Weisheit und Mitgefühl in der Psychotherapie
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Weisheit und Mitgefühl in der Psychotherapie

Achtsame Wege zur Vertiefung der therapeutischen Praxis

  1. 584 Seiten
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Weisheit und Mitgefühl in der Psychotherapie

Achtsame Wege zur Vertiefung der therapeutischen Praxis

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Über dieses Buch

Obwohl Achtsamkeit, Weisheit und Mitgefühl in der psychotherapeutischen und psychiatrischen Literatur selten behandelt werden, wird man kaum widersprechen können, dass diese Qualitäten wichtige Elemente einer jeden guten Behandlung sind.Dieses Buch erläutert das Wesen von Weisheit und Mitgefühl, sowohl für Therapeuten, die noch nicht mit achtsamkeits- und akzeptanzbasierten Ansätzen gearbeitet haben, als auch für jene, die damit schon vertraut sind. Untersucht wird, ob und wie diese Qualitäten objektiv gemessen und wie sie in die therapeutische Behandlung integriert werden können.Die Autoren beschreiben wirksame Strategien, mit denen bei bestimmten Symptomen und Störungen (zum Beispiel bei Angst, Depression, Trauma, Substanzmissbrauch, suizidalem Verhalten, Paarkonflikten und Elternstress) mit Achtsamkeit und Mitgefühl gearbeitet werden kann. Innovative therapeutische Techniken werden vorgestellt sowie die Theorie und die Forschung, die sie stützen, zusammengefasst. Das Buch beschreibt auch neurobiologische Grundlagen von Weisheit und Mitgefühl, etwa die bedeutenden Entdeckungen über die Wirkung von Achtsamkeitsmeditation auf das Gehirn.Inspirierend und spannend geschrieben, ist Weisheit und Mitgefühl in der Psychotherapie eine wahre Fundgrube für Therapeuten und ein Meilenstein in der Weiterentwicklung therapeutischer Kompetenz.

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Information

Verlag
Arbor
Jahr
2018
ISBN
9783867812313
1
Was sind Weisheit und Mitgefühl?
Warum sollten wir uns um sie kümmern?
Viele Therapeuten haben mittlerweile ein gewisses Verständnis von Achtsamkeit. Obwohl Achtsamkeit ihrem Wesen nach eine vorbegriffliche Erfahrung ist, haben die Bemühungen, sie zu definieren und zu messen, dazu beigetragen, dass über diagnostische und theoretische Aspekte hinaus ein anhaltendes Forschungsinteresse entstanden ist. Mit der Zeit und mit mehr Praxis und Übung führt die unmittelbare Erfahrung von Achtsamkeit zu den verwandten Erfahrungen von Mitgefühl und Weisheit. Was Mitgefühl und Weisheit eigentlich sind, wird bisher weniger gut verstanden, auch wenn es Bemühungen, sie zu beschreiben, schon so lange gibt wie schriftliche Aufzeichnungen der Geschichte. Auch diese Begriffe und Konzepte können sich auf die therapeutische Forschung und die Praxis der Psychotherapie auswirken.
In Kapitel 1 wird die Bedeutung von Mitgefühl und Weisheit in Ost und West sowie ihre enge Beziehung miteinander und mit Achtsamkeit untersucht. In Kapitel 2 wird modellhaft beschrieben, wie Therapeuten achtsame Präsenz herstellen können – ein Schatz an Weisheit und Mitgefühl –, auch wenn sie in ihrem Leben mit Schwierigkeiten konfrontiert sind. In Kapitel 3 sehen wir dann, wie positive Emotionen wie Liebe und Mitgefühl zu einer Basis dafür werden können, wie man sich innerlich öffnen und Bewusstheit erweitern und vertiefen kann. Das kann dazu führen, dass sich Weisheit und Mitgefühl als Züge der Persönlichkeit ausbilden.
Wir laden Sie ein, die Übungen in diesen drei Kapiteln und im ganzen Buch auszuprobieren und die Ideen, denen Sie begegnen, vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Erfahrung zu prüfen.
