Dschingis Khan
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Dschingis Khan

Die Geissel Gottes

  1. 112 Seiten
  2. German
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Dschingis Khan

Die Geissel Gottes

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Aus gesetzlosen Nomaden formte der Mongole Temujin mit List und Gewalt im 13. Jahrhundert ein straff organisiertes, unbesiegbares Heer und eroberte als Dschingis Khan, als Herrscher aller Stämme der Mongolen, ein Weltreich von nie gekannter Größe.Keiner seiner Untertanen wagte es, gegen das von ihm geschaffene Gesetzeswerk, dem "jasah" zu verstoßen. Wer sich seinem Willen unterwarf, konnte als Händler oder Reisender friedlich die unendlichen asiatischen Weiten durchqueren und hatte nichts zu befürchten. Wer sich aber gegen ihn auflehnte, war des Todes. Unter den Hufen seiner wilden Steppenkrieger zerbrachen mächtige Reiche, flossen Ströme von Blut. Auf dem Höhepunkt seiner Macht herrschte der große Khan unangefochten vom Stillen Ozean bis zum Schwarzen Meer. Zeitgenossen nannten ihn "Die Geißel Gottes". Als er, 72jährig, in seiner Jurte starb, übernahmen seine Söhne und Enkel ein gewaltiges Imperium, dessen Grenzen durch Pyramiden von Totenschädeln markiert waren.

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Information

Jahr
2011
ISBN
9783831255832
Aus den weiten SteppenAsiens jagten sie auf den Rücken ihrer zotteligen Pferde heran. Ein fremdartiges, ein grausames Volk. Jeder, der sich ihnen widersetzte, war des Todes. Sie schändeten die Frauen der Besiegten und führten sie und ihre Kinder in die Sklaverei. Das Abendland erzitterte vor dem Ansturm der Mongolen, unter den Hufen ihrer Pferde zerbrachen mächtige Reiche. Sie schufen das gewaltigste Imperium der Menschheit und fürchteten nur einen: Dschingis Khan, ihren allmächtigen Herrscher.
Dschingis Khan hatte die geschichtslosen Nomadenstämme seiner kargen Heimat im fernen Osten mit eiserner Hand zu einem Volk geformt und die damalige Welt aus den Angeln gehoben. Sein Wort war Gesetz, seine Macht unbeschränkt. Seine Opfer, Kaiser und Könige, nannten ihn die „Geißel Gottes“. Denn wo immer seine schrecklichen Krieger auftauchten, ließen sie Pyramiden von Totenschädeln zurück. Das Reich des großen Khans reichte vom Pazifik bis ans Schwarze Meer, von den dunklen Schluchten der sibirischen Taiga bis ins hitzeflirrende Persien. Die Legenden um sein Leben haben den mächtigsten Fürsten, der je auf Erden wandelte, überlebt. Bis heute.
Seit Monaten geschwächt und den nahen Tod ahnend, hatte Dschingis Khan Ende August 1227 seine Söhne Ögodei und Tolui sowie seine treuesten Heerführer zu sich gerufen, um ihnen sein Testament zu diktieren und letzte Ratschläge zu geben. Vor der kaiserlichen Jurte wurde ein langer, mit schwarzem Filz verzierter Wurfspeer in die Erde gerammt. Eisen im Boden bedeutete bei den Mongolen, dass der Herrscher von einer Krankheit heimgesucht worden war und dass niemand ohne strikte Anweisung eintreten durfte. Jede Missachtung hätte die Todesstrafe zur Folge. Eine große Verschwörung des Schweigens begann – sie sollte Monate andauern.
Dschingis Khan war damals ungefähr 72 Jahre alt. Seit Jahren waren seine Haare und sein Bart ergraut. Er war gekommen, um Ningxia zu belagern, die befestigte Hauptstadt des Reiches der Xixia, gegen die er seit mehr als einem Jahr Krieg führte. Der Großkhan hatte sich auf die andere Seite des Gelben Flusses, nicht weit von der Großen Mauer, auf die Höhen nahe der Quelle des Flusses Weihe zurück gezogen. Dort fand er ein wenig Kühlung. Er ahnte, dass er schon bald in die Welt seiner tapferen Vorfahren eintreten würde.
Der mächtige Herrscher der Mongolen hatte nicht mehr genug Kräfte, um sich von seinem Lager zu erheben. Er erinnerte sich an das seit Urzeiten geltende Sprichwort, das da hieß: „Wenn der Mongole von seinem Pferd getrennt ist, was soll er anderes tun als sterben?“ Die Zeit war für ihn gekommen. Das zeigte auch das vergebliche Bemühen der Schamanen, die ständig die guten Geister anriefen.

