TEIL III
Die vielen kleinen Details
8 Kreative was?
ICH MÖCHTE NUR GLÜCKLICH SEIN!
Hatten Sie schon einen Klienten, der einfach nur glücklich sein wollte? Und das war alles, war er sich von der Therapie erhofft hat? Natürlich hatten Sie solche Klienten. Und ich bin sicher, Sie können sich erinnern, wie schwierig das war! Zum Glück werden Sie von jetzt an etwas haben, was Ihnen bei diesen Klienten helfen kann: kreative Ratlosigkeit. (Lassen Sie sich von dem Namen bitte nicht abschrecken.
Kreative Ratlosigkeit in Kurzform
Kurz und bündig: Kreative Ratlosigkeit ist ein Prozess, bei dem man sich bewusst wird, dass der angestrengte Versuch, unerwünschte Gedanken und Gefühle zu vermeiden oder loszuwerden, dazu tendiert, das Leben schlechter und nicht besser zu machen. Dies führt zu einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit in Bezug auf die Strategie, schwierige Gedanken und Gefühle zu vermeiden. Daraus kann eine kreative innere Haltung entstehen, wie neue Möglichkeiten gefunden werden können, mit ihnen umzugehen.
Ziel: Sich der emotionalen Kontrollstrategie und der Kosten exzessiver Erlebnisvermeidung stärker bewusst sein (siehe unten); bewusst erkennen und anerkennen, dass Klammern an diese Strategie nicht funktioniert.
Synonym: Konfrontation mit der Kontrollstrategie.
Methode: Wir schauen an, was die Klientin getan hat, um unerwünschte Gedanken und Gefühle zu vermeiden oder loszuwerden, wir untersuchen, wie sie kurzfristig und auf lange Sicht funktionieren, decken alle Kosten dieser Strategien auf und schauen an, ob sie das Leben besser oder schlechter machen.
Anwendung: Wenn wir wissen oder vermuten, dass der Klient exzessiv Erleben vermeidet, stark an einer Strategie emotionaler Kontrolle hängt: Ich muss mich gut fühlen; ich muss diese unerwünschten Gedanken und Gefühle loswerden.
DIE STRATEGIE EMOTIONALER KONTROLLE
Kreative Ratlosigkeit ist Teil des ACT-Modells, das wir anwenden, wenn wir genau wissen oder ziemlich sicher sind, dass der Klient fest an der Strategie emotionaler Kontrolle hängt: Ich muss kontrollieren, wie ich fühle. Ich muss die ungewollten, unangenehmen und schwierigen Gedanken, Gefühle, Emotionen und Erinnerungen loswerden – und sie mit guten, angenehmen und erwünschten ersetzen.
Na ja, in gewissem Maß haben wir alle diese Strategie. Sie erinnern sich, dass wir in Kapitel 2 angeschaut haben, dass es normal ist, sich verzweifelt an diese Strategie zu klammern: dass Erlebnisvermeidung ausgeprägt und fast immer problematisch ist. (Denken Sie daran: Ein hoher Grad an Erlebnisvermeidung korreliert direkt mit hohem Risiko von Depression, Angststörungen, langfristiger Behinderung, geringer Arbeitsleistung, PTBS, Sucht und vielen anderen psychiatrischen Störungen.)
Kreative Ratlosigkeit heißt so, weil wir darauf abzielen, ein Gefühl von Ratlosigkeit in Bezug auf diese Strategie der Kontrolle Ihrer Gefühle zu erzeugen. (Es geht nicht um Hoffnungslosigkeit in Bezug auf Ihre Zukunft, auf sich selbst oder Ihr Leben.) Wir haben das Ziel, diese Strategie zu untergraben, damit wir unsere Klientinnen für eine neue Strategie öffnen können: die Strategie der Akzeptanz. (In ACT-Lehrbüchern wird diese neue Strategie häufig als »Bereitschaft« bezeichnet: das heißt, die Bereitschaft, schwierige Gedanken und Gefühle zu tolerieren, als Gegensatz dazu, mit ihnen zu kämpfen oder sie zu vermeiden.)
Kreative Ratlosigkeit (KR) ist selten eine einmalige Intervention. Sie ist gewöhnlich etwas, was man Sitzung für Sitzung wiederholt anwenden muss. Gewöhnlich kann man sie aber von Mal zu Mal schneller und leichter anwenden. Bevor wir nun auf den Kern kreativer Ratlosigkeit zu sprechen kommen, wollen wir den Begriff der Kontrollstrategien erklären.
EMOTIONALE KONTROLLSTRATEGIEN
Emotionale Kontrollstrategien (EKS) sind alles, was wir tun, um unerwünschte Gedanken und Gefühle loszuwerden: offenes und verdecktes Verhalten, das von Erlebnisvermeidung motiviert ist. EKS können alles sein, von körperlichen Aktivitäten, Gebet und Meditation bis zum Genuss von Alkohol oder Heroin oder Suizidversuchen. (Anmerkung: Wenn Sport, Gebet und Meditation vor allem von Werten motiviert sind, würden wir sie nicht als emotionale Kontrollstrategien bezeichnen. Wir bezeichnen sie nur dann so, wenn die Hauptintention solcher Aktivitäten darin besteht, unerwünschte Gefühle zu vermeiden oder loszuwerden.) Bei Arbeit mit EKS fordern wir den Klienten auf, offen und wertfrei alle Strategien emotionaler Kontrolle anzuschauen, die er benutzt. Wir bewerten diese Strategien aber nie als gut oder schlecht, richtig oder falsch, positiv oder negativ. Unser Ziel ist es, ganz einfach nur anzuschauen, wie brauchbar diese Strategien im Hinblick darauf sind (oder nicht sind), ein besseres Leben zu gestalten.
