Gottes Wort oder Menschenwerk?
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Gottes Wort oder Menschenwerk?

Wissenschaft & Glaube

  1. 11 Seiten
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Gottes Wort oder Menschenwerk?

Wissenschaft & Glaube

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Über dieses Buch

Die Bibel ist das wirkmächtigste Buch der Weltgeschichte. Man kann sie allerdings ohne zusätzliches Wissen nur missverstehen. Die biblischen Bücher sind nicht geschrieben worden, um die Geschichte faktengenau zu dokumentieren, sondern sie - oft ohne Rücksicht auf die Fakten - zu deuten.Die intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung hat zu einem neuen Verständnis der "Heiligen Schrift" geführt. Gleichzeitig ergeben die Erkenntnisse der Wissenschaften über die Funktionsweise des menschlichen Gehirns eine darüber hinausgehende Interpretationsebene.Die Erkenntnisse kritischer Forschung beunruhigen Gläubige und Kirchen und werden deshalb weitgehend verdrängt. Für kritische Menschen wird dagegen die Bibel im Lichte dieses neuen Wissens, befreit von Aberglauben, wieder lesenswert.

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Information

Jahr
2011
ISBN
9783831257003
Die Bibel ist das wirkmächtigste Buch der Weltgeschichte. In jeder zweiten Wohnung in Deutschland findet sich eine Heilige Schrift. Die Bibel und ihre Geschichten sind aus der westlichen Kultur nicht weg zu denken. Im Gegenteil, das ´Buch der Bücher' bestimmt Denken und Fühlen, ja sogar selbst die Sprache derjenigen, die noch nie in der Heiligen Schrift gelesen haben. Auch sie kennen wohl die babylonische Sprachverwirrung, sie bekommen schon mal eine Hiobsbotschaft und wissen dann weder aus noch ein. Sie waschen ihre Hände in Unschuld. Sie wollen nicht um ein Jota abweichen von dem, was einmal festgelegt ist. Das sind alles Redewendungen aus der Bibel.
Mit der Bibel in der Hand wurden Revolutionen gemacht. Sola scriptura, allein die Schrift, war der Schlachtruf der Protestanten im Reformationszeitalter. Die großen Dissidenten-Gruppen des 12. Und 13. Jahrhunderts, Katharer und Waldenser in Südfrankreich, die in blutigen Kriegen verfolgt und ausgerottet worden sind, beriefen sich ebenso auf die Bibel wie die durch den Vatikan lediglich mundtot gemachten Befreiungstheologen in Lateinamerika im 20. Jahrhundert. Das alles waren innerchristliche Auseinandersetzungen. Die Inquisition war eine Antwort der Katholischen Kirche auf die zu Ketzern gewordenen Katharer. Der Dreißigjährige Krieg die Folge der Reformation durch Martin Luther. Immer ging und geht es um die Deutung des „Buchs der Bücher“.
Die Bibel ist zwar das meistgelesene Buch der Welt, aber zugleich auch das am wenigsten verstandene. Ihre Wirkung entfaltet sie gerade auch dort, wo sie nicht oder falsch verstanden wird. Denn die Heilige Schrift hat es in sich: Sie kann Menschen helfen, ihr Leben zu bewältigen. Sie hat Männer und Frauen zu Helden und Heiligen gemacht. Sie kann aber auch Werkzeug dazu sein, die Menschen für dumm zu verkaufen. Auf die Bibel, den Teil, den wir heute Altes Testament nennen, hat sich Jesus berufen. Auf die um das Neue Testament erweiterte Bibel haben sich aber auch die Kreuzritter und die sie befehligenden Päpste bezogen. Darauf berufen sich weiterhin Menschen, die andere im Na-men Gottes verfolgen. Darauf berufen sie sich, wenn sie ihre Wahrheit als die Wahrheit propagieren. Die Bücher der Bibel wurden schon von ihren Verfassern mit jeweils bestimmter, aber unterschiedlicher Zielsetzung geschrieben. Und das Ziel war nicht, die Geschichte möglichst faktengenau zu dokumentieren, sondern sie – oft ohne Rücksicht auf die Fakten – zu deuten. Es hat lange gedauert, bis die Theologen das verstanden haben. Die Fundamentalisten unter ihnen begreifen es bis heute nicht. Aus dem Elend Europas nach dem Dreißigjährigen