Die Jakobsbücher
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Die Jakobsbücher

  1. 1,184 Seiten
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Über dieses Buch

Er galt als Luther der Juden – seine Anhänger sahen in ihm einen Messias, für seine Gegner war er ein Scharlatan, ja Ketzer. Jakob Frank war eine der schillerndsten Gestalten im Europa des 18. Jahrhunderts. Die Religionen waren ihm wie Schuhe, die man auf dem Weg zum Herrn wechseln könne: Er war Jude, bevor er mit seiner Gefolgschaft zum Islam und dann zum Katholizismus konvertierte. Er war ein Grenzgänger, der, aus dem ostjüdischen Schtetl stammend, das Habsburger und das Osmanische Reich durchstreifte und sich schließlich in Offenbach am Main niederließ."Die Jakobsbücher" sind das vielstimmige Porträt einer faszinierenden Figur, deren Lebensgeschichte zum Vexierbild einer Welt im Umbruch wird. Olga Tokarczuk hat einen historischen Roman über unsere Gegenwart geschrieben, der zugleich ein Plädoyer für Toleranz und Vielfalt ist. Ihr Opus magnum, vom Nobelpreiskomitee explizit in der Begründung erwähnt.

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783311700791

III Das Buch der Wege

13

Vom warmen Dezember des Jahres 1755,
dem Monat Tewet des Jahres 5516 also,
vom Lande Polin und der Seuche in Mielnica

