Dein Gehirn bist Du!
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Dein Gehirn bist Du!

Neurowissenschaft

  1. 18 Seiten
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Dein Gehirn bist Du!

Neurowissenschaft

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Über dieses Buch

Das Universum unseres Gehirns mit seinen Abermilliarden Nervenzellen, Synapsen und Verbindungen entdeckt sich selbst Schritt für Schritt. Waren früher die Sinneseindrücke wie Sehen und Hören Ziel der Forschung, sind es heute die komplexen Emotionen wie Vertrauen, Angst, Liebe oder Schadenfreude.Was unterscheidet das Gehirn von einem Computer? Die Babyforschung gibt wichtige Aufschlüsse zum Lernverhalten des Gehirns. Es will ständig beansprucht werden. Lernen ist die Hauptfunktion des Gehirns. Dabei kommt es nicht auf Einzelheiten an.Wichtig ist ein allgemeiner "Nährboden", der durch Wiederholung, einem ständigen "Training" entsteht. Nicht zu vergessen: Mein Gehirn bin ich! Es ist der alleinige Sitz von Bewusstsein und Persönlichkeit jedes Menschen.

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Meine Damen und Herren, ich bin Hirnforscher von Beruf und natürlich ist Ihr Gehirn das wichtigste Organ, sonst würden Sie jetzt nicht zuhören. Ihr Kardiologe sagt Ihnen, dass Ihr Herz das wichtigste Organ ist und was der Urologe sagt, darüber möchte ich gar nicht reden. Wer hat denn nun recht? Was ist denn nun Ihr wichtigstes Organ? Nun, ich habe recht. Ich kann es Ihnen auch beweisen. Ihr Gehirn ist das einzige Organ, bei dessen Transplantation Sie lieber Spender als Empfänger sind. Woran liegt das?
Ganz einfach. Ihr Herz: man kann Ihnen ein neues einbauen, auch dann sind Sie es immer noch. Neue Niere, neue Leber, das geht alles und Sie sind es. Wenn Ihnen aber ein neues Gehirn eingepflanzt wird, dann wacht am nächsten Tag der Spender auf, guckt in den Spiegel und wundert sich, dass er so aussieht wie Sie. Das ist eigenartig, nicht? Ihr Gehirn, das haben Sie nicht so, wie Sie ein Herz oder eine Niere haben. Nein, Ihr Gehirn, das sind Sie. Und das sage ich nicht einfach nur so, oh nein, Ihr Gehirn, das sind Sie in einer Weise, wie man das heute nachvollziehen kann und wie man es auch verstanden hat. Und darum geht es heute letztlich: Sie sind Ihr Gehirn, Sie haben nicht eines. Was heißt das, dass man sein Gehirn ist?

