und Verteidigung

Begriff der Verteidigung
Was ist der Begriff der Verteidigung? Das Abwehren eines Stoßes. Was ist also ihr Merkmal? Das Abwarten dieses Stoßes. Dieses Merkmal also macht jedesmal die Handlung zu einer verteidigenden, und durch dieses Merkmal allein kann im Kriege die Verteidigung vom Angriff geschieden werden. Da aber eine absolute Verteidigung dem Begriff des Krieges völlig widerspricht, weil bei ihr nur der eine Krieg führen würde: so kann auch im Kriege die Verteidigung nur relativ sein, und jenes Merkmal muß also nur auf den Totalbegriff angewendet, nicht auf alle Teile von ihm ausgedehnt werden. Ein partielles Gefecht ist verteidigend, wenn wir den Anlauf, den Sturm des Feindes abwarten; eine Schlacht, wenn wir den Angriff, d. h. das Erscheinen vor unserer Stellung, in unserem Feuer abwarten; ein Feldzug, wenn wir das Betreten unseres Kriegstheaters abwarten. In allen diesen Fällen kommt dem Gesamtbegriff das Merkmal des Abwartens und Abwehrens zu, ohne daß daraus ein Widerspruch mit dem Begriff des Krieges folgt, denn man kann seinen Vorteil darin finden, den Anlauf gegen unsere Bajonette, den Angriff auf unsere Stellung und auf unser Kriegstheater abzuwarten. Da man aber, um wirklich auch seinerseits Krieg zu führen, dem Feinde seine Stöße zurückgeben muß, so geschieht dieser Aktus des Angriffs im Verteidigungskriege gewissermaßen unter dem Haupttitel der Verteidigung, d. h. die Offensive, deren wir uns bedienen, fällt innerhalb der Begriffe von Stellung oder Kriegstheater. Man kann also in einem verteidigenden Feldzuge angriffsweise schlagen, in einer verteidigenden Schlacht angriffsweise seine einzelnen Divisionen gebrauchen, endlich, in der einfachen Aufstellung gegen den feindlichen Sturm schickt man ihm sogar noch die offensiven Kugeln entgegen. Die verteidigende Form des Kriegführens ist also kein unmittelbares Schild, sondern ein Schild, gebildet durch geschickte Streiche.
Vorteile der Verteidigung
Was ist der Zweck der Verteidigung? Erhalten. Erhalten ist leichter als gewinnen, schon daraus folgt, daß die Verteidigung bei vorausgesetzten gleichen Mitteln leichter sei als der Angriff. Worin liegt aber die größere Leichtigkeit des Erhaltens oder Bewahrens? Darin, daß alle Zeit, welche ungenutzt verstreicht, in die Waagschale des Verteidigers fällt. Er erntet, wo er nicht gesäet hat. Jedes Unterlassen des Angriffs aus falscher Ansicht, aus Furcht, aus Trägheit, kommt dem Verteidiger zugute. Dieser Vorteil hat den preußischen Staat im Siebenjährigen Kriege mehr als einmal vom Untergang gerettet. – Dieser, aus Begriff und Zweck sich ergebende, Vorteil der Verteidigung, liegt in der Natur aller Verteidigung und ist im übrigen Leben, besonders in dem dem Kriege so ähnlichen Rechtsverkehr durch das lateinische Sprichwort beati sunt possidentes fixiert. Ein anderer, der nur aus der Natur des Krieges hinzukommt, ist der Beistand der örtlichen Lage, welchen die Verteidigung vorzugsweise genießt.
Nach Feststellung dieser allgemeinen Begriffe wollen wir uns mehr zur Sache wenden.
In der Taktik ist also jedes Gefecht, groß oder klein, ein verteidigendes, wenn wir dem Feinde die Initiative überlassen und sein Erscheinen vor unserer Front abwarten. Von diesem Augenblick an können wir uns aller offensiven Mittel bedienen, ohne daß wir die beiden genannten Vorteile der Verteidigung, nämlich den des Abwartens und den der Gegend, verlieren. In der Strategie tritt zuerst der Feldzug an die Stelle des Gefechts, und das Kriegstheater an die Stelle der Stellung; sodann aber auch der ganze Krieg wieder an die Stelle des Feldzugs und das ganze Land an die Stelle des Kriegstheaters, und in beiden Fällen bleibt die Verteidigung, was sie in der Taktik war.
