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1. Akt
Eine Bar oder Kneipe. Zwei Tische mit Stühlen, ein Tresen mit Barhockern. Der Raum ist leer bis auf B, der hinter dem Tresen steht. Während des ganzen ersten und zweiten Akts ist B hauptsächlich hinter dem Tresen. Von dort aus beobachtet er das Geschehen und kümmert sich um seine Aufgaben als Barkeeper. Von Zeit zu Zeit geht er zu Gästen an die Tische, nimmt Bestellungen auf oder serviert Getränke, bringt kleine Schälchen mit Erdnüssen oder kontrolliert den Füllstand von Salz- und Zuckerstreuern. Auf diese Weise kann er sich immer wieder in Gespräche an den Tischen einklinken, ohne das gesamte Gespräch mitzuverfolgen. Längere Gespräche führt er sonst am Tresen, wobei B auch dann oft nur höflich zuhört.
Szene 1 Wahrscheinlich kein Gott
F tritt auf und geht auf B zu.
F Entschuldigung, eine Frage: Dürfte ich wohl dieses Plakat bei Euch aufhängen?
B Um was geht es denn?
F Eine Aufklärungskampagne der Freidenker: «Es gibt wahrscheinlich keinen Gott … sorge dich nicht, und geniess das Leben!»
B Na, wenn Sie keine anderen Sorgen haben. Sie können’s da drüben dazuhängen, neben Verkehrsinitiative und Welthungerhilfe.
F Zapfst Du mir in der Zwischenzeit ein Bier, bitte?
B Gern.
F hängt das Plakat auf und kommt dann zum Tresen zurück.
B Verzeihen Sie mir eine dumme Frage: «Geniess das Leben» verstehe ich, aber: Was ist eigentlich «Gott», den es wahrscheinlich nicht gibt?
F Wenn Sie das mit dem Geniessen verstehen, dann ist doch schon alles in Ordnung. Wieso wollen Sie sich für etwas interessieren, das es nicht gibt? Was Gott ist, hängt ganz vom Betrachter ab. Sehr oft ist Gott eine Verschleierungstaktik für Menschen, die nicht nachdenken wollen oder die nicht glauben, dass alles naturwissenschaftlich |17| erklärbar ist. Gott sendet den Regen nach langer Dürre. Er straft mit dem Erdbeben. Er schleudert den Blitz. Oder er ist eine Verschleierungstaktik, weil jemand das eigentliche Wort nicht nennen will. Dann meint «Gott» das Leben selbst. Oder den Sinn. Oder einen Zufall.
B Aber Leben und Sinn gibt es doch?
F Ja, nur: Wer «Gott» sagt, dem reicht das anscheinend nicht! Wenn Sie das Wort Gott hören, können Sie an dessen Stelle eigentlich immer ein anderes Wort setzen, das die betreffende Sache besser erklärt und begründet. Versuchen Sie das mal! Manche brauchen auch Gott, weil sie nicht wissen, woher wir kommen oder wohin wir gehen. Das wissen wir aber inzwischen von der Naturwissenschaft: Urknall und entropische Endharmonie.
B Entro … was für Harmonie?
F Nach den Gesetzen der Physik nimmt die Entropie, also die thermische Unordnung in einem abgeschlossenen System, zum Beispiel in unserem Universum, immer zu. Wenn Sie an einer Stelle Ordnung schaffen, müssen Sie Arbeit aufwenden, und das erzeugt irgendwo anders ungeordnete Wärmebewegung, also gleich viel oder noch mehr Unordnung. Irgendwann wird das ganze Universum lediglich aus gleichmässiger Wärmebewegung bestehen, ungeordnet, aber widerspruchsfrei; harmonisch.
B Kein Platz für Gott?
F Kein Platz für Gott! Er sieht E am Eingang des Lokals. Aber, wie sagt der Volksmund: Wenn man vom Teufel spricht … Fragen Sie doch den örtlichen Vertreter Gottes. Der erzählt sicher so von Gott, als hätte er mit ihm im Sandkasten gespielt.
