Preußentum und Sozialismus
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Preußentum und Sozialismus

  1. 172 Seiten
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Preußentum und Sozialismus

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Über dieses Buch

Diese kleine Schrift ist aus Aufzeichnungen hervorgegangen, die für den "Untergang des Abendlandes", namentlich den zweiten Band bestimmt, die teilweise sogar der Keim waren, aus dem diese ganze Philosophie sich entwickelt hat.Spenglers Werk wird in Zyklen immer wieder neu entdeckt. Samuel P. Huntington greift mit seinen Thesen vom "Kampf der Kulturen" wesentlich auf Spenglers "Untergang" zurück. In globalen Krisenzeiten wird Spenglers konsequente Weltsicht der schicksalhaften Entwicklung von Imperien als Horoskop der Weltgeschichte gesehen. Eine brauchbare Blaupause zur Lösungsfindung stellen sie nicht dar.Null Papier Verlag

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783962818708
Auflage
1
Engländer und Preußen

10.

Drei Völ­ker des Abend­lan­des ha­ben den So­zia­lis­mus in ei­nem großen Sin­ne ver­kör­pert: Spa­nier, Eng­län­der, Preu­ßen. Von Flo­renz und Pa­ris aus form­te sich der an­ar­chi­sche Ge­gen­sinn in zwei an­de­ren: Ita­li­e­nern und Fran­zo­sen. Der Kampf bei­der Welt­ge­füh­le ist das Grund­ge­rüst des­sen, was wir als neue­re Welt­ge­schich­te be­zeich­nen.
Ge­gen den go­ti­schen Geist, der mit sei­nem un­ge­heu­ren Hang zum Gren­zen­lo­sen sich in den Ge­stal­ten der großen Kai­ser und Päps­te, den Kreuz­zü­gen, den Dom­bau­ten, dem Rit­ter­tum und den Mönchs­or­den ent­lud, lehn­te sich im 15. Jahr­hun­dert die See­le von Flo­renz auf. Was wir Re­naissance nen­nen, ist der an­ti­go­ti­sche Wil­le zur be­grenz­ten Kunst und zier­li­chen Ge­dan­ken­bil­dung, ist mit dem Hau­fen von Räu­ber­staa­ten all je­ner Re­pu­bli­ken und Kon­dot­tie­ri, der Au­gen­blicks­po­li­tik, wie sie in Mac­chia­vel­lis klas­si­schem Bu­che fort­lebt, dem en­gen Ho­ri­zont al­ler Macht­plä­ne selbst des Va­ti­kans zu die­ser Zeit ein Pro­test ge­gen die Tie­fe und Wei­te des faus­ti­schen Welt­be­wusst­seins. In Flo­renz ist der Ty­pus des ita­lie­ni­schen Vol­kes ent­stan­den.
Zum zwei­ten Mal er­hebt sich der Wi­der­spruch im großen Jahr­hun­dert Frank­reichs. Ra­ci­ne stellt sich da ne­ben Rafa­el, der e­sprit der Pa­ri­ser Sa­lons ne­ben den des me­di­ce­i­schen Krei­ses. In den Raub­krie­gen Lud­wigs XIV. wie­der­holt sich die Po­li­tik der Bor­gia und Sfor­za, in dem »l’e­tat c’est moi« das Re­naissance­ide­al des frei­en Her­ren­menschen. Fran­zo­sen und Ita­lie­ner sind Nächst­ver­wand­te.
Zwi­schen der Ge­burt die­ser Völ­ker aber liegt das spa­ni­sche Jahr­hun­dert, vom Sturm auf Rom (1527), wo spa­ni­scher Geist den Re­naissance­geist brach, bis zum Py­re­nä­en­frie­den (1659), wo er dem fran­zö­si­schen wich. Hier lebt die Go­tik zum letz­ten Mal in groß­ar­ti­gen For­men auf. Im ka­sti­lia­ni­schen Gran­den geht das Rit­ter­tum zu Ende – Don Qui­jo­te, der spa­ni­sche Faust! –, die Je­sui­ten sind die ein­zi­ge und letz­te große Grün­dung seit je­nen Rit­ter­or­den, die im Kampf ge­gen die Ungläu­bi­gen ent­stan­den wa­ren. Das Reich der spa­ni­schen Habs­bur­ger ver­wirk­lich­te die Ho­hen­stau­fe­nidee, das Kon­zil von Tri­ent die Idee des Papst­tums.