Daß die Verteidigung leichter sei als der Angriff, ist schon im allgemeinen bemerkt, da aber die Verteidigung einen negativen Zweck hat, das Erhalten, und der Angriff einen positiven, das Erobern, und da dieser die eigenen Kriegsmittel vermehrt, das Erhalten aber nicht, so muß man, um sich bestimmt auszudrücken, sagen: die verteidigende Form des Kriegführens ist an sich stärker als die angreifende. Auf dies Resultat haben wir hinausgewollt; denn, ob es gleich ganz in der Natur der Sache liegt und von der Erfahrung tausendfältig bestätigt wird, so läuft es dennoch der herrschenden Meinung völlig entgegen - ein Beweis, wie sich die Begriffe durch oberflächliche Schriftsteller verwirren können.
Ist die Verteidigung eine stärkere Form des Kriegführens, die aber einen negativen Zweck hat, so folgt von selbst, daß man sich ihrer nur solange bedienen muß, als man sie der Schwäche wegen bedarf, und sie verlassen muß, sobald man stark genug ist, sich den positiven Zweck vorzusetzen. Da man nun, indem man unter ihrem Beistand Sieger wird, gewöhnlich ein günstigeres Verhältnis der Kräfte herbeiführt, so ist auch der natürliche Gang im Kriege, [341] mit der Verteidigung anzufangen, und mit der Offensive zu enden. Es ist also ebensogut im Widerspruch mit dem Begriff des Krieges, den letzten Zweck die Verteidigung sein zu lassen, als es Widerspruch war, die Passivität der Verteidigung nicht bloß vom Ganzen, sondern von allen seinen Teilen zu verstehen. Mit andern Worten: Ein Krieg, bei dem man seine Siege bloß zum Abwehren benutzen, gar nicht widerstoßen wollte, wäre ebenso widersinnig als eine Schlacht, in der die absoluteste Verteidigung (Passivität) in allen Maßregeln herrschen sollte.
Gegen die Richtigkeit dieser allgemeinen Vorstellung könnte man viele Beispiele von Kriegen anführen, wo die Verteidigung in ihrem letzten Ziel nur verteidigend blieb, und an eine offensive Rückwirkung nicht gedacht war; das könnte man, wenn man vergäße, daß hier von einer allgemeinen Vorstellung die Rede ist, und daß die Beispiele, welche man derselben entgegenstellen könnte, sämtlich als solche Falle zu betrachten sind, wo die Möglichkeit der offensiven Rückwirkung noch nicht gekommen war.
Im Siebenjährigen Kriege z. B. dachte Friedrich der Große, wenigstens in den letzten drei Jahren desselben, nicht an eine Offensive; ja wir glauben sogar, daß er überhaupt seine Offensive in diesem Kriege nur wie ein besseres Mittel der Verteidigung angesehen hat; seine ganze Lage nötigte ihn dazu, und es ist natürlich, daß ein Feldherr nur dasjenige im Auge hat, was in seiner Lage zunächst begründet ist. Nichtsdestoweniger kann man dieses Beispiel einer Verteidigung im großen nicht betrachten, ohne dabei den Gedanken einer möglichen offensiven Rückwirkung gegen Österreich dem Ganzen zugrunde zu legen, und sich zu sagen: der Augenblick dazu war nur bis dahin nicht gekommen. Daß diese Vorstellung auch bei diesem Beispiel nicht ohne Realität war, zeigt der Friede; was hatte die Österreicher anders zum Frieden bewegen können, als der Gedanke, daß sie allein nicht imstande sein würden, mit ihrer Macht dem Talent des Königs das Gleichgewicht zu halten, daß ihre Anstrengungen in jedem Fall noch größer sein müßten als bisher, und daß bei dem mindesten Nachlasse derselben, ein neuer Länderverlust zu fürchten sei. Und in der Tat, wer könnte bezweifeln, daß Friedrich der Große, wenn Rußland, Schweden und die Reichsarmee seine Kräfte nicht in Anspruch nahmen, gesucht haben würde, die Österreicher wieder in Böhmen und Mähren zu besiegen?
