1. Juli 1957
Seine Schwiegermutter saß im Wohnzimmer, in dem Streifen Sonne, der durch die Gardinen fiel. Nicolien saß im Sessel bei den Zwischentüren und sah ihn hereinkommen.
»Ha, die Jansen«, sagte er zu seiner Schwiegermutter.
»Ha, der Pietersen«, antwortete sie, während er sich zu ihr hinüberbeugte und ihr einen Kuss gab. »Noch meine herzlichen Gratuladingsbums.«
Er lachte und gab auch Nicolien einen Kuss.
»Du bist früh«, sagte sie. »Wie war es?«
»Weil ich Geburtstag habe.«
»Wie war es?«, wiederholte sie.
»Erst mal umziehen.« Er zog die Zwischenvorhänge zu, zog sich um und wusch sich die Hände.
»Und du hast auch eine Stelle, nicht?«, fragte seine Schwiegermutter, als er wieder ins Zimmer kam.
Er nickte.
»Ach Junge, wie schön! Darauf nehmen wir doch sicher einen?«
Er lachte. »Darauf nehmen wir einen.«
»Und, wie war es?«, fragte Nicolien gespannt.
Er setzte sich auf das Sofa. »Idiotisch.«
»Idiotisch?« In ihrer Stimme lag Empörung. »Nicht schrecklich?«
»Ach … schrecklich.« Das Wort war ihm zu groß. Wenn es schrecklich wäre, wäre der Gedanke, dort morgen wieder hinzumüssen, ganz und gar unerträglich.
»Und was musst du da jetzt machen?«, fragte seine Schwiegermutter.
Er sah sie an. »Ich muss einen Text über die Wichtelmännchen schreiben.«
»Über die Wichtelmännchen?« Sie lachte ungläubig. »Du verkohlst mich.«
»Ich verkohle Sie niemals.«
»Über Wichtelmännchen! Ein erwachsener Mann!«
Er lachte, verlegen, aber auch amüsiert. »Glauben Sie nicht an Wichtelmännchen?«
»Ach, du verrückter Junge, hör doch auf. Wichtelmännchen!«
»Aber als Sie noch jung waren, saßen da keine Wichtelmännchen in den Scheveninger Bosjes?«
Sie lachte, ohne zu antworten. Es war deutlich, dass sie dachte, er wolle sie auf den Arm nehmen.
»In den Bosjes van Pex gab es sie jedenfalls«, beharrte er. »Da war ein Baum mit einem Loch drin, und wenn wir daran vorbeikamen, habe ich in das Loch gerufen« – er machte die Stimme eines Kindes nach – »›Wichtelmännchen! Wichtelmännchen!‹ Später haben sie Maschendraht davor gespannt. Dann sind sie verschwunden.«
»Ach, Kindergerede.«
»Und was wäre, wenn Kinder und Verrückte nun die Wahrheit sagen würden?«
»Quälgeist. Lass das.«
»Deine Mutter glaubt nicht mehr an Wichtelmännchen«, sagte er zu Nicolien, die gerade wieder den Raum betrat.
»Solltest du nicht lieber mal einen Schnaps einschenken?«, entgegnete sie. Er merkte, dass sie sich ärgerte, und vermutete, dass die Anwesenheit ihrer Mutter sie irritierte. Aber es vermittelte ihm dennoch ein vages Gefühl von Schuld. Als hätte er etwas getan, das nicht in Ordnung war.
*
17. Mai 1959
»Da wird jetzt eine schöne Tasse Kaffee sicher gut schmecken«, sagte seine Schwiegermutter, während er die Tür hinter ihnen schloss. Sie hängte ihren Mantel und die Mütze an die Garderobe.
»Schaust du dir dann mal den Sessel an, Maarten?«, fragte Nicolien.
»Mache ich«, antwortete er.