Krieg erwuchsen sowohl die intellektuelle geistige Strömung der Aufklärung als auch die den Glauben verinnerlichende Religiosität des Pietismus. Der Pietismus fördert die persönliche Frömmigkeit und Glaubensüberzeugung, verbunden mit dem Hang zum Missionieren. Die Bibel dient der „Erbauung“ der frommen Leser. Die heutigen Pietisten gehören zu den Fundamentalisten. Das heißt, sie propagieren die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift und halten sie für mehr oder minder wörtlich vom Heiligen Geist inspiriert. Aufklärung kann dagegen, so definierte der Philosoph Immanuel Kant anno 1784, den Menschen zum „Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ verhelfen. „Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“ Aufklärung und fundamentalistische Frömmigkeit sind zwei höchst unterschiedliche Weltsichten. Folge der Aufklärung ist eine neue Herangehensweise an das Buch der Bücher.
Die intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift hat in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass wir die Bibel auf ganz andere Weise verstehen können als dies früheren Generationen möglich war. Gleichzeitig ergeben die Erkenntnisse der Wissenschaften, die sich um das Verständnis dessen bemühen, was da in unserem Kopf passiert, wenn wir zu verstehen suchen, eine neue, darüber hinausgehende, Interpretationsebene. Sie hat damit zu tun, dass wir begreifen können, wie und inwiefern wir uns Bilder von der Welt machen müssen, die aber nicht die Welt sind, sondern eben Welt-Bilder.
Die Bibel ist bekanntlich nicht vom Himmel gefallen, sie wurde auch niemandem von Gott in die Schreibfeder diktiert. Ihre Bücher sind vielmehr von frommen Menschen in einem lang andauernden Prozess verfasst worden. Die Bibel der Hebräer, das Alte Testament, war auch die Bibel von Jesus, der sie selbst gedeutet hat und zwar auf eine bis heute die Christen und, man kann schon sagen, die Welt bewegende Weise. Das Alte Testament ist nicht nur das Buch der Geschichte des Volkes Israel und seines Gottes Jahwe, sondern zugleich auch die der übrigen altorientalischen Götterwelt. Spuren davon haben sich bis heute erhalten. Am Ende des christlichen Gottesdienstes erbittet nach traditioneller Art der Pfarrer den Segen Gottes, so wie es im Vierten Buch Mose steht: „Der HERR segne dich und behüte dich, der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir …“ Was ist das für ein Herrgott, dessen Angesicht leuchtet? Der Pfarrer betet hier zum altorientalischen Sonnengott, dessen „Angesicht“ in Gestalt der Sonnenscheibe leuchtet. Der HERR, Gott der Juden, Christen und Muslime, hat nämlich im Laufe seiner irdischen Geschichte viele Bilder in sich vereint. Unter anderem die eines Sonnengottes und eine Sturmgottes. Als Heimat des Sturm- und Kriegsgottes Jahwe, fälschlich auch Jehova übersetzt, gilt eine bergige Gegend im Nordwesten Arabiens. König David brachte kurz nach Tausend vor Christus den Jahwe-Kult nach Jerusalem. Im Tempel von Jerusalem wurde allerdings auch der ägyptische Sonnengott sowie der kanaanäische Wettergott Baal verehrt, sowie Aschera als die „Mutter der Götter“. Im 9. und 8. vorchristlichen Jahrhundert werden in den späteren Königreichen Israel und Juda Jahwe und Aschera als die beiden wichtigsten Götter angebetet.
Die Bibel zeigt auch Spuren einer Tradition, die den Theologen lange Zeit sehr peinlich war. Die im biblischen Buch der Sprüche so genannte „Frau Weisheit“ ist nämlich „die Geliebte Gottes“. In der modernen Übersetzung der Lutherbibel beschreibt sich die personifizierte Weisheit so: „Der HERR hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her ... da war ich als sein Liebling bei ihm; ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit“. Die immer noch neutrale Formulierung „Liebling“ hatte Martin Luther seinerzeit mit „der Werkmeister“ verschleiernd übersetzt.