Der Tod des großen Khan

Aber die Sorge um das Erbe bedrückte ihn. Er befahl seinen Bediensteten, sich zu entfernen und hielt seinen beiden Söhnen folgende Ansprache, die aus dem „Geheimen Buch der Mongolen“ überliefert ist: „Meine Krankheit ist zu ernst, als dass sie geheilt werden könnte. Und, wahrlich, einer von euch wird den Thron und die Macht des Staates verteidigen und dieses Gebäude, das einen so festen Grund erhalten hat, ausbauen müssen. (...) Denn sollten alle meine Söhne wünschen, jeder für sich, Herrscher zu werden und einander zu dienen, wird es nicht so geschehen wie in der Fabel von der einköpfigen und der mehrköpfigen Schlange.“
In dieser Fabel wird die Schlange mit den tausend Köpfen und einem Schwanz von einem Karren zerschmettert, weil die tausend Köpfe sich alle nach verschiedenen Richtungen retten wollen. Die Schlange mit dem einen Kopf rettet sich, weil die tausend Schwänze ihr folgen. Nach dieser Warnung mussten sich die Söhne schriftlich verpflichten, Ögodei und dessen Nachkommen als Khan anzuerkennen.
Nachdem der Großkhan seine Nachfolge geregelt hatte, traten die Fürsten und Prinzen zusammen, um über den weiteren Verlauf des Feldzuges gegen das Xixia-Reich zu beraten. Die Heerführer waren für Abbruch des Unternehmens. Doch der Khan, obwohl an der Schwelle des Todes, war dagegen. Er schlug Verhandlungen vor. König Li Yan antwortete schroff ablehnend. Darauf gab der Mongolenherrscher den Angriffsbefehl. Kurz darauf starb Dschingis Khan, vermutlich an den Folgen eines Reitunfalls, den er auf einer Jagd nach Wildpferden erlitten hatte.
Der Feind wurde in erbitterten Kämpfen besiegt. Alle gegnerischen Krieger, deren Führer und auch König Li Yan wurden an Ort und Stelle hingerichtet.
Ende August 1227 zog ein beeindruckendes Gefolge bei den ersten Herbststürmen von der sich endlos dahin windenden Großen Mauer los und verließ den Gelben Fluss, um nach Norden zu ziehen und die menschenfeindliche Wüste Gobi zu durchqueren: der Leichenzug des großen Dschingis Khan. Die Karawane umfasste 1.000 Krieger der „Eisernen Garde“ des Großen Khan. Das war die Elitetruppe des Herrschers, die Ehrengarde. Sie war aus den tapfersten Säbelkämpfern und Bogenschützen zu Pferde rekrutiert.
Hinter ihnen zog das Heer, schwere Karren mit sich führend, auf denen Jagdbeute transportiert wurde. Begleitet von Hunderten von Tieren: Pferde, Ochsengespanne, Maulesel und Kamele, mit schweren Packsätteln beladen. Der Wagen zur Überführung der sterblichen Überreste des Großen Khans wurde von 16 Ochsen gezogen, überragt von Bannern mit langen Pferdeschweifen.
Die Karawane war wochenlang unterwegs. Durch die Wüste Gobi zog sie zu den Steppen der Mongolei – und hinterließ überall Spuren des Todes. Jeder Jäger, der den Weg kreuzte, jeder Viehhirte, jede Frau und jedes Kind musste sterben. Marco Polo, der als erster Westeuropäer das Herrschaftsgebiet der Mongolen bereiste, schrieb als Erklärung dazu: „Esist üblich, dass diejenigen, welche den Leichnam ihres Khans durch das Land geleiten, alle Personen, die ihnen unterwegs begegnen, erschlagen, indem sie zu diesen sagen: ,Geht hinüber in die andere Welt und dient dort eurem verstorbenen Herrn.’ Denn sie glauben, dass alle, die auf diese Weise getötet werden, wirklich seine Diener im Jenseits werden. Ähnlich verfahren sie mit den Reitpferden des Khans.“