Beobachtung von Aufbau und Arbeitsweise des Gehirnes

Ich werde oft gefragt: „Warum ist denn Neurowissenschaft heute so interessant? Die gibt es doch schon lange.“ Stimmt. Gehirnforschung gibt es seit spätestens Mitte des letzten Jahrhunderts. Es hängt davon ab, wie man da zählt. Schon in der Steinzeit hat man Hirnoperationen durchgeführt und später hat man sich ganz viel mit dem Hirn beschäftigt. Aber so richtig Gehirnforschung, tote Gehirne auseinanderschneiden, in feinste Scheibchen und dann unter das Mikroskop legen, einfärben und genau nachsehen, was denn da ist. Das hat man im letzten und sogar schon im vorletzten Jahrhundert gemacht. Was kriegt man heraus, wie das Gehirn funktioniert, wenn man tote Gehirne in feinste Scheibchen auseinanderschneidet?
Wenn Sie wissen wollen, wie Ihr Handy funktioniert und Sie schneiden es in feinste Scheibchen und legen diese unter das Mikroskop, dann bekommen sie gar nichts. Die Gehirnforschung ist heute viel weiter als vor hundert Jahren aufgrund von zwei wesentlichen Fortschritten. Zum einen wissen wir, wie die Bauteile des Gehirns, die Nervenzellen, zumindest im Prinzip funktionieren und zum zweiten können wir dem Gehirn bei der Arbeit zusehen. Beides ist noch nicht so alt. Aber miteinander kombiniert – Bauteile kennen und dem Gehirn von außen durch den Kopf bei der Arbeit zusehen – beides zusammen hat zu revolutionierenden Durchbrüchen geführt, die unglaublich spannend sind und dazu führen, dass wir uns heute in der Gehirnforschung mit Fragen beschäftigen, von denen wir noch vor 10, ja manchmal sogar noch vor 5 Jahren, gar nicht gedacht hätten, dass man sie überhaupt mit der Gehirnforschung bearbeiten kann. Zum Beispiel: Wie entsteht Vertrauen? Was ist Meditation und zu welchen Effekten führt sie? Wie gehen Gruppen miteinander um und was bedeutet es, wenn sie kooperieren? Was heißt es, wenn sie nicht kooperieren? Wo steckt Fairness im Gehirn oder vielleicht auch Dankbarkeit? Oder wo Schadenfreude?
Noch vor 10 Jahren waren es sehen, hören, tasten, vielleicht einmal die Finger bewegen, und dann hat man geschaut, wenn ich hier bewege, dann leuchtet es da. Heute gibt es die verrücktesten Sachen. Sagen wir einmal, Psalm 23 beten mit Inbrunst und ohne. Dann macht man den Vergleich und guckt nach, wo steckt im Kopf die Inbrunst? Das ist nicht von mir ausgedacht, das gibt es schon. Eigentlich ist heute nur noch die Fantasie der Forscher der limitierende Faktor dafür, was man in der Gehirnforschung alles untersuchen kann. Man kann im Prinzip alles untersuchen und es wird sich immer wieder zeigen, dass dies auch Relevanz hat. Es ist auch wichtig,was dabei herauskommt. Es ist nicht nur interessant, na ja, es leuchtet eben da und da, nein, es kommen auch Dinge heraus, die ganz unerwartet sind. Die uns über uns selbst neue Dinge sagen, auf die wir mit den Möglichkeiten, die wir bislang gehabt haben, durch pures Nachdenken also, nie gekommen wären.

Gehirnforschung im Interesse der Selbsterkenntnis

Dem Gehirn bei der Arbeit zusehen, bringt uns also im besten Sinne Selbsterkenntnis. Diese Selbsterkenntnis kann man zum Guten für sich selbst einsetzen. Letztlich geht es hier um Selbsterkenntnis, denn Ihr Gehirn, das sind Sie! Wenn Sie es besser kennen, dann unterliegen Sie ihm nicht wie ein Sklave, nein, dann haben Sie es in der Hand. Sich selbst besser im Griff, in der Hand zu haben, ist kein schlechtes Ziel – und das ist auch das Ziel der Gehirnforschung.
Zu den Bauteilen. Was macht denn so eine Nervenzelle? Eine Nervenzelle ist zunächst einmal eine Zelle, die darauf spezialisiert ist, elektrische Impulse weiterzuleiten, entlang von langen Nervenfasern. Diese sind richtig lang im Vergleich zum kleinen Zellkörper. Nervenzellen leiten elektrische Impulse. Nun weiß man schon seit Jahrzehnten ganz genau, wie diese elektrischen Impulse zustande kommen. Wie sie entlang der Zellmembranen laufen, warum sie da laufen, was es dazu braucht. Jugendliche lernen heute im Gymnasium die Ionenkanäle, Neurotransmitter und Rezeptoren, die an diesen Prozessen beteiligt sind, rauf und runter. Dinge, welche die Neurobiologie in langen Studien herausgefunden hat, für die es auch Nobelpreise gab. Heute lernt man, was so ein Neuron alles biochemisch und physiologisch macht. Interessanterweise wird in den Schulen kaum gelehrt, was das Ganze soll. Was macht denn so ein Neuron? Nun, ein Neuron verarbeitet letztlich Informationen. Das tut es so ähnlich wie ein Computer. Aber es gibt auch große Unterschiede.

