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Preußentum und Sozialismus
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Über dieses Buch
Diese kleine Schrift ist aus Aufzeichnungen hervorgegangen, die für den "Untergang des Abendlandes", namentlich den zweiten Band bestimmt, die teilweise sogar der Keim waren, aus dem diese ganze Philosophie sich entwickelt hat.Spenglers Werk wird in Zyklen immer wieder neu entdeckt. Samuel P. Huntington greift mit seinen Thesen vom "Kampf der Kulturen" wesentlich auf Spenglers "Untergang" zurück. In globalen Krisenzeiten wird Spenglers konsequente Weltsicht der schicksalhaften Entwicklung von Imperien als Horoskop der Weltgeschichte gesehen. Eine brauchbare Blaupause zur Lösungsfindung stellen sie nicht dar.Null Papier Verlag
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Information
Engländer und Preußen
10.
Drei Völker des Abendlandes haben den Sozialismus in einem großen Sinne verkörpert: Spanier, Engländer, Preußen. Von Florenz und Paris aus formte sich der anarchische Gegensinn in zwei anderen: Italienern und Franzosen. Der Kampf beider Weltgefühle ist das Grundgerüst dessen, was wir als neuere Weltgeschichte bezeichnen.
Gegen den gotischen Geist, der mit seinem ungeheuren Hang zum Grenzenlosen sich in den Gestalten der großen Kaiser und Päpste, den Kreuzzügen, den Dombauten, dem Rittertum und den Mönchsorden entlud, lehnte sich im 15. Jahrhundert die Seele von Florenz auf. Was wir Renaissance nennen, ist der antigotische Wille zur begrenzten Kunst und zierlichen Gedankenbildung, ist mit dem Haufen von Räuberstaaten all jener Republiken und Kondottieri, der Augenblickspolitik, wie sie in Macchiavellis klassischem Buche fortlebt, dem engen Horizont aller Machtpläne selbst des Vatikans zu dieser Zeit ein Protest gegen die Tiefe und Weite des faustischen Weltbewusstseins. In Florenz ist der Typus des italienischen Volkes entstanden.
Zum zweiten Mal erhebt sich der Widerspruch im großen Jahrhundert Frankreichs. Racine stellt sich da neben Rafael, der esprit der Pariser Salons neben den des mediceischen Kreises. In den Raubkriegen Ludwigs XIV. wiederholt sich die Politik der Borgia und Sforza, in dem »l’etat c’est moi« das Renaissanceideal des freien Herrenmenschen. Franzosen und Italiener sind Nächstverwandte.
Zwischen der Geburt dieser Völker aber liegt das spanische Jahrhundert, vom Sturm auf Rom (1527), wo spanischer Geist den Renaissancegeist brach, bis zum Pyrenäenfrieden (1659), wo er dem französischen wich. Hier lebt die Gotik zum letzten Mal in großartigen Formen auf. Im kastilianischen Granden geht das Rittertum zu Ende – Don Quijote, der spanische Faust! –, die Jesuiten sind die einzige und letzte große Gründung seit jenen Ritterorden, die im Kampf gegen die Ungläubigen entstanden waren. Das Reich der spanischen Habsburger verwirklichte die Hohenstaufenidee, das Konzil von Trient die Idee des Papsttums.
Mit dem spanisch-gotischen Geist des Barock breitet sich ein starker und strenger Lebensstil über die westeuropäische Welt. Der Spanier fühlt eine große Mission in sich, kein »Ich«, sondern ein »Es«. Er ist Soldat oder Priester. Er dient Gott oder dem König. Erst der preußische Stil hat ein Ideal von solcher Strenge und Entsagung wieder ins Dasein gerufen. Im Herzog Alba, dem Mann der großen Pflichterfüllung, hätten wir verwandte Züge finden sollen. Das spanische und preußische Volk allein sind gegen Napoleon aufgestanden. Und hier, im Escorial, ist der moderne Staat geschaffen worden. Die große Interessenpolitik der Dynastien und Nationen, die Kabinettsdiplomatie, der Krieg als planmäßig herbeigeführter und berechneter Schachzug inmitten weitreichender politischer Kombinationen – das alles stammt von Madrid. Bismarck war der letzte Staatsmann spanischen Stils.
