Hypnodrama in der Praxis
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Hypnodrama in der Praxis

  1. 189 Seiten
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Hypnodrama in der Praxis

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Mit dem Hypnodrama entdeckte Jacob Levy Moreno ein Therapieverfahren, dessen Wurzeln bis zum antiken griechischen Theater und zur Poetik des Aristoteles zurückreichen. Moreno definierte das Hypnodrama als eine Synthese aus Psychodrama und Hypnose. Seine effizienten Techniken lassen sich in vielen Arbeitsbereichen von Psychotherapien, Beratungen, Coachings oder Supervisionen bis hin zur Seelsorge nutzen.Ruth Metten verknüpft in diesem Buch die hochwirksame therapeutische Praxis des Hypnodramas mit deren spannenden und bedeutenden Traditionen aus der griechischen Antike. Nacheinander beantwortet sie die drei zentralen Fragen zu der Methode: Was ist Hypnodrama? Woher stammt es? Wie wird es gemacht?Getreu Morenos Motto "Handeln ist heilender als reden" legt die Autorin besonderes Gewicht darauf, Hypnodrama erlebbar zu machen. Zusammen mit den zahlreichen Fallbeispielen erleichtert das den Transfer in die eigene Praxis.

Häufig gestellte Fragen

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Information

1Dem Hypnodrama auf der Spur

»Das Psychodrama ist ›Lebenspraxis‹.«
Jacob Levy Moreno5
Am Anfang war das Spiel – genauer gesagt das Kinderspiel. Aus ihm entwickelte Jacob Levy Moreno das Psychodrama (vgl. Moreno 1950, p. 1) und knapp zwei Jahrzehnte später das Hypnodrama. Im Spiel wird weniger über etwas geredet, als vielmehr gehandelt. Dass dies durchaus therapeutische Effekte haben kann, entdeckte Moreno bereits als Medizinstudent bei seinem Spiel mit Kindergruppen in den Parkanlagen Wiens. Vielleicht war er deshalb so vom Spiel fasziniert, weil ihm das Leben bis dahin etliche Steine in den Weg gelegt hatte. 1889 als Sohn jüdischer Eltern in Bukarest geboren, musste seine Familie bereits wenige Jahre später von dort auswandern. Sie zog mit ihm nach Wien, 1899 dann nach Deutschland. Moreno kehrte 13-jährig allein nach Wien zurück. Dort schlug er sich als Hauslehrer für Kinder wohlhabender Eltern durch (vgl. Buer 1989, S. 13). Parallel besuchte er die jüdische Schule, studierte nach ihrem Abschluss zunächst Philosophie, dann Medizin. Sein Studium der Medizin schloss er 1917 ab. Noch während seiner Studienzeit begann er, Kindergruppen zu formen und mit ihnen in den Gärten und Parkanlagen Wiens aus dem Stegreif zu spielen (vgl. Moreno 1988, S. 10). Schon damals wäre ihm aufgefallen, so Moreno in dem 1950 gemeinsam mit James Mills Enneis veröffentlichten kleinen Band Hypnodrama and Psychodrama, dass solche Spiele einen heilsam en Effekt hätten – eine Katharsis bewirkten (vgl. Moreno 1950, p. 1). Das Wort Katharsis wird uns in diesem Buch noch häufiger begegnen. Sie gilt als zentrales Wirkprinzip des klassischen Psychodramas und damit auch des Hypnodramas – der Synthese aus Psychodrama und Hypnose.6 Was hat Moreno unter ihr verstanden?