Im Ordos-Gebiet geriet der Leichenzug des Khans ins Stokken. Die Räder des Sargwagens saßen im aufgeweichten Lehmboden fest. Das Gefährt ließ sich nicht mehr bewegen. Die abergläubischen Mongolen erschraken. Wollte der Tote ihnen ein Zeichen geben, dass er an dieser Stelle und nicht in seiner Heimat begraben werden wollte? Einer der Getreuen flehte den Geist Dschingis Khans an, sein Volk nicht im Stich zu lassen. „Hast Du, weil das Land hier warm ist, weil Deiner getöteten Feinde hier so viele liegen, Dein altes Volk der Mongolen vergessen? Dein goldenes Zelt und Dein Thron, das fruchtbare Volk der Mongolen, Deine Fürsten und Edlen – alles ist dort, wo Du geboren bist. Wir aber wollen Deine, dem Edelstein Jade gleichen Überreste in die Heimat bringen, sie Deiner Gemahlin Borte zeigen und dem Wunsche Deines ganzen großen Volkes willfahren.“
Und plötzlich gelang es, den Wagen wieder flott zu machen. Es war, als hätte der tote Herrscher die Bitte seines Volkes gnädig erhört. Die Gerüchte sind nie verstummt, dass Dschingis Khan selbst oder Reliquien des Toten im Ordos-Gebiet begraben wurden. Dort, bei Edschen Choro in der heutigen Inneren Mongolei, gibt es seit Jahrhunderten eine Opfer- und Gedenkstätte für Dschingis Khan, die „Acht Wei-ßen Zelte.“ Sie erinnern an die Palastzelte, die einst als Katafalke aufgebaut worden waren. Im weißen Doppelzelt „Palast des Dschingis Khan“ wurde ein Sarg aufbewahrt, in dem sich Überreste und Reliquien des Herrschers befunden haben sollen. Aufständische chinesische Muslime haben ihn in den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts verbrannt.
Die Mongolen des Kernlandes im Norden dagegen glauben fest daran, dass der tote Herrscher in seine Heimat zurückgekehrt ist und an jenem Ort bestattet wurde, der ihm heilig war. Dschingis Khan, so wurde es von Generation zu Generation weiter getragen, ruht auf dem Gipfel des Burhan Chaldun. Dort, unter einem hohen Baum, an einer Stelle, die der Khan selbst zu seiner Ruhestätte bestimmt hatte, versenkten die Getreuen die sterblichen Überreste. Auch andere Mitglieder des Herrscherhauses, so Tolui, Dschingis Khans jüngster Sohn, liegen in der Nähe begraben. Das Gebiet wurde zur verbotenen Zone erklärt. Ein bestimmter Mongolen-Clan übernahm die Bewachung. Jahraus, jahrein, bis Urwald den Grabhügel bedeckte und alle Spuren verwischte.
Viele Forscher haben bis heute vergeblich nach Dschingis Khans Grab gesucht. Die Natur selbst hütet das Geheimnis. Denn kein Mongole kann heute mit Gewissheit sagen, welcher der Gipfel zwischen den Quellen von Onon und Kerulen, zu deren Füßen das Volk seinen Nationalhelden ehrt, tatsächlich der heilige Berg Chaldun ist.

