ACID IST FERTIG
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ACID IST FERTIG

Eine kleine Kulturgeschichte des LSD

  1. 158 Seiten
  2. German
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ACID IST FERTIG

Eine kleine Kulturgeschichte des LSD

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Über dieses Buch

Im April 1943 entdeckte der Schweizer Chemiker Albert Hofmann die bewusstseinsverändernde Wirkung des LSD. Schnell erkannten Psychotherapeuten das Potenzial der Substanz und verwendeten es zur Behandlung von Alkoholismus und zur beschleunigten Psychoanalyse. Die CIA erhoffte sich gar einen Einsatz als Wahrheitsserum und machte durch landesweite Testreihen unzählige Amerikaner mit LSD bekannt. Vor allem bei Dichtern, Musikern und Malern bewirkte das Stimulanz eine Steigerung der Kreativität. Durch die Hippies wurde "Acid" zu einer Jugend- und Modedroge - ja, es prägte die Sixties erst als eigene Ära. Die Beatles transformierten unter LSD zu Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band, Robert Crumb erfand den Underground-Comic und alternative Filmerzählungen wie Easy Rider begründeten New Hollywood. Nach einem weltweiten Verbot verschwand die Superdroge im Untergrund und spielte lange Zeit kaum eine Rolle. Aktuell deutet sich jedoch eine Renaissance an als Hilfsmittel in der Psychotherapie. Mit LSD können die Todesängste terminaler Krebspatienten ebenso behandelt werden wie Depressionen und Drogensüchte."Es gibt kaum einen anderen Wirkstoff von so weit reichendem kulturellen und gesellschaftlichen Einfluss wie Lysergsäurediethylamid - LSD. Psychiater, Psychologen, Verhaltensforscher, Theologen, Philosophen, Maler, Schriftsteller und Musiker bedienten sich der bewusstseinsverändernden Droge, die ihre Bedeutung bis heute nicht verloren hat." (Prof. Dr. Peter Nuhn, Pharmazeutische Zeitung)

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Information

Jahr
2017
ISBN
9783864082153

Die Sechziger.


