Das Gewissen Europas
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»Wer über sich Werte fühlt, die er
hundertmal höher nimmt als das
Wohl des ›Vaterlands‹, der Gesellschaft,
der Bluts- und Rassenverwandtschaft
– Werte, die jenseits
der Vaterländer und Rassen stehen,
also internationale Werte –, der
würde zum Heuchler, wenn er den
Patrioten spielen wollte. Es ist eine
Niederung von Mensch zu Mensch,
welche den nationalen Haß aushält
(oder gar bewundert und verherrlicht).«
Nietzsche, Vorreden-Material im Nachlaß
»La vocation ne peut être connue et
prouvée que par le sacrifice que fait
le savant et l'artiste de son repos,
de son bien-être pour suivre sa vocation.«
Brief Leo Tolstois an Rolland
4. Oktober 1887
Die vergebliche Botschaft
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Johann Christof war der wissende Abschied von einer Generation. Colas Breugnon ist ein anderer Abschied, ein unbewußter: von dem alten, sorglosen, heiteren Frankreich. Den Späteren seines Blutes wollte dieser »bourguignon salé« zeigen, wie man das Leben mit dem Salz des Spottes durchwürzen und doch freudig genießen kann: allen Reichtum seiner geliebten Heimat hatte er darin ausgebreitet und seinen schönsten: die Freude am Leben.
Sorglose Welt: sie wollte auch der Dichter für eine erwecken, die sich in Not und unseliger Feindschaft verzehrte. Ein Ruf zum Leben über Jahrhunderte hinweg, sollte aus Frankreich dem Deutschen Johann Christof antworten, auch hier zwei Stimmen sich lösend in die hohe Harmonie Beethovens, den Ruf an die Freude. Im Herbst 1913 waren die Blätter wie goldene Garben geschichtet. Bald war das Buch gedruckt, im nahen Sommer 1914 sollte es erscheinen.
Aber der Sommer 1914 hatte blutige Saat. Die Kanonen, die Johann Christofs Warnungsruf überdonnerten, zerschmetterten auch den Ruf zur Freude, das Lachen Meister Breugnons.
Der Hüter des Erbes
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Der zweite August 1914 reißt Europa in Stücke. Und mit der Welt bricht auch der Glaube, den die Brüder im Geiste, Johann Christof und Olivier, mit ihrem Leben erbaut, zusammen. Ein großes Erbe liegt verwaist. Voll Haß scharren in allen Ländern die Kärrner des Krieges mit zornigen Spatenschlägen den einst heiligen Gedanken der menschlichen Brüderschaft wie einen Leichnam zu den Millionen Toten.
Romain Rolland ist in dieser Stunde vor eine Verantwortung ohnegleichen gestellt. Er hat die Probleme geistig gestaltet: nun kehrt das Ersonnene zurück als furchtbare Wirklichkeit. Der Glaube an Europa, den er Johann Christof zu hüten gegeben, ist unbeschützt: er hat keinen Sprecher mehr, und nie war es notwendiger, seine Fahne gegen den Sturm zu tragen. Und der Dichter weiß, jede Wahrheit ist nur eine halbe Wahrheit, solange sie im Wort gefangen bleibt. Der wahre Gedanke lebt erst in der Tat, ein Glaube erst als Bekenntnis.
In Johann Christof hatte Romain Rolland alles im voraus gesagt zu dieser unvermeidlichen Stunde; aber doch, um das Bekenntnis wahr zu machen, muß er jetzt noch etwas hinzufügen: sich selbst. Er muß tun, was sein Johann Christof für Oliviers Sohn tat: die heilige Flamme hüten; er muß, was sein Held prophetisch verkündigte, lebendig erstehen lassen durch die Tat. Wie er es getan hat, ist uns allen unvergeßliches Beispiel geistigen Heldentums geworden, ein Erlebnis, noch hinreißender als das geschriebene Werk. Christof und Oliviers Gerechtigkeitswillen sahen wir in seiner Gestalt restlos gelebte Überzeugung geworden, mit dem ganzen Gewicht seines Namens, seines Ruhmes, seiner künstlerischen Kraft einen Menschen aufrecht stehen wider Vaterland und Ferne, den Blick geradeaus erhoben in den Himmel des überzeitlichen Glaubens.