KAPITEL 1
Weisheit und Mitgefühl
Zwei Flügel eines Vogels
RONALD SIEGEL
CHRISTOPHER GERMER
Letztlich liegt der Grund, weshalb Liebe und Mitgefühl zum größten Glück führen können, einfach darin, dass wir sie von Natur aus über alles wertschätzen. Das Bedürfnis nach Liebe gehört zum Fundament menschlicher Existenz. Es ergibt sich aus der tiefen wechselseitigen Abhängigkeit, die uns allen gemeinsam ist.
TENZIN GYATSO, DER 14. DALAI LAMA (2011)
Carmen hatte an Angst gelitten, seit sie neun Jahre alt war. Als sie in der Schule einmal ein Referat in Physik halten musste, bekam sie Panik, und bald danach wurde ihr allein bei dem Gedanken schlecht, vor vielen Menschen zu stehen. Als Carmen im Alter von 27 Jahren ihre Therapie begann, hatten sie und ihre gut informierten Eltern (die beide auch an Angst litten) schon alle möglichen Medikamente und Formen von Psychotherapie ausprobiert. Aufgrund ihrer Angst, sich erbrechen zu müssen, war sie praktisch an das Haus gebunden und sehr deprimiert, wenn sie sah, wie ihre Freundinnen auf ihrem beruflichen und persönlichen Weg weitergingen, während sie nicht einmal zum Friseur gehen konnte.
In der Psychotherapie bei einem achtsamkeitsorientierten Therapeuten entdeckte Carmen, dass sie die Wahrscheinlichkeit, sich in der Öffentlichkeit übergeben zu müssen, nur erhöhte, wenn sie gegen die Übelkeit ankämpfte. In der Therapie lernte sie auch die Technik, ihre Aufmerksamkeit in den Fußsohlen zu verankern, wenn ihr eine Begegnung mit mehreren Menschen bevorstand, und quasi auf den Wellen der Angst zu surfen, die ihren Körper durchliefen. Aber praktisch funktionierte das alles nicht, wenn die Situation da war. Carmen wurde von jeder Empfindung von Übelkeit überwältigt und erschöpft. Die von den Eltern übernommene Veranlagung und eine lebenslange Konditionierung konnten so nicht überwunden werden. Carmen und ihr Therapeut stimmten darin überein, dass ihre Situation hoffnungslos war – beinah.
Carmen begann, aufrichtig über ihren Kampf mit sozialer Phobie und Panikstörung zu sprechen: „Ich bin gebrochen, ich leide!“ Sie und ihr Therapeut fragten sich offen, ob sie die Scham über ihren Zustand verlieren könnte, wenn sie mit jemandem über ihre Angst spräche, erbrechen zu müssen. In ihrer Verzweiflung nutzte Carmen einmal eine Chance und sprach mit ihrer Friseuse. Sie war erstaunt, wie schnell ihre Angst verschwand. Einen Monat später aber kehrten Angst und Übelkeit in voller Stärke zurück, weil sie sich zu sehr schämte, ihrer Friseuse zu erzählen, dass sie immer noch unter Panik litt. Deprimiert unterbrach Carmen ihre Therapie ein paar Monate lang.
Als sie ihre Behandlung wieder aufnahm, brachte sie einen handgeschriebenen Zettel mit, auf dem sie beschrieben hatte, was sie in der Therapie machen wollte. Sie beschrieb einen dreifachen Ansatz: (1) Exposition, das heißt, sie wollte sich ihrer Angst bewusst aussetzen, (2) Achtsamkeit und Akzeptieren und (3) Selbstmitgefühl. Mit Tagestouren, die sie zwangen, ihre Wohnung zu verlassen, wollte sie die Konditionierung ihrer Ängste unterbrechen. Verankern ihrer Aufmerksamkeit in der sinnlichen Wahrnehmung im gegenwärtigen Moment, wie beim Kontakt ihrer Fußsohlen mit dem Boden, würde ihr helfen, die Empfindung der Übelkeit zu ertragen und sie kommen und gehen zu lassen. Und wenn sie Leuten von ihren Problemen erzählte, würde ihr das helfen, ihre Scham aufzulösen. Sie nannte den ganzen Plan „innere Akzeptanz“ – Lernen, ihr Erleben und sich selbst zu akzeptieren, wo immer sie hinging. Ihr Therapeut freute sich darüber, dass ein Teil von Carmen während des vergangenen Jahres, in dem es scheinbar keinen Fortschritt gegeben hatte, sehr anwesend gewesen war und zugehört hatte.