Mit dem spa­nisch-go­ti­schen Geist des Ba­rock brei­tet sich ein star­ker und stren­ger Le­bens­stil über die west­eu­ro­päi­sche Welt. Der Spa­nier fühlt eine große Mis­si­on in sich, kein »Ich«, son­dern ein »Es«. Er ist Sol­dat oder Pries­ter. Er dient Gott oder dem Kö­nig. Erst der preu­ßi­sche Stil hat ein Ide­al von sol­cher Stren­ge und Ent­sa­gung wie­der ins Da­sein ge­ru­fen. Im Her­zog Alba, dem Mann der großen Pf­licht­er­fül­lung, hät­ten wir ver­wand­te Züge fin­den sol­len. Das spa­ni­sche und preu­ßi­sche Volk al­lein sind ge­gen Na­po­le­on auf­ge­stan­den. Und hier, im Es­co­ri­al, ist der mo­der­ne Staat ge­schaf­fen wor­den. Die große In­ter­es­sen­po­li­tik der Dy­nas­ti­en und Na­tio­nen, die Ka­bi­netts­di­plo­ma­tie, der Krieg als plan­mä­ßig her­bei­ge­führ­ter und be­rech­ne­ter Schach­zug in­mit­ten weit­rei­chen­der po­li­ti­scher Kom­bi­na­tio­nen – das al­les stammt von Ma­drid. Bis­marck war der letz­te Staats­mann spa­ni­schen Stils.
Das po­li­ti­sche Macht­ge­fühl von Flo­renz und Pa­ris wird im Grenz­ha­der be­frie­digt. Leib­niz hat Lud­wig XIV. ver­ge­bens die Erobe­rung Ägyp­tens vor­ge­schla­gen, Ko­lum­bus an bei­den Or­ten ver­ge­bens an­ge­klopft. Pisa un­ter­wer­fen, die Rhein­gren­ze ge­win­nen, den Nach­bar ver­klei­nern, den Feind de­mü­ti­gen – in die­ser Bahn läuft seit­dem das po­li­ti­sche Den­ken. Der spa­ni­sche Geist will sich den Pla­ne­ten er­obern, ein Reich, in dem die Son­ne nicht un­ter­geht. Ko­lum­bus trat in sei­nen Dienst; man ver­glei­che die spa­ni­schen Kon­qui­sta­do­ren mit den ita­lie­ni­schen Kon­dot­tie­ri. Die Spa­nier wa­ren es, wel­che die gan­ze Erd­ober­flä­che zum Ob­jekt west­eu­ro­päi­scher Po­li­tik ge­macht ha­ben. Ita­li­en selbst wur­de eine spa­ni­sche Pro­vinz. Und man ver­ste­he den mäch­ti­gen Ge­gen­satz wohl, der den Sturm auf Rom her­bei­führ­te: der Re­naissance­kir­che wur­de da ein Ende ge­macht. Ihr und den we­sens­ver­wand­ten Re­for­ma­ti­ons­kir­chen trat der spa­nisch-go­ti­sche Stil ent­ge­gen, der bis heu­te den Va­ti­kan be­herrscht: die Idee der Wel­t­herr­schaft ist seit­dem nicht wie­der er­lo­schen. Von die­sem Au­gen­blick an steht der ita­lie­ni­sche und fran­zö­si­sche Volks­geist der Kir­che feind­se­lig ge­gen­über, nicht in­so­weit sie die Re­li­gi­on, son­dern so­weit sie den spa­ni­schen Ge­dan­ken der Uni­ver­sal­herr­schaft dar­stellt. Die gal­li­ka­ni­sche Kir­chen­po­li­tik der fran­zö­si­schen Kö­ni­ge, der Re­vo­lu­ti­on, Na­po­le­ons, die an­ti­kle­ri­ka­le Hal­tung des Kö­nig­reichs Ita­li­en sind so zu er­klä­ren. Die Kir­che aber stütz­te sich auf Ma­drid und Wien.