Der junge Temujin

Dschingis Khan stammt von Borte-Kino – dem blauen Wolf – ab, der auf göttlichen Befehl vom Himmel erzeugt wurde; seine Gattin war Qoài-Maral – die falbe Hirschkuh. Er kam über das Meer hierher. Als er sein Lager an der Quelle des Flusses Onon, am Berg Burhan Haldun aufgeschlagen hatte, wurde ihnen Batacihan geboren. Der Sohn von Batacihan war Tamaca, der Sohn von Tamaca war Horicar mergan. Der Sohn von Horicar mergan war Aùjan boro’ul.“So beginnt die „Geheime Geschichte der Mongolen“, die epische Chronik über den Begründer des mongolischen Reiches und der Dschingiskhaniden, seiner Nachkommen.
Den Barden der mongolischen Steppe zufolge waren demnach ein Wolf und eine Hirschkuh die Erzeuger des Fürstengeschlechts, das vor Dschingis Khan regierte. Es handelt sich um Totem-Tiere, die man häufig in Bronze gegossen, an zahlreichen sibirischen Kultstätten findet. Der Wolf ist bei turk-mongolischen Völkern ein Sinnbild der großen Ursprungsmythen. Da die Hirschkuh im allgemeinen eher die Beute des Wolfs ist, mag die Paarung mit diesem Raubtier verwundern, aber es handelt sich offensichtlich um die symbolische Vereinigung der männlichen Eigenschaften – Kraft und Mut – des Wolfes mit den weiblichen Attributen der Hirschkuh – Agilität und Grazie.
Der spätere Dschingis Khan wurde auf alle Fälle in einem sehr bescheidenen Filzzelt geboren. Wahrscheinlich im Jahr 1155 am rechten Ufer des Flusses Onon, östlich des Baikal-sees. Die mongolische Chronik berichtet, das Neugeborene sei mit einem Blutklumpen in der rechten Hand zur Welt gekommen. Der turk-mongolischen Tradition zufolge war dies die Verheißung für eine ruhmreiche Zukunft als Krieger. Wahrscheinlich hat der Vater des Kindes, Yesugai, seinem Erstgeborenen den Namen „Temujin“ gegeben, als Erinne-rung an einen Krieger der Tataren, den er kurz zuvor besiegt hatte. Die Krieger der Steppe glaubten, der getötete Feind übertrage seine Energie auf den Sieger und spende ihm seine Lebenskräfte.
Der Vater des späteren Weltherrschers, Yesugai, war der Häuptling einer Untersippe der Kiyat. Er verbündete sich mit einem gewissen To’oril, der den Titel des Königs der Keraiten angenommen hatte. Der König wollte das Bündnis der Waffenbrüderschaft besiegeln und hatte „Yesugai“ deshalb zu seinem „anda“, zu seinem Schwurbruder, gemacht. Dabei handelte es sich um einen rituellenAustausch des Blutes, von dem man einige mit geronnener Milch vermischte Tropfen trank.
Als Temujin neun Jahre alt wurde, kümmerte sich der Vater um seine Verlobung und versuchte so, eine für die Familie und die Sippe günstige Verbindung zu schaffen. Yesugai ent-schloss sich, bei den benachbarten Jurten vorstellig zu werden. Die Chronik besagt, dass er auf seinem Weg auf ein Lager der Qonggirat traf, eines Stammes, dem seine Ehefrau Ho’elun vor der Heirat angehört hatte. Der Häuptling Dei Secen empfang ihn freundlich. Er war vom Anblick des jungen Temujin entzückt. Stolz stellte er dem Gast seine eigene Tochter vor, da auch er ein Kind verheiraten musste. Sie war zehn Jahre alt und hieß Borte, was „Himmelsblau“ bedeutet – ausgerechnet die Farbe des mythischen Wolfs, von dem Temujin abstammen soll.
Am nächsten Tag bat Yesugai für seinen ältesten Sohn um die Hand von Borte. Als kluger, besonnener Mann schlug Dei folgendes Geschäft vor: Er stimmte zu, wollte aber, dass Temujin eine gewisse Zeit bei ihm auf seinem Lagerplatz wohnte. Zweifellos wollte er sich über die Fähigkeiten seines künftigen Schwiegersohnes ein eigenes Bild machen. Yesugai war einverstanden.