Wenn wir von den Sechzigern oder peppiger: den Sixties sprechen, meinen wir sowohl die Dekade als auch eine Ära. Gemeinhin haben wir dann bestimmte Bilder vor Augen: Studentenproteste, Mädchen in Miniröcken, Männer mit langen Haaren, Spiralmuster, Woodstock. Analog zum britischen Historiker Eric Hobsbawn, der von einem „kurzen 20. Jahrhundert“ sprach und damit die Zeitspanne von 1914 bis 1991 meinte, können wir von den Sixties als „kurzer Dekade“ sprechen. Die Ära der Sixties trieb irgendwann zwischen 1965 und 1966 ihre Knospen, als aus Beatniks und Beatles eine neue Jugendkultur erblühte: die Hippies. Die Hippies gingen gegen den Vietnamkrieg auf die Straße und für die freie Liebe ins Bett. Die Hippies probierten alternative Formen des Zusammenlebens aus und glaubten an die Ankunft einer neuen Epoche in der Menschheitsgeschichte, dem Zeitalter des Wassermanns. Damit waren auch sie die Kinder einer Zeit, die trotz Kaltem Krieg und atomarer Bedrohung von Fortschrittsgläubigkeit geprägt war. Neuartige Kunststoff ersetzten klassische Materialien wie Holz, Glas, und Metall. Menschen flogen ins All und landeten auf dem Mond. Besonders der Einfluss der Raumfahrt auf die LSD-Kultur darf nicht unterschätzt werden, denn parallel zu Kosmonauten und Astronauten bereiste man als Psychonaut oder Neuronaut den eigenen Nervenkosmos. LSD wurde zum Allheilmittel erklärt, das aus jedem Spießer einen besseren Menschen und aus allen zusammen eine bessere Gesellschaft machen konnte. Acid war das Sakrament des psychedelischen Zeitalters, der biochemische Weg zu Gott. Die Hippie-Welle in den USA wurde an der Ostküste von Timothy Leary und an der Westküste von Ken Kesey losgetreten und schwappte spätestens im „Sommer der Liebe“ über das ganze Land.
Im April 1966 verpasste das TIME-Magazin der britischen Hauptstadt den Beinamen „Swinging London“. Fast alle Bereiche der Popkultur (Mode, Malerei, Werbung und TV) gerieten in den Strudel einer neuartigen Kunterbuntheit, doch nirgendwo wirkte das psychedelische Zeitalter so transformierend, wie in der Musik. The Byrds flogen 1966 „Eight Miles High“ und landeten damit den ersten psychedelischen Tophit. Vordergründig ging es um eine Flugreise nach London, aber der Titel und das angejazzte Gitarrenspiel machten nicht nur die BBC misstrauisch. Weitere Künstler zogen nach. Der Schotte Donovan erzielte mit der Single „Sunshine Superman/The Trip“ seinen einzigen Nummer-Eins-Hit in den USA, Count Five warnten von einer „Psychotic Reaction“, The Animals schwärmten von „A Girl Named Sandoz“ und die Amboy Dukes machten eine „Journey To The Center Of The Mind“. Die britische Band The Smoke war mit ihrer Single „My Friend Jack (eats sugarlumps)“ vor allem in Deutschland erfolgreich, während Jefferson Airplane mit „White Rabbit“ einen zeitlosen Klassiker hervorbrachten. Jimi Hendrix stellte 1967 die alles entscheidende Frage: „Are You Experienced?“, und Eric Burdon antwortete noch im selben Jahr: „Yes I Am Experienced“. Und für den Jazzpianisten Horace Silver wurde die Single-Auskopplung „Psychedelic Sally“ 1968 ein großer Erfolg.
Während sich die Jugend prächtig amüsierte, war die Elterngeneration bereits dabei, der ganzen Party ein Ende zu bereiten. Schon im Oktober 1966 kam das LSD-Verbot in Kalifornien, zwei Jahre darauf in allen übrigen Staaten der USA. Allerdings schoss die Regierung über das Ziel hinaus und untersagte nicht nur die Herstellung, den Besitz und den Erwerb, sondern auch das Forschen mit LSD. Ihrer Meinung nach besaß die Substanz plötzlich keinerlei therapeutischen Wert mehr und wurde in die höchste Gefahrenklasse eingestuft. Dafür überschwemmten neue, gefährlichere Drogen den Schwarzmarkt, Kokain, Heroin, Angel Dust und STP. Ein englischer Gitarrist namens Eric Clapton machte eine traumatische Einstiegserfahrung, als ihm Mickey Dolenz, Sänger der Boygroup The Monkees, im Sommer 1967 „Super-LSD“ in die Hand drückte. „Super-LSD“ ist alles andere als Lysersäurediäthylamid, also kein LSD. STP (auch: DOOM) ist ein vollsynthetisches Halluzinogen aus der Apothekerfamilie der Amphetamine, Wirkungsweise und Wirkungsdauer sind völlig anders. Clapton glaubt sich zu erinnern:
„Ich hatte keine Ahnung, was das war, aber irgendjemand erklärte mir, dass es sich dabei um superstarkes Acid handelte, dessen Wirkung tagelang anhalten würde. Wir nahmen alle eine Tablette bis auf Charlotte, die für den Notfall verabredungsgemäß nüchtern blieb […] Ich blieb drei Tage lang high. Ohne Charlottes Begleitung wäre ich wahrscheinlich verrückt geworden. Die meiste Zeit sah ich die Welt durch eine mit Hieroglyphen und mathematischen Gleichungen beschriftete Scheibe.“16
Auch andere Musiker machten mit Drogen Bekanntschaft, die nichts mit LSD gemein, aber dafür fatale Folgen hatten. Nacheinander starben unter merkwürdigen Umständen und durchweg im Alter von 27 Jahren Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison. Viele Musikjournalisten machen an diesen Toten zugleich das Ende der Sixties fest, andere sehen die Morde der Manson-Family und das Gratis-Konzert der Rolling Stones auf dem Altamont Speedway, bei dem ein Zuschauer von Hell’s Angels erstochen wurde, als Sargnägel der Hippiebewegung. Das kann man so sehen, wenn man augenfällige Zeichen sucht. Allerdings spielten Hippies und LSD bis weit in die siebziger Jahre hinein eine Rolle.