Denn auch Wien ist eine Schöp­fung spa­ni­schen Geis­tes. Nicht die Spra­che al­lein schafft ein Volk. Hier wur­de ein Volk, das ös­ter­rei­chi­sche, durch den Geist ei­nes Ho­fes, dann der Geist­lich­keit, dann des Adels ge­schaf­fen. Es ist den üb­ri­gen Deut­schen in­ner­lich fremd ge­wor­den, un­wi­der­ruf­lich, denn ein Volk von al­ter Züch­tung kann sich nicht än­dern, auch wenn es sich vor­über­ge­hend ein­mal dar­über täu­schen soll­te. Dies Volk ist habs­bur­gisch und spa­nisch, auch wenn nie­mand vom Hau­se Habs­burg mehr le­ben soll­te; möge sein Ver­stand nein sa­gen, sein In­stinkt be­jaht es. Das spa­ni­sche Deutsch­land, in Ge­stalt des Kaiser­hau­ses, er­lag 1648 dem fran­zö­si­schen in Ge­stalt der Ein­zel­fürs­ten, de­ren Höfe von nun an im Stil von Ver­sail­les, näm­lich par­ti­ku­la­ris­tisch und ter­ri­to­ri­al, auf Gren­zer­wei­te­run­gen ver­ses­sen und Uni­ver­sal­plä­nen ab­hold dach­ten, han­del­ten, leb­ten. Wal­len­steins mäch­ti­ge Ent­wür­fe des Mar­sches auf Kon­stan­ti­no­pel und der Ver­wand­lung der Ost­see in eine spa­ni­sche Flot­ten­ba­sis be­zeich­nen den Gip­fel, sein Ab­fall und Tod die große Wen­dung. Das spa­nisch-fran­zö­si­sche Deutsch­land wur­de bei Kö­nig­grätz be­siegt. Aber noch 1914 war die Kriegs­er­klä­rung Ös­ter­reichs an Ser­bi­en ein di­plo­ma­ti­scher Akt im spa­ni­schen Ka­bi­nett­stil des 16. Jahr­hun­derts, wäh­rend Eng­land mit den tak­tisch über­le­ge­nen di­plo­ma­ti­schen Mit­teln des 19. den Welt­krieg in die­ser Form nicht er­klär­te, son­dern er­zwang.
Der eng­li­sche Frie­de zu Fon­tai­nebleau, der preu­ßi­sche zu Hu­ber­tus­burg, bei­de 1763, schlie­ßen das fran­zö­si­sche Jahr­hun­dert ab. Mit dem Rück­tritt der Ro­ma­nen be­ginnt die Lei­tung der west­eu­ro­päi­schen Schick­sa­le durch die ger­ma­ni­schen Völ­ker. Die Ge­burt des mo­der­nen eng­li­schen Vol­kes liegt im 17., die des preu­ßi­schen im 18. Jahr­hun­dert. Es ist das jüngs­te und letz­te. Was hier an der Them­se und Spree aus un­ver­brauch­tem Men­schen­tum ge­stal­tet wur­de, ver­kör­pert die Züge faus­ti­schen Macht­wil­lens und Han­ges zur Unend­lich­keit in der reins­ten und ener­gischs­ten Form. Ita­lie­ni­sches und fran­zö­si­sches Da­sein wir­ken da­ne­ben klein, die Zei­ten ih­rer po­li­ti­schen Höhe sind Zwi­schen­ak­te in ei­nem großen Dra­ma. Nur spa­ni­scher, eng­li­scher, preu­ßi­scher Geist ha­ben der eu­ro­päi­schen Zi­vi­li­sa­ti­on U­ni­ver­sa­li­de­en ge­ge­ben: Ul­tra­mon­ta­nis­mus, Ka­pi­ta­lis­mus, So­zia­lis­mus in ei­nem be­deut­sa­me­ren Sin­ne, als er heu­te mit die­sen Wor­ten ver­bun­den ist.