Die Reisenden bleiben am Ufer des Dnjestr stehen, am flachen Südstrand des Stroms. Die fahle Wintersonne überzieht, was sie erreichen kann, mit rötlichen Schatten. Eigentümlich mild ist der Dezember, eine Wärme, wie man sie nicht kennt zu dieser Jahreszeit. Die Luft – als wäre sie aus kalten und warmen Strängen zu einem Zopf geflochten – riecht frisch nach umgegrabener Erde.
Auf das hohe Ufer gegenüber schauen die Reisenden, das bereits in Dämmerung versinkt. Kein Sonnenstrahl liegt mehr auf dieser dunklen Wand, dem steilen Aufstieg, den es zu erklimmen gilt.
»Polin«, sagt der alte Schor.
»Polska, Polska«, wiederholen alle voller Freude, und im Lächeln werden ihre Augen schmale Schlitze. Schlomo, der Sohn des Schor, beginnt zu beten, er dankt dem Allmächtigen, dass sie angelangt sind, wohlbehalten und alle zusammen. Leise spricht er das Gebet, die anderen fallen murmelnd ein, zerstreut sind sie, mit ihren Gedanken ganz woanders; sie lockern die Sattelgurte, nehmen die verschwitzten Kappen ab. Jetzt werden sie essen und trinken, Kräfte schöpfen, ehe sie den Fluss durchqueren.
Allzu lange warten sie nicht, denn kaum ist die Dämmerung hereingebrochen, erscheint bereits der türkische Schmuggler – Sakadsche, sie kennen ihn, etliche Male haben sie seine Dienste in Anspruch genommen. In völliger Dunkelheit schon waten sie durch den Fluss, mitsamt den Pferden und den Wagen. Nichts ist zu hören außer dem platschenden Geräusch der Hufe, die ins Wasser tauchen.
Auf der anderen Seite trennen sie sich. Nur vom gegenüberliegenden Ufer aus wirkt die Wand gefährlich. Der Pfad, über den Sakadsche sie jetzt führt, windet sich in sanfter Steigung in die Höhe. Die beiden Schors mit ihren polnischen Papieren reiten bis zum Wachturm voran, während Nachman, Jakob und einige andere noch eine Weile schweigend warten, um dann Seitenwege einzuschlagen.
Im Dorf stehen polnische Wachen, der Seuche wegen wollen sie keine Reisenden aus der Türkei passieren lassen. Jetzt streiten sich Schor und sein Sohn mit ihnen, der Sohn hat Papiere und Geleitbrief, damit zieht er die Aufmerksamkeit auf sich, und offenbar bezahlt er auch üppig, denn die Unruhe legt sich wieder, die Reisenden können weiterziehen.
Mit seinen türkischen Papieren ist Jakob ein Untertan des Sultans. So sieht er auch aus mit seiner hohen Mütze und dem fellgefütterten türkischen Mantel. Nur der Bart unterscheidet ihn von einem echten Türken. Ungewöhnlich still ist er, kaum ragt seine Nasenspitze aus dem Kragen. Ist er eingeschlafen?
Sie kommen ins Dorf. Still und dunkel liegt es da. Niemand hat sie aufgehalten, von den Wachen ist nichts zu sehen. Der Türke verabschiedet sich von ihnen, stopft die Münzen hinter seinen Gürtel, zufrieden nach getaner Arbeit. Seine Zähne leuchten, als er lächelt. Vor einer kleinen Schenke verlässt er sie; der schlaftrunkene Arrendator wundert sich über die späten Gäste, wundert sich, dass die Wachen sie nicht aufgehalten haben.
Jakob schläft augenblicklich ein. Nachman wälzt sich die ganze Nacht auf dem nicht eben kommoden Lager hin und her, zündet Kerzen an und sucht nach Wanzen. Die winzigen Scheiben sind schmutzig, auf den Fensterbänken stehen vertrocknete Stängel, die wohl einmal Blumen waren. Am Morgen gibt ihnen der Schankwirt, ein magerer Jude mittleren Alters, mit verlegenem Gesicht etwas aufgewärmtes Wasser mit zerbröselter Matze. Die Schenke wirkt gut ausgestattet, der Wirt aber erklärt, dass die Seuche die Menschen vertreibe, niemand wagt es, aus dem Haus zu gehen und bei denen zu kaufen, die von ihr befallen sind. Was sie an eigenen Vorräten hatten, ist aufgebraucht, sie möchten ihm verzeihen und selbst für ihr Essen sorgen. Als er spricht, hält er sich fern von ihnen, bleibt in sicherem Abstand, er fürchtet ihren Atem und ihre Berührung.
Jener seltsam milde Dezember hat winzige Wesen zum Leben erweckt, die um diese Jahreszeit gewöhnlich tief in der frostharten Erde schlummern, jetzt aber der Wärme wegen an die Oberfläche gekrochen sind, um Verderben zu bringen und zu töten. Im formlos dichten Nebel verbergen sich die winzigen Wesen, im stickigen, giftigen Wrasen, der über den Dörfern und Städten steht, im übel riechenden Brodem, den die Körper der Befallenen ausdünsten – in allem, was die Menschen »seuchenschwangere Luft« nennen. Gerät diese Luft in die Lunge, gelangen die winzigen Wesen sogleich ins Blut, entzünden es, dringen bis zum Herzen vor – und der Mensch muss sterben.
Als die Ankömmlinge morgens hinausgehen auf die Straßen des Städtchens, das sich Mielnica nennt, sehen sie einen recht weitläufigen, fast leeren, von niedrigen Häusern umrahmten Marktplatz und drei von ihm abzweigende Straßen. Es herrscht eine feuchte Kälte, offensichtlich sind die warmen Tage nun vorbei, oder aber das Klima ist hier oben, hoch über dem Fluss, ein anderes. Tiefhängende Wolken, in eiligem Flug, betrachten sich verwundert in den Pfützen im Morast. Fast alle Läden sind geschlossen, einsam steht eine leere Krambude auf dem Marktplatz, an ihrem Dach flattert eine Hanfschnur wie ein Henkersstrick. Irgendwo knarrt eine Tür oder ein Fensterladen, ab und an huscht eine vermummte Gestalt dicht an den Häuserwänden vorbei. So einsam und von allen Menschen verlassen muss die Welt nach dem Jüngsten Gericht aussehen. Jetzt erkennt man, wie unfreundlich, wie feindselig sie ist, denkt Nachman, während er das Geld in seiner Tasche zählt.
»Von Befallenen nehmen sie kein Geld«, sagt Jakob, als er sieht, dass Nachman sich schickt, einkaufen zu gehen. Er hat sich im eiskalten Wasser gewaschen. Sein nackter Oberkörper bewahrt noch die südliche Sonne auf der Haut. »Zahl ihnen nichts«, fügt er hinzu und verspritzt das kalte Nass.
Nachman geht beherzt in einen kleinen jüdischen Laden, aus dem eben ein Mensch gekommen ist, und setzt eine Leidensmiene auf. Hinter der Theke steht ein verhutzeltes Männlein. Offenbar hat die Familie beschlossen, den Alten statt der Jüngeren der Außenwelt auszusetzen.
»Ich hätte gern etwas Wein, Käse und Brot«, sagt Nachman. »Mehrere Laibe.«
Der Alte gibt ihm die Brote, ohne den Blick von ihm zu wenden, verwundert über den fremdländischen Aufzug, der ihn hier, an der Grenze, nicht erstaunen sollte.
Als Nachman gezahlt hat und geht, bemerkt er aus den Augenwinkeln, dass der Alte merkwürdig schwankend auf den Beinen steht.
Man darf Nachman nicht alles glauben, was er erzählt, und erst recht nicht alles, was er schreibt. Er neigt zu Übertreibungen, schmückt seine Geschichten dramatisch aus. Überall wittert er Zeichen, überall findet er Zusammenhänge. Dass etwas nur geschieht, ist ihm zu wenig, er möchte, dass die Ereignisse einen himmlischen, einen endgültigen Sinn erhalten. Dass sie Folgen für die Zukunft haben, dass selbst die kleinste Ursache größte Wirkung entfaltet. Deshalb verfällt er häufig in Melancholie – hat er noch nicht davon gesprochen?
Als er nun zu Jakob zurückkommt, erzählt er, der Alte sei tot zu Boden gesunken, kaum dass er ihm die Ware gegeben habe, nicht einmal das Geld habe er mehr nehmen können. Jakob lacht zufrieden. Nachman tut ihm gerne solche Gefallen. Er mag es, wenn Jakob lacht, mag diesen tiefen, heiseren Klang.