1960 Ken Kesey: Trip or Treat

Ken Kesey hat mit 25 Jahren einen Debütroman vorgelegt, der von Kirk Douglas als Bühnenstück adaptiert und von Miloš Forman mit Jack Nicholson in der Hauptrolle verfilmt wurde: „Einer flog über das Kuckucksnest“. Die Geschichte handelt von einem verhaltensauffälligen Außenseiter, der sich in eine Irrenanstalt einweisen lässt, um nicht ins Gefängnis zu müssen. Dort verbrüdert er sich mit den Insassen und macht deutlich, wie verrückt das Anstaltsregime und somit die Gesellschaft eigentlich sind.
Noch Ende der Fünfziger Jahre war Kesey ein vielversprechender Vorzeigeamerikaner: groß, blond sportlich und musisch begabt. Der Ringer-Champion hatte sich 1958 mit einem Stipendium für Kreatives Schreiben an der Stanford University eingeschrieben und ein Studentenzimmer in der Perry Lane bezogen. Die Perry Lane, „ein Arkadien gleich hinter dem Golfplatz der winzigen Stadt“ (Wolff, Kool-Aid Acid Test), war das Zuhause von weiteren angehenden Schriftstellern, Beatniks und Bohémiens. Kesey arbeitete zunächst an einem Roman, der den Arbeitstitel „Zoo“ trug. Um Geld zu verdienen, meldete er sich als Nachtwächter in der psychiatrischen Abteilung des nahegelegenen Menlo Park Veterans Hospitals. Da nachts nicht viel passierte, konnte er nebenher an seinem Buch arbeiten.
Kesey erfuhr von einem Forschungsprogramm im Veterans Hospital, bei dem im Auftrag der Regierung verschiedene neuartige Gehirndrogen getestet wurden. Für eine Sitzung erhielt ein freiwilliger Proband 75 Dollar Aufwandsentschädigung.17 Der Kraftprotz aus Oregon nahm an der CIA-finanzierten Studie teil und lernte die machtvolle Wirkung von LSD, Meskalin, Psilocybin, IT-290 und anderen Substanzen kennen. Trotz ihrer rabiaten Wirkung gefielen Kesey die „psychotomimetischen Drogen“. „Es war so, als würde uns eine große Hand am Kragen packen und uns über zwölf Stunden festhalten. Es war höllisch, denn plötzlich sahen wir uns selbst, all die Dinge, die wir gemacht hatten, die Fehler, die Schwächen, die Grausamkeiten.“18 Der Top-Athlet wollte mehr davon, freundete sich mit dem zuständigen Arzt an und besorgte sich Nachschub. Nun konnte er auf eigene Faust und in lockerer Runde mit Phantastika experimentieren. Beispielsweise bereitete man ein leckeres Wildbret-Chili, gab ein Prischen LSD dazu und harrte freudig der Dinge, die da kommen mochten. Kesey und sein Kreis zogen sich Sachen rein, „die in der ganzen Welt nur ihnen und einigen avantgardistischen Neuropharmakologen bekannt waren, Drogen der Zukunft aus dem Zentrifugen-Utopia der Neuropharmazie.“19 In den Nachtschichten war Kesey manchmal auf Meskalin und wischte stundenlang den Boden, um niemandem in die Augen sehen zu müssen. Dabei beobachtete er die Insassen, für die er plötzlich große Empathie entwickelte. Manchmal setzte er sich auch berauscht an den Schreibtisch und arbeitete unter dem Eindruck von LSD an einem Roman, der sich in eine völlig andere Richtung zu entwickeln begann und in einer Irrenanstalt spielte. Die Idee zu dem gehörlosen Indianerhäuptling, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, kam Kesey durch den Einfluss von Peyote. Chief Bromden ist der perfekte Beobachter, da er alles aus nächster Nähe sieht und hört, aber von den anderen als taubstumm angesehen und darum ignoriert wird. Kesey beendete schließlich das Manuskript, und schon 1962 erschien sein Romanerstling.