Daß dieses Beharren auf der Überzeugung, dieses scheinbar Selbstverständliche für eine Zeit des Wahns das Schwerste war, hat Rolland nie verkannt. Aber – wie er an einen französischen Freund in den Septembertagen 1914 schrieb: »Man sucht sich nicht seine Pflicht aus, sie zwingt sich einem auf, und die meine ist (mit Hilfe jener, die meine Gedanken teilen), aus der Sintflut die letzten Überreste des europäischen Geistes zu retten.« Er weiß, »die Menschheit verlangt, daß gerade die, die sie lieben, ihr standhalten müssen und sogar gegen sie kämpfen, wenn es not tut«.
Diesen Kampf im Kampfe der Völker haben wir durch fünf Jahre heroisch gesteigert erlebt, das Wunder eines Nüchternen gegen den Wahn der Millionen, des Freien gegen die Knechtschaft der öffentlichen Meinung, des Liebenden gegen den Haß, des Europäers gegen die Vaterländer, des Gewissens gegen die Welt. Und es war in dieser langen blutigen Nacht, da wir manchmal in Verzweiflung über das Sinnlose der Natur zu vergehen meinten, einzige Tröstung und Erhebung, zu erkennen, daß die stärksten Gewalten, die Städte zermalmen und Reiche vernichten, doch ohnmächtig bleiben gegen einen einzigen Menschen, wenn er den Willen und die seelische Unerschrockenheit hat, frei zu sein; denn die sich Sieger über Millionen dünkten, konnten eines nicht meistern: das freie Gewissen.
Vergebens darum ihr Triumph, sie hätten den gekreuzigten Gedanken Europas begraben. Der wahre Glaube schafft immer das Wunder. Johann Christof hatte seinen Sarg gesprengt und war auferstanden in der Gestalt seines Dichters.
Der Vorbereitete
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Es mindert nicht das moralische Verdienst Romain Rollands, es entschuldigt nur vielleicht ein wenig die anderen, wenn man feststellt, daß Rolland wie kein anderer Dichter der Zeit innerlich auf den Krieg und seine Probleme vorbereitet war. Blickt man rückläufig heute in sein Werk, so wird man erstaunt gewahr, daß es von allem Anbeginn wie eine ungeheure Pyramide in vielen Jahren der Arbeit der einzigen Spitze entgegengebaut ist – jener Spitze, in die dann der Blitz, vom Polaren angezogen, einschlägt: der Krieg. Seit zwanzig Jahren kreist das Denken, das Schaffen dieses Künstlers unablässig um das Problem des Widerspruchs von Geist und Gewalt, Freiheit und Vaterland, Sieg und Niederlage: in hundertfachen Variationen, dramatisch, episch, dialogisch, programmatisch, durch Dutzende von Figuren hat er das Grundthema abgewandelt; kaum bietet die Wirklichkeit ein Problem, das Christof und Olivier, Aërt und die Girondisten nicht in ihren Diskussionen zumindest gestreift und gestaltet hätten. Geistig ist sein Werk das wahre Manövrierfeld aller Motive des Krieges. Darum war Rolland innerlich schon fertig, als die anderen anfingen, sich mit den Geschehnissen auseinanderzusetzen. Der Historiker hatte die ewige Wiederholung der typischen Begleiterscheinungen, der Psychologe die Massensuggestion und die Wirkung auf das Individuum festgestellt, der moralische Mensch, der Weltbürger, längst sein Credo geschaffen: so war Rollands geistiger Organismus gegen die Infektion des Massenwahns und die Ansteckung der Lüge gewissermaßen immunisiert.
