Franz von Verulam's
Ansichten und Erwägungen,
deren Kenntniss die Zeitgenossen wie die Nachkommen interessiren wird.
Inhaltsverzeichnis
Als ich erkannte, dass der menschliche Geist sich unnöthige
Arbeit macht und die wahren Hülfsmittel, wie sie dem Menschen
zu Gebote stehen, nicht maassvoll und geschickt gebraucht, so dass
vielfache Unwissenheit und zahllose Schäden die Folge davon
sind, glaubte ich mit aller Kraft dahin streben zu müssen,
dass der Verkehr zwischen dem Geist und den Dingen, von denen sich
kaum etwas Aehnliches auf Erden oder in irdischen Dingen zeigt, wieder rein
hergestellt oder wenigstens verbessert werde.
Dass die Irrthümer, welche sich eingeschlichen haben und
noch fort und fort einschleichen werden, sich einer durch den
andern, wenn der Geist sich selbst überlassen bleibt,
berichtigen werden, sei es durch die eigene Kraft des Verstandes
oder durch die Hülfsmittel und Rathschläge der Dialektik,
dazu ist keine Hoffnung vorhanden, weil die nächsten Begriffe
der Dinge, welche der Geist beim ersten Griff schnell aufnimmt,
dann bewahrt und anhäuft, und von denen alles Andere sich
ableitet, fehlerhaft, verworren und leichthin von den Dingen
abgenommen sind, und weil in den höheren und weiteren
Begriffen die gleiche Willkür und Unbeständigkeit
herrscht. Deshalb ist das ganze Verfahren, dessen man sich zur
Erforschung der Natur bedient, nicht gut gebildet und eingerichtet
und gleicht mehr einem prächtigen Aufbau ohne feste Grundlage.
Während die Menschen die falschen Kräfte des Geistes
bewundern und preisen, übersehen und verderben sie die, welche
es wahrhaft sein könnten, wenn dem Geist die nöthige
Hülfe gewährt würde und er selbst den Dingen sich
fügte, statt ohnmächtig ihnen Zwang anthun zu
wollen.
Es blieb also nur übrig, die Aufgabe von Neuem mit besseren
Hülfsmitteln zu beginnen und von den richtigen Grundlagen aus
eine allgemeine Erneuerung der Wissenschaften und
Künste, sowie aller
menschlichen Lehren zu beginnen. Wenn dies Unternehmen auch im
Beginn unermesslich und die menschlichen Kräfte zu
übersteigen scheint, so wird es sich doch bei der
Ausführung als gesunder und maassvoller wie alles bis jetzt
Geleistete ergeben. Denn hier sieht man ein Ziel ab; bei der Weise
aber, wie jetzt die Wissenschaften behandelt werden, dreht sich
Alles im Kreise und besteht ein ewiges Schwanken.
Auch weiss ich wohl, wie einsam ich mit solchem Unternehmen
stehe, und wie schwer und unwahrscheinlich es ist, hier Zutrauen zu
gewinnen. Trotzdem mag ich weder den Gegenstand noch mich selbst
aufgeben, und ich will den Weg versuchen und betreten, auf dem
allein der Geist weiter kommen kann. Es ist besser, mit einer Sache
zu beginnen, die zum Ziele führen kann, als solchen Dingen,
die zu keinem Ende führen, fortwährend Kraft und Eifer
zuzuwenden.
Die Wege der Betrachtung entsprechen jenen Wegen des Lebens, von
denen die Dichter gesungen haben: der eine beginnt steil und
mühsam und endigt eben; der andere scheint anfangs glatt und
leicht, aber führt auf Abwege und in Abgründe.
Da ich nicht wusste, wann solche Gedanken wie diese von Jemand
Anderem aufgenommen werden würden, und da ich bis jetzt
Niemand getroffen habe, der sein Nachdenken hierauf gerichtet
hätte, so entschloss ich mich, das Erste, was ich
hierüber zu Stande bringen würde, zu
veröffentlichen. Nicht der Ehrgeiz, sondern die Sorge treibt
mich so zur Eile; denn sollte mir etwas Menschliches begegnen, so
bliebe dann doch eine Andeutung und Bezeichnung der Aufgabe, die
ich mir gestellt habe, zurück und zugleich ein Zeichen meiner
ehrlichen, auf das Beste des menschlichen Geschlechts gerichteten
Absichten. Allerdings ist mir ein gewisser, wenn auch
untergeordneter Ehrgeiz aus dieser Arbeit erwachsen. Denn entweder
ist der Gegenstand, um den es sich hier handelt, Nichts, oder er
ist so gross, dass er den Lohn in sich selbst trägt, und man
ihn nicht anderwärts zu suchen braucht.