Und doch – mit Frank­reich ist im Abend­lan­de auch die Kul­tur zu Ende. Pa­ris hat alle Schöp­fun­gen der go­ti­schen Früh­zeit, der ita­lie­ni­schen Re­naissance, des spa­ni­schen Ba­rock in die letz­te, reifs­te, sü­ßes­te Form ge­gos­sen: Ro­ko­ko. Es gibt nur fran­zö­si­sche Kul­tur. Mit Eng­land be­ginnt die Zi­vi­li­sa­ti­on. Frank­reich be­herrscht den Geist, die Ge­sel­lig­keit, den Ge­schmack, Eng­land den Stil des prak­ti­schen Le­bens, den Stil des Gel­des.

11.

Ich möch­te über den Be­griff Preu­ßen­tum nicht miss­ver­stan­den wer­den. Ob­wohl der Name auf die Land­schaft hin­weist, in der es eine mäch­ti­ge Form ge­fun­den und eine große Ent­wick­lung be­gon­nen hat, so gilt doch dies: Preu­ßen­tum ist ein Le­bens­ge­fühl, ein In­stink­t, ein Nicht­an­der­s­kön­nen; es ist ein In­be­griff von see­li­schen, geis­ti­gen und des­halb zu­letzt doch auch leib­li­chen Ei­gen­schaf­ten, die längst Merk­ma­le ei­ner Ras­se ge­wor­den sind, und zwar der bes­ten und be­zeich­nends­ten Exem­pla­re die­ser Ras­se. Es ist längst nicht je­der Eng­län­der von Ge­burt ein »Eng­län­der« im Sin­ne ei­ner Ras­se, nicht je­der Preu­ße ein »Preu­ße«. In die­sem Wor­te liegt al­les, was wir Deut­schen nicht an va­gen Ide­en, Wün­schen, Ein­fäl­len, son­dern an schick­sal­haf­tem Wol­len, Müs­sen, Kön­nen be­sit­zen. Es gibt echt preu­ßi­sche Na­tu­ren über­all in Deutsch­land – ich den­ke da an Fried­rich List, an He­gel, an man­chen großen In­ge­nieur, Or­ga­ni­sa­tor, Er­fin­der, Ge­lehr­ten, vor al­lem auch an einen Ty­pus des deut­schen Ar­bei­ters – und es gibt seit Roß­bach und Leuthen un­zäh­li­ge Deut­sche, die tief in ih­rer See­le ein Stück­chen Preu­ßen­tum be­sit­zen, eine stets be­rei­te Mög­lich­keit, die sich in großen Au­gen­bli­cken der Ge­schich­te plötz­lich mel­det. Aber echt preu­ßi­sche Wirk­lich­kei­ten sind bis jetzt nur die Schöp­fun­gen Fried­rich Wil­helms I. und Fried­richs des Gro­ßen: der preu­ßi­sche Staat und das preu­ßi­sche Volk. In­des­sen jede über­le­ge­ne Wirk­lich­keit ist frucht­bar. Im heu­ti­gen Be­griff des Deut­schen, im heu­ti­gen Ty­pus des Deut­schen ist das preu­ßi­sche Ele­ment ver­jähr­ten Ideo­lo­gi­en ge­gen­über be­reits stark in­ves­tiert. Die wert­volls­ten Deut­schen wis­sen es gar nicht. Es ist mit sei­ner Sum­me von Tat­sa­chen­sinn, Dis­zi­plin, Korps­geist, Ener­gie ein Ver­spre­chen der Zu­kunft, noch im­mer aber nicht nur im Vol­ke, son­dern in je­dem ein­zel­nen von je­nem Wirr­warr ab­ster­ben­der, der abend­län­di­schen Zi­vi­li­sa­ti­on ge­gen­über nichts­sa­gen­der und ge­fähr­li­cher, ob­wohl oft sym­pa­thi­scher Züge be­droht, für die das Wort »Deut­scher Mi­chel« längst be­zeich­nend ge­wor­den ist.