Nullen und Einsen im Gehirn

Der „geistige“ Vater der Computer, John von Neumann, einer der größten Mathematiker des letzten Jahrhunderts, hat kurz vor seinem Tod an der Yale University eine ganze Vortragsreihe mit dem Titel „The Computer and The Brain“, zu deutsch „Die Rechenmaschine und das Gehirn“ gehalten. Das ist bis heute ein kleines, interessantes, spannendes Büchlein. Es vermittelt ein Gefühl dafür, dass das Gehirn eben kein Computer ist. Man kann es zwar als Rechenmaschine verstehen, aber dann als eine, die ganz anders funktioniert wie der Computer.
Es gibt eine Gemeinsamkeit: der Computer arbeitet, das wissen Sie, mit Nullen und Einsen. Da gibt es im Grunde nur Nullen und Einsen. Alles andere, was man so an bunten Farben und Symbolen auf dem Bildschirm sieht, lässt sich durch Nullen und Einsen im Computer darstellen und ist tatsächlich auch im Computer durch Nullen und Einsen dargestellt.
Sie werden es nicht glauben: in Ihrem Gehirn ist es genauso. Was es da gibt, sind Impulse. Diese Impulse – man spricht auch von Aktionspotentialen – sind letztlich alle gleich. Da gibt es keine roten oder grünen, lauten oder leisen, großen oder kleinen, kurzen oder langen. Nein, sie sind alle genau gleich. In Ihrem Gehirn geht es also tatsächlich „digital“ zu. Da gibt es Nullen und Einsen. Punkt. Jetzt werden Sie aber sagen, warum sehe ich dann den blauen Himmel blau? Nun, mit dieser Frage kann man sich sehr lange beschäftigen, ohne dass man letztlich viel weiter kommt. Mein Punkt ist, Sie sehen den Himmel blau und ich bin der letzte, der Ihnen ausreden will, dass da gar kein blauer Himmel sei. Dass der vielleicht bloß in Ihrem Kopf ist oder dass eigentlich gar kein blauer Himmel existiert. Oder was man sonst noch alles gefolgert hat. Das ist alles Unfug aus meiner Sicht. Machen Sie die Augen auf und sehen Sie den blauen Himmel an. Er ist blau und kein Gehirnforscher der Welt wird Sie vom Gegenteil überzeugen. Und wenn Sie sagen, da ist doch der blaue Himmel, dann haben Sie auch recht. Abgehakt. Ich rede also nicht über die komplizierten Dinge, die man sich noch ausdenken kann, wenn man erst mal anfängt, kompliziert darüber nachzudenken. Ich möchte Ihnen einfach erzählen, wie es funktioniert. Wie Sie dann darüber nachzudenken haben, das können Sie sich schon selbst überlegen.
Wie funktioniert es denn nun? – Nervenzellen empfangen Informationen von überall her. Zum Beispiel sitzen auf meiner Hand Tastkörperchen, ganz kleine Sinnesorgane, die für den Tastsinn zuständig sind. Sie liefern, Sie ahnen es schon, Nullen und Einsen, die in mein Gehirn gehen. Und da werden sie von hier hierher geliefert, von hier dahin geliefert und hier sitzt die Gehirnrinde. Das haben Sie alles schon gesehen. Wenn man das so betrachtet, so könnte ich mein Gehirn in der Hand halten. Da ist oben so ein Gewurstel, so eine Glibbermasse. Und da sind Furchen, kleine Windungen. Das ist die Gehirnrinde. Rinde heißt es deswegen, weil ich, wenn ich von außen einen Schnitt mache, dort Zellen finde, ganz dicht gepackte Nervenzellen.
Aber nur die ersten 5 mm. Darunter sind dann keine Zellen mehr, nur noch ein paar Zellhaufen, die noch tiefer liegen. Aber im wesentlichen befinden darunter die Verbindungen, die diese Rindenschicht mit anderen Rindenschichten verbinden, die an anderen Stellen dieses Gewurstels sitzen. Man muss sich die Gehirnrinde eigentlich wie ein größeres Taschentuch vorstellen, etwa einen halben Meter mal einen halben Meter groß. Wenn ich das ganze ausbreiten würde, hätte ich ein Taschentuch, einen viertel Quadratmeter groß und 5 mm dick. Das ist die Gehirnrinde. Das ist unser Informationsverarbeitungsapparat. Das macht uns aus, mit dem arbeiten wir.
Wie funktioniert das Ding? Abgesehen davon, dass da ganz viele einzelne Bereiche wieder mit anderen Bereichen verbunden sind und damit die Verbindungen nicht zu lang werden, hat man eben – hat die Natur – das ganze gebündelt. Hat es noch eingefurcht, damit es sozusagen da oben reinpasst. Wenn Sie ein Taschentuch da oben reinstecken möchten, müssten Sie es auch knäueln. Das ist der Grund, warum das Gehirn so gefurcht ist.