Das Debüt wurde ein voller Erfolg und Kesey konnte die Film- und Bühnenrechte an Kirk Douglas verkaufen. Von seinem neuen Vermögen kaufte sich der 26-jährige eine Farm, La Honda, 50 Kilometer südlich von San Francisco. In der Waldeinsamkeit beendete er seinen zweiten großen Roman. Ein Teil der Partypeople aus der mittlerweile mit der Abrissbirne eingeebneten Perry Lane kam an den Wochenenden vorbei, um berauschende Zusammenkünfte zu zelebrieren mit Kostümen, improvisierter Livemusik, technischen Frickeleien, Lautsprecherboxen im Wald, Bier, Lagerfeuer und einer Prise LSD. In dieser Ferienlageratmosphäre entstand eine gänzlich neue Subkultur, die Acidheads, aus denen sich schnell eine feste Gruppe herausschälte, die sich selbst „The Merry Pranksters“ nannte, „Die fröhlichen Possenreißer“. Die Merry Pranksters trugen gern fantastische Kostüme und Masken, bemalten Oberkörper und Gesichter mit DayGlo-Leuchtfarbe, hüllten sich in selbstgeschneiderte Teile der Landesflagge und gaben sich alberne Comic-Namen wie Doris Delay, Mal Function, Stark Naked und Mountain Girl. Als der zweite Roman unter dem Titel „Manchmal ein großes Verlangen“ erschien, beschloss Kesey zur Buchpremiere nach New York zu fahren, und die Merry Pranksters sollten ihn begleiten. Für den Roadtrip quer durch die USA kaufte er einen ausrangierten Schulbus (Baujahr 1939), und auf das Ferienlager folgte die Klassenfahrt.
Magic Bus Trip.
In chemisch inspirierten Malaktionen wurde der gelbe Schulbus in ein Gruppenkunstwerk verwandelt und mittels Lautsprecher, Mikrophone, Mischpult und Tonbandgerät zu einem multimedialen Wanderzirkus aufgerüstet. Getauft wurde das Wunderwerk der Technik auf den Namen FURTHUR, ein Kofferwort aus FUTURE (Zukunft) und FURTHER (weiter). Hinter das Steuer klemmte sich kein geringerer als die Beatniklegende Neal Cassidy. (Allen Ginsberg hatte sich von ihm zu dem Gedicht „Howl“ inspirieren lassen, und Jack Kerouac machte Neal Cassidy mit seinem „Unterwegs“-Roman als Dean Moriarty unsterblich.) Auch diese Reise sollte verewigt werden, nur hatte man statt Stift und Schreibblock diesmal Ton- und Filmequipment im Gepäck. Die Endlosmeter an Aufnahmen landeten jedoch in der Schublade und wurden erst 2011 von Oscarpreisträger Alex Gibney für seinen Dokumentarfilm „Magic Trip: Ken Kesey’s Search For a Kool Place“ gesichtet und verwertet.
In New York besuchten die Pranksters Allen Ginsberg und Jack Kerouac, aber auch die einzige andere LSD-Kommune, von der man wusste: das Millbrook-Anwesen, wo Timothy Leary mit seiner Entourage residierte. Junge Hippies trafen auf gealterte Beatniks, doch Westküste und Ostküste kamen nicht zusammen. Das durch Speed beschleunigte Auftreten der Possenreißer befremdete die in Yoga und Meditation versunkenen Intellektuellen. Leary blieb gar auf seinem Zimmer und ließ sich nicht blicken, während die Pranksters durch Haus und Garten tollten.
Wieder zurück auf La Honda setzte man die wöchentlichen Acid-Partys fort. Im Sommer 1965 tauchte eine völlig neue Kategorie Freaks auf dem Farmgelände auf und machte mit dem LSD Bekanntschaft: die Hell’s Angels. Der Journalist Hunter S. Thompson, der den Kontakt zu den Outlaw-Bikern hergestellt hatte, schrieb gerade an seinem Rockerporträt und schilderte die Zusammenkünfte so: „Es war nur wenig Marihuana im Umlauf, aber jede Menge LSD, das damals noch legal war. Da waren all diese Leute, die ausflippten, grölten und halb nackt zu lauter Rockmusik tanzten, die aus großen Verstärkern durch den Wald scholl...“20