Szene 2 Von Kohelet zum Multiversum
E kommt in das Lokal. Er ist jetzt nicht mehr im Ornat, wie noch im Chor, trägt aber Soutane oder zumindest römischen Kragen.
E Ein Bier bitte.
B Entschuldigen Sie, aber sind Sie von der Kirche?
E Ja, ich bin Bischof.
B Der Herr hier hat eben ein Plakat aufgehängt, und jetzt fragen wir uns, was eigentlich «Gott» ist. |18|
E Gott ist anders. Was immer Sie sich unter Gott vorstellen, seien Sie sich bewusst, dass Gott auch noch ganz anders ist. Es ist eine komplizierte Frage, die Sie sich da stellen.
F Es ist eine einfache Frage. Und die Antwort ist auch einfach: Gott kommt aus der Angst. Angst vor dem Tod. Angst vor der Natur um uns. Angst vor den Menschen, vor allem natürlich vor den bösen Menschen, von denen wir täglich hören. Gott ist etwas, das es nicht gibt. Aber es eignet sich prima, um den Menschen noch mehr Angst zu machen, um sie besser unterdrücken zu können, um ihnen eine Wahrheit und fixe Moral aufzuzwingen, um Kirchensteuer abzupressen und um die Herrschaft der mächtigen Klasse zu zementieren.
E Das hat für viele historische Götterkulte gegolten, und ich gebe zu, dass auch die christlichen Kirchen immer wieder in diese Macht-Falle getappt sind. Eine Falle übrigens, die jede Religion und jede Ideologie kennt. Aber heute geht es den Kirchen um das Wohl der Menschen: Die Trauer und die Ängste der Menschen, das sind auch Trauer und Angst der Jünger Christi, so haben es die Bischöfe aus aller Welt auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil formuliert, und so gilt es bis heute.
F Die Kirchen torpedieren doch überall das Schöne im Leben. Ihr drückt mit Eurem Gott die Menschen doch lediglich noch tiefer in ihr Leid und lasst sie da hängen: Tragt euer Kreuz, wie Christus. Oder etwa nicht? Es gibt wahrscheinlich keinen Gott … sorge dich nicht, und geniess das Leben!
E Iss und trink, und freu dich an der Liebe.
F Genau.
E Jeden Tag deines Lebens.
F Wenn möglich! Für mich wäre das das Ziel.
E nimmt eine Bibel aus seiner Tasche und blättert darin Dann iss und trink, und freu dich an der Liebe jeden Tag deines Lebens voll Windhauch, den der Herr, dein Gott, dir gegeben hat. Kohelet.
F Wie bitte?
E Kohelet.
F Doch nicht etwa ein Kirchenlehrer?
E Ein jüdischer Weisheitslehrer. Aber es ist auch unsere Weisheit!
B Na, dann seid Ihr Euch ja einig: Ob es ihn gibt oder nicht, iss, trink, freu dich. |19|
F Mach Dir keine Sorgen. Macht die Kirchen dicht – die Frage nach Gott ist hinfällig. Es bleibt das «freu dich jeden Tag deines Lebens».
E Nicht ganz.
F Wusst’ ich es doch. Ihr seid ewig uneinsichtig – sogar wenn’s in der Bibel steht!
B Freu dich an der Liebe?
E Auch, aber wichtiger: Voll Windhauch. Unser Leben ist von Vergänglichkeit durchzogen, es ist nur hingehaucht; es ist oft zu schnell ausgehaucht. Das ist der Grund, warum wir uns Sorgen machen müssen; das ist der Grund für unser Hinterfragen; das ist der Grund, warum wir nicht jeden Tag essen, trinken, noch nicht einmal jeden Tag uns an der Liebe – in Liebe – freuen können. Und es ist auch der Grund dafür, dass dieser Satz nich...