Synapsen – „Schaltzentralen“ an den Nervenzellen

Diese flache Schicht Nervenzellen hat einen ganz bestimmten Aufbau, der interessanterweise praktisch überall gleich ist. Dieser Aufbau funktioniert so, dass eine Nervenzelle mit ihren umliegenden Zellen gut verbunden ist und ganz bestimmte Verbindungen so arbeiten, dass sie die weiter wegliegenden Zellen eher in ihrer Aktivierung unterdrücken. Wenn also irgendwo etwas los ist, ist darumherum auch etwas los und weiter weg ist eher wenig los. Wenn also z.B. bei einer Inputphase von hier eine Information verschickt wird, wenn hier ein Berührung ist, dann geht diese hier oben ins Gehirn und dann verzweigt sie sich mehrere tausend mal und hat im Prinzip Verbindungen zu vielen tausend Nervenzellen.
Ob diese Verbindungen, das ist jetzt der nächste Punkt, auch funktionieren, d.h. wenn hier ein Impuls ankommt, ob der dann auch wirklich zu vielen Nervenzellen geht, das hängt dann davon ab, wie diese Verbindungen beschaffen sind. Und hier sind wir schon bei unserem nächste Punkt. Nervenzellen sind nicht nur Produzenten und Weiterleiter von Impulsen, nein, am Ende geht der Impuls ja wohin. Wohin? Zur nächsten Nervenzelle. Und da ist nicht nur ein Impuls, der da ankommt, sondern da kommen Impulse von bis zu 10.000 Nervenzellen an der einen Zelle an. Das heißt, eine Nervenzelle empfängt ganz viele Impulse von ganz vielen Orten. Diese „Kabel“, die da an der Nervenzelle andocken, sind nicht fest miteinander – doch, sie sind schon fest miteinander verklebt.
Aber es ist nicht so, dass der Impuls einfach weiterläuft, denn es gibt hier Verbindungsstücke. Den Namen dieser Verbindungsstücke haben Sie alle schon einmal gehört: dieses Verbindungsstück heißt „Synapse“.

