Theoretische Philosophie
eBook - ePub

Theoretische Philosophie

Philosophie

  1. 160 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Theoretische Philosophie

Philosophie

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Mit dem Wort "Philosophie" verbindet man gewöhnlich den Versuch, ein umfassendes Weltbild zu entwerfen und zu begründen. Die Metaphysik ist das Herzstück dieser theoretischen Unternehmung. Über den Bereich des naturwissenschaftlich Überprüfbaren hinaus versucht die Metaphysik letzte Grundfragen vor dem kritischen Auge der Vernunft zu prüfen: Gibt es Beständiges, oder ist alles im Fluss? Gibt es nur Materie oder auch Geist? Gibt es Freiheit, oder ist alles determiniert? Gibt es autonome Personen oder nur das biologische Lebewesen Mensch?O DIE WIRKLICHKEIT DES SPEKULATIVEN DENKENSO DIE WIRKLICHKEIT DES ABSTRAKTENO DIE WIRKLICHKEIT DER SUBSTANZO DIE WIRKLICHKEIT DER PERSONO DIE WIRKLICHKEIT DES FREIEN WILLENSO DIE WIRKLICHKEIT DES GEISTES

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Theoretische Philosophie von Godehard Brüntrup im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Philosophie & Religionsphilosophie. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

DIE WIRKLICHKEIT DES ABSTRAKTEN (Universalienproblem)

2
Das Universalienproblem ist eines der großen „Schlachtfelder“ der abendländischen Geistesgeschichte. Gibt es neben den konkreten Einzeldingen in Raum und Zeit auch noch eine Dimension des Allgemeinen, Abstrakten und Überzeitlichen? Ist die Mathematik eine Wissenschaft, die den Bereich des Abstrakten erforscht? Können wir das Verstehen von Sprache nur erklären, wenn wir einen Bereich der Ideen annehmen, der von einem verstehenden Sprecher geistig erfasst wird? Die drei klassischen Antwortversuche auf diese Fragestellungen: Platonismus, Konzeptualismus und Nominalismus.