Das politische Machtgefühl von Florenz und Paris wird im Grenzhader befriedigt. Leibniz hat Ludwig XIV. vergebens die Eroberung Ägyptens vorgeschlagen, Kolumbus an beiden Orten vergebens angeklopft. Pisa unterwerfen, die Rheingrenze gewinnen, den Nachbar verkleinern, den Feind demütigen – in dieser Bahn läuft seitdem das politische Denken. Der spanische Geist will sich den Planeten erobern, ein Reich, in dem die Sonne nicht untergeht. Kolumbus trat in seinen Dienst; man vergleiche die spanischen Konquistadoren mit den italienischen Kondottieri. Die Spanier waren es, welche die ganze Erdoberfläche zum Objekt westeuropäischer Politik gemacht haben. Italien selbst wurde eine spanische Provinz. Und man verstehe den mächtigen Gegensatz wohl, der den Sturm auf Rom herbeiführte: der Renaissancekirche wurde da ein Ende gemacht. Ihr und den wesensverwandten Reformationskirchen trat der spanisch-gotische Stil entgegen, der bis heute den Vatikan beherrscht: die Idee der Weltherrschaft ist seitdem nicht wieder erloschen. Von diesem Augenblick an steht der italienische und französische Volksgeist der Kirche feindselig gegenüber, nicht insoweit sie die Religion, sondern soweit sie den spanischen Gedanken der Universalherrschaft darstellt. Die gallikanische Kirchenpolitik der französischen Könige, der Revolution, Napoleons, die antiklerikale Haltung des Königreichs Italien sind so zu erklären. Die Kirche aber stützte sich auf Madrid und Wien.
Denn auch Wien ist eine Schöpfung spanischen Geistes. Nicht die Sprache allein schafft ein Volk. Hier wurde ein Volk, das österreichische, durch den Geist eines Hofes, dann der Geistlichkeit, dann des Adels geschaffen. Es ist den übrigen Deutschen innerlich fremd geworden, unwiderruflich, denn ein Volk von alter Züchtung kann sich nicht ändern, auch wenn es sich vorübergehend einmal darüber täuschen sollte. Dies Volk ist habsburgisch und spanisch, auch wenn niemand vom Hause Habsburg mehr leben sollte; möge sein Verstand nein sagen, sein Instinkt bejaht es. Das spanische Deutschland, in Gestalt des Kaiserhauses, erlag 1648 dem französischen in Gestalt der Einzelfürsten, deren Höfe von nun an im Stil von Versailles, nämlich partikularistisch und territorial, auf Grenzerweiterungen versessen und Universalplänen abhold dachten, handelten, lebten. Wallensteins mächtige Entwürfe des Marsches auf Konstantinopel und der Verwandlung der Ostsee in eine spanische Flottenbasis bezeichnen den Gipfel, sein Abfall und Tod die große Wendung. Das spanisch-französische Deutschland wurde bei Königgrätz besiegt. Aber noch 1914 war die Kriegserklärung Österreichs an Serbien ein diplomatischer Akt im spanischen Kabinettstil des 16. Jahrhunderts, während England mit den taktisch überlegenen diplomatischen Mitteln des 19. den Weltkrieg in dieser Form nicht erklärte, sondern erzwang.
Der englische Friede zu Fontainebleau, der preußische zu Hubertusburg, beide 1763, schließen das französische Jahrhundert ab. Mit dem Rücktritt der Romanen beginnt die Leitung der westeuropäischen Schicksale durch die germanischen Völker. Die Geburt des modernen englischen Volkes liegt im 17., die des preußischen im 18. Jahrhundert. Es ist das jüngste und letzte. Was hier an der Themse und Spree aus unverbrauchtem Menschentum gestaltet wurde, verkörpert die Züge faustischen Machtwillens und Hanges zur Unendlichkeit in der reinsten und energischsten Form. Italienisches und französisches Dasein wirken daneben klein, die Zeiten ihrer politischen Höhe sind Zwischenakte in einem großen Drama. Nur spanischer, englischer, preußischer Geist haben der europäischen Zivilisation Universalideen gegeben: Ultramontanismus, Kapitalismus, Sozialismus in einem bedeutsameren Sinne, als er heute mit diesen Worten verbunden ist.
Und doch – mit Frankreich ist im Abendlande auch die Kultur zu Ende. Paris hat alle Schöpfungen der gotischen Frühzeit, der italienischen Renaissance, des spanischen Barock in die letzte, reifste, süßeste Form gegossen: Rokoko. Es gibt nur französische Kultur. Mit England beginnt die Zivilisation. Frankreich beherrscht den Geist, die Geselligkeit, den Geschmack, England den Stil des praktischen Lebens, den Stil des Geldes.