Anfangs war man sich allerdings nur zögerlich nähergekommen. Die Pranksters fragten sich, wie die Marihuana-verwöhnten Biker wohl auf die neue Droge reagieren würden. Hunter S. Thompson: „Entgegen aller Erwartungen wurden die meisten Angels auf Acid seltsam friedlich. Von ein, zwei Ausnahmen abgesehen, kam man dann viel leichter mit ihnen zurecht, als wenn man sie auf eigenem Terrain stocknüchtern antraf. Das Acid setzte viele ihrer bedingten Reflexe außer Kraft.“21
Schnell wurde La Honda zum Anlaufpunkt der Angels aus ganz Nordkalifornien. Dem Gastgeber Ken Kesey verging zunehmend die Lust auf diese Gruppentreffen, denn am Ende musste er die Hinterlassenschaften wegräumen und die Schäden beseitigen. Etwas neues musste her, und der Acidtest wurde geboren. Bei den Acidtests ging es darum, das Konzept der Acid-Partys in die umliegenden Städte zu bringen und die Leute dort abzuholen, wo sie lebten. Mit dem Acidtest wurde Kesey zum Vater der Hippiebewegung, einer völlig neuartigen Jugendkultur.
Acidtests.
Der erste Acidhärtetest im November 1965 fand aus organisatorischen Gründen noch im privaten Rahmen statt, denn man traf sich in einem Wohnhaus. Aber schon bald füllte man die Säle der Westküste. Die Werbung erfolgte durch Handzettel, auf denen eine Frage gestellt wurde: „Can you pass the Acid Test?“ Die Frage enthielt ein Wortspiel. Mit dem Säuretest bestimmten die Goldsucher ursprünglich den Goldgehalt von Erzen; Acid war aber auch ein Slangwort für LSD.
Stanislaw Grof, der von 1956 bis 1967 in der ČSSR klinische Studien durchführte, hatte anfangs auch Gruppensitzungen mit LSD durchgeführt, fand aber die Ergebnisse eher entmutigend. In seinem Standardwerk „LSD-Psychotherapie“ schreibt er: „Geordnete und einheitliche Gruppenarbeit ist gewöhnlich nur mit kleinen LSD-Dosen möglich, von denen die Gruppenmitglieder psychisch nicht sehr tief berührt werden. Bei höherer Dosierung verläuft die Gruppendynamik in Richtung des Gruppenzerfalls. Jeder Teilnehmer erlebt die Sitzung auf seine ganz persönliche Weise, und den meisten fällt es schwer, das individuelle Erleben den Erfordernissen des Gruppenzusammenhalts zu opfern.“22
Es fällt schon ausreichend schwer, sich eine größere Gruppe konkret vorzustellen. Schwerer dürfte es sein, sich ein Publikum auf LSD vorzustellen. Bei den Acidtests in Portland, San Francisco und Los Angeles war genau das der Fall. Die Grenzlinie zwischen Bühne und Publikum verlief ungenau, alle waren einbezogen, niemand ein passiver Konsument. Den Beschreibungen zufolge hatten die Acidtests immer etwas von Zirkusrummel, Rosenmontagskarneval und Kindergeburtstag. Man bemalte sich die Gesichter, die Brust und mehr mit Leuchtfarbe, andere verkleideten sich oder trugen Masken. Im Hintergrund stimmten die Grateful Dead ihre Instrumente und jammten. Das Licht wechselte fortwährend die Färbung oder flackerte im Takt des Stroboskops. Alles war darauf aus, die Sinne zu stimulieren und das Bewusstsein zu verändern. Aufsteigen, abfahren, wegfliegen. Die meisten waren schwer unterwegs, sicher, aber nicht immer in derselben Richtung. Vor allem die Pranksters und die Dead waren LSD-erfahren, aber andere nicht. Einige waren im Bilde, was da ablief, aber andere wurden komplett überrascht, denn sie hatten bloß Gratislimonade getrunken. Einige erwischten eine kleine Dosis und staunten mit offenen Mündern, andere bekamen Zuviel und sahen sich plötzlich mit ihren größten Ängsten konfrontiert.