2.1 Das Universalienproblem

In dieser zweiten Folge in der Serie über die Metaphysik wollen wir uns mit dem Universalienproblem beschäftigen oder dem Problem der abstrakten Entitäten. Der Gesamtaufbau dieser sechsstündigen Vorlesung über die Metaphysik ist folgendermaßen, dass wir nämlich zwei grundlegende Fragen stellen. Erstens: Was gibt es überhaupt, was sind die grundlegenden Arten von Entitäten? Und die zweite Frage: Was ist die Stellung des Menschen im Ganzen der Welt? In der zweiten Hälfte dieser Vorlesungsreihe werden wir dieser zweiten Frage nachgehen und uns die Frage stellen: Was ist Willensfreiheit, was ist personale Identität und was ist das Leib-Seele-Problem, das Verhältnis von Körper und Geist? Im ersten Teil dieser sechsteiligen Vorlesung fragten wir uns: Was ist Metaphysik? Jetzt: Was sind abstrakte Entitäten? Und in der folgenden Vorlesung: Was sind konkrete Entitäten?
Damit sind wir eigentlich schon bei unserem Thema: Was sind überhaupt abstrakte Entitäten? Also Seiende, die abstrakt sind. Das heißt zunächst mal, dass sie von irgendetwas abstrahieren. Der abstrakte Kreis beispielsweise hat keinen bestimmten Radius, aber jeder konkrete Kreis hat einen bestimmten Radius. Wenn etwa der Geometer in der Mathematik über den Kreis an sich als abstraktes Objekt nachdenkt, dann kann man nicht sagen, dass der Kreis an sich einen Radius von 12 cm hat oder 24, sondern er hat einen beliebigen, das heißt keinen bestimmten Radius.
Das typische Charakteristikum solcher abstrakten Entitäten ist, dass sie weder im Raum lokalisierbar noch in der Zeit datierbar sind. Einen bestimmten Kreis können Sie im Raum lokalisieren und sagen, er befindet sich 1 m von mir entfernt. Sie können einen bestimmten Kreis, einen konkreten Kreis auch in der Zeit lokalisieren. Sie können sagen, er wurde gestern gezeichnet und morgen wird er wieder ausgelöscht. Der abstrakte Kreis, mit dem sich die Mathematik beschäftigt, der Kreis an sich als mathematisches Objekt, ist weder lokalisierbar noch datierbar. Sie können nicht sagen, der abstrakte mathematische Kreis befindet sich 5 m rechts vom mathematischen Dreieck. Oder Sie können auch nicht sagen, der abstrakte mathematische Kreis ist drei Jahre älter als das Dreieck. Die Lokalisierung im Raum und die Datierung in der Zeit von abstrakten Entitäten ergibt keinen Sinn. Sie sind damit der Gegenbegriff zu den sog. konkreten Entitäten, die nämlich in Raum und Zeit lokalisierbar und datierbar sind.
In der ersten Vorlesung über die Frage, was ist überhaupt Metaphysik, hatten wir uns bei der Beschäftigung mit dem metaphysischen Realismus bereits die Frage gestellt: Was sind die Wahrmacher mathematischer Aussagen. Am Beispiel von der Vermutung Goldbachs, dass jede gerade Zahl größer als 4 die Summe zweier Primzahlen ist, hatten wir uns gefragt, was diese Aussage wahr macht. Nehmen wir nun eine andere beliebige mathematische These. Eine ganz einfache. Zum Beispiel, jemand behauptet, irgendwo in der Zahl π kommt eine Sequenz von sieben 7ern hintereinander vor. Also 7 x 7 hintereinander. Nehmen wir an, bei den bisherigen Berechnungen der Zahl π hätten wir das nicht gefunden, eine Stelle, in der 7 x 7 hintereinander kommt.
Was ist nun der Wahr- oder Falschmacher dieser Aussage, wenn jemand behauptet, in der Zahl π gibt es eine Sequenz von sieben 7ern. Nach der realistischen Auffassung ist der Wahrmacher dieser Aussage die unabhängig von uns existierende Realität der mathematischen Entitäten. Und die sind natürlich abstrakt, denn sie sind nicht lokalisierbar im Raum. In dem Fall könnten Mathematiker anstatt mit Gedankenexperimenten auch mit Teleskopen arbeiten. Die Entitäten sind auch nicht datierbar in der Zeit.
