Kapitel 1 Von OffenbachOffenbach, Jacques zu MarxMarx, Karl
Sie sind in Brüssel geboren, im Jahr 1908.
Durch Zufall. Mein VaterLévi-Strauss, Raymond war Maler. Vor allem Porträtmaler. Er hatte Jugendfreunde in Belgien, die ihm irgendwelche Auftragsarbeiten besorgt hatten, und so hat er sich mit seiner jungen Frau vorübergehend in Brüssel niedergelassen. Während dieses Aufenthaltes kam ich zur Welt. Meine Eltern sind nach ParisParis zurückgekehrt, als ich zwei Monate alt war.
Sie wohnten in ParisParis?
Mein VaterLévi-Strauss, Raymond war Pariser. Meine MutterLévi-Strauss, Emma ist in Verdun geboren und in Bayonne aufgewachsen.
Ihre KindheitKindheit haben Sie also in ParisParis verbracht, im 16. Arrondissement, glaube ich.
In einem Gebäude, das noch heute existiert, Nr. 26 in der Rue Poussin, in der Nähe der Porte d’Auteuil. Wenn ich dort vorbeikomme, schaue ich zu dem Balkon der Wohnung im fünften Stock, wo ich die ersten zwanzig Jahre meines Lebens verbracht habe.
Und heute wohnen Sie ebenfalls im 16. Arrondissement. Ist das ein Viertel, das Sie lieben?
Es ist ein Viertel, das ich in meiner KindheitKindheit geliebt habe, weil es sich viel Pittoreskes bewahrt hatte. Ich erinnere mich, dass es am Ende der Rue Poussin, bei der Abzweigung zur Rue La Fontaine, noch eine Art Bauernhof gab. Die Rue Raynouard war zur Hälfte ländlich. Gleichzeitig gab es da Ateliers von Künstlern, kleine Antiquitätenhändler … Heute ist es ein Viertel, das mich langweilt.
War Ihre Familie sehr an KunstKunst interessiert?
Es gab sogar eine regelrechte erbliche Belastung! Mein Urgroßvater, der Vater der Mutter meines Vaters, hieß Isaac StraussStrauss, Isaac. 1806 in Straßburg geboren, stieg er sehr jung nach ParisParis auf, wie es heißt. Er war Geiger und gründete ein kleines Orchester. Er trug dazu bei, die Musik Ludwig van Beethovens, Felix MendelssohnMendelssohn Bartholdy, Felix Bartholdys und mancher anderer bekannt zu machen. In ParisParis hat er mit Hector BerliozBerlioz, Hector zusammengearbeitet, der ihn in seinen Memoiren erwähnt; und auch mit Jacques OffenbachOffenbach, Jacques, für den er einige seiner berühmten Quadrillen schrieb. OffenbachsOffenbach, Jacques Musik kannte man in meiner Familie auswendig; sie hat meine ganze KindheitKindheit begleitet.
StraussStrauss, Isaac wurde gegen Ende der Regentschaft von Louis-Philippe I.Louis-Philippe I. Leiter des Ballorchesters bei Hofe, später dann, unter Napoleon III.Napoleon iii., Direktor des Casino-Orchesters von Vichy, das er lange leitete. Wiederum später trat er die Nachfolge von Philippe MusardMusard, Philippe als Dirigent der Opernbälle an. Gleichzeitig war er so etwas wie ein »Cousin PonsBalzac, Honoré deCousin Pons« und leidenschaftlicher Sammler von Antiquitäten, mit denen er auch handelte.
Hat Ihre Familie von dieser Sammlung etwas erhalten können?
Er hatte eine bedeutende Sammlung von Judaica, die gegenwärtig im Musée de Cluny aufbewahrt wird. Verschiedene Objekte, die durch seine Hände gegangen sind, wurden von Mäzenen erworben, die sie dem Louvre übereigneten. Was übrig blieb, wurde nach seinem Tode verkauft oder zwischen seinen Töchtern aufgeteilt. Der Rest wurde während der Besetzung von den Deutschen geplündert. Ich bewahre ein paar Überreste davon auf; so das Armband, das Napoleon III.Napoleon iii. meinem UrgroßvaterStrauss, Isaac überreichte, um sich für die Gastfreundschaft in der Villa Strauss in Vichy zu bedanken. Diese Villa Strauss, in der der Kaiser zu Besuch weilte, existiert noch heute. Sie ist zu einer Bar oder einem Restaurant umgestaltet worden, ich weiß nicht mehr, aber ihren Namen hat sie behalten.
Wurde die Erinnerung an diese Vergangenheit in der Familientradition wachgehalten und weitergegeben?
Sicher, denn das war die glorreiche Periode der Familie: Sie stand dem Thron nahe! Mein UrgroßvaterStrauss, Isaac hatte häufigen Umgang mit der Prinzessin MathildeBonaparte, Mathilde. Die Familie meines VatersLévi-Strauss, Raymond lebte im Gedenken an das Zweite Kaiserreich. Es blieb ihr übrigens nahe und lebendig: Als Kind habe ich noch – und zwar mit meinen eigenen Augen – die Kaiserin EugénieEugénie de Montijo (Kaiserin) gesehen.
Sie haben erzählt, dass Ihr Vater Maler war.
Ja, und zwei meiner Onkel ebenfalls. Anfangs vom Glück begünstigt, starb mein GroßvaterLévi, Gustave Henri väterlicherseits ruiniert, sodass einer seiner Söhne – er hatte vier Jungen und ein Mädchen – schon sehr früh arbeiten musste, um die Familie zu unterstützen.
Man schickte meinen VaterLévi-Strauss, Raymond auf die École des hautes études commerciales [Wirtschaftswissenschaftliche Hochschule].[3] Zu Beginn seines Berufslebens hat er mit bescheidenen Tätigkeiten an der Börse angefangen. Er hat Daniel-Henry KahnweilerKahnweiler, Daniel-Henry kennengelernt, und sie sind Freunde geworden. Sobald er konnte, hat er sich der MalereiMalerei verschrieben, für die er sich seit der KindheitKindheit leidenschaftlich begeisterte.
Andererseits fügte es der Zufall, dass mein VaterLévi-Strauss, Raymond und meine MutterLévi-Strauss, Emma Cousine bzw. Cousin zweiten Grades waren. In Bayonne hatte die ältere Schwester meiner Mutter einen Maler geheiratet, der zeitweilig sogar eine Berühmtheit war, Henry Caro-DelvailleCaro-Delvaille, Henry. Eine andere Schwester hat ebenfalls einen Maler geheiratet, Gabriel RobyRoby, Gabriel, einen Basken; für ihn, der von schwächlicher Gesundheit war und früh starb, war das Leben noch schwieriger als für meinen VaterLévi-Strauss, Raymond.
Haben meine Eltern sich aufgrund der familiären Bindungen oder aufgrund der Beziehungen zwischen Malern kennengelernt? Ich weiß es nicht mehr. Wie dem auch sei, meine MutterLévi-Strauss, Emma lebte vor ihrer Heirat in Paris, zum Teil bei den Caro-Delvailles. Um Sekretärin we...