In der folgenden Woche kam Carmen stolz zu ihrer Stunde: Sie hatte sich ihrer Angst im Alltag noch mehr ausgesetzt (beim Einkaufen, mit Besuchen von Freunden und Joggen) als je zuvor. Im Laufe der nächsten zwei Jahre konnte sie ihre vielen Ängste allmählich überwinden. Es war ein steiniger Weg, aber wenn es so aussah, als würde sie nicht schaffen, was sie sich vorgenommen hatte, erinnerte Carmen sich daran, dass ihr „kein Vorwurf zu machen“ war. Wenn sie merkte, dass ihr wieder übel wurde, nahm sie sicherheitshalber eine alte Plastiktasche und wartete darauf, dass dieses Gefühl vorüberging. Schließlich meldete sie sich freiwillig zur Arbeit in der Suppenküche ihrer Kirche – der erste von vielen Schritten auf dem Weg zu einem neuen Leben.
Was passierte hier? Dieser Fall illustriert die Macht von Mitgefühl und Weisheit in der Psychotherapie. Carmen konnte nicht aufhören, gegen ihre Angst zu kämpfen, sich erbrechen zu müssen. Aber das machte es nur noch schlimmer, bis sie schließlich die ganze Fülle ihrer Verzweiflung über ihre Situation empfand und mit Wärme und Ermutigung auf ihr Elend reagierte statt mit selbstentwertender Kritik, Scham oder Rückzug. Carmen musste wie viele andere Patienten, die sich sehr schwach oder mangelhaft fühlen, erst anfangen, sich in ihrer Gebrochenheit zu akzeptieren, bevor sie sich dem stellen konnte, wovor sie Angst hatte – in diesem Fall Panik und Erbrechen, wenn sie unter Menschen war. Mitgefühl war das, was ihr gefehlt hatte. Inmitten ihrer Frustration und Verzweiflung konnte Carmen die mitfühlende Haltung ihres Therapeuten fühlen. Dies gab ihr den Mut, ihrer Friseuse von ihrer Panik zu erzählen, die dann auch mit Mitgefühl reagiert hatte. Schließlich war Carmen in der Lage, sich selbst mit Freundlichkeit und Verständnis zu begegnen.
Weisheit spielte ebenfalls eine sehr wichtige Rolle. Weisheit erlaubte ihrem Therapeuten, Carmens Verzweiflung zu fühlen, ohne sich selbst für einen schlechten Therapeuten zu halten. Er konnte mit Carmens Schmerz in Resonanz bleiben, während er zugleich an der Aussicht und Hoffnung auf Veränderung festhielt. Weisheit erlaubte ihm auch, Carmen in seiner Arbeit den angemessenen Raum und sie die Expertin für ihr eigenes Leben sein zu lassen. Er half ihr, eine Atmosphäre der Neugier, von Unbeschwertheit mit Ungewissheit und gegenseitiger Wertschätzung herzustellen. Carmens eigene Weisheit entfaltete sich in vielerlei Weise: Sie begann, ihre Probleme aus einer neuen und weiteren Perspektive zu betrachten als bisher. Sie erkannte die katastrophenartige, unrealistische Bedeutung, die das Erbrechen für sie angenommen hatte. Sie nahm ihre angstvollen, selbstentwertenden Gedanken weniger ernst und sie tolerierte Unangenehmes als etwas, was „nicht sie“ selbst, womit sie nicht identisch war. Sie konnte gelegentliche Rückschläge und Versagen als Teil des Lebens sehen und sich sinnvollen Aktivitäten mit anderen widmen.