Die antirealistische Auffassung ist, dass die These, dass es in der Zahl π 7 x 7 hintereinander gibt, solange weder wahr noch falsch ist, wie sie nicht entweder konstruktiv bewiesen oder konstruktiv widerlegt wurde. Die Grundfrage ist also, existieren Zahlen geistunabhängig oder machen wir selbst die Zahlen. Und wenn wir selbst die Zahlen machen, dann ist diese Frage, ob es solche 7 x 7 hintereinander in der Zahl π gibt, solange unentschieden, wie wir das nicht festgelegt haben. Ganz offensichtlich, wenn die Zahlen unabhängig von uns existieren, dann sind sie abstrakte Entitäten, denn, wie jeder einsieht, wäre es ein Kategorienfehler zu sagen: Die Zahl 7 ist 3 mm lang und 15 Jahre alt.
Es stellt sich von daher also die Frage, ob es solche abstrakten Entitäten gibt? Das schöne klassische Beispiel, mit dem wir hier zumindestens anfangen wollen, sind die Zahlen. Wenn nun jemand behauptet, es gibt die Zahlen, dann ist das eine Behauptung mit weitreichenden philosophischen Konsequenzen. Ich will nur auf eine kurz hinweisen. Wenn es wirklich die Zahlen gibt außerhalb von Raum und Zeit, dann ist der Naturalismus und Physikalismus, also die moderne Form der Materialismus, bereits falsch. Denn es gibt dann Entitäten, die nicht materiell sind. Zum Beispiel die Zahlen. Wie sollen wir aber die Existenzannahmen über Zahlen verstehen, wenn jemand sagt, es gibt zum Beispiel die natürlichen Zahlen oder es gibt die Zahl π. Sollen wir das so verstehen wie wenn jemand sagt: In einigen Häusern spuken Geister – das ist ja auch eine Existenzannahme – oder sollen wir es eher so verstehen wie wenn jemand sagt: Viele Modeströmungen begannen in Kalifornien.
In beiden Fällen, sowohl bei Geistern wie bei Modeströmungen, haben wir es mit etwas absonderlichen Entitäten zu tun. Geister sind ja keine normalen Dinge, die uns im Alltag begegnen und die normal physikalisch erfasst werden können. Auch Modeströmungen haben etwas Luftiges, ja schwer zu Fassendes und fast Immaterielles.
Die meisten Philosophen würden sagen, dass der Satz „es gibt die Zahl 7 oder es gibt die Zahl π,“ enger verwandt ist der Behauptung: Viele Modeströmungen begannen in Kalifornien, als der: Viele Geister oder einige Geister spuken in einigen Häusern. Modeströmungen sind eben etwas Abstraktes. Irgendeine Abstraktion aus vielen Einzelphänomenen. Von daher erhebt sich wieder die Frage: Was sind diese abstrakten Entitäten? Sind Zahlen so etwas Ähnliches wie eben Modeströmungen? Oder sind sie mehr? Haben sie einen tieferen Bestand, der vielleicht über das, was Menschen tun, hinausgeht?
Eine andere Parallele: Wenn wir den Satz nehmen: „Peter ist kleiner als Hans“ und den Satz nehmen: „7 ist kleiner als 9“ dann sind diese beiden Sätze grammatikalisch äußerst ähnlich. Und die grammatikalische Ähnlichkeit kann dazu führen, die Zahlen genauso als Objekte zu betrachten wie Peter und Hans. Sie in gewisser Weise zu verdinglichen. Ob das philosophisch eine erstrebenswerte Position ist, ob es dafür Argumente gibt oder ob es sich dabei um einen Fehler handelt, dass wir uns durch die Strukturen der Sprache verleiten lassen, etwas für dinglich zu halten, was in Wirklichkeit keine Dinglichkeit hat, keine Entität ist, das muss im Folgenden dieser Vorlesung diskutiert werden.
Man kann sagen, dass dies eine extrem abstrakte Frage ist. Es ist in der Tat eine extrem abstrakte Frage, aber ich hatte Ihnen gerade schon gezeigt, dass davon große weltanschauliche Konsequenzen abhängen. Etwa ob der Materialismus wahr ist.

