Wie viel Gedächtnisverlust verträgt das Alter?
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Wie viel Gedächtnisverlust verträgt das Alter?

Physiologische Psychologie

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Wie viel Gedächtnisverlust verträgt das Alter?

Physiologische Psychologie

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Über dieses Buch

Gedächtnis und andere kognitive Funktionen nehmen mit zunehmendem Lebensalter ab. Erklärt wird, welche Gedächtnisbereiche hiervon besonders betroffen sind, warum Erinnerungen nur selten verloren gehen, man aber trotzdem Probleme hat, an sie heranzukommen und was "altersübliches" Vergessen von 'leichten kognitiven Störungen' unterscheidet, die in Demenz münden können. Besonderer Wert liegt auf der Verknüpfung zwischen Emotion und biographischen Erinnerungen. Dabei zeigt sich, dass der Gedächtnisabbau relativ starren Regeln folgt.Die Charakteristika der Alzheimer-Demenz, Beginn, Verlauf und Variablen, die den demenzbedingten kognitiven Abbau verlangsamen, werden erläutert. Auch werden andere Demenzformen beschrieben. Die Diagnostik von Gedächtnisstörungen und Demenzen stellen ebenso einen Schwerpunkt dar wie die Beschreibung von Therapiemöglichkeiten.

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Information

Einführung

Jeder weiß, dass mit zunehmendem Alter unser Gedächtnis schlechter wird. Es fallen einem die Namen von Personen nicht mehr so leicht ein, man vergisst Dinge – insbesondere wenn man unter Stress steht und vieles zur gleichen Zeit zu erledigen hat. In früheren Zeiten waren derartige Probleme von geringerer Bedeutung, wurden auch von der Umwelt weniger wahrgenommen. Die Leute wurden früher nicht so alt wie heute. Die meisten waren im Alter auch weit weniger gefordert als wir das heutzutage sind. Heutzutage muss in der technisierten Welt auch ein alter Mensch mit dem Handy umgehen können, muss möglichst in der Lage sein, einen Videorekorder zu bedienen und er sollte, wenn möglich, seinen Enkeln zumindest zu Anfang auch noch ein wenig Technik beibringen können, obwohl das in der Realität häufig schon umgekehrt ist.
Heutzutage ist die Situation alter Menschen grundlegend anders. Es ist von großer Bedeutung, sich im Alter möglichst lange seine kognitiven Fähigkeiten zu erhalten, was an sich schon ein Problem ist. Man kann das an einer Reihe von Dingen ablesen, sowohl auf der Verhaltensebene wie auch am Nervensystem. Beispielsweise muss man mit 75 Jahren im Intelligenztest nur halb so viele Fragen richtig beantworten wie mit 21 Jahren. Das heißt, an Jugendliche werden weit mehr geistige Forderungen gestellt als an alte Menschen.
Wenn wir das Nervensystem betrachten, sehen wir, dass es im Alter grundsätzlich abbaut. Wir haben im Alter von 20 Jahren rund 170.000 Kilometer Nervenfasern, dagegen verfügen wir mit 90 Jahren nur noch über weniger als die Hälfte – also nur 40 bis 50 Prozent der Nervenfasern, die wir mit 20 Jahren haben. Gerade die Fasern – also die Verbindungen – sind das wichtigste auf Hirnebene, weil Kommunikation – wie wir alle wissen – von zentraler Bedeutung ist und die Verschaltung von einer Hirnregion zur anderen eben über die Nervenfasern erfolgt. Des Weiteren verlieren wir täglich 85.000 Nervenzellen, also im Grunde eine Nervenzelle pro Sekunde – von der Geburt bis zum Tode. Man hat das bis zum Alter von 90 Jahren berechnet: In diesem Alter hat man zehn Prozent weniger Nervenzellen im Gehirn als man mit 20 Jahren hatte.
All das spricht natürlich dafür, dass unsere Hirnleistungen im Alter zurückgehen. Es spricht aber andererseits auch dafür, dass wir möglichst frühzeitig damit beginnen sollten, den natürlichen, nervlich bedingten Altersabbau zu korrigieren, ihm entgegen zu wirken. Alte Menschen interessieren sich besonders für die Frage, ob die Tatsache, dass wir in unseren Leistungen ab 50 Jahren nachlassen, benigne – also gutartige – Vergesslichkeit ist, die sich darin zeigt, dass man plötzlich die Nachnamen von Leuten nicht mehr so parat hat wie früher, oder ob es bereits der Beginn eines Demenzzustandes, der Ansatz einer Alzheimer-Erkrankung ist.
Die zentrale Erkenntnis der Wissenschaft in diesem Zusammenhang kann man unter dem Motto „Bildung schützt vor Alzheimer“ zusammenfassen. Menschen, die einen höheren Bildungsstaus haben, die sich weitflächiger für ihre Umwelt – sowohl die soziale Umwelt, die Mitmenschen, wie auch für Fakten aus der Umwelt – interessieren, haben eine höhere Chance, wenn überhaupt, dann später an Alzheimer zu erkranken als andere, die sich schon früh geistig zurückziehen und sich kognitiv nicht mehr sonderlich anstrengen. Man sollte sich also folgenden Satz zu Herzen nehmen: Alles was mein Gedächtnis im Alter verbessert, hilft mir, möglichst lange geistig gesund zu bleiben.