Aber was genau sind Weisheit und Mitgefühl? Warum sind sie in der Psychotherapie wichtig? In diesem Kapitel versuchen wir, diese so schwer zu fassenden Begriffe zu definieren und ihren begrifflichen, wissenschaftlichen und historischen Kontext in den westlichen und in buddhistischen Traditionen kurz zu umreißen. Wir beginnen auch, die Relevanz dieser Qualitäten für die therapeutische Arbeit, die das Thema des Buches ist, zu untersuchen.
Achtsamkeit, die Grundlage von
Weisheit und Mitgefühl
Das Interesse daran, Achtsamkeit in die Praxis von Psychotherapie aufzunehmen, ist in den letzten 25 Jahren stetig angewachsen. Achtsamkeit- und akzeptanzbasierte Behandlung gilt als die „dritte Welle“ der Verhaltenstherapie (Baer, 2006; Hayes, Follette & Linehan, 2012; Hayes, Villatte, Levin & Hildebrandt, 2011; Hoffman & Asmundson, 2008), nach verhaltensorientierten Ansätzen im engeren Sinn und der kognitiven Verhaltenstherapie. Und Achtsamkeit beeinflusst eine Reihe anderer Behandlungsmodelle wie psychodynamische (Epstein, 2011; Hick & Bien, 2010; Safran, 2003), humanistische (Johanson, 2009; Khong & Mruk, 2009) und familientherapeutische Ansätze (Carson, Carson, Gil & Baucom, 2004; Gambrel & Keeling, 2010; Gehart & McCollum, 2007). In der achtsamkeitsorientierten Therapie ist man viel weniger daran interessiert, den Inhalt persönlicher Erfahrungen zu verändern als viel mehr die momentane Beziehung zu Empfindungen, Gedanken, Emotionen und zum Verhalten. Diese neue Beziehung ist durch Achtsamkeit charakterisiert: „(1) Bewusstheit (2) des gegenwärtigen Moments (3) mit Akzeptanz“ (Germer, 2009) oder durch „die Bewusstheit, die dadurch entsteht, dass man mit Absicht und ohne zu werten mit der Aufmerksamkeit bei der Entfaltung der Erfahrung von Moment zu Moment“ ist (Kabat-Zinn, 2003, S. 145). Sie betont besonders die Akzeptanz: „aktives, nicht wertendes Annehmen von Erfahrung im Hier und Jetzt“ (Hayes, 2012). Das Gegenteil von Achtsamkeit und Annehmen ist Widerstand gegen oder Vermeiden von Erfahrung – die Abwehr unangenehmer Erfahrungen dadurch, dass man den Körper anspannt, in Gedanken stecken bleibt, schwierige Situationen meidet oder mit psychischen Abwehrmechanismen Gefühle blockiert. Obwohl solche Reaktionen auf kurze Sicht emotionale Unannehmlichkeiten reduzieren können, tendieren sie dazu, Leiden auf lange Sicht zu verstärken (Fledderus, Bohlmeijer & Pieterse, 2010; Kingston, Clarke & Remington, 2010).
Die Forschung über Achtsamkeit wächst exponentiell. Im Dezember 2011 verzeichnete PsycINFO über 1760 von Experten begutachtete Fachzeitschriftenartikel, in denen das Wort Achtsamkeit verwendet wurde, während es im Jahr 2005 nur 364, im Jahr 2000 125 und im Jahr 1985 nur 24 waren. Das am häufigsten erforschte Trainingsprogramm für Achtsamkeit ist die Achtsamkeitsbasierte Stressbewältigung (MBSR; Kabat-Zinn, 2011; Stahl & Goldstein, 2010). Andere empirisch unterstützte, breit angenommene Programme sind die auf MBSR beruhende Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie (Mindfulness-based cognitive therapy, MBCT; Segal, Williams und Teasdale, 2002; Williams, Teasdale, Segal und Kabat-Zinn, 2009), die Dialektische Verhaltenstherapie (DBT; Linehan, 1996, 1996; siehe auch Kapitel 15) und die Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT; Harris, 2011; Hayes, Strosahl & Wilson, 2011). Während immer mehr empirische Belege für die Wirksamkeit von achtsamkeits- und akzeptanzbasierten Behandlungsmethoden zu ihrer Popularität beitragen, wird Achtsamkeit jetzt auch als ein transtheoretischer und transdiagnostischer Veränderungsprozess anerkannt – als ein Wirkmechanismus, der verschiedenen Behandlungsformen für ein weites Spektrum von Erkrankungen zugrunde liegt (Baer, 2010a; Hölzel, Lazar et al., 2011). Achtsamkeit hat das Potential, nicht nur verschiedene Therapieschulen miteinander zu verbinden, sondern auch klinische Forschung und Praxis und das persönliche und professionelle Leben von Therapeuten zu integrieren (Germer, Siegel und Fulton, 2009).