2.2 Drei Theorien zur Realität von Zahlen

Außerdem: Die Zahlen sind zunächst mal nur ein Beispiel für abstrakte Entitäten. Im Folgenden werde ich Ihnen zeigen, dass die Debatte, die ich exemplarisch an den Zahlen vorführe, noch viel weiter gefasst werden kann zum sog. Universalienproblem. Es ist eines der Kernprobleme der abendländischen Philosophiegeschichte. Es gibt keine Möglichkeit, die abendländische Philosophiegeschichte zu verstehen, ohne das Universalienproblem zu verstehen.
Drei große Positionen kann man philosophiegeschichtlich zu der Frage, ob es die Zahlen gibt oder nicht angeben. Die erste wird gemeinhin der Realismus genannt oder auch Platonismus. Sie besagt, die Zahlen existieren unabhängig von unserem Verstand, unabhängig von unserem Denken. Selbst wenn kein Mensch an die Zahlen oder an die mathematischen Entitäten denkt, sind sie immer noch da. Das liegt dann auf der Hand, wenn sie außerhalb von Raum und Zeit existieren.
Die zweite Position sagt: Ja, die Zahlen existieren, aber sie existieren nicht wirklich unabhängig von uns. Die Zahlen existieren abhängig von unserem Verstand, wir machen die Zahlen. In der Philosophie der Mathematik wird diese Position meist Intuitionismus (der philosophische Fachausdruck ist zumeist Konzeptualismus) genannt. Die Zahlen sind also von uns abhängige, von uns geschaffene Entitäten. Entitäten des Verstandes.
Und die dritte Position ist der Nominalismus, der sagt: Wir haben uns über die Existenz der Zahlen getäuscht. Sie existieren in gar keiner Weise. Lediglich durch die sprachliche Nähe zu Eigennamen wird eine Illusion erzeugt, die es so scheinen lässt, als würden wir, wenn wir über Zahlen reden, über Dinge reden, so wie wir über Peter und Hans reden. Es ist also die Form der Sprache, die uns dazu verführt, anzunehmen, die Zahlen existierten.