Denn der »Deut­sche« in die­sem idea­li­schen Sin­ne von Pro­fes­so­ren und Schwär­me­rn ist eine Un­form, durch die ge­mein­sa­me Spra­che not­dürf­tig als Ein­heit fest­ge­stellt. Er ist un­po­li­tisch und un­prak­tisch, kei­ne »Ras­se« im Sin­ne ein­heit­lich auf das Wirk­li­che ge­rich­te­ter In­stink­te. Ein Rest er­starr­ter in­ne­rer Go­tik ist da noch üb­rig mit dem Ran­ken­werk und Wirr­sal ei­ner ewig-kind­li­chen See­le. Die deut­sche Ro­man­tik und ihre ver­träum­te Po­li­tik von 1848 ha­ben sie wie­der zum Vor­schein ge­bracht. Ein go­ti­scher Rest ist aber auch, mit eng­li­schen Fet­zen und Be­grif­fen ver­brämt, je­nes tri­via­le Kos­mo­po­li­ten­tum und Schwär­men für Völ­ker­freund­schaf­ten und Mensch­heits­zie­le, das in erns­ten Fäl­len bis zum Ver­rat aus Ein­falt oder Ideo­lo­gie sich stei­gernd das singt oder schreibt oder re­det, was das spa­ni­sche Schwert und das eng­li­sche Geld ta­ten. Das sind die ewi­gen Pro­vinz­ler, die ein­fäl­ti­gen Hel­den deut­scher Ichro­ma­ne mit in­ne­rer Ent­wick­lung und er­staun­li­chem Man­gel an Fä­hig­kei­ten der Welt ge­gen­über, die Bie­der­män­ner al­ler Verei­ne, Bier­ti­sche und Par­la­men­te, die die­sen Man­gel an eig­nen Fä­hig­kei­ten für den Feh­ler der staat­li­chen Ein­rich­tun­gen hal­ten, mit de­nen sie nicht fer­tig wer­den kön­nen. Schläf­ri­ger Hang zu eng­li­schem Li­be­ra­lis­mus mit sei­ner Feind­se­lig­keit ge­gen den Staat, die man gern nach­fühlt, wäh­rend man über die straf­fe Ini­tia­ti­ve des eng­li­schen Pri­vat­man­nes auch im Po­li­ti­schen hin­weg­sieht, spieß­bür­ger­li­cher Hang zu ita­lie­nisch-fran­zö­si­scher Klein­staa­te­rei, der längst um fran­zö­sisch fri­sier­te Höfe her­um ein par­ti­ku­la­ris­ti­sches Bür­ger­tum hat wach­sen las­sen, das nicht über den Grenz­nach­barn hin­aus­denkt und Ord­nung als kul­tur­feind­lich emp­fin­det, ohne dass man den Geist die­ser Kul­tur sich ein­zuimp­fen ver­möch­te, Ei­fer für spa­nisch-kirch­li­che Au­to­ri­tät, die sich in Kon­fes­si­ons­ge­zänk ver­läuft – al­les das un­prak­tisch, sub­al­tern, dumm aber ehr­lich, form­los ohne Hoff­nung auf künf­ti­ge For­men, ver­jährt, auch see­lisch un­frucht­bar, er­tö­tend, ver­klei­nernd, her­ab­zie­hend, der in­ne­re Feind je­des Deut­schen für sich und al­ler Deut­schen als Na­ti­on – das ist das Mi­chel­tum, das ne­ben den Ty­pen der fünf schöp­fe­ri­schen Völ­ker als der ein­zi­ge Ty­pus ei­ner Ver­nei­nung steht, Zeug­nis für eine Art go­ti­schen Men­schen­tums, aus der die rei­fen­de Kul­tur jen­seits von Re­naissance und Re­for­ma­ti­on kei­ne Ras­se im neu­en Sin­ne ent­wi­ckelt hat.

12.