Tom Wolfe: „Die Acidtests waren einer jener seltenen Verstöße gegen die guten Sitten, einer jener Skandale, die einen neuen Stil oder gar eine neue Weltanschauung begründen, und diese Linie führte geradewegs zum Trips-Festival vom Januar 1966.“23
Trips-Festival. Ein Mixed Media Entertainment.
Das Trips-Festival vom 21. bis 23. Januar 1966 ging auf eine Idee des Biologen Stewart Brand aus dem Umfeld der Merry Pranksters zurück. Angebliches Ziel der Organisatoren war es, mithilfe moderner optischer und akustischer Effekte ein LSD-Erlebnis zu simulieren. Allerdings musste nur wenig simuliert werden. Als Veranstalter des Multi-Media-Entertainments konnte der Impresario Bill Graham gewonnen werden. Für das Wochenende mietete man die Longshoreman’s Hall in San Francisco und lud alles dorthin ein, was Klang und Namen hatte. Die Grateful Dead, Jefferson Airplane, The Great Society mit Grace Slick, The Charlatans und – zum ersten Mal vor Publikum – Big Brother & the Holding Company. Darüber hinaus gab es Straßentheater, Pantomimen, ein Trampolin, offene Live-Mikrophone, Luftballons, Discokugel, Stroboskop, Schwarzlicht, DayGlo-Leuchtfarbe sowie die bei den Acidtests übliche Kombination von Licht- und Filmprojektionen.
Das Trips-Festival schlug bei der jugendlichen Zielgruppe ein wie ein Meteorit. Es definierte nicht nur den Ablauf eines Rockkonzerts neu, sondern nahm mit den Lichteffekten auch die Diskotheken der Siebziger vorweg. Rund 6000 Zuschauer hatten die Veranstaltung besucht. Psychedelische Bluesbands wie Quicksilver Messenger Service, Steppenwolf, Iron Butterfly, Country Joe & the Fish, Moby Grape, die Santana Blues Band, die Steve Miller Blues Band usw. schossen wie Pilze aus dem Boden. Zwei Wochen später startete Bill Graham im Fillmore Auditorium ein regelmäßiges „Tanzvergnügen“ mit Bands aus der Umgebung. Chet Helms organisierte im nahen Avalon Ballroom ein ähnliches Ereignis und verhalf Janis Joplin als Frontfrau der Big Brother & the Holding Company zum Durchbruch.
Auch die Acidtests wurden fortgesetzt und endeten erst am 31. Oktober 1966. Bereits am 6. Oktober war LSD in Kalifornien verboten worden, und Kesey musste den Behörden das Zugeständnis machen, die Acid Test Graduation im Winterland Ballroom vollkommen ohne „Starkstrombrause“ durchzuführen. Die Abmachung wurde von den Besuchern umgangen, indem sie sich schon daheim zurechtmachten und mit geweiteten Pupillen erschienen. Zuvor hatte man sich aufseiten der Gesetzeshüter in einer bizarren Situation befunden. Das vergleichsweise harmlose Marihuana war verboten, das wesentlich potentere LSD hingegen völlig legal.
Im Januar 1967 kam es in San Francisco zum ersten Human Be-In, wieder ein Wortspiel. Das Anliegen der Organisatoren war es primär, die unterschiedlichen Strömungen der Gegenbewegung – Hippies, Linke, Bürgerrechtler – zusammenzuführen und zu einen. Rund 25.000 Teilnehmer folgten dem Aufruf und fanden an dem ungewöhnlich warmen Januartag im Golden-Gate-Park zusammen. Die Teilnehmerzahl zeigte allen Seiten deutlich, wie sehr die Gegenbewegung angewachsen war, auch wenn einige Besucher sicherlich aus bloßer Neugier oder wegen des Gratiskonzerts der Grateful Dead vor Ort gewesen sein dürften. Manche brachten sogar ihre Kinder mit. Bis zum Woodstock-Festival mit seinen 400.000 Besuchern und der weltweiten TV-Aufmerksamkeit sollten nur noch zweieinhalb Jahre vergehen.