11.
Ich möchte über den Begriff Preußentum nicht missverstanden werden. Obwohl der Name auf die Landschaft hinweist, in der es eine mächtige Form gefunden und eine große Entwicklung begonnen hat, so gilt doch dies: Preußentum ist ein Lebensgefühl, ein Instinkt, ein Nichtanderskönnen; es ist ein Inbegriff von seelischen, geistigen und deshalb zuletzt doch auch leiblichen Eigenschaften, die längst Merkmale einer Rasse geworden sind, und zwar der besten und bezeichnendsten Exemplare dieser Rasse. Es ist längst nicht jeder Engländer von Geburt ein »Engländer« im Sinne einer Rasse, nicht jeder Preuße ein »Preuße«. In diesem Worte liegt alles, was wir Deutschen nicht an vagen Ideen, Wünschen, Einfällen, sondern an schicksalhaftem Wollen, Müssen, Können besitzen. Es gibt echt preußische Naturen überall in Deutschland – ich denke da an Friedrich List, an Hegel, an manchen großen Ingenieur, Organisator, Erfinder, Gelehrten, vor allem auch an einen Typus des deutschen Arbeiters – und es gibt seit Roßbach und Leuthen unzählige Deutsche, die tief in ihrer Seele ein Stückchen Preußentum besitzen, eine stets bereite Möglichkeit, die sich in großen Augenblicken der Geschichte plötzlich meldet. Aber echt preußische Wirklichkeiten sind bis jetzt nur die Schöpfungen Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs des Großen: der preußische Staat und das preußische Volk. Indessen jede überlegene Wirklichkeit ist fruchtbar. Im heutigen Begriff des Deutschen, im heutigen Typus des Deutschen ist das preußische Element verjährten Ideologien gegenüber bereits stark investiert. Die wertvollsten Deutschen wissen es gar nicht. Es ist mit seiner Summe von Tatsachensinn, Disziplin, Korpsgeist, Energie ein Versprechen der Zukunft, noch immer aber nicht nur im Volke, sondern in jedem einzelnen von jenem Wirrwarr absterbender, der abendländischen Zivilisation gegenüber nichtssagender und gefährlicher, obwohl oft sympathischer Züge bedroht, für die das Wort »Deutscher Michel« längst bezeichnend geworden ist.
Denn der »Deutsche« in diesem idealischen Sinne von Professoren und Schwärmern ist eine Unform, durch die gemeinsame Sprache notdürftig als Einheit festgestellt. Er ist unpolitisch und unpraktisch, keine »Rasse« im Sinne einheitlich auf das Wirkliche gerichteter Instinkte. Ein Rest erstarrter innerer Gotik ist da noch übrig mit dem Rankenwerk und Wirrsal einer ewig-kindlichen Seele. Die deutsche Romantik und ihre verträumte Politik von 1848 haben sie wieder zum Vorschein gebracht. Ein gotischer Rest ist aber auch, mit englischen Fetzen und Begriffen verbrämt, jenes triviale Kosmopolitentum und Schwärmen für Völkerfreundschaften und Menschheitsziele, das in ernsten Fällen bis zum Verrat aus Einfalt oder Ideologie sich steigernd das singt oder schreibt oder redet, was das spanische Schwert und das englische Geld taten. Das sind die ewigen Provinzler, die einfältigen Helden deutscher Ichromane mit innerer Entwicklung und erstaunlichem Mangel an Fähigkeiten der Welt gegenüber, die Biedermänner aller Vereine, Biertische und Parlamente, die diesen Mangel an eignen Fähigkeiten für den Fehler der staatlichen Einrichtungen halten, mit denen sie nicht fertig werden können. Schläfriger Hang zu englischem Liberalismus mit seiner Feindseligkeit gegen den Staat, die man gern nachfühlt, während man über die straffe Initiative des englischen Privatmannes auch im Politischen hinwegsieht, spießbürgerlicher Hang zu italienisch-französischer Kleinstaaterei, der längst um französisch frisierte Höfe herum ein partikularistisches Bürgertum hat wachsen lassen, das nicht über den Grenznachbarn hinausdenkt und Ordnung als kulturfeindlich empfindet, ohne dass man den Geist dieser Kultur sich einzuimpfen vermöchte, Eifer für spanisch-kirchliche Autorität, die sich in Konfessionsgezänk verläuft – alles das unpraktisch, subaltern, dumm aber ehrlich, formlos ohne Hoffnung auf künftige Formen, verjährt, auch seelisch unfruchtbar, ertötend, verkleinernd, herabziehend, der innere Feind jedes Deutschen für sich und aller Deutschen als Nation – das ist das Micheltum, das neben den Typen der fünf schöpferischen Völker als der einzige Typus einer Verneinung steht, Zeugnis für eine Art gotischen Menschentums, aus der die reifende Kultur jenseits von Renaissance und Reformation keine Rasse im neuen Sinne entwickelt hat.