2.3 Platonismus (Zahlen)

Wollen wir uns diese drei Positionen etwas genauer anschauen. Beginnen wir mit dem platonistischen Realismus. Diese Position ist für die abendländische Geistesgeschichte von außerordentlicher Bedeutung. Whitehead hat einmal gesagt, dass die ganze westliche Philosophie nur eine Serie von Fußnoten zu Platon sei. Die fundamentale Einsicht von Platons Philosophie ist, dass es zwei große Wirklichkeitsbereiche gibt. Den Bereich des Ewigen, Unveränderlichen oder Abstrakten auf der einen Seite und den Bereich des Zeitlichen, Veränderlichen und Konkreten auf der anderen Seite. Zwischen den beiden besteht eine Urbild-Abbild-Relation. Das Konkrete realisiert oder instanziiert, wie die heutigen Philosophen sagen, die Prototypen, die ewigen Formen des abstrakten Bereiches.
Zahlen sind dementsprechend abstrakte Entitäten, die unabhängig von jedem menschlichen Geist existieren. Sie können von intelligenten Wesen erkannt, beschrieben und ihre Relationen untereinander begriffen werden. Man hat vor Jahren Sonden in das Weltall geschickt in der Hoffnung, dass sie irgendwann einmal von Außerirdischen aufgefangen werden. Darauf befinden sich auch mathematische Ausdrücke, mathematische Sätze in einer sehr abstrakten Sprache. Man hofft, dass andere intelligente Wesen dieselben mathematischen Einsichten haben wie wir. Wenn sie einmal eines Tages eine dieser Sonden auffangen, sehen sie, aha, das wurde von einer anderen Intelligenz geschickt. Dahinter steht die Vorstellung, dass es so etwas wie eine objektive Welt der Zahlen gibt, unabhängig von der konkreten menschlichen Intelligenz. 7 ist kleiner als 9 beschreibt also eine Relation zwischen zwei real und unabhängig von uns existierenden Entitäten. Es gibt da draußen einen Wahrmacher für diese mathematische Aussage.
Damit sind mathematische Objekte nicht reduzierbar auf geistige oder mentale Objekte und abhängig vom menschlichen Verstand. Sie sind vielmehr Objekte, die wir mit einer speziellen Erkenntnisfähigkeit durch unseren Verstand erfassen. Sie sind nicht sinnlich, denn wir sehen ja die Zahlen nicht, hören sie nicht und riechen sie nicht. Diese Fähigkeit der intuitiven Erkenntnis mathematischer Wahrheiten unterscheidet den Realisten vom Antirealisten.
Welche Probleme tun sich auf, wenn man einen solchen von uns unabhängigen Bereich der Zahlen annimmt? Die erste Frage ist: Was bedeutet dann überhaupt Existenz? Wenn ich zum Beispiel sage, ich existiere oder Sie existieren, dann bedeutet ja Existenz – so könnte man zum Beispiel sagen - dass wir eine bestimmte Raum-Zeit-Stelle einnehmen. Oder dass wir eine konkrete Entität sind, die eine bestimmte Raum-Zeit-Stelle einnimmt. Was soll jetzt Existenz etwa bei dem Kreis an sich oder der Zahl 7 bedeuten?
Ein anderes großes Problem ist die Frage, wie wir mit den Zahlen in Kontakt treten. Mit den konkreten Entitäten treten wir durch Kausal-Relationen in Kontakt. Etwa, wenn ich einen Baum sehe, wird von dem Baum Licht reflektiert, Photonen treffen auf meine Retina, werden neuronal in Reaktionsmustern verarbeitet und interpretiert, und so sehe ich eine „Baumwahrnehmung“. Eine ähnliche Art der kausalen Interaktion mit mathematischen Objekten haben wir nicht. Wie treten wir also mit ihnen in Kontakt, welche spezielle Fähigkeit ist es, die uns Menschen erlaubt, in diesen Bereich des Ewigen und Abstrakten vorzudringen. Eine schwierige Frage, auf die der Platonische Realist eine Antwort geben muss.