Nachdem wir also den Begriff der Verteidigung, wie er im Kriege allein genommen werden kann, festgestellt, nachdem wir die Grenze der Verteidigung angegeben haben, kehren wir noch einmal zu der Behauptung zurück, die Verteidigung sei die stärkere Form des Kriegführens.
Aus der näheren Betrachtung und Vergleichung des Angriffs und der Verteidigung wird dies völlig klar hervorgehen; jetzt aber wollen wir nur die Bemerkung machen, in welchen Widersprüchen mit sich selbst und mit der Erfahrung die umgekehrte Behauptung steht. Wäre die angreifende Form die stärkere, so gäbe es keinen Grund mehr, die verteidigende je zu gebrauchen, da diese ohnehin den bloß negativen Zweck hat; jedermann [342] müßte also angreifen wollen, und die Verteidigung wäre ein Unding. Umgekehrt aber ist es sehr natürlich, daß man den höheren Zweck mit größeren Opfern erkauft. Wer stark genug zu sein glaubt, sich der schwächeren Form zu bedienen, der darf den größeren Zweck wollen; wer sich den geringeren Zweck setzt, kann es nur tun, um den Vorteil der stärkeren Form zu genießen. - Sieht man auf die Erfahrung, so wäre es wohl etwas Unerhörtes, daß man bei zwei Kriegstheatern mit der schwächeren Armee den Angriff führte, und die stärkere auf die Verteidigung ließe. Ist es aber von jeher und überall umgekehrt gewesen, so beweist das wohl, daß die Feldherren, selbst bei eigener entschiedener Neigung für den Angriff, dennoch die Verteidigung für stärker halten. Wir müssen in den nächsten Kapiteln noch einige vorläufige Punkte erläutern.

Zweites Kapitel: Wie verhalten sich Angriff und Verteidigung in der Taktik zueinander

Zuerst müssen wir uns nach den Umständen umsehen, welche im Gefechte den Sieg geben.
Von der Überlegenheit und Tapferkeit, Übung oder anderen Eigenschaften des Heeres ist hier nicht zu reden, weil sie in der Regel von Dingen abhängen, die außerdem Gebiete derjenigen Kriegskunst liegen, von der hier die Rede ist, übrigens bei Angriff und Verteidigung dieselbe Wirksamkeit äußern würden; ja, auch die Überlegenheit in der Zahl im allgemeinen kann hier nicht in Betracht kommen, da die Anzahl der Truppen gleichfalls ein Gegebenes ist und nicht in der Willkür des Feldherrn steht. Auch haben diese Dinge zum Angriff und zur Verteidigung keine besondere Beziehung. Außerdem aber scheinen uns nur noch drei Sachen von entscheidendem Vorteil zu sein, nämlich: die Überraschung, der Vorteil der Gegend und der Anfall von mehreren Seiten. Die Überraschung zeigt sich wirksam dadurch, daß man dem Feinde auf einem Punkt viel mehr Truppen entgegenstellt, als er es erwartete. Diese Überlegenheit der Zahl ist von der allgemeinen sehr verschieden, sie ist das wichtigste Agens der Kriegskunst. - Wie der Vorteil der Gegend zum Siege beiträgt, ist an sich verständlich genug, und es ist nur das eine zu bemerken, daß hier nicht bloß von den Hindernissen die Rede ist, welche dem Angreifenden bei seinem Vorrücken aufstoßen, wie: steile Gründe, hohe Berge, [343] sumpfige Bäche, Hecken usw., sondern daß es auch ein Vorteil der Gegend ist, wenn sie uns Gelegenheit gibt, uns verdeckt darin aufzustellen; selbst von einer ganz gleichgültigen Gegend kann man sagen, daß der ihren Beistand genießt, der sie kennt. Der Anfall von mehreren Seiten schließt alle taktischen Umgehungen, groß und klein, in sich, und seine Wirkung gründet sich teils auf doppelte Wirksamkeit der Feuerwaffen, teils auf die Furcht vor dem Abschneiden.