Organ zur Produktion von „Gebrauchsspuren“

In diesen Synapsen wird „Neurotransmitter“ freigesetzt. Das ist ein chemischer Stoff. Dieser chemische Stoff führt am nächsten Neuron wieder zur Erregung und dann entsteht wieder ein elektrischer Impuls. Das heißt, hier kommt ein elektrischer Impuls an und an der Synapse gibt es eine Menge Biochemie, wodurch ein elektrischer Impuls weiter geleitet wird – oder auch nicht, wenn die Synapse nicht gut funktioniert.
Jetzt kann man sich fragen, was soll das? Warum gibt es diesen ganzen chemischen „Kladderadatsch“ an der Synapse? Und wieder: Oberschüler können Ihnen über Rezeptoren, Ionenkanäle und Neurotransmitter alles Mögliche erzählen. Aber auf die Frage, „wofür ist eigentlich so eine Synapse gut?“ kommt oft die Antwort: „Ach, das weiß ich nicht“. Das steht auch oft gar nicht in den Büchern.
Wofür ist denn nun so eine Synapse gut? Ganz einfach: Es ist klar, dass der Impuls weitergeleitet wird, aber das könnte man auch ohne Synapse erreichen. Dann müsste man einfach nur das Kabel fest an das Neuron stecken, dann würde es einfach weitergehen. Man bräuchte diese ganze Biochemie eigentlich nicht. Warum aber hat man sie dann doch? Weil Synapsen nicht nur Impulse weiterleiten, sondern auch noch eine ganz andere, wichtige Funktion haben. Synapsen ändern sich ständig, und zwar einfach dadurch, dass sie gebraucht werden.
Synapsen sind, wenn Sie so wollen, Produzenten von „Gebrauchsspuren“. Das Wort „Gebrauchsspuren“ kennen Sie. Das kennen Sie beispielsweise vom Porzellan. Das Gute lassen Sie im Schrank und holen es nur sonntags heraus. Denn eigentlich wollen wir keine Gebrauchsspuren am Porzellan. Es gibt auch Leute, die sagen: „Also mein Gehirn, das benutze ich mal wenig, dann bleibt es schön frisch und wie es gestern auch war“. Das ist falsch. Warum? Weil das Gehirn das Organ zur Produktion von Gebrauchsspuren ist. Dafür ist das Ding da.
Da haben Sie eine Synapse und über die läuft ein Impuls. Dadurch verändert sie sich unmessbar wenig. Wenn aber immer wieder ein Impuls darüberläuft, wächst das Ding und wird sichtbar größer. Sie können sich heute vom Netz Filmchen runterladen, schon seit Jahren. Dabei können Sie eine Synapse wachsen sehen, und zwar eine, die gerade gebraucht wird. Und wenn eine nicht gebraucht wird, wird sie auch langsam immer kleiner, bis sie sogar ganz verschwindet. Es gibt in unserem Gehirn sogar Prozesse, die Synapsen, die nicht benutzt werden, richtiggehend abräumen. Wie ein Bulldozer: wupp, was man nicht braucht, weg damit.
Die Synapsenzahl in unserem Gehirn nimmt je nach Bereich schon zum Teil nach dem ersten Lebensjahr wieder ab, in höheren Bereichen später. Das sind Probleme der Gehirnentwicklung, die wir noch genauer untersuchen werden. Aber der Punkt ist, die Anzahl der Synapsen alleine ist nicht entscheidend. Auch nicht einfach, dass sie alle super dick sind. Sie könnten sagen: „Ach wenn wir dicke Synapsen wollen, dann sollen sie doch alle einfach wachsen“. Das wäre ganz schlecht. Warum? Dann würden Sie die Augen aufmachen oder viel tasten, dadurch kämen viele Impulse herein und die würden ganz schnell überall im Kopf hinlaufen. Damit hätten Sie einen epileptischen Anfall. Sie hätten eine riesige Zuckung und wären bewusstlos. Was hätten Sie davon? Nichts.
Deswegen wollen wir das nicht. Wir wollen nicht einfach nur viele starke Synapsen. Was wir wollen, sind „differenzierte“ Synapsen. Beispiel: Wenn ich die Finger bewege, geht ein ganz bestimmtes Muster von hier nach da oben. Jetzt ist es wichtig, dass es hier oben Zellen gibt, die für den Finger zuständig sind. Zellen für diesen Finger, oder für den und für den. Und wenn ich den Finger bewege, werden eben bestimmte Synapsen stark bei bestimmten Nervenzellen. Aber wir haben ja vorhin gesehen, daß in der Nachbarschaft, ein paar Millimeter weit weg, diese Nervenzellen dafür sorgen, dass andere unterdrückt werden, sodass die anderen Zellen jetzt genau nicht aktiv sind. Zu diesen anderen Nervenzellen haben die hier vielleicht auch Verbindungen, aber die werden unterdrückt. Dadurch werden bei dieser Bewegung nur ganz bestimmte Nervenzellen hier oben aktiv.
Gleichzeitig kommt es aber dazu, dass Nervenzellen in der Nachbarschaft, das habe ich auch schon erwähnt, ein „bißchen“ aktiviert werden. Wir haben also eine Nervenzelle, die aktiv ist, die Nachbarn werden ein „bißchen“ aktiv und die weiter entfernten Nachbarn werden unterdrückt. Wenn jetzt der Zeigefinger den Daumen berührt, werden die voraktivierten Nervenzellen, dadurch leicht „angeschupst“. Wenn Zellen gleichzeitig aktiv sind, nimmt die Verbindung zwischen ihnen zu, weil dadurch Synapsen vor allem wachsen. Wenn ein Impuls darüberläuft, sind sie gleichzeitig aktiv und wenn Nervenzellen gleichzeitig aktiv sind, nimmt die Verbindung zwischen ihnen zu.
Das hat kein anderer als der amerikanische Psychologe William James – und jetzt halten Sie sich fest – schon im Jahre 1890 geschrieben. Da wusste man nicht, dass es Nervenzellen und schon gar nicht, dass es Synapsen gibt. Die hatten noch nicht einmal einen Namen, weil man noch gar nicht von ihnen wusste. Der Name ist jünger.
William James hat einfach gesagt: „Wäre es nicht praktisch, dass, wenn hier im Kopf etwas los ist und hier, die Verbindung zwischen diesen beiden Teilen im Kopf zunimmt?“ Das war genial, denn man wusste sonst fast nichts. Einige Jahre später, nämlich 1949, hat es Donald Hepp, kanadischer Neurowissenschaftler, schon genauer gesagt. Er wusste bereits etwas von Neuronen und Synapsen. Er meinte, es wäre eigentlich ein Superprinzip, wenn zwei Nervenzellen, die gleichzeitig aktiv sind, sich in ihrer Verbindung verstärken, denn dann könnte das Gehirn Assoziationen herstellen, also Verbindungen zwischen Dingen.