2.4 Konzeptualismus (Zahlen)

Kommen wir nun zur zweiten Position, dem Konzeptualismus. Wie ich Ihnen gesagt habe, ist der Konzeptualismus die Position, die besagt, dass Zahlen mentale Konstruktionen unseres Intellekts sind, „entia rationis“ wie die Philosophen sagen. Wir selber machen die Zahlen.
Bevor Pythagoras den Satz des Pythagoras entdeckt:
a2 + b2 = c2, gab es diesen Satz nicht. Da wir die Zahlen selber machen, haben wir auch einen direkten Zugang zu ihnen. Es stellt sich nicht das Problem, das sich dem Realisten stellt: Wie haben wir den Zugang zu den Zahlen, denn wir sind ihre Schöpfer.
Die Mathematik wird damit zu einer Art Metapsychologie. Es ist eine Wissenschaft über unsere eigenen mentalen Konstruktionen. Wie ich Ihnen schon in der letzten Vorlesung gesagt habe, führt das dazu, dass manche mathematische Aussagen, für die wir noch nicht die entsprechenden Konstruktionen geschaffen haben, wie zum Beispiel die „Vermutung von Goldbach“, weder wahr noch falsch sind, solange wir nicht einen konstruktiven Beweis oder eine Widerlegung gefunden haben. Der Satz vom „ausgeschlossenen Dritten“ fällt in diese Auffassung.
Diese Auffassung hat natürlich auf den ersten Blick eine große Anziehungskraft. Wir selber sind die Herren über die Mathematik, es ist unser eigenes Produkt. Wir können festlegen, was es da gibt und was es da nicht gibt. In gewisser Weise schmeichelt das sogar dem menschlichen Intellekt. Dennoch tun sich einige Probleme auf.
Das erste Problem möchte ich „das Problem der zu vielen Zahlen“ nennen. Nehmen wir an, ich und Sie, wir beide denken jetzt an die Zahl 7, und nehmen wir an, noch mehrere andere Personen hören gleichzeitig diese Vorlesung und die denken auch an die Zahl 7. Jedes konkrete Vorkommnis eines 7-Gedankens ist ja nun eine 7. Also haben wir zumindestens jetzt schon zweimal die 7, einmal bei mir und einmal bei Ihnen, und noch einige mehr. Es gibt also keinen Unterschied mehr wie beim Platonismus zwischen der 7 an sich und einer konkreten mentalen Instanziierung der 7. Das führt aber dazu, dass es sehr sehr viele 7en gibt. Unmittelbar daraus folgt ein anderes Problem. Es scheint unendlich viele Zahlen zu geben. Wenn die Zahlen aber nur das sind, was mental in unserem Geist vorkommt, dann folgt daraus, dass es angesichts der Endlichkeit der Zeit und auch der Zeit, in der wir als Menschen existiert haben, nur endlich viele Zahlen gibt. Wir haben noch nicht an alle Zahlen gedacht und wir werden niemals an alle Zahlen denken. Also gibt es nicht unendlich viele Zahlen.
Ein drittes Problem: Die Konstanz der Zahlen. Was passiert mit der 7, wenn keiner mehr an sie denkt. Nehmen wir an, für eine Minute würde niemand auf der Welt an die 7 denken. Oder gehen wir eine Million Jahre zurück, wo niemand an die 7 gedacht hat. Existiert die 7 dann immer noch? Sind mathematische Sätze dauerhaft wahr? Oder nur, wenn jemand daran denkt?