1.1Die Katharsis als Wirkprinzip des klassischen Psychodramas

Reifungsprozesse vollziehen sich meist nicht in einem einzigen Schritt. Entsprechend kam auch das Psychodrama erst allmählich zu seiner Blüte. Bildeten die Spiele mit den Kindergruppen in den Parkanlagen Wiens die Saat, sollte es noch eine Weile dauern, bis sie gänzlich aufging. Denn zunächst hatte Moreno etwas anderes im Sinn, als vorrangig zu therapieren.
1921 eröffnete er ein privates Stegreiftheater in einer angemieteten Wohnung im obersten Stockwerk des Hauses Maysedergasse Nr. 2 im 1. Wiener Gemeindebezirk.7 Damit knüpfte er fürs Erste an eine damals in Wien schon lange bestehende Tradition an (vgl. Fangauf 1989, S. 98). Laut Duden leitet sich »Stegreif« von dem althochdeutschen Wort für Steigbügel ab. »Aus dem Stegreif zu sprechen« bedeutete ursprünglich, das Wort an jemand anderen zu richten, ohne vom Pferd zu steigen. Boten machten dies zuweilen so, wenn sie Nachrichten überbrachten. Traf diese nämlich auf den Unmut der Empfänger, musste man nicht erst wieder aufsitzen, um sich aus dem Staub machen zu können. Seit dem 17. Jahrhundert wird der Ausdruck im übertragenen Sinne dafür verwendet, wenn ohne Vorbereitung oder längeres Nachdenken – quasi aus dem Stand – geredet wird. Entsprechend gibt es im Stegreiftheater auch keine genau vorgegebenen Rollen, sondern die Schauspieler improvisieren das Geschehen auf der Bühne weitgehend frei. Mit der Eröffnung eines eigenen Stegreiftheaters versuchte Moreno, es wieder in seine ursprüngliche Form zu überführen (vgl. Fangauf 1989, S. 98). Denn dieses hatte im Laufe der Zeit, wie den Ausführungen der Ärztin und Psychodramatikerin Ulrike Fangauf in ihrem 1989 veröffentlichten Buchbeitrag Moreno und das Theater zu entnehmen ist, mehr und mehr an Spontaneität verloren (vgl. Fangauf 1989, S. 97 f.). Das zu ändern, war Moreno seinerzeit offenbar ein Anliegen. Mit der Ausschaltung des geschriebenen Stücks habe er sich, so Fangauf weiter, abermals auf der Grundlage der frühen Stegreifspiele befunden (vgl. Fangauf 1989, S. 98). Aber Moreno wäre nie und nimmer Moreno gewesen, hätte er nur zu einer alten Form zurückfinden wollen, ohne diese radikal weiterzuentwickeln. Nichts Geringeres als die Revolution des Theaters strebte er damals an (vgl. Moreno 1924, S. XIV; vgl. Moreno 1947, pp. 4–7, 51). Jeder – Schauspieler wie Zuschauer – sollte in seinem Stegreiftheater mitspielen, darin Akteur sein können (vgl. Moreno 1947, p. 84).
Moreno war mit dem hehren Vorsatz angetreten, das Stegreiftheater zu revolutionieren. Im Laufe der Zeit musste er allerdings feststellen, dass die Spontaneität und Kreativität der Teilnehmer nicht ausreichte, um eine ästhetisch befriedigende Vorstellung zu geben (vgl. Pörtner 1972, S. 119; vgl. Buer 1989, S. 16; vgl. Fangauf 1989, S. 104). Wie sehr Moreno sich auch bemühte, er konnte das Problem einfach nicht lösen, die ästhetische Qualität seines Stegreifspiels auf ein Niveau zu bringen, das die Anforderungen erfüllte, die an ein Kunstwerk üblicherweise gestellt werden (vgl. Fangauf 1989, S. 104). Doch, wie sagt schon Don Quixote in dem spanischen Roman von Miguel de Cervantes Saavedra? »Wo sich eine Tür schließt, geht eine andere auf.« (vgl. de Cervantes Saavedra 1867, S. 214). Eine Erfahrung, die auch Moreno machte. Denn in seinem Stegreiftheater sei ihm wieder klar geworden, welche therapeutischen Möglichkeiten im Ausspielen, im aktiven und strukturierten Ausleben von seelischen Konfliktsituation en liegen (vgl. Moreno 1988, S. 14) – etwas, das ihn schon die Kinderspiele in den Parkanlagen Wiens gelehrt hatten. Und das kam so oder – besser gesagt – durch sie …
