Ruhm und Nachruhm
Da wir von Felix KrullMann, ThomasBekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull sprechen: Thomas MannMann, Thomas gehört so offensichtlich zu deinen Meistern wie NabokovNabokov, Vladimir. Warum eigentlich? Ich kenne Leute, die deine Bücher sehr gern lesen, aber gleichzeitig mit Thomas MannMann, Thomas dezidiert nichts anfangen können und wollen, weil ihnen das Preziöse, das demonstrativ Gekonnte, das Abendländisch-Gebildete – und ich könnte noch ein paar Schlagwörter dieser Art aufzählen – auf die Nerven geht.
Aber das ist ja alles ein Irrtum. Das muss ich ausgerechnet dir nicht sagen. Man muss immer und immer wiederholen, dass Thomas MannMann, Thomas ein dermaßen unterhaltsamer, komischer Erzähler ist, ein sehr postmoderner übrigens auch, um das berüchtigte Wort mal zu verwenden. Was ist der JosephMann, ThomasJoseph und seine Brüder, wenn nicht auch ein großes postmodernes Genrespiel!
Und wie sieht der FaustusMann, ThomasDoktor Faustus aus, wenn man ihn zur Abwechslung nicht als einen NietzscheNietzsche, Friedrich- oder AdornoAdorno, Theodor W.-Roman liest, sondern als eine Horrorgeschichte!
Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Das stimmt.
Und es könnte immerhin sein, dass Edgar Allan PoePoe, Edgar Allan am Ende mehr für den FaustusMann, ThomasDoktor Faustus getan hat als AdornoAdorno, Theodor W..
AdornosAdorno, Theodor W. Einfluss hat den Roman vielleicht sogar beschädigt. Dieses große Letztmaligkeitspathos, dass also die große Kultur am Ende sei, das hat mich mit neunzehn ungeheuer beeindruckt, es hat mich fast überzeugt – aber es stimmte ja überhaupt nicht, es sind seit dem Doktor FaustusMann, ThomasDoktor Faustus, nach dem »Endspiel«, in dem Thomas MannMann, Thomas auch sich selbst sah, noch einige der größten Romane der Literaturgeschichte erschienen. Und es wurde nach Adrian Leverkühns Zeit viel erstklassige Musik komponiert.
Sogar Jazzmusik und, horribile dictu, Rock ’n’ Roll.
Die vollkommene Abwesenheit von Jazz in all den musikalischen Überlegungen des Romans ist auch ein unglückseliges AdornoAdorno, Theodor W.-Erbe.
Thomas MannMann, Thomas selbst hat einen seiner komischsten, zauberischsten Romane nach dem FaustusMann, ThomasDoktor Faustus und geradezu als Anti-Faustus geschrieben, den ErwähltenMann, ThomasDer Erwählte.
Das ist ein hinreißendes Buch! Und es passt auf besonders signifikante Weise nicht ins Thomas-MannMann, Thomas-Klischee, mit seiner Leichtigkeit, seinem Witz, seiner Grazie. Überhaupt finde ich, dass es bei Thomas MannMann, Thomas ein ganz merkwürdiges Rezeptionsmissverständnis gibt. Wer immer etwas Schlechtes über ihn sagen wollte, hat betont, dass er so kalt sei, du hast das ja vorhin schon zitiert, und so unemotional, und dabei wurden seine Bücher immerzu von Scharen von Lesern mit größter Begeisterung gelesen, von Lesern, die sich gepackt fühlten. Wenn man ihn dann im Hinblick darauf noch einmal liest, kommt man nicht umhin zu bemerken, dass unter den großen deutschen Schriftstellern wenige eine solche emotionale Wucht haben wie er. MannMann, Thomas kann wahnsinnig komisch sein, und er traut sich gewaltiges Pathos zu, er traut dem Pathos. So etwas wie die Sterbeszene von Mont-kaw im JosephMann, ThomasJoseph und seine Brüder ist ja umwerfend, überhaupt seine großen Sterbeszenen, das fängt schon bei Der kleine Herr FriedemannMann, ThomasDer kleine Herrn Friedemann und der Konsulin Buddenbrook an, und es geht bis zum Sterben Rahels. Oder bis zum elenden Tod des kleinen Echo. Auch über die Kälte kann er so schreiben, dass es dich packt …
»Thomas Mann ist ein ganz großer Pathetiker, er hat Mut zur emotionalen Wucht wie zum Spiel.«
… also alles andere als kalt.
Denk daran, wie der Teufel Adrian Leverkühn sagt, dass er nicht lieben darf. Hier verwechselt man den Inhalt mit der : Adrian wird zur Kälte verurteilt, aber der Roman, in dem das steht, ist von gewaltigem Pathos. Thomas MannMann, Thomas ist ein ganz großer Pathetiker, er hat Mut zur emotionalen Wucht wie zum Spiel, und er hat einen trockenen, aber doch immer wieder verblüffenden Humor. Wenn er will, ist er witzig.
Und dann kommt noch etwas hinzu, das seltsamerweise noch seltener gesagt wird: Vom Essayisten Thomas MannMann, Thomas kann man wirklich lernen, weil seine Essays nicht nur phantastisch geschrieben sind, das versteht sich von selbst, sondern weil er auch fast immer recht hat.
Genau das hat BorgesBorges, Jorge Luis über Oscar WildeWilde, Oscar gesagt und hatte dabei wie fast immer recht.
Und es stimmt auch für Thomas MannMann, Thomas. Während NabokovNabokov, Vladimir etwa, wenn er sich als Kritiker betätigt, in erstaunlich vielen Fällen unrecht hat! Ich habe heute etwas mehr Distanz zu MannMann, Thomas, als ich sie mit zwanzig, einundzwanzig hatte. Zum Beispiel traue ich mich jetzt, wenn ich den KrullMann, ThomasBekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull wiederlese, in der zweiten Hälfte zu sagen: Na ja, da ist er nicht mehr ganz auf der Höhe.
Das fand er zu seinem Kummer ja auch selbst. Da gibt es Passagen, die lesen sich wie von einem etwas mühsamen Thomas-Mann-Imitator.
Ja, leider. Sogar in Der ZauberbergMann, ThomasDer Zauberberg gibt es Seiten, bei deren Lektüre ich denke, die würden mir nicht fehlen, wenn sie gestrichen wäre...