Aber es ist eben kein Zufall, welche Probleme sich der Künstler stellt: es gibt keine »glückliche Stoffwahl« beim Dramatiker, der Musiker »findet« nicht eine reine Melodie, sondern er hat sie in sich. Die Problematik erschafft den Künstler, nicht der Künstler die Probleme, die Ahnung den Propheten, und nicht der Prophet die Ahnung. Wahl ist beim Künstler immer Bestimmung. Und der Mann, der das wesentliche Problem einer ganzen Kultur, einer tragischen Epoche im voraus erkannt hatte, mußte naturgemäß in entscheidender Stunde (obzwar sie es nicht ahnte) der Wesentliche für sie sein. Es war sinnbildlich, daß gerade die Lehrer der Weisheit, die systematischen Deuter, die Philosophen hüben und drüben, Bergson ebenso wie Eucken und Ostwald versagten, weil sie ihre ganze geistige Leidenschaft jahrzehntelang einzig an die abstrakten Wahrheiten, die »verités mortes« gewandt hatten, indes Rolland – als Systematiker ihnen unendlich unterlegen – mit seiner »intelligence du coeur«, seiner Herzensklugheit, die Erkenntnis der »verités vivantes«, der lebendigen Wahrheiten, antizipierte. Jene hatten für die Wissenschaft gelebt und waren darum kindlich oder knabenhaft vor den Wirklichkeiten, indes Rolland, der immer nur für die atmende Menschheit gedacht, in Bereitschaft war. Nur wer den europäischen Krieg wissend als den Abgrund gesehen, dem die wilde Jagd der letzten Jahrzehnte, jede Warnung überrasend, zustürmte, nur der konnte seine Seele gewaltsam zurückreißen, im Chor der Bacchanten mitzustürmen und trunken vom Chor und den betäubenden Paukenschlägen, sich das blutige Tigerfell umzuwerfen. Nur der konnte aufrecht stehen im größten Sturm des Wahns, den die Weltgeschichte kennt.
So steht Rolland nicht erst in der Stunde des Krieges, sondern von allem Anbeginn im Gegensatz zu den anderen Dichtern und Künstlern der Zeit – daher auch die Einsamkeit seiner ersten zwanzig Schaffensjahre. Daß dieser Gegensatz seiner Problematik sich aber nicht offen kundtat, sondern erst im Kriege zur Kluft wurde, lag darin, daß die tiefe Distanz, die Rolland von seinen geistigen Zeitgenossen scheidet, viel weniger eine der Gesinnung als des Charakters war. Fast alle Künstler erkannten ebenso wie er vor dem apokalyptischen Jahr den europäischen Bruderkrieg als ein Verbrechen, eine Schmach unserer Kultur, mit ganz wenigen Ausnahmen waren sie Pazifisten oder meinten es zu sein. Denn Pazifismus heißt nicht nur Friedensfreund sein, sondern Friedenstäter, »εἰϱηνοποιός« wie es im Evangelium heißt; Pazifismus meint Aktivität, wirkenden Willen zum Frieden, nicht bloß Neigung zur Ruhe und Behaglichkeit. Er meint Kampf und fordert wie jeder Kampf in der Stunde der Gefahr Aufopferung, Heroismus. Jene aber kannten nur einen sentimentalen Pazifismus, Friedensliebe im Frieden, sie waren Friedensfreunde, wie sie wohl auch Freunde des sozialen Ausgleichs, der Menschenliebe, der Abschaffung der Todesstrafe waren – Gläubige ohne Leidenschaft, die ihre Meinung lose trugen wie ein Kleid, um es in der Stunde der Entscheidung dann gegen eine Kriegsmoral auszutauschen und irgendeine nationale Uniform der Meinung anzuziehen. Im tiefsten wußten sie ebenso wie Rolland das Rechte, sie brachten es nur nicht bis zum Mut ihrer Meinung, Goethes Wort an Eckermann verhängnisvoll bestätigend: »Mangel an Charakteren der einzelnen forschenden und schreibenden Individuen ist die Quelle alles Übels unserer neueren Literatur«.
Das Wissen um die Dinge hat also Rolland nicht allein gehabt – das teilte er mit manchem Intellektuellen, manchem Politiker –, aber bei ihm verwandelt sich jede Erkenntnis in religiöse Leidenschaft, jeder Glaube in Bekenntnis, jeder Gedanke in Tat. Daß er seiner Idee gerade dann treu geblieben, als die Zeit sie verleugnete, daß er den europäischen Geist verteidigte gegen alle die rasenden Heerhaufen der einstmals europäischen und nun vaterländischen Intellektuellen, ist ein Ruhm, der ihn einsam macht unter den anderen Dichtern. Kämpfend wie immer seit seiner Jugend für das Unsichtbare gegen die ganze wirkliche Welt, hat er neben das Heldentum der Reiterattacken und der Schützengräben ein anderes, uns höheres gestellt: den Heroismus des Geistes neben den Heroismus des Blutes, und uns das wunderbare Erlebnis geschenkt, inmitten des Wahns der trunken getriebenen Massen einen freien wachen menschlichen Menschen zu sehen.