Die or­ga­ni­sier­te Be­sied­lung der sla­vi­schen Ost­mark er­folg­te durch Deut­sche al­ler Stäm­me. Be­herrscht aber wur­de sie durch Nie­der­sach­sen und so ist der Kern des preu­ßi­schen Vol­kes am nächs­ten dem eng­li­schen ver­wandt. Es sind die­sel­ben Sach­sen, Frie­sen, An­geln, die in frei­en Wi­kin­ger­scha­ren, oft un­ter nor­man­ni­schem und dä­ni­schem Na­men, die kel­ti­schen Bri­ten un­ter­war­fen. Was längs der Them­se und in je­ner Sand­wüs­te um Ha­vel und Spree, die an Öde, Groß­heit und Schwe­re des Schick­sals nur in La­ti­um, der rö­mi­schen Cam­pa­gna, ih­res­glei­chen fin­det, in je­ner frü­hen Zeit auf­wuchs, lässt die Urah­nen sei­nes Wol­lens heu­te noch in den star­ren Ge­stal­ten Wi­du­kinds, des Mark­gra­fen Gero und Hein­richs des Lö­wen er­ken­nen.
Aber es wa­ren zwei sitt­li­che Im­pe­ra­ti­ve ge­gen­sätz­lichs­ter Art, die sich aus dem Wi­kin­ger­geist und dem Or­dens­geist der Deut­schrit­ter lang­sam ent­wi­ckel­ten. Die einen tru­gen die ger­ma­ni­sche Idee in sich, die an­de­ren fühl­ten sie über sich: per­sön­li­che Un­ab­hän­gig­keit und über­per­sön­li­che Ge­mein­schaft. Heu­te nennt man sie In­di­vi­dua­lis­mus und So­zia­lis­mus. Es sind Tu­gen­den ers­ten Ran­ges, die hin­ter die­sen Wor­ten ste­hen: Selbst­ver­ant­wor­tung, Selbst­be­stim­mung, Ent­schlos­sen­heit, Ini­tia­ti­ve dort, Treue, Dis­zi­plin, selbst­lo­se Ent­sa­gung, Selbst­zucht hier. Frei sein – und die­nen: es gibt nichts Schwe­re­res als die­ses bei­de, und Völ­ker, de­ren Geist, de­ren Sein auf sol­che Fä­hig­kei­ten ge­stellt ist, die wirk­lich frei sein oder die­nen kön­nen, dür­fen sich wohl an ein großes Schick­sal wa­gen. Die­nen – das ist alt­preu­ßi­scher Stil, dem alt­spa­ni­schen ver­wandt, der auch ein Volk im rit­ter­li­chen Kamp­fe ge­gen die Hei­den ge­schmie­det hat­te. Kein »Ich«, son­dern ein »Wir«, ein Ge­mein­ge­fühl, in dem je­der mit sei­nem ge­sam­ten Da­sein auf­geht. Auf den ein­zel­nen kommt es nicht an, er hat sich dem Gan­zen zu op­fern. Hier steht nicht je­der für sich, son­dern alle für alle mit je­ner in­ne­ren Frei­heit in ei­nem großen Sin­ne, der li­ber­tas oboe­dien­tiae, der Frei­heit im Ge­hor­sam, wel­che die bes­ten Exem­pla­re preu­ßi­scher Zucht im­mer aus­ge­zeich­net hat. Die preu­ßi­sche Ar­mee, das preu­ßi­sche Be­am­ten­tum, die Ar­beiter­schaft Be­bels – das sind Pro­duk­te je­nes züch­ten­den Ge­dan­kens. Der an­de­re aber hat noch spät ein­mal al­les, was Wi­kin­ger­blut im Lei­be hat­te, in die ame­ri­ka­ni­schen Prä­ri­en hin­aus­ge­trie­ben, Eng­län­der, Deut­sche, Skan­di­na­vier, eine spä­te Fort­set­zung je­ner Grön­land­fahr­ten zur Ed­da­zeit, wel­che um 900 schon die ka­na­di­sche Küs­te be­rührt hat­ten, eine un­ge­heu­re Wan­de­rung von Ger­ma­nen mit der vol­len Sehn­sucht nach Fer­ne und gren­zen­lo­ser Wei­te, aben­teu­ern­de Scha­ren, aus de­nen noch ein Volk säch­si­schen Schla­ges ent­stand, aber ge­trennt vom Mut­ter­bo­den der faus­ti­schen Kul­tur und des­halb ohne die »in­nern Ba­sal­te« nach dem Aus­druck Goe­thes, mit Zü­gen der al­ten Tüch­tig­keit und des al­ten ed­len Blu­tes, aber ohne Wur­zeln und des­halb ohne Zu­kunft.