12.
Die organisierte Besiedlung der slavischen Ostmark erfolgte durch Deutsche aller Stämme. Beherrscht aber wurde sie durch Niedersachsen und so ist der Kern des preußischen Volkes am nächsten dem englischen verwandt. Es sind dieselben Sachsen, Friesen, Angeln, die in freien Wikingerscharen, oft unter normannischem und dänischem Namen, die keltischen Briten unterwarfen. Was längs der Themse und in jener Sandwüste um Havel und Spree, die an Öde, Großheit und Schwere des Schicksals nur in Latium, der römischen Campagna, ihresgleichen findet, in jener frühen Zeit aufwuchs, lässt die Urahnen seines Wollens heute noch in den starren Gestalten Widukinds, des Markgrafen Gero und Heinrichs des Löwen erkennen.
Aber es waren zwei sittliche Imperative gegensätzlichster Art, die sich aus dem Wikingergeist und dem Ordensgeist der Deutschritter langsam entwickelten. Die einen trugen die germanische Idee in sich, die anderen fühlten sie über sich: persönliche Unabhängigkeit und überpersönliche Gemeinschaft. Heute nennt man sie Individualismus und Sozialismus. Es sind Tugenden ersten Ranges, die hinter diesen Worten stehen: Selbstverantwortung, Selbstbestimmung, Entschlossenheit, Initiative dort, Treue, Disziplin, selbstlose Entsagung, Selbstzucht hier. Frei sein – und dienen: es gibt nichts Schwereres als dieses beide, und Völker, deren Geist, deren Sein auf solche Fähigkeiten gestellt ist, die wirklich frei sein oder dienen können, dürfen sich wohl an ein großes Schicksal wagen. Dienen – das ist altpreußischer Stil, dem altspanischen verwandt, der auch ein Volk im ritterlichen Kampfe gegen die Heiden geschmiedet hatte. Kein »Ich«, sondern ein »Wir«, ein Gemeingefühl, in dem jeder mit seinem gesamten Dasein aufgeht. Auf den einzelnen kommt es nicht an, er hat sich dem Ganzen zu opfern. Hier steht nicht jeder für sich, sondern alle für alle mit jener inneren Freiheit in einem großen Sinne, der libertas oboedientiae, der Freiheit im Gehorsam, welche die besten Exemplare preußischer Zucht immer ausgezeichnet hat. Die preußische Armee, das preußische Beamtentum, die Arbeiterschaft Bebels – das sind Produkte jenes züchtenden Gedankens. Der andere aber hat noch spät einmal alles, was Wikingerblut im Leibe hatte, in die amerikanischen Prärien hinausgetrieben, Engländer, Deutsche, Skandinavier, eine späte Fortsetzung jener Grönlandfahrten zur Eddazeit, welche um 900 schon die kanadische Küste berührt hatten, eine ungeheure Wanderung von Germanen mit der vollen Sehnsucht nach Ferne und grenzenloser Weite, abenteuernde Scharen, aus denen noch ein Volk sächsischen Schlages entstand, aber getrennt vom Mutterboden der faustischen Kultur und deshalb ohne die »innern Basalte« nach dem Ausdruck Goethes, mit Zügen der alten Tüchtigkeit und des alten edlen Blutes, aber ohne Wurzeln und deshalb ohne Zukunft.
So entstehen der englische und der preußische Typus. Es ist der Unterschied zwischen einem Volk, dessen Seele sich aus dem Bewusstsein eines Inseldaseins herausgebildet hat, und einem anderen, das eine Mark hütete, die ohne natürliche Grenzen auf allen Seiten dem Feinde preisgegeben war. In England ersetzte die Insel den organisierten Staat. Ein Land ohne Staat war nur unter dieser Bedingung möglich; sie ist die Voraussetzung der modernen englischen Seele, die im 17. Jahrhundert zum Selbstbewusstsein erwachte, als der Engländer auf der britischen Insel unbestritten Herr wurde. In diesem Sinne ist die Landschaft schöpferisch: das englische Volk bildete sich selbst, das preußische wurde im 18. Jahrhundert durch die Hohenzollern herangebildet, die, aus dem Süden stammend, selbst den Geist der märkischen Landschaft empfangen hatten, selbst Diener der Ordensidee des Staates geworden waren.