Gedächtnis

Bevor ich darüber spreche, was wichtig ist, um sich geistig fit zu halten, welche Gedächtnisbereiche eher gefährdet sind und welche weniger, muss ich erst einmal erklären was Gedächtnis ist und wozu wir Gedächtnis brauchen.
Ich werde mit der Frage beginnen: Wie hat sich Gedächtnis im Tierreich entwickelt? Wir wissen, dass Gedächtnis grundsätzlich auch im Tierreich wichtig ist, um zum einen das Überleben des Individuums und zum anderen das der Art zu sichern. Für Tiere, das wissen auch die meisten Menschen, ist Geruch – also das Geruchsgedächtnis – zentral. Ein Tier lernt, welche Pflanze schmackhaft und welche schädlich bzw. im Extremfall toxisch ist, also den Körper schädigt. Für ein Tier ist es ebenso wichtig wie für den Menschen, sich möglichst lange zu merken, was eher nützlich ist, um schädliche Nahrung zu vermeiden, die möglicherweise sogar zum Tod führen kann. Tiere halten sich also insbesondere über Geruch und Geschmack – also das Geruchsgedächtnis – lange am Leben. Sie merken sich, was für sie gut und schlecht ist. Soweit zum Überleben des Individuums.

Geruchsgedächtnis

Ähnliches gilt für das Überleben der Art: Jeder weiß, dass Hunde, die sich begegnen, sich einander beschnüffeln, aneinander riechen. Auch hier ist das Geruchsgedächtnis zentral. Über den Geruch erkennen Hunde, ob der andere Hund paarungsbereit ist oder sich in einem aggressiven Zustand befindet. Diese Mechanismen sind im Tierreich sehr weit verbreitet. Männliche Nashörner setzen zum Beispiel an ihren Reviergrenzen Kot ab, um ihre eigene „Zuständigkeit“ zu markieren. Sie signalisieren damit, dass sich die vorhandenen weiblichen Tiere in ihrer Obhut befinden und jüngere Männchen sich aus dem Revier fernhalten müssen, weil sie sonst Angriffe und schwere Verletzungen riskieren. Duftmarkierungen dienen also auch der Sicherung der Art, indem Langzeit-Erinnerungen gesetzt werden.
Wir wissen auch, dass sich die Hirnregionen, die ursprünglich mit Geruch zu tun hatten, später speziell auch bei uns Menschen zu jenen entwickelten, die sich mit Gedächtnis- und Emotionsverarbeitung befassen. Aus einem Teil der Hirnregionen, die ursprünglich mit Geruch zu tun hatten, wurden jene, die für das Gedächtnis wichtig sind. Es gibt zum Beispiel in den USA schon jetzt einen Geruchstest, der als Frühindikator verwendet wird, um die Alzheimer-Erkrankung zu erkennen, weil man weiß, dass bei Patienten, die später an Alzheimer erkranken, gerade die Geruchsregionen im Gehirn zuerst absterben.