Das Asyl
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Die Nachricht vom Kriegsausbruch trifft Romain Rolland in Vevey, der kleinen altertümlichen Stadt am Genfer See. Wie fast jeden Sommer, so hat er auch diesen in der Schweiz verbracht, der Wahlheimat seiner wichtigsten und schönsten Werke; hier, wo die Nationen einander brüderlich in einem Staat umfassen, wo sein Johann Christof zum erstenmal den Hymnus der europäischen Einheit verkündet, erfährt er die Nachricht von der Weltkatastrophe.
Sein ganzes Leben erscheint ihm mit einemmal sinnlos: umsonst also die Mahnung, umsonst die zwanzig Jahre leidenschaftlicher unbelohnter Arbeit. Was er seit frühester Kindheit gefürchtet, was er den Helden seiner Seele, Olivier, 1898 aufschreien ließ als innerste Qual seines Lebens: »Ich fürchte so sehr den Krieg, ich fürchte ihn schon lange. Er ist ein Alpdruck für mich gewesen und hat meine Kindheit vergiftet,« das ist plötzlich aus dem prophetischen Angsttraum eines Einzigen Wahrheit für hundert entsetzte Millionen Menschen geworden. Daß er um die Unvermeidlichkeit dieser Stunde prophetisch gewußt hat, mindert nicht seine Qual. Im Gegenteil, indes die anderen sich eilig betäuben mit dem Opium der Pflichtmoral und den Haschischträumen des Sieges, blickt er mit grausamer Nüchternheit in die Tiefe der Zukunft. Sinnlos scheint ihm seine Vergangenheit, sinnlos das ganze Leben. Er schreibt am 3. August 1914 in sein Tagebuch: »Ich kann nicht weiter. Ich möchte tot sein. Denn es ist entsetzlich, inmitten einer wahnwitzigen Menschheit zu leben und ohnmächtig dem Zusammenbruch der Zivilisation zuzusehen. Dieser europäische Krieg ist die größte Katastrophe seit Jahrhunderten, der Einsturz unserer teuersten Hoffnungen auf eine menschliche Brüderschaft.« Und einige Tage später, in nur noch gesteigerter Verzweiflung: »Meine Qual ist eine so aufgehäufte und gepreßte Summe von Qualen, daß ich nicht mehr zu atmen vermag. Die Zerschmetterung Frankreichs, das Schicksal meiner Freunde, ihr Tod, ihre Wunden. Das Grauen vor all diesen Leiden, die herzzerreißende Anteilnahme an den Millionen Unglücklichen. Ich fühle einen moralischen Todeskampf beim Schauspiel dieser tollen Menschheit, die ihre teuersten Schätze, ihre Kräfte, ihr Genie, die Glut heroischer Aufopferung dem mörderischen und stupiden Götzen des Krieges opfert. Oh, diese Leere von jedem göttlichen Wort, jedem göttlichen Geist, jeder moralischen Führung, die jenseits des Gemetzels die Gottesstadt aufrichten könnte. Die Sinnlosigkeit meines ganzen Lebens vollendet sich jetzt. Ich möchte einschlafen, um nicht wieder aufzuwachen.«
Manchmal in dieser Qual will er hinüber nach Frankreich, aber er weiß, daß er dort nutzlos wäre; für militärischen Dienst hat schon der schmale zarte Jüngling nie gezählt, der Fünfzigjährige noch viel weniger. Und einen Schein auch nur der Kriegshilfe zu erwecken, widerstrebt seinem Gewissen, das, erzogen in den Ideen Tolstois, sich gefestigt hat zu eigenen klaren Überzeugungen. Er weiß, daß auch er Frankreich zu verteidigen hat, aber in einem andern Sinn der Ehre als die Kanoniere und die haßschreienden Intellektuellen. »Ein großes Volk«, sagt er später in der Einleitung seines Kriegsbuches, »hat nicht nur seine Grenzen zu verteidigen, sondern auch seine Vernunft, die es bewahren muß vor all den Halluzinationen, Ungerechtigkeiten und Torheiten, die der Krieg mit sich bringt. Jedem sein Posten: den Soldaten die Erde zu verteidigen, den Männern des Gedankens den Gedanken ... Der Geist ist nicht der geringste Teil eines Volksbesitzes.« Noch ist er sich in diesen ersten Tagen der Qual und des Entsetzens nicht klar, ob und bei welchem Anlaß ihm das Wort notwendig sein wird: aber er weiß schon, daß er es nur in einem Sinne gebrauchen wird, im Sinne der geistigen Freiheit und übernationalen Gerechtigkeit.