Wie verhalten sich nun Angriff und Verteidigung in Rücksicht auf diese Dinge?
Wenn man die oben entwickelten drei Prinzipe des Sieges im Auge hat, so ergibt sich für diese Frage, daß der Angreifende nur einen geringen Teil des ersten und letzten Prinzips für sich hat, während der größere Teil und das zweite Prinzip ausschließend dem Verteidiger zu Gebote steht.
Der Angreifende hat nur den Vorteil des eigentlichen Überfalles des Ganzen mit dem Ganzen, während der Verteidiger, im Laufe des Gefechts durch Stärke und Form seiner Anfälle unaufhörlich zu überraschen imstande ist.
Der Angreifende hat eine größere Leichtigkeit, das Ganze einzuschließen und abzuschneiden als der Verteidiger, weil dieser schon steht, während jener sich noch in Beziehung auf dieses Stehen bewegt. Aber dieses Umgehen bezieht sich auch wieder nur auf das Ganze, denn im Laufe des Gefechts und für die einzelnen Teile ist der Anfall von mehreren Seiten dem Verteidiger leichter als dem Angreifenden, weil er, wie oben gesagt ist, durch Form und Stärke seiner Anfälle zu überraschen mehr imstande ist.
Daß der Verteidiger den Beistand der Gegend vorzugsweise genießt, ist an sich klar; was aber die Überlegenheit in der Überraschung durch Stärke und Form der Anfälle betrifft, so folgt sie daraus, daß der Angreifende auf Straßen und Wegen einherziehen muß, wo es nicht schwer wird, ihn zu beobachten, während der Verteidiger sich verdeckt aufstellt, und bis zum entscheidenden Augenblicke dem Angreifenden fast unsichtbar bleibt. - Seitdem die rechte Art der Verteidigung Mode geworden ist, sind Rekognoszierungen ganz aus der Mode gekommen, d. h. sie sind unmöglich geworden. Man rekognosziert zwar noch zuweilen, aber man bringt selten viel mit nach Hause. So unendlich groß der Vorteil ist, sich die Gegend zu seiner Aufstellung aussuchen zu können, und mit ihr vor dem Gefecht völlig bekannt zu sein, so einfach es ist, daß der, welcher sich in dieser Gegend in den Hinterhalt legt, der Verteidiger, seinen Gegner viel mehr überraschen muß als der Angreifende, so hat man sich doch noch zur Stunde von den alten Begriffen nicht losmachen können, als sei eine angenommene Schlacht schon eine halb verlorene. Dies kommt von der Art von Verteidigung, die vor zwanzig Jahren und zum Teil auch im Siebenjährigen Kriege Mode war, wo man vom Terrain keinen anderen Beistand, als den einer schwer zugänglichen Front (steile Berglehnen usw.) erwartete, [344] wo die dünne Aufstellung und die Unbeweglichkeit der Flanken eine solche Schwäche gab, daß man sich von einem Berge zum andern hinneckte, und dadurch das Übel immer ärger machte. Hatte man nun eine Art von Anlehnung gefunden, so kam alles darauf an, daß in dieser wie auf einen Stickrahmen ausgespannten Armee kein Loch gestoßen wurde. Das besetzte Terrain bekam auf jedem Punkt einen unmittelbaren Wert, mußte also unmittelbar verteidigt werden. Da konnte also in der Schlacht weder von einer Bewegung noch Überraschung die Rede sein; es war der völlige Gegensatz von dem, was eine gute Verteidigung sein kann, und was sie in der neueren Zeit auch wirklich geworden ist. -
Eigentlich ist die Geringschätzung der Verteidigung immer die Folge einer Epoche, wo eine gewisse Manier der Verteidigung sich selbst überlebt hat, und das war dann auch der Fall mit der oben erwähnten, die früher ihre Zeit hatte, wo sie dem Angriff wirklich überlegen war.