Widmung.
Inhaltsverzeichnis
Seinem Allerhöchsten,
Grossmächtigsten Fürsten und Herrn
Jacob,
durch Gottes Gnade Könige von Grossbritannien, Frankreich und Irland, Vertheidiger des Glaubens u. s. w.
Allergnädigster, Grossmächtigster König!
Deine Majestät könnte vielleicht mich des
Diebstahls beschuldigen, weil ich die zu diesem Werke nöthige
Arbeit Deinem Dienst entzogen habe. Ich weiss darauf nichts
zu sagen; denn die verflossene Zeit ist unwiederbringlich.
Vielleicht ist, was an Zeit Deinem Dienst entzogen worden,
dem Andenken Deines Namens und dem Ruhme Deines
Jahrhunderts zugelegt worden, sofern nämlich diese Arbeit
einigen Werth hat. Sie ist wenigstens neu; selbst der ganzen Art
nach, obgleich sie von einem sehr alten Exemplar abgeschrieben
worden, nämlich von der Welt selbst und von der Natur der
Dinge und des menschlichen Geistes. Ich wenigstens, wie ich offen
gestehen will, halte das Werk mehr für eine Geburt der Zeit
als des Geistes. Nur das Eine ist daran wunderbar, dass
der Gedanke dazu und der Verdacht gegen alles bis jetzt für
wahr Gehaltene Jemand hat beikommen können. Alles Andere
ergiebt sich dann leicht. Es waltet unzweifelhaft der Zufall, wie
man sagt, oder ein Ungefähr sowohl in dem, was die Menschen
denken, als in dem, was sie thun und sprechen. Diesen Zufall, wie
ich es nennen will, möchte ich aber so verstanden haben, dass,
wenn in dem, was ich hier darbringe, etwas Gutes enthalten ist, es
der unermesslichen Gnade und göttlichen Liebe und dem
Glücke Deiner Zeiten zugeschrieben werde. Dir
habe ich in meinem Leben mit reinster Hingebung gedient, und wenn
ich todt bin, habe ich es vielleicht erreicht, dass diese Zeiten
den Nachkommen glänzend voranleuchten, nachdem diese neue
Fackel für die in der Philosophie herrschende Finsterniss
angezündet worden. Mit Recht verdient die Zeit des weisesten
und gelehrtesten Königs diese Wiedererzeugung und Erneuerung
der Wissenschaften.
Es bleibt mir noch eine Bitte, welche Deiner
Majestät nicht unwerth und für das Unternehmen von
höchster Bedeutung ist. Sie geht dahin, dass Du, der
Du Salomo in so Vielem, in dem Ernst Deiner Urtheile,
in dem Frieden Deiner Herrschaft, in der weit reichenden
Milde Deines Herzens, in der edlen Mannichfaltigkeit der von
Dir verfassten Bücher gleichst, auch darin noch dem
Beispiel
jenes Königs nachfolgest, dass Du für die
Ausarbeitung und Vollendung jener auf Versuche sich stützenden
Naturbeschreibung sorgest, jener wahren und strengen, unter
Fernhaltung der Sprachgelehrten, welche die Unterlage der
Philosophie bildet, und welche ich an ihrem Orte näher
beschreiben werde; damit endlich nach so vielen Jahrhunderten
Philosophie und Wissenschaft nicht mehr in den Lüften
schweben, sondern sich auf die sicheren Grundlagen einer Alles
umfassenden und wohldurchdachten Erfahrung
stützen. Ich habe das Werkzeug dargeboten; der Inhalt muss
aber von den Dingen selbst entnommen werden.
Möge der gnädige und allgütige Gott Deine
Majestät noch lange unversehrt erhalten.
Deiner Erhabenen Majestät
treuester und unterthänigster Knecht
Franz Verulam,
Kanzler.
Der erste Theil seines Werkes sollte
eine encyklopädische Uebersicht der Wissenschaften bilden und
ist drei Jahre später, 1623, unter dem Titel: De augmentis
et dignitate scientiarum (Ueber den Werth und die Vermehrung
der Wissenschaften) erschienen. Da indess Baco mit der
Veröffentlichung des Neuen Organon, was er zuerst fertig
hatte, nicht länger warten mochte, so gab er, wie
erwähnt, diesen zweiten Theil des ganzen Werkes zuerst heraus,
aber fügte demselben einen Vorbericht an den Leser und eine
Vorrede, sowie eine Widmung an den König Jakob I. von
England bei, welche für das ganze Werk berechnet waren und
ihre Stelle deshalb im Anfange des Hauptwerkes, also in dem
I. Theile hätten finden sollen. Baco nahm sie nur deshalb
bei seinem Organon mit auf, weil dieser erste Theil damals noch
nicht vollendet war und Baco daran lag, das Publikum mit seinem
Plane und der Stellung des Organon's dazu bekannt zu machen.