Die Rede ist von Barbara, einer herausragenden Schauspielerin in seinem Stegreiftheater. Wie Moreno selbst berichtet (vgl. Moreno, 1946a, pp. 3–5; vgl. Moreno 1988, S. 14 f.), habe sie dort mit Vorliebe die Rolle der Unschuldigen, Heldin oder Geliebten verkörpert. Georg, ein junger Poet und Stückeschreiber, sei einer ihrer glühendsten Verehrer gewesen. Stets habe er bei ihren Aufführung en in der ersten Reihe gesessen. Beide hätten sich ineinander verliebt und geheiratet. Sie sei danach auch weiterhin die Hauptdarsteller in und er sozusagen der Hauptzuschauer von Morenos Stegreiftheater geblieben. Eines Tages habe sich Georg an ihn gewandt und ihm sein Leid geklagt. Er könne es einfach nicht mehr ertragen. Seine Frau, dieses süße, engelgleiche Wesen, das sie alle bewunderten, verhielte sich wie eine teuflische Kreatur, wenn sie mit ihm allein sei. Sie sage dann sehr Beleidigendes und wenn er daraufhin ärgerlich werde, schlage sie sogar mit ihren Fäusten auf ihn ein. Moreno habe daraufhin angeboten, dass er versuchen wolle, ihrem Problem Abhilfe zu schaffen. Sie sollten nur weiter, wie gewöhnlich, in sein Theater kommen. Als Barbara das nächste Mal wieder eine ihrer üblichen Rollen habe spielen wollen, sei sie von ihm gestoppt worden. Er habe ihr erklärt, dass sie zwar bisher ganz fabelhaft gewesen sei. Nun aber befürchte er, ihr Spiel könne fade werden. Sie dürfe sich nicht zu einseitig auf die Rolle verehrungswürdiger Frauengestalten festlegen. Die Zuschauer würden sie auch gern in Rollen sehen, in denen sie Menschen verkörpere, die schlimmer seien als sie selbst, die ihnen den Schmutz, die Rohheit der menschlichen Natur, ihre Obszönität, Dummheit und zynische Realität nahebrächten. Und er habe sie gefragt, ob sie versuchen wolle, solche Rollen zu spielen. Begeistert habe sie seinen Vorschlag aufgegriffen. Noch am selben Abend sei sie in die Rolle einer Straßendirne geschlüpft. Darin habe sie agiert, wie niemand es bis dahin von ihr erwartet hätte. Sie habe höllische Flüche ausgestoßen, ihr Gegenüber sogar wiederholt körperlich attackiert. Das wiederum sei daraufhin wild geworden, habe sie mit einem Messer über die Bühne gejagt und schließlich (im Spiel) ermordet. Fasziniert habe das Publikum die Geschehnisse miterlebt. Das Spiel sei ein großer Erfolg gewesen. Im Anschluss habe sich Barbara überschäumend vor Freude gezeigt. Sie und Georg seien begeistert nach Hause gegangen. Von da an sei sie vorzugsweise in derartigen Rollen aufgetreten. Sie habe rachsüchtige Ehefrauen, boshafte Geliebte, Barmädchen und Gangsterbräute verkörpert. Georg sei sofort klar gewesen, dass es sich hierbei um eine Art Therapie gehandelt habe. Täglich sei er zu ihm gekommen, um Bericht zu erstatten. Nach einigen Abenden habe er eine Veränderung feststellen können. Irgendetwas sei mit Barbara passiert. Sie bekomme zwar noch immer ihre Zorn ausbrüche, aber sie hätten an Intensität verloren. Sie seien auch von kürzerer Dauer, und manchmal beginne sie plötzlich zu lächeln, weil sie sich selbst an ähnliche Szenen erinnere, die sie auf der Bühne spiele. Und auch er lache mit ihr aus dem gleichen Grund. Es sei, als ob sie einander in einem psychologischen Spiegel sähen. Manchmal beginne sie sogar schon zu lachen, bevor sie ihren Anfall bekomme, weil sie genau wisse, wie es sich abspielen werde. Sie steigere sich zwar unter Umständen doch noch hinein, aber in viel schwächerer Form als früher.
Der Fall Barbara hatte Moreno erneut klargemacht, welche therapeutischen Möglichkeiten im Ausspielen, im aktiven und strukturierten Ausleben von seelischen Konfliktsituation en liegen. Denn was war geschehen? Moreno erklärt es selbst, indem er in seiner Fallschilderung unmittelbar fortfährt, dass es wie eine Katharsis gewesen sei (vgl. Moreno 1988, S. 15). Da ist sie wieder – die Katharsis. Rückblickend hatte Moreno sie schon als Wirkung seiner Spiele mit Kindern in den Gärten und Parkanlagen Wiens erkannt. Hier aber wird nun deutlich, was er unter ihr verstanden hat. Auf der Bühne des Stegreiftheaters konnte Barbara ihre seelischen Konfliktsituation en ausleben. Infolgedessen nahmen Intensität und Dauer ihrer Zornausbrüche ab.
Damit scheint Morenos Katharsis das gewesen zu sein, was damals auch zwei Wiener Ärzte unter ihr verstanden hatten. Zumindest einen von ihnen kannte er persönlich. Denn während seines Medizinstudiums hatte er dessen Vorlesung in Wien gehört.8 Sein Name war Sigmund Freud …