So ent­ste­hen der eng­li­sche und der preu­ßi­sche Ty­pus. Es ist der Un­ter­schied zwi­schen ei­nem Volk, des­sen See­le sich aus dem Be­wusst­sein ei­nes In­selda­seins her­aus­ge­bil­det hat, und ei­nem an­de­ren, das eine Mark hü­te­te, die ohne na­tür­li­che Gren­zen auf al­len Sei­ten dem Fein­de preis­ge­ge­ben war. In Eng­land er­setz­te die In­sel den or­ga­ni­sier­ten Staat. Ein Land ohne Staat war nur un­ter die­ser Be­din­gung mög­lich; sie ist die Voraus­set­zung der mo­der­nen eng­li­schen See­le, die im 17. Jahr­hun­dert zum Selbst­be­wusst­sein er­wach­te, als der Eng­län­der auf der bri­ti­schen In­sel un­be­strit­ten Herr wur­de. In die­sem Sin­ne ist die Land­schaft schöp­fe­risch: das eng­li­sche Volk bil­de­te sich selbst, das preu­ßi­sche wur­de im 18. Jahr­hun­dert durch die Ho­hen­zol­lern her­an­ge­bil­det, die, aus dem Sü­den stam­mend, selbst den Geist der mär­ki­schen Land­schaft emp­fan­gen hat­ten, selbst Die­ner der Or­dens­idee des Staa­tes ge­wor­den wa­ren.
Ma­xi­mum und Mi­ni­mum des über­per­sön­li­chen so­zia­lis­ti­schen Staats­ge­dan­kens, Staat und Nicht­staat, das sind Eng­land und Preu­ßen als po­li­ti­sche Wirk­lich­kei­ten. Denn der eng­li­sche »Staat« li­be­ra­len Stils ist der, wel­cher gar nicht be­merkt wird, der das Ein­zelda­sein über­haupt nicht in An­spruch nimmt, ihm kei­nen Ge­halt ver­leiht, ihm nur als Mit­tel dient. Kei­ne Schul­pflicht, kei­ne Wehr­pflicht, kei­ne Ver­si­che­rungs­pflicht, so ging Eng­land durch das Jahr­hun­dert zwi­schen Wa­ter­loo und dem Welt­krieg, um je­des die­ser ne­ga­ti­ven Rech­te zu ver­lie­ren. Die­se Staats­feind­schaft fand ih­ren Aus­druck in dem Wor­te so­cie­ty, das state im idea­len Sin­ne ver­drängt. Als so­ciété geht es in die fran­zö­si­sche Auf­klä­rung ein; Mon­tes­quieu fand: Des so­ciétés de vingt à tren­te mil­li­ons d’hom­mes – ce sont des mons­tres dans la na­ture. Das war ein fran­zö­sisch-an­ar­chi­scher Ge­dan­ke in eng­li­scher Fas­sung. Es ist be­kannt, wie Rous­seau sei­nen Hass ge­gen be­feh­len­de Ord­nun­gen hin­ter dies Wort ver­steck­te, und Marx mit sei­ner eben­so eng­lisch ori­en­tier­ten Be­griffs­welt tat es ihm nach. Die deut­sche Auf­klä­rung sag­te »Ge­sell­schaft« im Sin­ne von hu­man so­cie­ty, was vor Goe­the, Schil­ler, Her­der nicht ge­sch­ah. Les­sing sprach noch vom Men­schen­ge­schlecht. Es wur­de dann ein Lieb­lings­wort des deut­schen Li­be­ra­lis­mus, mit dem man den Gro­ßes for­dern­den »Staat« aus sei­nem Den­ken strei­chen konn­te.