Prospektives Gedächtnis

Interessant ist nun, wie weit tierisches und menschliches Gedächtnis vergleichbar sind. Eine kurze Antwort: Es gibt Bereiche, die bei Tieren analog vorhanden sind. Es gibt aber zumindest einen speziellen Bereich, den nur wir Menschen besitzen – jenen, der es uns ermöglicht, uns über lange Zeiträume zu erinnern, uns zu erinnern, was in der Vergangenheit war. Und umgekehrt – was für uns gerade auch im Alter sehr wichtig ist – ermöglicht dieser Bereich uns etwas, das wir „prospektives Gedächtnis“ nennen – vorauszuschauen, zu wissen, was will ich heute Nachmittag machen, was soll ich einkaufen, wann will ich in Urlaub fahren und ähnliches. Die Möglichkeit, eine „Zeitreise“ zurück in die Vergangenheit zu machen, aber auch vorwärts in die Zukunft gerichtete Entscheidungen zu treffen, unterscheidet unser „biographisches Gedächtnis“ von jenem Gedächtnis, das wir mit Tieren gemeinsam haben.

Prozedurales Gedächtnis

Auf der anderen Seite haben wir mit Tieren eine Reihe von Gedächtnisformen gemeinsam. Das beginnt mit dem prozeduralen Gedächtnis. Wenn man die Gedächtnisentwicklung innerhalb der Lebensspanne betrachtet, ist das auch bei Babys schon zu finden. Stellen sie sich vor: Ein Baby liegt in der Wiege und hat über sich ein Mobile. Wenn das Baby strampelt, stößt es möglicherweise an das Mobile und bemerkt dadurch – actio = reactio: Was ich tue, verändert die Umwelt. Es lernt automatisch, dass es durch sein Verhalten, seine Bewegung die Umwelt verändern kann. Das ist im Grunde eine erste Lebenserfahrung, die Kinder machen und die sich im weiteren Lebensverlauf zentral einprägt: dass man über die Motorik, über Prozeduren sein Leben gestalten, seine Umwelt verändern kann.
Zu diesem Gedächtnissystem noch ein einfaches Beispiel aus der Erwachsenenzeit: Was wäre Ihre Antwort, wenn ich Sie fragen würde, was Sie beim Auto fahren zuerst tun müssen, wenn sie vom zweiten in den dritten Gang wechseln wollen? Die meisten Leute denken nicht lange nach und antworten spontan: „Kupplung drücken“. Das ist falsch. Tatsächlich müssen Sie zuerst mit dem rechten Fuß vom Gaspedal weg und dann erst die Kupplung drücken. Auch das ist ein Beispiel von vielen, das zeigt, dass das prozedurale Gedächtnis eine Form ist, die automatisiert abläuft, bei der wir nicht groß nachdenken müssen, was die richtige Reihenfolge ist. Wir handeln einfach darauf los, weil wir dadurch unseren Kopf für wichtigere Dinge freibekommen, um den Lebensalltag zu beherrschen. Um mit dem, was wir an sonstigen Gedächtnissystemen haben, auf die Umwelt sinnvoll einwirken oder Informationen sinnvoll aufnehmen zu können.

Priming

Wir haben noch ein zweites Gedächtnissystem, das ähnlich wie das prozedurale ebenfalls automatisch unbewusst abläuft und das wir „Priming-Gedächtnis“ nennen. Auch dieses ist im Alltag durchaus wichtig. Insbesondere in neuerer Zeit haben Forscher sogar behauptet, dass 95 % von dem, was auf uns einwirkt, unbewusst verarbeitet wird. Dass wir also nur verschwindend wenig bewusst aufnehmen und verarbeiten, vieles aber von dem, was unbewusst aufgenommen wird, trotzdem später für unser Verhalten Bedeutung haben kann. Indem man beispielsweise eine Wahl trifft, die eher mit dem übereinstimmt, was man vorher unbewusst aufgenommen hat.
Die Standardsituation hierzu findet sich heutzutage beim Fernsehen. Auch die Fernseh-Reklame macht sich zunutze, dass wir über ein unbewusstes Gedächtnissystem verfügen. Da finden Sie in den Werbepausen Werbung von verschiedenen Firmen eingeblendet und – was heutzutage fast immer der Fall ist – die Werbung wiederholt sich binnen kurzem. Man betont noch einmal, was vorher gesagt wurde in gleicher oder ähnlicher Wortwahl. Die dahinter stehende Idee: Zuerst hing der Zuschauer mit seinen Gedanken noch an den Spielfilminhalten, hat das in der Werbung gesagte nicht weiter beachtet. Das jedoch ist aber trotzdem bereits über die Sinnessysteme – Gehör, Auge – in das Gehirn gelangt und hat da einen „Prime“ – eine Spur – hinterlassen. Wenn das Ganze sich wiederholt, gibt es eine Art Aha-Erlebnis und man wählt dann tatsächlich eher das Produkt.
Da das Ganze unbewusst abläuft, ist es umso wirksamer. Man erinnert sich gar nicht mehr, dass man irgendwelchen Tricks aufgesessen ist dadurch, dass sich Inhalte wiederholt haben, sondern man handelt, agiert einfach.

