Vermächtnis und Gedächtnis
Gedenkfeiern im Zeichen von Störmanövern
Sepp Kerschbaumer war seiner Haltung und Einstellung nach eine Integrationsfigur. Er war gegen Unfrieden und Ungerechtigkeit, gegen Aufspaltung und Zersplitterung. Er trat ein für Frieden und Gerechtigkeit, für Einigkeit und Geschlossenheit in der Verfolgung eines gemeinsamen Ziels. Dem entsprechen genau die Worte, die seine Angehörigen auf das Sterbebild gesetzt haben:
Durch seine aufrechte, christliche Haltung war er uns allen Vorbild und Mahnung. Möge sein Tod in Haft und Banden Eintracht und Rechtsgefühl in unserem Volke stärken, auf daß in Südtirol Recht und Frieden herrschen.
Es ist daher sehr zu bedauern, dass gerade die Gedenkfeiern vor seinem Grabmal benützt worden sind, um Zwietracht zu säen und Unstimmigkeiten hervorzurufen. Die Gedenkfeier zum ersten Jahrestag ging zwar anstandslos über die Bühne, hatte aber ein kleinliches Nachspiel. Aus allen Landesteilen fanden, sich am 8. Dezember 1965 Menschen in der Pfarrkirche von St. Pauls ein. Von der politischen Prominenz erschienen Landeshauptmann Silvius Magnago, der Parlamentsabgeordnete Hans Dietl sowie die Landtagsabgeordneten Friedl Volgger, Alfons Benedikter, Peter Brugger und Josef Posch. Nach dem Gottesdienst begaben sich die Kirchgänger in den Friedhof, wo ehemalige politische Häftlinge, Schützen in Tracht und Angehörige Kerschbaumers vor dem Grab Kränze und Blumengebinde niederlegten. Die Musikkapelle von St. Pauls spielte das Andreas-Hofer-Lied und die Weise vom guten Kameraden. Dann traten die Leute die Heimreise an.
Dennoch gab es jemanden, der ein Haar in der Suppe fand. Einer der Kränze trug eine rot-weiße Schleife mit der Inschrift Leben und Sterben für Deutsch-Südtirol. Nach Auffassung des L’Adige eine „deutliche und stupide Provokation“. Ähnlich müssen es die Carabinieri empfunden haben, da sie nachmittags die Schleife wegnahmen, der Gerichtsbehörde Bericht erstatteten und bis spät in die Nacht hinein eine bestimmte Person suchten.384 Es scheint sich aber um ein Phantom gehandelt zu haben, denn man hat nichts mehr davon gehört.
Dieser Vorfall wäre der Erwähnung nicht wert, wenn er nicht Ausdruck einer bestimmten Geisteshaltung gewesen wäre. Es lag aber auf der Hand, dass sich die Feiern zu Ehren Kerschbaumers und der anderen Südtiroler, die ihr Leben für die Heimat hingegeben hatten, Jahr für Jahr wiederholen würden. Und das ging so manchem Italiener gegen den Strich. Dass dem so war, zeigte sich nach der Gedenkfeier vom Jahre 1966. Wieder kamen Landsleute aus allen Gegenden nach St. Pauls. Und wieder erschien auch politische Prominenz: Landeshauptmann Silvius Magnago, Kammerabgeordneter Hans Dietl, die Landtagsabgeordneten Alfons Benedikter, Joachim Dalsass und Josef Posch. Die Feier am Friedhof verlief ruhig, diszipliniert und in Würde wie die im Vorjahr. Aber am nächsten Tag las man im Alto Adige die Schlagzeile Al terrorista Kerschbaumer il saluto di Magnago. Damit gab die Zeitung das Ziel vor, auf das sich die Angriffe richten sollten. Nicht genug damit, wartete das Blatt mit einem Bericht auf, der die ganze Feier in ein trübes Licht stellte. Unter Berufung auf eine Erklärung des Regierungskommissariats teilte es seinen Lesern mit, dass am 7. Dezember gegen 22 Uhr 30 eine Funkstreife der Finanzwache bei der Abzweigung Bozen-Meran zwei verdächtige Gestalten gesehen hätte. Bei ihrem Herannahen wären diese zwei Männer in der Dunkelheit in die angrenzenden Obstwiesen entkommen. Doch hätten die Finanzer sofort das Gelände durchsucht und dabei in einer F...