1.1.1Greift Moreno die Katharsis von Freud und Breuer auf?

In den Jahren 1880 und 1881 entdeckte der Wiener Arzt Josef Breuer eine neue Behandlungsmethode, als er die hysterische Störung einer seiner Patientinnen zu heilen versuchte. Ihr Fall wurde später von ihm unter dem Pseudonym Anna O. berichtet (Breuer u. Freud 1895, S. 15–21). Die neuartige Technik, mit der es Breuer gelungen war, ihre Symptomatik zum Abklingen zu bringen, nannte er Katharsis. Für die Namensgebung werden ihm wohl seine Kenntnisse in Altgriechisch und sein Philosophiestudium zupassgekommen se in. Zunächst ließ es Breuer mit der kathartischen Methode bei seinem Erfolg im Fall der Anna O. bewenden. Etwa ein Jahrzehnt später konnte allerdings der Wiener Arzt und Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, sein Interesse daran erneut wecken und ihn dazu bewegen, sie gemeinsam mit ihm zu erforschen. Bereits 1893 präsentierten sie ihre Ergebnisse im Zentralblatt für Neurologie unter dem Titel Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene – vorläufige Mitteilung.9 1895 folgten dann die Studien über Hysterie (s. Breuer u. Freud 1895).
Doch was ist unter der darin beschriebenen kathartischen Methode zu verstehen? Freud erklärte dazu in einem Vortrag, den er am 11. Januar 1893 in der Sitzung des »Wiener med. Club« hielt, dass sie einem der heißesten Wünsche der Menschheit entgegenkomme, nämlich dem Wunsch, etwas zweimal tun zu dürfen. Wenn jemand ein psychisches Trauma erfahren habe und ihm verwehrt gewesen sei, darauf genügend zu reagieren, lasse man ihn bei dieser Behandlungsmethode das Gleiche ein zweites Mal erleben, jetzt aber in Hypnose, und nötige ihn dazu, die Reaktion zu vervollständigen, sich nun des Affekts der Vorstellung zu entledigen, der früher sozusagen eingeklemmt gewesen sei.10
Die kathartische Methode befreit also von Affekten, die eingeklemmt waren, weil nicht genügend auf sie reagiert werden konnte. Das wird nun in Hypnose nachgeholt. Der Betroffene bekommt auf diese Weise eine zweite Chance, seine Reaktion auf den Affekt zu vervollständigen und sich dadurch seiner zu entledigen. Was dabei geschieht, wird deshalb von Breuer und Freud nicht nur Katharsis, sondern auch Abreaktion genannt (vgl. Freud u. Breuer 1925b, S. 179). Beide vergleichen es metaphorisch mit dem Aufschließen einer versperrten Türe (vgl. Freud u. Breuer 1925b, S. 212).
Im Fall Barbara geschah im Prinzip das Gleiche. Nur ereignete sich die Abreaktion dort nicht auf einer Bühne in der Innenwelt, zu der die Hypnose Zugang verschaffte. Vielmehr stand eine solche hier in der Außenwelt des Stegreiftheaters. Wo auch immer die Bühne verortet sein mag, ihre Bretter bedeuten jedenfalls eine Welt, 11 in der eingeklemmte Affekte – Moreno spricht von Konfliktsituation en – auf eine unschädliche Weise abreagiert bzw. ausgespielt und ausgelebt werden können. Dadurch gelinge es, so auch der Psychodramatiker Eberhard Scheiffele, sich von nicht ausgedrückten Emotion en zu befreien, ohne befürchten zu müssen, andere hiermit zu verletzen (vgl. Scheiffele 2008, p. 152). Das Betreten der Bühne öffnet, um im Bild von Breuer und Freud zu bleiben, sozusagen eine versperrte Tür, um sich »einen der heißesten Wünsche der Menschheit« zu erfüllen, nämlich den, »etwas zweimal tun zu dürfen« und jetzt »die Reaktion zu vervollständigen« (Freud u. Breuer 1925a, S. 11). Als Freud seiner Zuhörerschaft am 11. Januar 1893 die kathartische Methode erklärte, war Moreno nicht einmal vier Jahre alt. Die Entwicklung seines Psychodramas lag noch vor ihm. Später wird er dessen Effekt als eine wahnsinnige Passion beschreiben, eine Aufrollung des Lebens im Schein, die nicht wie ein Leidensweg wirke, sondern den Satz bestätige, dass jedes wahre zweite Mal die Befreiung vom ersten sei (vgl. Moreno 1988, S. 89; vgl. Moreno 1924, S. 77).
Die Übereinstimmung mit den von Freud gewählten Worten ist verblüffend. Beide reden davon, dass etwas ein zweites Mal erlebt werde und dadurch befreiend wirke. Und es gibt noch einen weiteren Punkt, in dem Moreno und Freud konform gehen: die Bewertung des Effekts der Katharsis. So wenden Breuer und Freud in ihren Publikationen zur kathartischen Methodee inschränkend ein, dass diese nur vorübergehend entlaste, weil sie die Bedingungen unbeeinflusst lasse, die den eingeklemmten Affekt en ursächlich zugrunde lägen. Sie wirke symptomatisch, aber nicht kausal. Anstelle der beseitigten Symptome könnten folglich wieder neue entstehen (vgl. Freud u. Breuer 1925b, S. 186; 1925a, S. 24). Auch Moreno sieht in der Katharsis keinen kurativen Behandlungserfolg, sondern lediglich »eine vorbeugende Maßnahme gegen das ›irrationale Handeln‹ im Leben selbst« (Moreno 1988, S. 60; vgl. Moreno a. Moreno 1959, p. 98).
Der Vergleich macht es deutlich: Moreno hat mit seinem Katharsisbegriff auf die Wortbedeutung bei Breuer und Freud zurückgegriffen. Ganz in ihrem Sinne versteht er sie als ein Ausspielen, ein aktives und strukturiertes Ausleben, das zwar nur vorübergehend, nichtsdestotrotz sehr effektiv von Affekt en befreit, die zu irrationalem Handeln führen können. Doch das ist nicht das Einzige, wozu Morenos Katharsis in der Lage ist …