Auf dem Rückweg zu seiner Familienjurte ritt Yesugai durch die Gelbe Steppe. Es handelte sich um ein gebirgiges Gebiet zwischen dem Buir- und dem Kulunsee. Dort nomadisierten Stämme der Mongolen und der Tataren. Plötzlich tauchten Tataren auf, umkreisten den einsamen Reiter. Yesugai sprang vom Pferd, auf alles gefasst. Doch die Tataren hielten Abstand, schwänzelten nur um ihn herum. Einige von ihnen erinnerten sich noch an das Gesicht des Häuptlings der Kiyat-Sippe. Yesugai erkannte seine ehemaligen Gegner jedoch nicht.
Die Reiter baten ihm etwas zu trinken an. In den Trank hatte jedoch jemand zuvor ein tödliches Gift gemischt, das erst nach einiger Zeit wirkte. Persönliche Rache? Politischer Mord? Es ist nicht überliefert. Jedenfalls spürte Yesugai auf dem Heinweg die lebensgefährliche Wirkung des heimtückischen Giftes. Drei Tage lang schaffte er es dennoch, sich auf dem Pferd zu halten, bevor er sich in ein Zelt eines Lagers einer befreundeten Sippe retten konnte. Dort starb er. Seine letzte Sorge galt den Halbwaisen, die er hinterließ, seiner jungen Witwe und vor allem Temujin, der in der Familie seiner zukünftigen Schwiegereltern geblieben war.
Als Temujin die Nachricht vom Tode seines Vaters erhielt, kehrte er unverzüglich zu seiner Familie zurück. Als Halbwaise mit neun Jahren, der Älteste von mehreren Geschwistern im Kleinkindalter, machte der Junge fortan schwere Zeiten durch. Neues Familienoberhaupt war jetzt Ho’elun, seine Mutter, die für den Lebensunterhalt sorgen musste. Mitsechs kleinen Kindern war dies mehr als hart, auch wenn sie sicherlich von einigen Dienern unterstützt wurde.
Durch den Tod ihres Ehemanns verlor Ho’elun jegliche Autorität in ihrer Sippe. Ihrem verstorbenen Ehemann Yesugai war es gelungen, sich mitsamt seinen Angehörigen unter seinesgleichen zu behaupten. Nicht zuletzt deshalb, weil er als erfolgreicher Krieger von den anderen Sippen und den benachbarten Lagern anerkannt worden war. Doch jetzt? Jetzt hatte sein plötzlicher Tod für seine Familie tragische Folgen: Die Witwe mit ihren unmündigen Kindern wurde von der Gemeinschaft im Stich gelassen.
Schon bald kam es zu Streitigkeiten, und der Familie des verstorbenen Yesugai drohte die Ächtung. Mutig stellte sich Ho’elun den Widrigkeiten. Sie war jedoch plötzlich eine arme Verwandte geworden, von der man sich abwendete. Die Sippe zog nach einem Streit ohne die Witwe und ihren Söhnen weiter und ließ die Gattin ihres verstorbenen Häuptlings schutzlos in der Einsamkeit zurück.
Das schwere Leben der Familie von Ho’elun schaffte Spannungen unter den Kindern. Die Chronik der Mongolen berichtet, wie der zwölf- oder 13jährige Temujin und sein Bruder Joci Hasar mit den beiden anderen Geschwistern Bekter und Belgutai wegen eines gefangenen Fisches stritten und sie beschuldigten, ihn gestohlen zu haben. Die Mutter versuchte den Streit zu schlichten. „Wie könnt ihr ältere und jüngere Brüder euch untereinander nur so benehmen? Wir haben keinen anderen Freund als unseren Schatten“,schimpfte sie.
Doch Temujin und Joci Hasar wollten in ihrem Zorn nicht auf die Mutter hören. Die Brüder töteten Bekter mit mehreren Pfeilschüssen, obwohl er sie um sein Leben anflehte. Diese wilde Entschlossenheit, diese Rachelust und diese Geringschätzung des Lebens anderer schienen schon von Jugend an zu den dominanten Charakterzügen Temujins zu gehören. Ein ruchloser, junger Bursche, der nicht zögerte, jeden zu töten, der sich ihm widersetzte – und sei es sein eigener Halbbruder.