Gehen wir die Ausbildung der neueren Kriegskunst durch, so war im Anfange, d. h. im Dreißigjährigen und im Spanischen Erbfolgekriege, die Entwicklung und Aufstellung der Armee eine der großen Hauptsachen in der Schlacht. Sie war der größte Teil des Schlachtenplanes. Dies gab dem Verteidiger in der Regel große Vorteile, weil er schon aufgestellt und entwickelt war. Sobald die Manövrierfähigkeit der Truppen größer wurde, hörte dieser Vorteil auf, und der Angreifende bekam auf eine Zeitlang das Übergewicht. Nun suchte der Verteidiger Schutz hinter Flüssen, tiefen Taleinschnitten und auf Bergen. Dadurch bekam er abermals ein entschiedenes Übergewicht, welches solange dauerte, bis der Angreifende so beweglich und gewandt wurde, daß er sich in die durchschnittene Gegend selbst wagen, und in getrennten Kolonnen angreifen, also den Gegner umgehen konnte. Dies führte zu der immer größeren Ausdehnung, bei welcher nun der Angreifende auf die Idee gebracht werden mußte, sich auf ein Paar Punkte zu konzentrieren, und die dünne Stellung zu durchstoßen. Dadurch bekam der Angreifende das Übergewicht zum drittenmal, und die Verteidigung mußte ihr System abermals ändern. Das hat sie in den letzten Kriegen getan. Sie hat ihre Kräfte in großen Massen zusammengehalten, diese meistens unentwickelt, wo es anging, auch verdeckt aufgestellt, und sich also bloß in Bereitschaft gesetzt, den Maßregeln der Angreifenden zu begegnen, wenn diese sich näher entwickeln würden.
Dies schließt nicht die teilweise passive Verteidigung des Bodens ganz aus; der Vorteil davon ist zu entschieden, als daß die Benutzung desselben nicht hundertmal in einem Feldzuge vorkommen sollte. Aber diese passive Verteidigung des Bodens ist gewöhnlich nicht mehr die Hauptsache, und darauf kommt es hier an.
Sollte der Angreifende irgendein neues großes Hilfsmittel erfinden, welches doch bei der Einfachheit und inneren Notwendigkeit, zu der alles gediehen ist, nicht wohl abzusehen ist, so wird die Verteidigung auch ihr Verfahren [345] ändern müssen. Immer aber wird ihr der Beistand der Gegend gewiß sein, und weil Gegend und Boden jetzt mehr als je den kriegerischen Akt mit ihren Eigentümlichkeiten durchdringen, ihr im allgemeinen ihre natürliche Überlegenheit sichern.

Drittes Kapitel: Wie verhalten sich Angriff und Verteidigung in der Strategie zueinander

Fragen wir wieder zuerst:
Welches sind die Umstände, die in der Strategie den glücklichen Erfolg geben?
In der Strategie gibt es keinen Sieg, wie das schon früher gesagt ist. Der strategische Erfolg ist, von der einen Seite die glückliche Vorbereitung des taktischen Sieges; je größer dieser Erfolg ist, um so unbezweifelter wird der Sieg im Gefecht. Von der anderen Seite ist der strategische Erfolg die Benutzung des erfochtenen Sieges. Je mehr Ereignisse die Strategie imstande gewesen ist, durch ihre Kombinationen nach einer gewonnenen Schlacht, in die Folgen derselben hineinzuziehen, je mehr sie da der nachfallenden Trümmer, deren Grundfeste durch die Schlacht erschüttert worden, an sich reißen kann, je mehr sie mit großen Zügen scharenweise eintreibt, was in der Schlacht selbst mühevoll einzeln errungen werden mußte: um so glücklicher ist ihr Erfolg. - Diejenigen Dinge nun, welche diesen Erfolg vorzüglich herbeiführen oder erleichtern, also die Hauptprinzipe der strategischen Wirksamkeit, sind folgende:
1. Der Vorteil der Gegend.
2. Die Überraschung, entweder wie im eigentlichen Überfall oder durch die unvermutete Aufstellung größerer Kräfte auf gewissen Punkten.