1962 Timothy Leary: Tune in, turn on, drop out

„I asked Bobby Dylan / I asked The Beatles /
I asked Timothy Leary / But he couldn’t help me either.“
– The Who: The Seeker
Für seine Anhänger war er ein Befreier des Bewusstseins, für Präsident Richard Nixon hingegen war er der „most dangerous man in America“. Er selbst bezeichnete sich schon mal als „High Priest of LSD“, mit der Betonung auf high. An Timothy Leary schieden sich die Geister, für manchen schien er sogar von allen guten Geistern verlassen. In der Geschichte des LSD ist Leary die schillerndste Persönlichkeit, denn er war der Multiplikator, der eine ganze Generation mit seiner LSD-Euphorie ansteckte. Der aufkeimenden Hippiekultur legte er zum präparierten Zuckerwürfel einen knackigen Slogan mit auf die Zunge: „Tune in! Turn on! Drop out!“
Intellektuelle blieben von der Redegewandtheit dieses Überzeugungstäters ebenso wenig verschont wie die Hippies. Leary verfügte über das Talent, seiner jeweiligen Hörerschaft genau das zu sagen, was diese hören wollte. Dem Sinnsucher versprach Leary mystisch-religiöse Einsichten, dem Introvertierten turbulente Reisen durch den inneren Kosmos, dem Aktivisten die Erweiterung des persönlichen und gesellschaftlichen Bewusstseins und dem Liebeshungrigen das stärkste Aphrodisiakum der Welt. Und Leary törnte sie alle an: die Beatniks Allen Ginsberg, Neal Cassidy, Jack Kerouac und William S. Burroughs; den Schriftsteller Arthur Koestler, den Jazzkomponisten Charlie Mingus, den Regisseur Otto Preminger, ... Musikikonen wie John Lennon, The Who und die Moody Blues verewigten den Namen des LSD-Gurus in eingängigen Popsongs.
Noch Ende der 1950er steckte Timothy Leary in einer tiefen Sinn- und Lebenskrise. Seine Ehefrau hatte sich das Leben genommen und ihn mit den zwei Kindern allein gelassen. Auch zweifelte der erfahrene Psychologe den Sinn und Nutzen seines Berufsstandes an. Nach sechzehn Jahren Forschung und Lehre kam er zu dem Schluss, dass psychologische Behandlungen sinnlos seien, da sie den meisten Patienten keine signifikante Verbesserung brachten: nur einem Drittel ging es danach besser, aber einem Drittel sogar schlechter. „Ich war in der tristen Lage, einen Beruf auszuüben, der nicht zu funktionieren schien.“24
Nach einer Auszeit wechselte Leary von der West- an die Ostküste und wurde Seminarleiter für Doktoranden der Psychologie an der Harvard-Universität. Mit der Transaktionspsychologie wollte Leary einen neuen Ansatz verfolgen. Die septische Distanz zwischen Therapeut und Patient sollte aufgehoben werden, um die Probleme direkt zu beobachten und zu therapieren. In seinen Vorlesungen warb Leary dafür, statt in die sterilen Krankenhäuser und Kliniken lieber dorthin zu g...

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung
  2. Die Vierziger.
  3. Die Fünfziger.
  4. Die Sechziger.
  5. Die Siebziger.
  6. Die Neunziger.
  7. Gegenwart und Ausblick.
  8. Anhang