Was die flinken Augen
der Spione sehen (jeglicher Couleur)

Seit Jakob den Dnjestr überquert hat, folgen ihm verschiedene Spione. Jenta sieht sie besser, als die Spione ihrerseits Jakob sehen. Sie beobachtet, wie sie an schmierigen Schenkentischen mit ungelenker Hand Zutragungen auf Zettel kritzeln und sie Boten anvertrauen, welche sie nach Kamieniec und Lemberg übermitteln. Dort werden sie in den Canzleien der Sekretäre umgeschrieben und ausgefeilt, um dann als Elaborate, hieb- und stichfeste Berichte, Schilderungen wahrer Begebenheiten auf besseres Papier übertragen zu werden und es zu einem Stempel zu bringen – bis sie schließlich, als amtliche Schriftstücke mit der Post nach Warschau expediert, zu den erschöpften Beamten der mürbe gewordenen Adelsrepublik gelangen, in den vor Prunk und Luxus strotzenden Palast des päpstlichen Nuntius, und über die Sekretäre der jüdischen Gemeinden nach Wilna und Krakau, ja sogar nach Altona und Amsterdam. Es liest sie Bischof Dembowski, der in seinem heruntergekommenen Palais in Kamieniec entsetzlich friert, es lesen sie die Rabbiner der Kahale in Lemberg und Satanów, Chaim Kohen Rapaport und David Ben Abraham, und durch immer weitere Botschaften voller vager Andeutungen sind sie miteinander verbunden, lässt diese peinliche und beschämende Affaire sich doch nur schwer in die reinen und heiligen Worte des Hebräischen fassen. Es lesen die Botschaften am Ende auch türkische Beamte, die wissen müssen, was im Nachbarlande vor sich geht, und außerdem in Geschäften sind mit dem hiesigen Adel. Der Nachrichtenhunger ist groß.
Die Spione – die königlichen wie die christlichen und jüdischen – berichten, Jakob sei zunächst nach Korolówka gefahren, wo er geboren sei und wo nach wie vor ein Teil seiner Familie lebe, und zwar ein Onkel väterlicherseits, ebenfalls Jankel mit Namen, der Rabbi von Korolówka, und dessen Sohn Israel mit seiner Frau Sobla.
Hier schließen sich Jakob, so weiter der Bericht, zwanzig Menschen an; die meisten von ihnen sind seine Verwandten. Alle schreiben feierlich ihre Namen auf ein Blatt Papier und geloben, bei ihrem Glauben zu bleiben, unbeirrbar und furchtlos, aller Verfolgung zum Trotz. Und sie bekunden zugleich, mit Jakob zu einem anderen Glauben übertreten zu wollen, falls es notwendig werden sollte. Sie sind wie Soldaten: zu allem bereit, schreibt hochtrabend einer der Spione.
Die Spione wissen auch von Jenta im Holzschuppen neben dem Haus. »Ein heiliges altes Weib«, »die Alte, die nicht sterben will«, »die dreihundertjährige Hexe«, so schreiben sie.
Zu ihr geht Jakob als Erstes.
Sobla führt ihn zum Schuppen, öffnet die Tür, zeigt ihm, was er gleich nach seiner Ankunft hat sehen wollen. Verwundert bleibt er stehen. Der Holzschuppen hat sich in ein festliches Zimmer verwandelt, an den Wänden hängen gestreifte und farbig leuchtende Kelims, gewebt von den hiesigen Bauern. Mit ebensolchen Kelims ist der Boden ausgelegt. In der Mitte steht ein breites Bett, mit schön bestickter, jetzt allerdings ein wenig eingestaubter Bettwäsche bezogen – Sobla streift mit der Hand ein paar Grashalme und Spinnenfäden herunter. Aus der Zudecke schaut ein menschliches Gesicht hervor, obenauf liegen Arme mit weißen, knochigen Händen. Jakob, eben noch erheitert und zu Schabernack aufgelegt, spürt, wie seine Beine nachgeben. Es ist seine Großmutter, die dort liegt. Auch die anderen, Nachman und Nussen, Reb Mordke und der alte Mosche aus Podhajce, der ebenfalls gekommen ist, um Jakob zu begrüßen – alle beugen sich über Jenta. Zuerst steht Jakob wie versteinert da, bis er mit einem Mal theatralisch zu schluchzen beginnt, und die anderen tun es ihm gleich. Sobla hat sich in die Tür gestellt, damit niemand mehr den Holzschuppen betritt, die Neugierigen sich nicht hereindrängen; die Menschen füllen fast den ganzen kleinen Hof zwischen den Gebäuden, blass, bärtig, mit Fellmützen auf den Köpfen stampfen sie im frischen Schnee von einem Bein aufs andere.
