5. Einleitung ins Thema Privatrechtsgesellschaft
Im Liberalismus ist oftmals die Rede davon, möglichst wenig Staat zu haben. Doch was bedeutet dies genau?
Um möglichst wenig Staat zu haben, geht es nicht primär darum, die Anzahl der Staatsangestellten oder der Verwaltungsgebäude zu reduzieren. Es geht stattdessen um die Einschränkung des Zuständigkeitsbereichs des Staates.
Ein bekanntes Beispiel hierfür wäre der sogenannte “Nachtwächterstaat”. Dort beschränkt sich die Aufgabe des Staates im Wesentlichen auf den Schutz von Leben und Eigentum mittels Polizei, Justiz und Militär. Alle anderen gesellschaftlichen Aufgaben würden (wieder) den Familien, Kirchen, Firmen und anderen privaten Organisationen überlassen, so wie dies ja auch bei uns noch im 19. Jahrhundert üblich war. Es gab und gäbe also beispielsweise keine öffentlichen Verkehrsmittel, keine staatlichen Schulen und Universitäten, keine Sozialversicherungen, kein gesetzliches Pensionsalter, keine staatlichen Konsumverbote und natürlich auch nur einen Bruchteil der heutigen Steuern und Gebühren.
Dies ist ein oft verwendetes Idealbild, welches Anhänger des sogenannten “klassischen Liberalismus” anstreben.
Hoppe geht noch einen Schritt weiter. In seiner Privatrechtsgesellschaft (PRG) würden auch die letzten staatlichen Funktionen wie Polizei, Justiz und Militär privat organisiert. Das folgende Kapitel gibt einen Einblick in Hoppes Gedankengänge und hoffentlich ein paar spannende Denkanstösse zum Thema.
«Privatrechtsgesellschaft statt Staat» ist der Titel dieses einstündigen Vortrags von 2013 im Modelhof. Er gibt eine verständliche Einführung in die Thematik.
5.1. Wie lösen wir Konflikte ohne den Staat?
Die Grundidee ist ganz einfach. Das staatliche Gewaltmonopol wird aufgehoben und Wettbewerb auch bei Polizei und Justiz zugelassen. Gegenwärtig ist es so, dass im Falle eines Konflikts eines Bürgers mit dem Staat immer der Staat entscheidet wer Recht hat. In einer Privatrechtsgesellschaft wende ich mich bei Konflikten an von beiden Streitparteien unabhängige Schlichter.
Bei örtlichen Streitigkeiten, im Dorf oder einer Kleinstadt, werden dies voraussichtlich allseits respektierte „natürliche Aristokraten“ sein. Für grössere Fälle stehen wie bereits heute Rechtsschutzversicherungen zur Verfügung. Dabei haben sich Versicherer und Versicherte von vornherein vertraglich auf Schlichterorganisationen und Berufungsinstanzen geeinigt.
Sind beide Streitparteien Kunden derselben Versicherung, entscheidet diese den Fall. Und wenn verschiedene Versicherungen zu unterschiedlichen Urteilen gelangen, dann ruft man einen allseits geschätzten Schlichter an. Und dies ist der Schlichter, der die Entscheidung letztendlich fällt.
Das Prozedere ist ganz klar und eindeutig und erfordert keinerlei staatliche Rechtssetzung oder Rechtsprechung.
5.2. Sind privatrechtliche Konfliktschlichtungen völlig unrealistisch?
Wie gesagt, das ist keine Utopie. Das alles ist schon heute eine im internationalen – anarchischen – Geschäftsverkehr gängige Praxis. Schauen Sie nur, wie heutzutage grenzüberschreitende Streitfälle geschlichtet werden. International herrscht eine Art Anarchie im Recht, denn es gibt keinen alles regelnden Weltstaat.
Was machen die Bürger im Dreiländereck von Basel, also Deutsche, Franzosen und Schweizer, wenn es zu Konflikten zwischen ihnen kommt? Jeder kann sich zunächst an die für ihn zuständige Gerichtsbarkeit wenden. Gibt es keine Einigung, werden unabhängige Schlichter angerufen, die den Fall entscheiden. Wer sich nicht an die Urteile hält, ist nicht nur vertragsbrüchig, er wird in der Geschäftswelt zu einem Aussätzigen, mit dem niemand mehr etwas zu tun haben will.
Kommt es deshalb zu mehr Streitereien zwischen den Bürgern dieser Region als zwischen den Bürgern von Köln und Düsseldorf? Ich habe noch nichts davon gehört. Das zeigt doch, dass man interpersonelle Streitigkeiten friedlich regeln kann, ohne dass es einen Staat als Rechtsmonopolisten gibt.
Ein anderes, geschichtliches Beispiel: In den USA haben sich zur Zeit der Goldgräber ohne das Zutun des Staates Kriterien entwickelt, nach denen die Goldschürfer ihr Terrain abgrenzten. Damals gab es Personen, die die Claims (Landansprüche) registrierten. Das zeigt: Eigentumsfragen lassen sich ohne Staat lösen.
5.3. Was ist - in einem Wort - der Unterschied zwischen staatlichen und privaten Lösungen?
Wenn man den entscheidenden Unterschied einer privatrechtlich organisierten Sicherheitsindustrie mit der gegenwärtigen etatistischen* Praxis in einem Wort ausdrücken will, dann ist dieses Wort «Vertrag». Was der Staat heute »anbietet«, ist etwa dies: Ich garantiere Dir vertraglich gar nichts; weder sage ich Dir zu, welche Sachen es konkret sind, die ich als »dein Eigentum« zu schützen gedenke, noch sage ich Dir, was ich mich zu tun verpflichte, wenn ich meine Leistung deiner Meinung nach nicht erfülle - aber ich behalte mir in jedem Fall das Recht vor, einseitig den Preis für meine »Leistung« zu bestimmen und überhaupt per Gesetzgebung alle derzeitigen Spielregeln während des laufenden Spiels zu ändern.
Man stelle sich nur einmal einen frei finanzierten, privatwirtschaftlichen Sicherheitsanbieter vor, gleichgültig ob Polizei, Versicherer oder Schlichter, der seinen potentiellen Kunden ein solches Angebot unterbreitet. Niemand bei Verstand würde darauf eingehen, er wäre mangels Kunden sofort bankrott.
In einer Privatrechtsgesellschaft müssen Verträge angeboten werden. Diese Verträge müssen klare Eigentumsbeschreibungen enthalten, klar definierte wechselseitige Leistungen und Verpflichtungen beschreiben, und dürfen während ihrer Geltungsdauer nur in beidseitigem Einvernehmen geändert werden.
* etatistisch = durch den Staat geregelt
5.4. Wie gut schützt uns heute der Staat?
Wie Sie wissen, ist der Staat auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung notorisch ineffizient, weil die Bezahlung der mit dieser Aufgabe betreuten Agenten aus Steuermitteln und unabhängig von ihrer Produktivität, erfolgt. Noch schlimmer ist es, wenn man erkennt, dass es gegenwärtig überhaupt nicht darum geht, die Opfer in irgendeiner Weise zu entschädigen. Ganz im Gegenteil. Wenn der Staat die Verbrecher tatsächlich gefangen hat, dann werden den Opfern per Steuern oft noch die Kosten auferlegt für die Unterbringung dieser Gauner und Banditen, dass ...