Das Kultivieren einer freundlicheren, mitfühlenderen Beziehung zu sich selbst und zu anderen gehört, explizit oder implizit, zu den meisten oben erwähnten Trainingsprogrammen von Achtsamkeit, und die Forschung hat gezeigt, dass Achtsamkeitstraining das Selbstmitgefühl steigert (Birnie, Speca & Carlson, 2010; Krüger, 2010; Shapiro, Astin, Bishop & Cordova, 2005; Shapiro, Brown & Biegal, 2007). Der Einfluss von Achtsamkeitspraxis auf die Entwicklung von Weisheit wurde noch nicht experimentell untersucht, aber in der buddhistischen Tradition hat sie vor allem den Sinn, umfassende und tiefe Einsicht in das Wesen des Geistes und darüber hinaus in das Leben selbst zu entwickeln (siehe Kapitel 9). In den buddhistischen Traditionen ist das, was westliche Therapeuten „Achtsamkeitsmeditation“ nennen, als „Einsichtsmeditation“ (vipassanā) bekannt, die ausdrücklich dazu bestimmt ist, jene Einsichten zu kultivieren, die zu Weisheit führen und damit uns selbst und andere von Leiden befreien. Der griechische Philosoph Heraklit schrieb: „Anwender von Weisheit tun das, was ich getan habe: im Inneren forschen“ (Hillman, 2003, S. XIII). Der Buddha sagte: „Komm und sieh selbst“ (ehipassiko). Damit sich diese Weisheit einstellen kann, brauchen wir eine innere Haltung tiefer Akzeptanz gegenüber unserer Erfahrung von Moment zu Moment und Mitgefühl mit uns als leidenden Menschen. Wenn wir Achtsamkeitsübungen verwenden, um so nach innen zu schauen, entwickeln wir Qualitäten von Geist und Herz – Weisheit und Mitgefühl –, die uns erlauben, klar zu sehen und uns auf alles, was wir fühlen, mit Zartheit, Sanftmut und Unbeschwertheit einzulassen und auf die Lebensumstände, die sich einstellen, wirksam zu reagieren.
Drei praktische Qualitäten der Achtsamkeit
Obwohl Achtsamkeit, Weisheit und Mitgefühl in der Erfahrung verwandt sind und durch Methoden kultiviert werden, die etwas miteinander gemeinsam haben, unterscheiden sie sich konzeptuell deutlich und nutzen verschiedene psychische Prozesse oder Fähigkeiten.
Die drei Hauptqualitäten, die von den meisten Trainingsprogrammen für Achtsamkeit vermittelt werden, sind: (1) Konzentration (Bewusstheit mit einem einzigen Fokus), (2) Achtsamkeit an sich (offene Bewusstheit) und (3) Liebende Güte und Mitgefühl (Salzberg, 2011). Bis vor Kurzem wurden die ersten zwei psychischen Prozesse in achtsamkeits- und akzeptanzbasierter Psychotherapie betont. Diese Qualitäten sind auch die wichtigsten Hilfsmittel für das Kultivieren von Weisheit, die man in buddhistischer Psychologie als durchdringende Einsicht in das Wesen unseres Geistes und des „Selbst“ versteht. Die dritte Qualit...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelblatt
  3. Urheberrecht
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Danksagung
  7. Einleitung
  8. 1. Was sind Weisheit und Mitgefühl? Warum sollten wir uns um sie kümmern?
  9. 2. Die Bedeutung von Mitgefühl
  10. 3. Die Bedeutung von Weisheit
  11. 4. Therapeutische Anwendungen
  12. 5. Bemerkungen zur therapeutischen Praxis