Richtet sich ACT gegen alle emotionalen Kontrollstrategien?
Mit einem Wort: auf keinen Fall! Erinnern Sie sich daran, dass das gesamte ACT-Modell auf dem Konzept der Nützlichkeit beruht. Die Frage lautet immer, ob ein Verhalten geeignet ist, die Lebensqualität zu erhöhen. Tragen Kontrollstrategien also für Sie zu einem reichen, erfüllten Leben bei, macht es Sinn, sie weiterhin anzuwenden. Die Realität ist in den meisten, wenn nicht sogar in allen Fällen jedoch, dass wir Menschen uns zu sehr auf Kontrollstrategien verlassen. Und wenn wir sie zu exzessiv oder unangemessen anwenden, leidet unsere Lebensqualität darunter.
Nehmen wir das Beispiel von der Schokolade: Wenn wir ein Stück hochwertige Schokolade essen und ihre Qualität schätzen und sie genießen, geht es uns gut (vorausgesetzt, wir mögen Schokolade). Maßvoll angewendet, trägt diese emotionale Kontrollstrategie zu einem guten Leben bei, sie funktioniert also. Essen wir jedoch extrem viel Schokolade, kann dies zum Beispiel wegen der Gewichtszunahme auf Kosten unserer Gesundheit gehen. Außerdem, wenn wir intensiven emotionalen Schmerz empfinden und Schokolade essen, um zu versuchen, uns damit davon abzulenken, ist es unwahrscheinlich, dass das funktioniert.
Das Gleiche gilt für Sport. Treiben wir Sport, geht es uns häufig – zumindest danach – besser. Durch Sport nimmt überdies unsere Lebensqualität zu. Daher funktioniert er grundsätzlich als Kontrollstrategie, wenn wir ihn flexibel und maßvoll benutzen. Zu viel Sport, wie ihn beispielsweise anorektische Klientinnen treiben, die täglich drei Stunden im Fitnessstudio verbringen, um extrem schlank zu bleiben, wird dazu führen, dass sogar etwas so Positives negative Folgen hat.
Die ACT geht überdies davon aus, dass auch das Leben bereichernde Aktivitäten wie Sport, Beten, Meditation und gesunde Ernährung für mehr Zufriedenheit sorgen und als lohnenswerter erlebt werden, wenn Werte wie Selbstfürsorge die treibende Kraft sind und nicht Erlebnisvermeidung.
Haben Sie beispielsweise jemals hauptsächlich deshalb gegessen, um »schlechte« Gefühle wie Langeweile, Stress oder Angst zu unterdrücken? War dies eine zutiefst befriedigende Erfahrung? Vergleichen Sie diese Erfahrung mit Situationen, in denen das Essen von Werten wie Genießen und Wertschätzen Ihres Essens, Kontakt und Zusammensein mit Freunden geleitet war. Was war befriedigender? Das Gleiche gilt für ehrenamtliche Tätigkeiten, die davon geprägt sind, etwas zu teilen oder zu geben oder zu helfen. Sie werden Tätigkeiten, die sich an solchen Werten orientieren, weitaus befriedigender empfinden als solche, mit denen vor allem Schuld- oder Minderwertigkeitsgefühle vermieden werden sollen.
Wir wollen unsere Klienten dabei unterstützen, ihr Handeln nicht von Erlebnisvermeidung, sondern von Werten leiten zu lassen, indem wir ihnen helfen, sich bewusst auf das zuzubewegen, was ihnen sinnstiftend erscheint, statt vor unangenehmen Gedanken und Gefühlen wegzulaufen.
Ich möchte diesen Aspekt noch einmal betonen: Wenn Sie hauptsächlich deshalb Sport treiben, weil Ihnen Selbstfürsorge am Herzen liegt, oder wenn Sie beten, weil Sie sich mit dem Göttlichen verbinden wollen, ist dies keine emotionale Kontrollstrategie, da solche Aktivitäten nicht primär dazu dienen, Ihre Gefühle zu kontrollieren. Emotionale Kontrollstrategien sind es dann, wenn der Hauptzweck darin besteht, unerwünschte Gedanken und Gefühle loszuwerden.
KR ist eine Intervention, die auf dem Prinzip der Nützlichkeit beruht. Wir bitten die Klientin, ausgiebig, ehrlich und achtsam auf alle ihre emotionalen Kontrollstrategien (EKS) zu achten und welchen Preis sie dafür zahlt. Wir wollen ihr vermitteln, dass sie sich so zwar kurzfristig besser fühlt, auf lange Sicht aber kein reiches, erfülltes und sinnvolles Leben führt.
Ist die Arbeit mit kreativer Ratlosigkeit bei allen Klienten erforderlich?
Auch hier lautet die Antwort wieder: Keinesfalls. (Das Wort gefällt mir.) Falls ein Klient sehr motiviert ist, etwas zu verändern, nicht stark an emotionaler Kontrolle festhält oder bereits mit der Achtsamkeitspraxis oder der ACT vertraut und offen für diesen Ansatz ist, bedarf es keiner Arbeit mit kreativer Ratlosigkeit.
Wie viel Zeit nehmen solche Interventionen in Anspruch?
Die Länge der KR-Interventionen schwankt beträchtlich. In Zettles (Zettle, 2007) Muster für ein Depressions-Therapieprotokoll dauert die erste Intervention 20 Minuten. Möglich ist jedoch auch eine sehr kurze Intervention von wenigen Minuten (Strosahl, 2005). Idealerweise stimmen wir die Intervention also auf das Anliegen unserer Klientin ab. Ein Klient mit komplexeren Kognitionen und viel Selbstbewusstsein und Offenheit für neue Ideen ist etwas anderes als eine K...