Zielgerichtet falsch gedeutet

Solche Erkenntnisse sind zwar bemerkenswert, aber sie bedeuten im Grunde nicht viel. Das ist anders zum Beispiel bei einem Text, der zur Liturgie am Heiligen Abend gehört und aus dem alttestamentlichen Buch Jesaja stammt. Dort steht: „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf daß seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich …“ Die ersten Christen, die bekanntlich, wie Jesus selbst, Juden waren, deuteten Jesaja als den Propheten von Jesus Christus. Auch der Verfasser des aus der judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem stammenden Matthäus-Evangeliums tut dies. Die historisch-kritische Theologie übernimmt diese fromme Deutung nicht. Vermutlich blicken die Verfasser des Prophetenbuchs Jesaja – es waren ihrer übrigens mindestens drei – mit den zitierten Sätzen auf die Geburt des Königs Joschija von Juda zurück, der im siebenten Jahrhundert vor Christus lebte. Dieser hat sehr wahrscheinlich im Zuge religiöser Reformen das Kultbild der erwähnten Göttin Aschera aus dem Jerusalemer Tempel entfernen lassen, was die Jahwe-Priester natürlich begeisterte. Prophezeiungen im nachhinein, dass heißt im Rückblick auf eine Zukunft, die längst stattgefunden hat, sind bei den biblischen Propheten sehr beliebt. Damit, dass der Jesaja-Text zur christlichen Weihnachtsliturgie geworden ist, wird in den christlichen Gemeinden eine nachweisbar falsche Deutung der Geschichte tradiert. Es wäre nicht zuletzt auch gegenüber dem Judentum angebracht, diese und andere im Nachhinein auf Jesus bezogenen Fehldeutungen zu revidieren.
Die Verfasser der Bücher des Alten Testaments verfolgten jeweils bestimmte theologische Ziele. Sie erklärten dem hebräischen Volk zugleich auch seine Geschichte. Die These: Wenn ihr Gottes Gebote haltet, dann geht es euch gut, wenn nicht, dann geht es euch schlecht. Die unzulängliche Gegenwart ließ sich auf diese Weise immer erklären. Und da die Geschichte des kleinen Volkes, mitten zwischen den mächtigen Herrschern an Euphrat und Tigris im Osten und am Nil im Westen, meistens eher unzulänglich war, durchhallt die Mahnung, Buße zu tun und die Gebote Gottes endlich zu halten, die Bibel. An Beispielen dafür, dass es dem Volk gut gehe, weil es ein so gottgefälliges Leben führe, mangelte es jedoch. Deshalb wichen die Verfasser der biblischen Bücher auf mythische, angeblich goldene Zeiten aus. Der Vorteil: die Wahrheit konnte nicht kontrolliert werden.
Heute weiß man, dass zum Beispiel der Gründungsmythos, wonach Mose das Volk Israel aus der ägyptischen Sklaverei über den Sinai auf den Weg ins Gelobte Land Kanaan brachte, den Erkenntnissen der Archäologen nicht standhält. Jenes Land Kanaan, in dem „Milch und Honig fließt“ haben die Israeliten, im Gegensatz zu den detaillierten biblischen Darstellungen, nicht im Kampf gegen einheimische Könige mit ihres Gottes Hilfe erobert. Die Ur-Israeliten waren vielmehr selbst Kanaanäer. Andererseits ist das Alte Testament eben nicht nur ein Buch der Mythen und Sagen. Historische Ereignisse, wie die Zerstörung des Tempels in Jerusalem und die Deportation der Elite des Volkes in die Babylonische Gefangenschaft durch Nebukadnezar Anfang des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts hinterließen ihre Spuren. Ebenso die historisch belegte glückliche Heimkehr aus dem Exil und der Wiederaufbau des Tempels. Auch diese Fakten deuteten die jüdischen Theologen als Ergebnisse einer spezifischen Geschichte der Beziehung Israels zu seinem Gott.
Jesus selbst nahm die Bibel der Hebräer als Grundlage für seine Theologie, seine Weise, Gott und die Welt zu deuten. Er hat damit gelebt, und ist damit gestorben. Die Evangelisten haben uns überliefert, dass Jesus am Kreuz den 22. Psalm betete, der mit dem Klageschrei beginnt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Und dass er auch den 31. Psalm sprach, in dem es heißt: „In deine Hände befehle ich meinen Geist.“