Aber Eng­land setz­te an Stel­le des Staats den Be­griff des frei­en Pri­vat­man­nes, der, staats­fremd und ord­nungs­feind­lich, den rück­sichts­lo­sen Kampf ums Da­sein ver­langt, weil er nur in ihm sei­ne bes­ten, sei­ne al­ten Wi­kin­gerin­stink­te zur Gel­tung brin­gen kann. Wenn Buck­le, Mal­thus, Dar­win spä­ter im Kampf ums Da­sein die Grund­form der so­cie­ty sa­hen, so hat­ten sie für ihr Land und Volk voll­kom­men recht. Aber Eng­land hat­te die­se Form in ih­rer ho­hen Vollen­dung, de­ren Kei­me man in den is­län­di­schen Sa­gas fin­det, nicht vor­ge­fun­den, son­dern ge­schaf­fen. Schon die Schar Wil­helms des Ero­be­rers, der 1066 Eng­land nahm, war eine so­cie­ty von rit­ter­li­chen Aben­teu­rern; die eng­li­schen Han­dels­kom­pa­ni­en wa­ren es, die gan­ze Län­der er­ober­ten und aus­beu­te­ten, zu­letzt noch seit 1890 das in­ne­re Süd­afri­ka; end­lich wur­de es die gan­ze Na­ti­on, die al­len Wirk­lich­kei­ten, dem Ei­gen­tum, der Ar­beit, den frem­den Völ­kern, den schwä­che­ren Exem­pla­ren und Klas­sen des eig­nen Vol­kes ge­gen­über den alt­nor­di­schen Räu­ber- oder Händ­ler­in­stinkt ent­fal­te­te, der zu­letzt auch die eng­li­sche Po­li­tik zu ei­ner meis­ter­haf­ten, äu­ßerst wirk­sa­men Waf­fe im Kampf um den Pla­ne­ten ge­stal­te­te. Der Pri­vat­mann ist der er­gän­zen­de Be­griff zu so­cie­ty; er be­zeich­net eine Sum­me von ethi­schen, sehr po­si­ti­ven Ei­gen­schaf­ten, die man, wie al­les ethisch Wert­volls­te, nicht lernt, son­dern im Blu­te trägt und in Ket­ten von Ge­schlech­tern lang­sam zur Voll­kom­men­heit aus­bil­det. Schließ­lich ist die eng­li­sche Po­li­tik eine Po­li­tik von Pri­vat­leu­ten und Grup­pen von sol­chen. Das und nichts andres be­deu­tet par­la­men­ta­ri­sche Re­gie­rung. Ce­cil Rho­des war ein Pri­vat­mann, der Län­der er­ober­te; die ame­ri­ka­ni­schen Mil­li­ar­däre sind Pri­vat­leu­te, die Län­der durch eine un­ter­ge­ord­ne­te Klas­se von Be­rufs­po­li­ti­kern be­herr­schen. Der deut­sche Li­be­ra­lis­mus in sei­ner sitt­li­chen Wert­lo­sig­keit aber sagt le­dig­lich zum Staa­te Nein, ohne die Fä­hig­keit, das durch ein eben­so groß­ge­dach­tes und ener­gi­sches Ja zu recht­fer­ti­gen.
Von in­nerm Ran­ge kann in Deutsch­land nur der So­zia­lis­mus in ir­gend­ei­ner Fas­sung sein. Der Li­be­ra­lis­mus ist eine Sa­che für Tröp­fe. Er be­schwatzt, was er nicht be­sitzt. Wir sind ein­mal so; wir kön­nen nicht Eng­län­der, nur Ka­ri­ka­tu­ren von Eng­län­dern sein – und das sind wir hin­rei­che...

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  3. Inhaltsverzeichnis
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  5. Sachbücher bei Null Papier
  6. Newsletter abonnieren
  7. Einleitung
  8. Die Revolution
  9. Sozialismus als Lebensform
  10. Engländer und Preußen
  11. Marx
  12. Die Internationale
  13. Das weitere Verlagsprogramm