Assoziative Verknüpfungen – „Bodensatz“ der Erfahrungen

Stellen Sie sich vor, wenn es am Himmel dunkel ist, fängt es danach immer zu regnen an. Wie wollen Sie das eigentlich lernen? Ganz klar: Wenn hier oben Nervenzellen sind, die eine dunkle Wolke darstellen, also immer dann angeschaltet sind, wenn eine dunkle Wolke da ist. Und hier sind Zellen, die immer zu feuern anfangen, wenn es zu regnen beginnt. Sie haben also hier die dunkle Wolke und hier haben Sie den Regen und das „Feuern“ der beiden Nervenzellen. Dadurch nimmt die Verbindung zu und beim nächsten Mal, wenn Sie eine dunkle Wolke sehen, ist der Regen schon halb mit aktiviert. Und Sie denken: „Ah, es wird bald regnen“.
Genau aus diesem Grunde ist unser Gehirn so clever, weil es nämlich im Prinzip so funktioniert. Es stellt assoziative Verknüpfungen her zwischen den Dingen, die wir erleben. Das ist aufgrund der Tatsache möglich, dass es sich durch Erfahrung ändern kann. Wenn wir einmal eine Wolke sehen und einmal den Regen, dann sausen die Impulse in Tausendstel von Sekunden von Neuron zu Neuron über Synapsen hinweg. Das geht ganz schnell. Wenn das aber immer wieder passiert, entsteht dadurch ein „Bodensatz“ dieser Erfahrung. Bodensatz heißt, es bleibt etwas hängen. Es bleibt jedoch nicht „Einzelnes“ hängen, sondern es bleibt der Bodensatz hängen. Und irgendwann haben wir dann gelernt, daß eine dunkle Wolke Regen ankündigt. Genau das aber können wir für unsere Zukunft gut gebrauchen. Dass es am 3. Mai 1958 und am 7. Juli 1969 oder wann auch immer irgendwann einmal viel geregnet hat, nützt uns im Grunde überhaupt nichts. Dass aber dunkle Wolken Regen anzeigen, das ist sehr praktisch. Genau deswegen, weil das Abspeichern von regelhaften Zusammenhängen, die in der Vergangenheit so waren, wie sie waren, uns in der Zukunft weiterbringt. Weil wir dann eben wissen, wie wir mit der Welt umzugehen haben, weil wir die Welt kennen. Genau deswegen funktionieren Gehirne so, wie sie f...

Inhaltsverzeichnis

  1. Beobachtung von Aufbau und Arbeitsweise des Gehirnes