Den Menschen, die an Weihnachten oder zu Ostern in die Kirche gehen, sind zumeist viele der in den Gottesdiensten gesungenen Lieder bekannt, die Teil unserer Kultur geworden sind. Die oft wunderbar vertonten Texte, sind auch Abbild der theologischen Vorstellungen ihrer Zeit. In dem bekannten Lied von Paul Gerhardt, „O Haupt voll Blut und Wunden …“ heißt es zum Beispiel in einer Strophe: „Nun, was du, Herr erduldet/ ist alles meine Last;/ ich hab es selbst verschuldet/ was du getragen hast.“
Hier wird die Deutung des Todes Jesu übernommen, wie sie bereits der Apostel Paulus entwickelt hat: Jesus ist danach den Opfertod gestorben. Er wurde Gottes beleidigter Majestät geopfert, zur Sühne für die Sünden der Menschheit. Diese Deutung wird seit einiger Zeit von historisch-kritisch arbeitenden Theologen, insbesondere dem protestantischen Theologen Klaus Jörns, als falsch angesehen. Und doch ist sie bis heute zentraler Bestandteil der katholischen Messe und des evangelischen Abendmahls.
Wer die Bibel studiert, kann feststellen, dass Jesus genau das Gegenteil gepredigt hat. Der Prophet Hosea nämlich zitiert den HERR-Gott so: „ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer, an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer.“ Auch Jesus verstand seinen Gott so wie Hosea bereits im 8. vorchristlichen Jahrhundert ihn verstanden hatte. Der Evangelist Matthäus zitiert Jesus mit diesem Hosea-Satz und der Aufforderung: „Geht aber hin und lernt, was das heißt.“
Der Opferkult ist viel älter als das Judentum und frühester Ausdruck des steinzeitlichen Menschen, sich seinen Gott, oder seine Götter gnädig zu stimmen. Der Opferkult im Tempel von Jerusalem war ein gigantischer Geschäftszweig, der allein schon etwa 8000 Priestern Arbeit gab. Jesus aber störte den Opfer-Betrieb demonstrativ, wie bereits im ältesten Evangelium, dem des Markus beschrieben, indem er die Stände der Opfertierhändler umstieß sowie die der Geldwechsler, und die Geschäftsleute aus dem Tempel vertrieb. Auch dies begründete er mit einer Formulierung aus dem Alten Testament. Beim Propheten Jesaja findet sich nämlich der Satz, den nun auch Jesus zitierte.“Mein Haus soll ein Bethaus heißen für alle Völker“ – „Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht“, so die Kritik von Jesus. Sehr wahrscheinlich musste Jesus eben deshalb sterben, weil er gegen den Opferkult war.
Umso absonderlicher ist es, aus seinem Tod ein Opfer zu machen; ganz abgesehen davon, dass dahinter ein steinzeitliches Gottes-Bild steckt. Ob die Frommen das bedenken, wenn Sie die Messe besuchen und – eine weitere archaische Vorstellung – mit der Lehre konfrontiert werden, auf ein Klingelzeichen hin – aber nur durch einen geweihten Priester – sei Jesus in Wein und Hostie physisch gegenwärtig? Das ist, meine ich, schon recht viel Magie.
Der erniedrigende Tod Jesu am Kreuz als ein Verbrecher war für seine Jünger die größte denkbare Katastrophe. Die Überwindung des Todes durch Jesus, wie sie die Ostererscheinungen ausdrücken, war gewissermaßen eine Genugtuung für die Tötung eines Unschuldigen: der Tod konnte ihm, so gesehen, nichts anhaben. Aber mächtiger als der Tod konnte nur ein Gott sein. Der Weg zu einer Vergottung Jesu war vorgezeichnet. Und er war in der Kultur der damaligen Zeit nichts Ungewöhnliches. Auch römische Kaiser wurden nach ihrem Tode zu Göttern erklärt. Der römische Kaiser Domitian erhob Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts selbst den Anspruch, als dominus et deus noster, „Unser Herr und Gott“ verehrt zu werden. Die Bibel freilich kennt nicht nur die Ostererschei-nungen des auferstandenen Jesus, sondern auch die Zweifel daran; „einige aber zweifelten“, heißt es im Matthäus-Evangelium. Davon ist in der christlichen Lehre nichts mehr übrig geblieben. Dabei wird vergessen, dass diese sogenannten Zeugnisse bereits Deutungen sind, psychologisch und neurologisch gut zu erklären.