1.1.2Morenos Katharsis geht über die von Breuer und Freud hinaus

In Morenos Psychodrama soll sich die Katharsis keineswegs auf die Abreaktion beschränken. Sie bedeutet hier weit mehr, als sich einiger Affekte zu entledigen. Wäre das nämlich ihr alleiniger Gewinn, bestünde darin, so Moreno, auch eine Gefahr. Denn die Abreaktion trüge nicht dazu bei, Symptome zu heilen. Allenfalls würden sie in ihrer Ausprägung gelindert, blieben aber grundsätzlich erhalten, oft sogar hartnäckiger als zuvor.12 Daher erschöpfe sich, wie die Psychodramatiker Christoph Hutter und Helmut Schwehm erklären, die Katharsis bei Moreno nicht in der Abreaktion (vgl. Hutter u. Schwehm 2012, S. 160). Hier geschehe deutlich mehr. So bestätigt es auch der Psychodramatiker Eberhard Scheiffele. Vorrangiges Ziel der Katharsis in Morenos Psychodrama sei nicht, b...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Widmung
  3. Titel
  4. Impressum
  5. Inhalt
  6. Vorwort
  7. 1 Dem Hypnodrama auf der Spur
  8. 2 Die antiken Wurzeln des Hypnodramas
  9. 3 Die Praxis des Hypnodramas
  10. Ein Wort zum Schluss
  11. Literatur
  12. Sach- und Personenregister
  13. Über die Autorin