Die Rache der Sippe

Das Aufbegehren gegen Widrigkeiten des Lebens, die Fähigkeit dem Schicksal zu trotzen, kommen auch Kiriltuh, dem Häuptling der Merkit, zu Ohren. Er war es, der persönlich angeordnet hatte, Ho’elun und die Ihren im Stich zu lassen; er war es, der die Ächtung der Sippe veranlasst hatte. Kiriltuh sah die Gefahr, dass sich der junge, skrupellose Temujin an ihm rächen werde. Er war es schließlich, der für den sozialen Abstieg der Familie seines früheren Herrn Yesugai verantwortlich war. Er beschloss daher, die Brut junger Adler zu vernichten, solange dazu noch Zeit war. Temujin sollte sterben!
Eines Tages tauchte eine Gruppe von Reitern der Merkit zwischen den Zelten von Ho’elun auf. Die wenigen Bewohner ahnten die Gefahr sehr schnell. Aber was sollten sie gegen so viele kampfeslustige, bewaffnete Männer anderes tun als zu flüchten? Temujin, damals etwa 15 Jahre alt, war das Ziel des Angriffs. So schnell wie möglich flüchtete er sich in die umliegenden Wälder. Seine Brüder folgten ihm. In aller Eile errichteten sie einen Verhau aus abgebrochenen Ästen und Zweigen, um sich dahinter zu verschanzen und aus deren Schutz Pfeile auf die Gegner abschießen zu können.
Die Merkit scheuten den offenen Kampf. Sie wollten keinen ihrer Leute in einem Scharmützel verlieren und zogen es vor, zu verhandeln. Sie verlangten die Herausgabe von Temujin, dann würden sie sich friedlich zurückziehen. Temujin verspürte jedoch wenig Lust sich zu opfern und galoppierte in die Hochwälder. Die „geheime Geschichte der Mongolen“ berichtet, dass er dort geschlagene neun Tage und neun Nächte blieb, bevor er sich wieder herab wagte. Zu seinem Unglück lauerten dort aber immer noch seine Verfolger in einem Hinterhalt. Temujin wurde überwältigt, mit Lederriemen gefesselt und dann dem Häuptling der Merkit vorgeführt.
Kiriltuh, der ihn auf der Stelle hätte töten können, ließ jedoch Milde walten. Erkannte er den Mut des Jugendlichen, empfand er Mitleid für ihn oder beschloss er, seine Rache auf später zu verschieben? Das ist nicht überliefert. Jedenfalls befahl er seinen Leuten, dem gefangenen Burschen einen Holzkragen umzulegen. Diese Marter – ein sehr alter Brauch aus China – war besonders grausam, da sie den Gefangenen zu einer schmerzhaften und demütigenden Haltung zwang. Temujin musste tagelang mit Kopf und Händen in dem schweren Holzstück ausharren. Mitunter wurde er wie ein Tanzbär von Zelt zu Zelt geführt, wo sich die Steppenkrieger über ihn lustig machten und ihn verhöhnten. Aber während eines Festes der Merkit, als der Alkohol reichlich floss, gelang ihm die Flucht und dann auch die Heimkehr zu seiner Familie.
Im Laufe der nächsten Jahre scheint sich die Lage für Temujin und seine Familie erheblich gebessert zu haben. Sie waren nicht reich, aber sie besaßen eine ansehnliche Herde von Schafen und Kühen, die schön fett waren und schöne Hengste, die im Grünen weideten. Temujin, der inzwischen das Mannesalter erreicht hatte, nahm wieder Kontakt mit dem Qonggirat Dei auf, den er seit dem Tod seines Vaters rund sieben Jahre zuvor nicht mehr gesehen hatte. Der junge Mongole hatte nicht vergessen, dass er mit der Tochter von Dei verlobt war. Eines schönen Tages brach er also, begleitet von seinem Halbbruder Belgutai, zu den Qonggirat auf, um sein Versprechen zu halten, die inzwischen 16-jährige Borte in sein Zelt zu holen.