»Dann gehen wir erst mal ins Küchilein«, sagte seine Schwiegermutter. »Hilfst du mir mahlen, Kind?«
Er ging ins Wohnzimmer, kippte den schweren Sessel, in dem sein Schwiegervater immer gesessen hatte, auf die Seite und sah sich die Unterseite an. Zwei der Jutebänder, die die Sprungfedern hielten, waren abgerissen. Das Holz darunter wies zahlreiche Nagellöcher auf. Ein paar Polsternägel, an denen kleine Stücke halbzersetzter Jute hingen, steckten noch im Holz. Er versuchte, die abgerissenen Enden wieder zu befestigen, stellte fest, dass es vergebliche Mühe war, kippte den Sessel zurück und richtete sich auf. Von dort, wo er stand, konnte er die Kreuzung bei der Appelstraat sehen. Die Straße lag im Sonnenschein. Ein Mann und eine Frau im Sonntagsstaat überquerten mit einem Kinderwagen in schräger Richtung die Vlierboomstraat. Zwei Radfahrer kamen vorbei. Aus der Küche drangen die Stimmen Nicoliens und ihrer Mutter sowie das Mahlgeräusch der Kaffeemühle. Er setzte sich, legte die Arme weitausgestreckt auf die Lehnen und wartete.
»Und hier kommen die Köstlichkeiten«, sagte seine Schwiegermutter, als sie mit einem kleinen Tablett das Wohnzimmer betrat. Auf dem Tablett standen drei Tassen Kaffee und drei kleine Kristallglasteller mit Ingwertörtchen. »Ich dachte, ich kauf mal Ingwertörtchen, denn die magst du ja so gern.«
»Die sind lecker!«, stimmte er zu.
»Und was war jetzt mit dem Sessel?«, fragte Nicolien.
»Zwei von den Jutebändern sind abgerissen«, antwortete er. »Ich werde beim nächsten Mal neue mitbringen, denn die hier sind völlig verschlissen.«
»Du kriegst ihn also wieder hin?«, fragte ihre Mutter.
»Ich glaube schon.«
»Ach Junge, dafür kriegst du einen Kuss!« Sie beugte sich zu ihm hinüber.
»Aber noch habe ich ihn nicht repariert«, wehrte er ab.
Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Das macht nichts. Dann kriegst du einfach noch einen.«
Er lachte.
Sie verputzten alle drei ihr Törtchen.
»Was sind wir hier doch wieder lecker am Schnabulieren«, bemerkte seine Schwiegermutter.
»Wie war es Mittwoch bei Willy und Bertha?«, fragte Nicolien.
»Sehr gut. Ich soll dich grüßen.«
»Sind Sie noch mit Willy spazieren gewesen?«
»Nur kurz zur Strandpromenade. Die übliche Runde.«
»Und dieser Freund von Bertha?«
»Ach, das weiß ich nicht. Ich glaube, darüber darf nicht gesprochen werden.«
»Hat Bertha einen Freund?«, fragte er.
»Das erzählt man sich, aber ich weiß nichts darüber. Es scheint, dass er Pilot ist.«
»Aber Sie haben ihn noch nie gesehen.«
»Nein, denn das ist ein Geheimnis.«
Er nickte. »Wie alt ist Bertha jetzt?«
Sie dachte nach.
»Sie ist doch geboren worden, als Sie bei Tante Bes gewohnt haben?«, half Nicolien.
»Ja. Und da war ich siebzehn. Also ist Bertha jetzt neunundvierzig. Auch nicht mehr ganz taufrisch.«
»Neunundvierzig!«, wiederholte er.
»Aber ich glaube, der Mann ist verheiratet oder so. Das ist alles ziemlich merkwürdig heutzutage. Früher gab es so was nicht.«
Er lachte. »Ich muss ein bisschen über Sie lachen.«
»Das ist besser als weinen.«
»Das stimmt.«
»›Lachen ist gesund‹, hat meine Mutter immer gesagt.«
»Sollte das so sein?«
»Ach, du Landplage. Lass dich mal untersuchen.«
»Und wenn es nun furchtbar schlecht für die Gesundheit wäre?«
»Ach was, du willst mich doch nur veräppeln.«
Er lachte.
Es entstand eine Pause.
»Wie ging dieser Reim noch gleich?«, fragte er. »Zehn, das ist mein Kindheitsjahr …«
»Mit zwanzig sind wir schon ein Paar«, fuhr seine Schwiegermutter fort. »Mit dreißig bin ich dann getraut. Mit vierzig auch schon angegraut. Mit fünfzig kommen die ...