Sobla durchlebt ihren großen Moment, stolz ist sie, dass Jenta so schön aussieht.
Sie schlägt die Tür zu, tritt herein, um die Umstehenden darauf aufmerksam zu machen, wie zart Jentas Lider zittern, wie sich die Augäpfel darunter bewegen, durch unvorstellbare Welten wandern.
»Sie lebt«, sagt Sobla beruhigend. »Fass sie an, sie ist sogar ein bisschen warm.«
Gehorsam und ohne zu zögern, tippt Jakob mit dem Finger Jentas Hand an. Dann zieht er ihn schnell zurück. Sobla kichert.
Und was sagst du jetzt dazu, Weiser Jakob?
Natürlich ist Israels Frau Sobla, so wie viele Frauen, gegen diese Rechtgläubigen, wie sie sich selbst nennen wollen, denn aus Schwarz machen sie Weiß, schließlich sind sie alles andere, nur nicht rechtgläubig. Und so wie viele Frauen kann Sobla Jakob nicht leiden. Besonders, wenn sie ihn beten sieht – ohne Tefillin! Er dreht sich dabei um die eigene Achse, knirscht mit den Zähnen. Das sind doch schnöde Kunststückchen wie vom Jahrmarkt, denkt Sobla. Jakob heißt sie zum Laden der Gojim gehen – ein Stückchen höher beginnt der gojische Teil des Ortes –, christliches Brot soll sie kaufen. Sobla weigert sich. So holt also jemand anderer das Brot, und Jakob gibt allen etwas davon. Manche werden dadurch so übermütig, dass sie selbst die Hand nach dem Brot ausstrecken und den Frevel begehen. Seltsam benimmt er sich auch, wenn er plötzlich innehält und lauscht, als vernähme er Stimmen. Er allein scheint sie zu hören. Sinnlose Dinge sagt er dann, in einer unbekannten Sprache, wiederholt zum Beispiel immer wieder »se-se-se« und zittert dabei am ganzen Leib. Was das heißen soll, weiß Sobla nicht. Niemand weiß es, doch seine Anhänger nehmen es ernst. Mosche aus Podhajce erklärt Israel, dass Jakob ma’assim sarim sage, immerfort es wiederhole, damit seien »Befremdliche Taten« gemeint, also das, womit man beginnen müsse. Befremdliche Taten, seltsame Handlungen – im ersten Augenblick unverständlich, wunderlich für Nichteingeweihte, die Eingeweihten aber, diejenigen, die Jakob am nächsten stehen, sollten es wissen. All die Dinge, die bislang verboten waren – jetzt muss man sie tun. Deshalb auch das trefene Christenbrot.
Den ganzen Nachmittag denkt Israel darüber nach. Wenn die so lang ersehnten messianischen Zeiten tatsächlich angebrochen sind, hat Jakob recht, und die Gesetze dieser Welt, die Gesetze der Tora gelten nicht mehr. Jetzt ist alles umgekehrt. Israel erfüllt dieser Gedanke mit Angst und Schrecken. Er sitzt auf der Bank und sieht mit offenem Mund, wie die Welt ihm plötzlich seltsam wird. Alles dreht sich in seinem Kopf. Im Hof des Hauses verspricht Jakob, dass es bald mehr davon geben werde, mehr »Befremdliche Taten«, und sorgsam und voller Andacht müssten sie ausgeführt werden. Die alten Gesetze zu brechen, sei unabdingbar, nur so könne die Erlösung schneller herbeigeführt werden. Am Abend bittet Israel ihn um das Christenbrot und kaut es langsam, beharrlich, hingebungsvoll.
Sobla hingegen, eine überaus praktisch veranlagte Person, interessiert sich nicht...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Widmung
  4. Prolog
  5. I Das Buch des Nebels
  6. II Das Buch des Sandes
  7. III Das Buch der Wege
  8. IV Das Buch des Kometen
  9. V Das Buch des Metalls und des Schwefels
  10. VI Das Buch des fernen Landes
  11. VII Das Buch der Namen
  12. Bibliographische Notiz
  13. Danksagung
  14. Fußnoten
  15. Impressum