Hochzeit mit Borte

Trotz des Unglücks, das Temujin in den zurückliegenden Jahren erlitten hatte, steht Dei zu der alten Übereinkunft und blieb seinem Wort treu. Er war einverstanden, dem jungen Mann seine Tochter als Frau zu geben. Es ist nicht bekannt, welchen Preis Temujin für seine Braut gezahlt hat. Die aber brachte als Mitgift ein Geschenk für ihre zukünftige Schwiegermutter mit, den „sitkül“. Es handelte sich dabei um ein königliches Geschenk; einen Zobelpelz, der beim Aufstieg von Temujin zum „Dschingis Khan“ eine bedeutende Rolle spielen sollte.
Nun war Temujin also verheiratet. Von nun an konnte er mit der Unterstützung der Familie und der Sippe seiner Frau rechnen. Nach den harten, unsicheren Zeiten, der Flucht vor zu starken Gegnern, der Gefangenschaft und Erniedrigung war nun der Augenblick gekommen, um nützliche Bündnisse zu schließen, um sich auch außerhalb der eigenen Jurte durchzusetzen.
Als intelligente, entschlossene und kluge Frau war Borte eine hervorragende Beraterin für Temujin. Sie übte ihr Leben lang einen entscheidenden Einfluss auf ihn aus. Temujin nahm sich zwar im Laufe seines Lebens noch andere Frauen und Konkubinen, aber er blieb seiner ersten Frau immer eng verbunden.
Nach und nach erneuerte Temujin die Bündnisse, die nach dem Tod seines Vaters hinfällig geworden waren. Auf dem Höhepunkt seiner Macht hatte Yesugai seinem Schwurbruder To’oril auf den Thron verholfen und ihn zum Herrscher der Keraiten gemacht. Temujin war geschickt genug, um To’oril nun auf sich aufmerksam zu machen. In Begleitung seines Bruders Joci Hasar und seines Halbbruder Belgutai ritt Temujin bis zu den Ufern des Flusses Tula, der in den Baikalsee, das tiefste Binnengewässer der Erde, mündet. Dort nomadisierten die Keraiten, jenes Volk, dessen Ursprung umstritten ist und von dem bis zum 12. Jahrhundert niemand wusste.
In seinem Gepäck führte Temujin auch den Zobelpelz mit, den er für To’oril aufbewahrt hatte. Der empfing den Sohn seines ehemaligen Verbündeten Yesugai freundlich und registrierte voller Genugtuung, dass sich der junge Mann als sein Vasall vorstellte. To’oril fühlte sich geschmeichelt, nahm den Zobelpelz als Geschenk entgegen und bot Temujin seine Dienste an. Er sicherte dem jungen Mann seine Unterstützung zu und bot ihm sogar an, die Einheit von Yesugai, seines ehemaligen Kampfgefährten, unter der Führung seines Sohnes wieder aufzustellen. Einen Teil der mongolischen Sippen wieder unter seiner Obhut sammeln – konnte sich Temujin etwas Besseres wünschen?
„Dein Volk, das sich von dir getrennt hat, werde ich dir wieder zuführen“,„Dein zerstreutes Volk werde ich für dich wieder zusammen bringen. Wie ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Geschichts-Daten
  2. Inhaltsverzeichnis
  3. Der Tod des großen Khan