Maximum und Minimum des überpersönlichen sozialistischen Staatsgedankens, Staat und Nichtstaat, das sind England und Preußen als politische Wirklichkeiten. Denn der englische »Staat« liberalen Stils ist der, welcher gar nicht bemerkt wird, der das Einzeldasein überhaupt nicht in Anspruch nimmt, ihm keinen Gehalt verleiht, ihm nur als Mittel dient. Keine Schulpflicht, keine Wehrpflicht, keine Versicherungspflicht, so ging England durch das Jahrhundert zwischen Waterloo und dem Weltkrieg, um jedes dieser negativen Rechte zu verlieren. Diese Staatsfeindschaft fand ihren Ausdruck in dem Worte society, das state im idealen Sinne verdrängt. Als société geht es in die französische Aufklärung ein; Montesquieu fand: Des sociétés de vingt à trente millions d’hommes – ce sont des monstres dans la nature. Das war ein französisch-anarchischer Gedanke in englischer Fassung. Es ist bekannt, wie Rousseau seinen Hass gegen befehlende Ordnungen hinter dies Wort versteckte, und Marx mit seiner ebenso englisch orientierten Begriffswelt tat es ihm nach. Die deutsche Aufklärung sagte »Gesellschaft« im Sinne von human society, was vor Goethe, Schiller, Herder nicht geschah. Lessing sprach noch vom Menschengeschlecht. Es wurde dann ein Lieblingswort des deutschen Liberalismus, mit dem man den Großes fordernden »Staat« aus seinem Denken streichen konnte.
Aber England setzte an Stelle des Staats den Begriff des freien Privatmannes, der, staatsfremd und ordnungsfeindlich, den rücksichtslosen Kampf ums Dasein verlangt, weil er nur in ihm seine besten, seine alten Wikingerinstinkte zur Geltung bringen kann. Wenn Buckle, Malthus, Darwin später im Kampf ums Dasein die Grundform der society sahen, so hatten sie für ihr Land und Volk vollkommen recht. Aber England hatte diese Form in ihrer hohen Vollendung, deren Keime man in den isländischen Sagas findet, nicht vorgefunden, sondern geschaffen. Schon die Schar Wilhelms des Eroberers, der 1066 England nahm, war eine society von ritterlichen Abenteurern; die englischen Handelskompanien waren es, die ganze Länder eroberten und ausbeuteten, zuletzt noch seit 1890 das innere Südafrika; endlich wurde es die ganze Nation, die allen Wirklichkeiten, dem Eigentum, der Arbeit, den fremden Völkern, den schwächeren Exemplaren und Klassen des eignen Volkes gegenüber den altnordischen Räuber- oder Händlerinstinkt entfaltete, der zuletzt auch die englische Politik zu einer meisterhaften, äußerst wirksamen Waffe im Kampf um den Planeten gestaltete. Der Privatmann ist der ergänzende Begriff zu society; er bezeichnet eine Summe von ethischen, sehr positiven Eigenschaften, die man, wie alles ethisch Wertvollste, nicht lernt, sondern im Blute trägt und in Ketten von Geschlechtern langsam zur Vollkommenheit ausbildet. Schließlich ist die englische Politik eine Politik von Privatleuten und Gruppen von solchen. Das und nichts andres bedeutet parlamentarische Regierung. Cecil Rhodes war ein Privatmann, der Länder eroberte; die amerikanischen Milliardäre sind Privatleute, die Länder durch eine untergeordnete Klasse von Berufspolitikern beherrschen. Der deutsche Liberalismus in seiner sittlichen Wertlosigkeit aber sagt lediglich zum Staate Nein, ohne die Fähigkeit, das durch ein ebenso großgedachtes und energisches Ja zu rechtfertigen.
Von innerm Range kann in Deutschland nur der Sozialismus in irgendeiner Fassung sein. Der Liberalismus ist eine Sache für Tröpfe. Er beschwatzt, was er nicht besitzt. Wir sind einmal so; wir können nicht Engländer, nur Karikaturen von Engländern sein – und das sind wir hinreiche...
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