– Hiernach sind diese hier folgenden zwei Vorreden, das
Vorwort an den Leser und die Widmung an den König
aufzufassen.
Unter Verkehr des Geistes mit den Dingen versteht Baco
den Uebergang des Inhaltes des Seienden überhaupt in das
Wissen des Menschen. Es ist derselbe Gedanke, welcher
B. I. 64 weiter entwickelt worden ist. Deshalb kann Baco
sagen, dass es hierfür nichts Aehnliches auf Erden giebt. Es
ist das höchste Wunder auf Erden, worüber sich nur
deshalb Niemand wundert, weil dieses Wunder ununterbrochen sich
vollzieht.
Unter der »nöthigen
Hülfe« versteht Baco seine induktive Methode, welche
nicht mit vorweg fertigen Begriffen an die Gegenstände tritt,
sondern aus der Beobachtung dieser Gegenstände erst die
Begriffe bildet und ableitet.
Unter »Künste«
(artes) versteht Baco jede praktische Anwendung der Wissenschaften
für die realen Zwecke des Lebens. Es darf deshalb bei diesem
sehr häufig vorkommenden Worte Baco's nicht an die
schönen Künste gedacht werden, denen Baco
überhaupt wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat, obgleich
Shakespeare sein Zeitgenosse und Landsmann war.
Baco war bis zur Herausgabe des Organon's im Jahre 1620
von König Jacob allmählich zu den höchsten
Staatsämtern und Würden erhoben worden. Er war der
vertraute Rathgeber des Königs, und dieser selbst liebte, mit
seiner Gelehrsamkeit, namentlich im Gebiet der Theologie, zu
glänzen, und war auch der Philosophie nicht abhold. So war die
Widmung des Werkes an Jacob nicht blos eine That der Dankbarkeit
von Seiten Baco's, sondern er mochte bei dem König auch ein
Verständniss desselben erwarten.
Baco will mit diesem
kraftvollen, mehrmals wiederkehrenden Satze sagen, dass die seit
den letzten hundert Jahren geschehenen grossen Entdeckungen und
Erfindungen (Buchdruckerkunst, Schiesspulver, Kompass, Entdeckung
von Amerika) es sind, welche dem menschlichen Geist überhaupt
die von der Scholastik sich abwendende und dem praktischen Leben
zugewendete Richtung gegeben haben, aus der auch sein Werk
hervorgegangen ist.
Diese Naturbeschreibung
(Historia naturae) sollte den dritten Theil der Instauratio
bilden. Es war natürlich, dass eine solche in der umfassenden
Weise, wie Baco sie sich dachte, von einem Menschen nicht
vollendet werden konnte, und deshalb hoffte Baco, durch des
Königs Unterstützung die nöthige Hülfe zu
gewinnen.
Unter »Werkzeug« ist das »Organon«
zu verstehen, was Baco hier dem König widmet. Organon heisst
im Griechischen das Werkzeug, und in diesem Sinne und mit
Anspielung auf die ebenso genannten logischen Schriften des
Aristoteles ist dieses Wort auch zum Titel des Werkes von
Baco gewählt worden.
Franz von Verulam's
Grosse Erneuerung der Wissenschaften.
Inhaltsverzeichnis
Vorrede.
Ueber die ungünstige, nicht fortschreitende Lage der Wissenschaften; es muss ein durchaus anderer, bisher nicht gekannter Weg dem menschlichen Verstande eröffnet, und andere Hülfsmittel müssen beschafft werden, damit der Geist von seinem Rechte gegen die Natur Gebrauch machen kann.
Die Menschen scheinen weder ihre Mittel noch ihre Kräfte richtig zu kennen; von jenen halten sie mehr, von diesen weniger, als recht ist. So kommt es, dass sie entweder die vorhandenen Künste sinnlos überschätzen und nichts über sie hinaus verlangen, oder dass sie sich selbst mehr als billig verachten, ihre Kräfte auf unbedeutende Dinge verwenden und in den wichtigsten nicht versuchen. So sind ihren Wissenschaften gleichsam Säulen vom Schicksal gesetzt, über die hinauszukommen man weder das Verlangen noch die Hoffnung hat. Aber eingebildeter Reichthum ist eine Hauptursache der Armuth, und die Zuversicht auf das Gegenwärtige lässt die wahre Hülfe für die Zukunft vernachlässigen. Deshalb ist es zweckmässig, ja nothwendig, dass hier an der Schwelle meines Werkes ohne Umschweife und im Ernste alles Uebermaa...