Gerechtigkeit aber braucht selber Freiheit des Blickes. Nur hier, in neutralem Land konnte der Historiker der Zeit alle Stimmen hören, alle Meinungen empfangen – nur hier war Ausblick über den Pulverdampf, den Qualm der Lüge, die Giftgase des Hasses: hier war Freiheit des Urteils und Freiheit der Aussprache. Vor einem Jahre hatte er in Johann Christof die gefährliche Macht der Massensuggestion gezeigt, unter der in jedem Vaterland »die gefestigten Intelligenzen ihre sichersten Überzeugungen hinschmelzen fühlten« –, keiner wie er kannte so gut »die seelische Epidemie, den erhabenen Wahnsinn des Kollektivgedankens«. Eben deshalb wollte er frei bleiben, sich nicht berauschen lassen von der heiligen Trunkenheit der Massen und sich von niemand führen lassen als von dem eigenen Gewissen. Er brauchte nur seine Bücher aufzuschlagen, um darin die warnenden Worte seines Olivier zu lesen: »Ich liebe mein teures Frankreich; aber kann ich um seinetwillen meine Seele töten, mein Gewissen verraten? Das hieße mein Vaterland selbst verraten. Wie könnte ich ohne Haß hassen? Oder ohne Lüge die Komödie des Hasses spielen?« Und jenes andre unvergeßliche Bekenntnis: »Ich will nicht hassen. Ich will selbst meinen Feinden Gerechtigkeit widerfahren lassen. Inmitten aller Leidenschaften will ich mir die Klarheit des Blickes bewahren, um alles verstehen und alles heben zu können.« Nur in der Freiheit, nur in der Unabhängigkeit des Geistes dient der Künstler seinem Volke, nur so seiner Zeit, nur so der Menschheit: nur Treue gegen die Wahrheit ist Treue gegen das Vaterland.
Was der Zufall gewollt, bestätigt nun der bewußte Wille: Romain Rolland bleibt in der Schweiz, im Herzpunkt Europas fünf Jahre des Krieges, um seine Aufgabe zu erfüllen, »de dire ce qui est juste et humain,« zu sagen »was gerecht und menschlich ist«. Hier, wo der Wind aus allen Ländern hinweht, die Stimme selbst wieder frei die Grenzen überfliegt, keine Fessel das Wort bindet, dient er seiner unsichtbaren Pflicht. Ganz nahe schäumt in unendlichen Blutwellen und schmutzigen Wogen von Haß der Wahnsinn des Krieges an die kleinen Kantone heran; doch auch im Sturme deutet unerschütterlich die Magnetnadel eines menschlichen Gewissens zum ewigen Pol alles Lebens zurück: zur Liebe.
Menschheitsdienst
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Dem Vaterlande dienen, indem man der ganzen Menschheit mit seinem Gewissen dient, den Kampf aufnehmen, indem man das Leiden und seine tausendfältige Qual bekämpft, das fühlt Rolland als Pflicht des Künstlers. Auch er verwirft das Abseitsstehen. »Ein Künstler hat nicht das Recht, sich abseits zu halten, solange er den andern noch helfen kann.« Aber diese Hilfe, dieser Anteil darf nicht darin bestehen, die Millionen noch zu bestärken in ihrem mörderischen Hasse, sondern sie zu verbinden, wo sie unsicht...