Perzeptuelles Gedächtnis

Soweit zu den unbewussten Systemen. Wir haben dann noch drei Gedächtnissysteme, die bewusster Natur sind. Das erste ist das perzeptuelle Gedächtnis, das uns im Alltag erleichtert, Dinge zu selektieren und voneinander abzugrenzen, ohne das wir dabei groß auf Sprache und anderes zurückgreifen müssten. Sie erkennen zum Beispiel einen Apfel als solchen, gleichgültig ob er rot, grün oder andersfarbig ist. Sie können ihn auch sicher von anderen Obstsorten unterscheiden. Hier haben wir, wie der Name Perzept sagt, Muster im Gehirn. Wenn dieses Muster einigermaßen mit dem Muster übereinstimmt, das wir sehen, dann erkennen wir das Objekt bewusst. Das Gleiche wird für Personen gelten, sodass wir ein sehr gutes Gesichtergedächtnis haben. Wenn wir ein Gesicht schon einmal gesehen haben, können wir es gut wiedererkennen, es kommt uns bekannt vor, es wirkt familiär.

Welt- und Allgemeinwissen

Das vierte Gedächtnissystem ist jenes, das unser Weltwissen, unser Allgemeinwissen enthält, alle Dinge, die wir in der Schule gelernt haben und die wir als Fakten im weiteren Leben gebrauchen. Wir alle wissen – es ist ein sicheres Faktum – dass Paris die Hauptstadt von Frankreich ist oder 23 = 8. Dinge also, die wir als Repräsentation bewusst im Kopf haben, von denen wir aber keinen Kontext haben, also nicht wissen, wo oder wann wir es gelernt haben.

Autobiographisches Gedächtnis

Das ist beim letzten Gedächtnissystem, das wir „autobiographisches Gedächtnis“ nennen, anders. Da haben wir immer den Kontext unserer eigenen Erlebnisse parat. Da geht es um persönliche Erlebnisse, da setzen wir uns selbst in Bezug zu andere Menschen. Dieses Gedächtnis ist außerordentlich wichtig, weil es sich erst mit der Zeit entwickelt. Zu Beginn verfügen wir noch über kein eigenständiges „selbst“. Als Baby fühlt man sich eins mit der Mutter, erst im weiteren Verlauf des Lebens kommt es zur Differenzierung, wo man sich als eigene Person wahrnimmt und in der Lage ist, Erinnerungen so zu speichern, dass aus der gesamte Kontext mit abgespeichert wird. Man weiß also, wie man sich damals gefühlt hat – eher erfreut oder traurig – und man hat auch die Situation dazu im Kopf. Man kann also eine – wie wir sagen – mentale Zeitreise zurück in die Vergangenheit, zu diesem spezifischen Erlebnis unternehmen.
Das ist im Übrigen die Form von Gedächtnis, die im Alter zuerst abbaut und vor allem – auch das ist wichtig – zuerst die entsprechenden Zeitgradienten abbaut. Genau wie sich das System beim Kind erst zum Schluss entwickelt, geht es im Alter zuerst verloren, und zwar derart, dass wir zuerst die Erinnerungen verlieren, die sich näher an der Gegenwart befinden. Weit zurückliegende Erinnerungen bleiben noch lange erhalten.
Ich komme darauf noch zurück, will aber zuerst noch einmal die Entwicklung des Selbst und die Veränderungen des Selbst mit fortschreitendem Alter betonen. Kleinkinder können sich im Spiegel noch nicht erkennen. Es dauert bis zum 18. Lebensmonat, bis es sich darin erkennt, erst dann hat es soweit ein eigenständiges Selbst entwickelt, dass zum Beispiel sagt; „Karl im Spiegel“. Kinder sagen zumeist nicht „ich“, sondern benennen sich selbst bei ihrem Vornamen, weil sie selbst mit dem Vornamen angesprochen werden.
Umgekehrt ist es auch bei alten Menschen, die an Alzheimer-Demenz leiden, durchaus im späteren Stadium häufig so, dass sie mit ihrem Spiegelbild sprechen, als handele es sich um eine fremde Person. Im Extremfall sprechen sie sogar mit einem Photo in der Zeitung, weil sie nicht mehr in der Lage sind, zwischen sich selbst und jemand anderem zu differenzieren.
Auch im Tierbereich ist es auch ein Indiz für Selbsterkenntnis, ob ein Tier sich selbst im Spiegel erkennen kann. Wenn Sie Ihren Hund vor einen Spiegel stellen, wird er sofort zu bellen anfangen, weil er meint, da wäre ein anderer Hund. Je wütender er selbst wird, desto wütender wird natürlich auch das Spiegelbild und das kann dann sehr schnell ausarten. Das ist bei den meisten Tieren der Fall. Es gibt nur sehr wenige, die sich im Spiegelbild erkennen. Man weiß es von den Menschenaffen, also von Schimpansen und Gorillas. Das hat man mit Versuchen herausgefunden, bei denen die Tiere betäubt werden. Während sie schlafen, schmiert man ihnen weiße Farbe auf die Stirn. Wenn so ein Versuchstier wieder aufgewacht ist und man stellt ihm einen Spiegel hin, dann wischt es sich die weiße Farbe von der Stirn. Das bedeutet, dass sich diese Tiere im Spiegelbild erkennen.
Das ist also eine Leistung, die sich erst während der Evolution entwickelt. Im Grunde wird sie nur von Menschenaffen, möglicherweise auch von Elefanten und Delfinen gezeigt. Aber bei den allermeisten Tierarten ist diese Leistung nicht zu finden und auch beim Menschen entwickelt sie sich erst ab einem Alter von mindestens eineinhalb Jahren.