3. Der Anfall von mehreren Seiten; alle drei wie in der Taktik.
4. Der Beistand des Kriegstheaters durch Festungen und alles was dazugehört.
5. Der Beistand des Volkes.
6. Die Benutzung großer moralischer Kräfte.7
[346] Wie verhalten sich nun Angriff und Verteidigung in Rücksicht auf diese Dinge?
Der Verteidiger hat den Vorteil der Gegend, der Angreifende den des Überfalles; dies ist in der Strategie wie in der Taktik. Vom Überfall ist aber zu bemerken, daß er in der Strategie ein unendlich viel wirksameres und wichtigeres Mittel ist, als in der Taktik. In dieser wird man einen Überfall selten bis zum großen Sieg ausdehnen können, wogegen ein Überfall in der Strategie nicht selten den ganzen Krieg mit einem Streich geendigt hat. Wieder aber ist zu bemerken, daß der Gebrauch dieses Mittels große, entschiedene, seltene Fehler beim Gegner voraussetzt, daher es in die Waagschale des Angriffs kein sehr großes Gewicht legen kann.
Die Überraschung des Gegners durch Aufstellen überlegener Kräfte auf gewissen Punkten hat wieder sehr viel Ähnliches mit dem analogen Fall in der Taktik. Wäre der Verteidiger gehalten, seine Kräfte auf mehrere Zugangspunkte seines Kriegstheaters zu verteilen, so hätte der Angreifende offenbar den Vorteil, mit voller Macht auf einen Teil zu fallen.
Allein auch hier hat die neue Verteidigungskunst, durch ein anderes Verfahren unmerklich andere Grundsätze herbeigeführt. Befürchtet der Verteidigende nicht, daß sich der Gegner in einer nicht besetzten Straße auf ein bedeutendes Magazin oder Depot, oder auf eine unvorbereitete Festung, oder auf die Hauptstadt werfe, - oder muß er sich nicht deswegen dem Angreifenden auf der gewählten Straße gerade entgegenwerfen, weil er sonst den Rückzug verlieren würde, so ist kein Grund vorhanden, seine Kräfte zu verteilen; denn wenn der Angreifende eine andere Straße wählt, als die, auf welcher er den Verteidiger findet, so kann dieser ihn einige Tage später, immer noch mit seiner ganzen Macht auf dieser Straße aufsuchen; ja, er kann sogar in den meisten Fällen sicher sein, daß der Angreifende ihm die Ehre erzeigen wird, ihn selbst aufzusuchen. - Sieht sich aber der letztere veranlaßt, selbst mit geteilten Kräften vorzurücken, welches der Verpflegung wegen oft kaum zu vermeiden ist, so ist der Verteidigende offenbar in dem Vorteil, mit seiner ganzen Macht auf einen Teil seines Gegners fallen zu können.
Die Flanken- und Rückenangriffe verändern ihre Natur in der Strategie, wo sie sich auf den Rücken und die Seiten der Kriegstheater beziehen, in einem hohen Grade.
1. Fällt die doppelte Wirkung des Feuers weg, weil man nicht von dem einen Ende des Kriegstheaters bis zum anderen hinschießt.
2. Die Furcht, den Rückzug zu verlieren, ist bei dem Umgangenen sehr viel schwächer, denn die Räume lassen sich in der Strategie nicht sperren, wie in der Taktik.
[347] 3. Es tritt in der Strategie, des größeren Raumes wegen, die Wirksamkeit der inneren, d. h. der kürzeren Linien stärker hervor, und bildet ein großes Gegengewicht gegen die Anfälle von mehreren Seiten.
4. Ein neues Prinzip erscheint in der Empfindlichkeit der Verbindungslinien, d. h. in der Wirkung, welche aus ihrer bloßen Unterbrechung hervorgeht.