Die Aufklärung und der Fundamentalismus als Reaktion

Der Mensch macht sich Bilder von der Welt, um diese zu verstehen. Er kann gar nicht anders, denn seine Sinnesorgane sind schwächer als die anderer Lebewesen. Der Mensch sieht auch nicht, was er sieht, sondern was sein Gehirn ihn sehen lässt. Die Sinneseindrücke, die die Augen aufnehmen, werden, ohne dass man dies spürt, zunächst im Gehirn verarbeitet und gelangen in verarbeiteter Form ins Bewusstsein. Optische Täuschungen lassen sich so erklären. Der Mensch ist, um sich in der Welt zurecht zu finden, gezwungen, sie zu deuten. Aber diese Deutung, das Welt-Bild, ist eben nur ein Bild, nicht die ganze Wirklichkeit. Vor zweitausend Jahren wusste bereits der griechische Philosoph Epiktet: „Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern ihre Urteile und Meinungen über sie.“Inzwischen haben wir gelernt, die Bilder, die sich die ersten Christen gemacht haben, oder die sie bereits vorgefunden und übernommen hatten, neu zu deuten.
Dieser Prozess hat bereits im 19. Jahrhunderts begonnen – als eine Konsequenz der Aufklärung. Er erschreckt und verängstigt bis heute die Frommen. Und deshalb gab und gibt es jeweils auch Gegenbewegungen, mit heftigster Wirkung in der katholischen Kirche. Das erste Vatikanische Konzil beschloss im Jahre 1870, dass die vom Papst ex cathedra erlassenen Lehrentscheidungen über Glauben und Sitte unfehlbar seien. Daran hat sich bis heute nichts geändert, trotz des Wissens darüber, was in unserem Kopf passiert, wenn wir uns eine Theorie machen.
Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat der protestantische Theologe David Friedrich Strauss das altkirchliche Dogma, wonach Jesus zugleich Mensch und Gott sei, als Mythos gedeutet; mit der Folge, dass seine akademische theologische Karriere zu Ende war. Der hoch angesehene protestantische Kirchenhistoriker und Gründer der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der Vorläuferin der Max-Planck-Gesellschaft, Adolf von Harnack, erkannte Ende des 19. Jahrhunderts das altkirchliche Dogma der Trinität Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist als der Vergangenheit angehörendes „Produkt des griechischen Geistes auf dem Boden des Evangeliums.“ Harnack war zu angesehen, um ihm persönlich etwas anhaben zu können. Doch beschloss nach dieser Erfahrung die protestantische Preußische Generalsynode ein sogenanntes Irrlehregesetz, nach welchem kritische Geister von den konservativen Kirchenfunktionären belangt werden konnten. Albert Schweitzer schließlich, bis heute verehrter Theologe, Musiker Urwaldarzt und später Friedensnobelpreisträger, bestritt zur selben Zeit ebenfalls die Trinität Gottes. Folge: Seine evangelische Kirche ließ ihn deshalb nicht als Missionar nach Afrika gehen. Er ging deshalb als Arzt nach Lambarene.
Der bedeutendste historisch-kritische Theologe des 20. Jahrhunderts war Rudolf Bultmann. Er bemühte sich konsequent um eine „Entmythologisierung“, so der von ihm gewählt Begriff, des Neuen Testaments. 1921 schrieb Bultmann: „Das Christuskerygma – also die Botschaft, dass Jesus der Christus sei – ist also Kultuslegende, und die Evangelien sind erweiterte Kultuslegenden.“
1941 formulierte Bultmann: „Erledigt sind damit die Geschichten von der Himmel- und Höllenfahrt Christi, erledigt ist die Erwartung des mit den Wolken des Himmels kommenden ‚Menschensohnes’ …“ und weiter: „Welterfahrung und Weltbemächtigung sind in Wissenschaft und Technik so weit entwickelt, dass kein Mensch im Ernst am neutestamentlichen Weltbild festhalten kann und festhält.“
Das war eine Hoffnung, die sich nicht erfüllt hat. Christliche Fundamentalisten beider Konfessionen halten wider alle Erkenntnisse der Evolutionsforschung und anderer Wissenschaften die biblische Schöpfungsgeschichte für das zeitlos gültige Welterklärungsmodell. Die antiintellektuelle Vorstellung, wonach die Bibel wörtlich wahr sei, findet besonders großes Echo in den USA. Dorthin sind einst auch jene Christen ausgewandert, die in Europa wegen ihrer bizarren Glaubensvorstellungen nicht ernst genommen wurden. Ihre Nachkommen sind nicht gescheiter aber einflussreich geworden. Martin Luther nannte die, heute würde man sagen, religiösen Spinner seiner Zeit Schwarmgeister.
Doch selbst im Land...

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  1. Zielgerichtet falsch gedeutet