Kristalline und fluide Intelligenz

Damit komme ich zu den Veränderungen des Gedächtnisses im Verlauf des Lebens. Dazu möchte ich ein wenig ausholen und zu Beginn auch über Intelligenz sprechen, weil es zwischen dem, was wir als Intelligenz bezeichnen und den verschiedenen Formen von Gedächtnis große Übereinstimmung gibt. Wer hochgradig intelligent ist, hat im Regelfall auch ein gutes Gedächtnis, wer wenig intelligent, hat eher ein schlechtes Gedächtnis. Das ist im Groben so der Fall, man muss jedoch genauer differenzieren. Wie ich soeben Gedächtnis in verschiedene Untersysteme gegliedert habe, so lässt sich auch Intelligenz zumindest in zwei große Bereiche unterteilen, nämlich in die „kristalline“ oder „pragmatische Intelligenz“ auf der einen Seite und in die „fluide“ oder „mechanische Intelligenz“ auf der anderen.
Zu den „kristallinen“, „pragmatischen“ Intelligenzleistungen gehören unser Allgemeinwissen, unsere Bildung – deshalb auch unsere soziale Intelligenz – und die Fähigkeit, mit Routinen fertig zu werden. Diese Bereiche nehmen im Alter zu, werden besser. Das gilt auch für unseren passiven Wortschatz, dass wir also zum Beispiel im Alter mit Fremdwörtern besser umgehen können.

Leistungsverschlechterungen und „Zungenphänomen“

Was jedoch nicht besser wird und sich im Gegenteil sogar zum Schlechten verändert ist alles, was mit dem zweiten Intelligenzbereich, mit der „fluiden“ oder „mechanischen Intelligenz“ zu tun hat. Um bei dem eben erwähnten Beispiel zu bleiben: Der passive Wortschatz wird zwar besser, aber der aktive Wortschatz – also bewusst schnell an Wörter heranzukommen – verschlechtert sich. Alles, was irgendwie mit Zeit und Geschwindigkeit zu tun hat, wird mit zunehmendem Alter schlechter. Wir können Dinge nicht mehr so schnell aufnehmen. Auch unsere Sinnessysteme werden schlechter, wir begreifen Dinge nicht mehr so schnell, unsere Aufmerksamkeit erlahmt eher. Vor allem verschlechtert sich auch was wir „geteilte Aufmerksamkeit“ nennen. Dabei geht es um Dinge, die wir gleichzeitig erledigen sollen, also auch wieder um fluide Intelligenz. Ein Kind kann noch gleichzeitig mit...

Inhaltsverzeichnis

  1. Einführung