Nun ist es allerdings in der Natur der Sache, daß in der Strategie, wegen der größeren Räume das Umfassen, der Anfall von mehreren Seiten in der Regel nur demjenigen zusteht, welcher die Initiative hat, also dem Angreifenden, und daß der Verteidiger nicht, wie in der Taktik, imstande ist, im Verlauf der Handlung den Umfassenden wieder zu umfassen, weil er seine Streitkräfte weder in solcher verhältnismäßigen Tiefe, noch so verborgen aufstellen kann; aber was hilft dem Angriff die Leichtigkeit des Umfassens, wenn die Vorteile desselben nicht vorhanden sind? Man würde daher in der Strategie den umfassenden Angriff überhaupt nicht als ein Prinzip des Sieges aufstellen können, wenn nicht die Wirkung auf die Verbindungslinien in Betracht käme. Aber dieser Faktor ist im ersten Augenblick, wo Angriff und Verteidigung einander begegnen und noch in ihrer einfachen Stellung gegeneinander sind, selten groß; er wird erst groß im Verlauf eines Feldzuges, wenn der Angreifende in Feindes Land nach und nach zum Verteidiger wird; dann werden die Verbindungslinien dieses neuen Verteidigers schwach, und der ursprüngliche Verteidiger kann von dieser Schwäche als Angreifender Nutzen ziehen. Wer sieht aber nicht, daß diese Überlegenheit des Angriffs ihm im allgemeinen nicht zugerechnet werden kann, da sie eigentlich aus höheren Verhältnissen der Verteidigung geschöpft ist. Das vierte Prinzip: der Beistand des Kriegstheaters, ist natürlich auf der Seite des Verteidigers. Wenn die angreifende Armee den Feldzug eröffnet, so reißt sie sich von ihrem Kriegstheater los, und wird dadurch geschwächt, d. h. sie läßt Festungen und Depots aller Art zurück. Je größer der Operationsraum ist, den sie zu durchschreiten hat, um so mehr wird sie geschwächt (durch den Marsch und durch Besatzungen); die verteidigende Armee bleibt mit allem dem verbunden, d. h. sie genießt den Beistand ihrer Festungen, wird durch nichts geschwächt und ist ihren Hilfsquellen näher.
Der Beistand des Volks als fünftes Prinzip, findet zwar nicht bei jeder Verteidigung statt, denn es kann einen Verteidigungsfeldzug in Feindesland geben, aber dieses Prinzip geht doch nur aus dem Begriff der Verteidigung hervor, und findet seine Anwendung in den allermeisten Fällen. Übrigens ist hiermit vorzugsweise, aber doch nicht ausschließend, die Wirksamkeit eines Landsturms und einer Nationalbewaffnung gemeint, und es gehört auch dahin, daß alle Friktion geringer und alle Hilfsquellen näher sind und reichhaltiger fließen.
[348] Eine deutliche Anschauung von der Wirksamkeit der unter 3 und 4 genannten Mittel, wie im Vergrößerungsspiegel, gibt der Feldzug von 1812: 500000 Mann gingen über den Njemen, 120000 schlugen die Schlacht von Borodino, und noch weniger kamen nach Moskau.
Man kann sagen: die Wirkung dieses ungeheuren Versuchs war so groß, daß die Russen, auch wenn sie gar keine Offensive hätten folgen lassen, sich doch auf geraume Zeit vor einem neuen Einbruch gesichert haben würden. Freilich ist, mit Ausnahme Schwedens, kein europäisches Land in einer ähnlichen Lage wie Rußland, aber das wirkende Prinzip bleibt dasselbe und unterscheidet sich nur in dem Grade...

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung: Was Manager und andere Strategen von Clausewitz lernen können
  2. Vorrede [zur ersten Auflage]
  3. Nachricht
  4. Vorrede des Verfassers
  5. Erstes Buch: Über die Natur des Krieges
  6. Zweites Buch: Über die Theorie des Krieges
  7. Drittes Buch: Von der Strategie überhaupt
  8. Viertes Buch: Das Gefecht
  9. Fünftes Buch: Die Streitkräfte
  10. Sechstes Buch: Verteidigung
  11. Skizzen zum siebenten Buch: Der Angriff
  12. Skizzen zum achten Buch: Kriegsplan