2.5 Nominalismus (Zahlen)

Ich möchte nun zur dritten Theorie, dem Nominalismus übergehen und bei den Zahlen bleiben. Andere abstrakte Entitäten lasse ich außen vor, weil die Zahlen das beste Beispiel sind, um sich vor Augen zu führen, was die großen Positionen im Universalien-Streit sind.
Der Nominalismus sagt uns nun, dass Zahlen streng genommen gar nicht existieren. Zahlen sind eigentlich nur sprachliche Ausdrücke, die wir fälschlicherweise für etwas Reales halten. Es ist auch nicht so, dass die Zahl 7 etwas ist, was mental in jedem von uns, der die Zahl 7 denkt, irgendwie vorkommt. Dass wir also ähnliche mentale Zustände hätten, wenn wir an die 7 denken. Die 7 ist ein sprachlicher Ausdruck, mit dem wir operieren können, der aber nicht für eine Entität steht. Weder für eine außerhalb von unserem Geist existierende, noch für eine in unserem Geist existierende. Die Frage ist: Was ist dann der Wahrmacher von „7 ist kleiner als 9“? Zahlen sind dann letztlich so etwas wie Einhörner oder Kobolde oder noch nicht mal das. Weil Einhörner oder Kobolde vielleicht wieder unsere geistigen Produkte sind, so dass sie in einer universelleren Weise als geistige existieren, als menschengemachte.
Nominalisten müssen daher Aussagen mit Zahlen als Abkürzung für gleichbedeutende Aussagen ohne Zahlen begreifen. Sonst haben sie keine Wahrmacher.
Also, Aussagen mit Zahlen sind Abkürzungen für gleichbedeutende Aussagen ohne Zahlen. Wie kann man das verstehen? Wenn man zum Beispiel sagt:
Im Wald waren 7 Elfen. Und sagt: Im Wald waren glückliche Elfen. Was ist hier wirklich der Unterschied zwischen 7 und glücklich?
Der Nominalist wird sagen, dass das doch auf der Hand liegt. Einige Elfen waren als Individuen glücklich, aber keine Elfe war als Individuum 7. Und daraus zieht der Nominalist und die Nominalistin die Konsequenz zu sagen: Das Adjektiv 7 beschreibt hier keine Eigenschaft, keine Entität, das Adjektiv 7 beschreibt implizit einfach eine Gruppe oder Menge von Entitäten. Eine Gruppe mit 7 Mitgliedern.
Der Nominalist wird also die Definition einer Zahl, zum Beispiel von 3, um einen einfachen Fall zu nehmen, folgendermaßen versuchen. Er wird sagen, eine Gruppe ist dreigliedrig, wenn gilt, sie hat X, Y und Z als Mitglieder und X, Y und Z sind verschieden. Sie hat keine anderen Mitglieder als X, Y, Z. Die Frage ist, ob man jetzt so eine Sprache konstruieren kann, die nicht irgendwie schon die Existenz der Zahlen voraussetzt. Der Nominalismus wird also ein relativ komplexes Programm haben, unsere ganze Rede von Zahlen in eine Rede von mehrgliedrigen Gruppen oder Mengen zu übersetzen.
Diese Um-Interpretation, und damit sind wir bei den Problemen des Nominalismus, ist ausgesprochen künstlich. „7 ist kleiner als 9“ spricht überhaupt nicht von Gruppen oder Mengen. Die philosophische Interpretation entfernt sich sehr weit vom intuitiven Verständnis des Alltagsverstandes. Außerdem wiederum gibt es nur endlich viele Dinge, also endlich viele Gruppenmitglieder. Es gibt aber unendlich viele Zahlen.
Dasselbe Problem hatten wir schon beim Konzeptualismus angetroffen.
Man könnte sich verschiedene Auswege vorstellen. Zum Beispiel, indem man Gruppen von Gruppen und Gruppen von Gruppen von Gruppen usw. als Entitäten zulässt. Aber dann hat man mathematisch Mengen zugelassen, und Mengen sind eigentlich wieder Platonische Objekte, Platonische realistische Objekte. So beginnt unser Problem beginnt von neuem.
Man könnte, um das Problem der Unendlichkeit zu lösen, nur mögliche Gruppen zulassen, die gar nicht wirklich existieren. Und sagen: Wir gehen nicht nur von den aktuell existierenden Gruppen aus, sondern von allen möglichen Gruppen. Aber dann stellt sich sofort die Frage: Ja wo existieren denn diese Möglichkeiten, wenn sie nicht abstrakte Möglichkeiten außerhalb von Raum und Zeit sind? Wenn sie selbst wieder konkret sein sollen in Raum und Zeit? Wo existieren all diese Möglichkeiten, die in unserer Welt nicht existieren? Müssen wir dann viele verschiedene Parallelwelten annehmen, in der alle Möglichkeiten existieren, die in unserer Welt nicht existieren?
All das sind Fragen, die sich dem Nominalismus stellen, und Sie sehen daran schon, dass die ursprüngliche Platonische These - auch wenn oft belächelt wird, dass es einen Bereich des Abstrakten außerhalb oder unabhängig von unserer konkreten Welt gibt - eine gewisse Eleganz hat und von daher in der Lage ist, viele philosophische Probleme zu lösen, die mit anderen Versuchen nur mit erheblich mehr Aufwand gelöst werden können. Manchmal mit einer künstlichen Verfremdung dessen, was wir ursprünglich intuitiv gemeint haben. So kann man sagen, dass die meisten Mathematiker, die sich nicht sehr viel um Philosophie kümmern, ganz intuitiv und man könnte fast sagen „naiverweise“ platonische Realisten sind.
Das, was wir soeben am Beispiel der Zahlen gesehen haben, das es nämlich drei große Positionen gibt in der Debatte um die abstrakten Entitäten, das lässt sich auch auf andere abstrakte Entitäten erweitern. Also die Positionen: Die abstrakten Entitäten existieren unabhängig von uns, außerhalb von Raum und Zeit - Platonistischer Realismus - dann zweitens: Die abstrakten Entitäten existieren nicht außerhalb von Raum und Zeit, sondern sie sind von uns gemachte Begriffe und abhängig von unserem Geist, der sog. Konzeptualismus, und drittens die Position, dass wir uns über die Existenz von abstrakten Entitäten völlig getäuscht haben, dass sie eigentlich nichts weiteres sind als sprachliche Gewohnheiten, die uns dazu führen, Realitäten hinter diesen sprachlichen Gewohnheiten anzunehmen, auf die diese Sprache sich bezieht – in Wahrheit müssen wir diese Sätze anders interpretieren.

2.6 Arten von abstrakten Entitäten

Wenn wir nun die gesamte Frage nach den abstrakten Entitäten erweitern, sollten...

Inhaltsverzeichnis

  1. Inhaltsverzeichnis
  2. DIE WIRKLICHKEIT DES SPEKULATIVEN DENKENS
  3. DIE WIRKLICHKEIT DES ABSTRAKTEN (Universalienproblem)
  4. DIE WIRKLICHKEIT DER SUBSTANZ
  5. DIE WIRKLICHKEIT DER PERSON
  6. DIE WIRKLICHKEIT DES FREIEN WILLENS
  7. DIE WIRKLICHKEIT DES GEISTES (Das Leib-Seele-Problem)