Kaiser Wilhelm II.
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Kaiser Wilhelm II.

  1. 128 Seiten
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Kaiser Wilhelm II.

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Über dieses Buch

"Herrliche Zeiten" hatte der Herrscher aus dem Hause Hollenzollern dem deutschen Volke versprochen.Sein Reich sollte seinen Platz im Reigen der europäischen Großmächte mit Hilfe einer gewaltigen Schlachtflotte finden. Er selbst wusste Gott an seiner Seite. Doch hinter der strahlenden Fassade verbarg sich ein sprunghafter Mensch, tief verunsichert durch eine als Makel empfundene körperliche Behinderung. Wilhelm II. war eine der tragischsten Schachfiguren des Schicksals im Vorfeld des 1. Weltkrieges, dessen blutiger Ausgang auch das Ende des deutscher Kaisertums und den Niedergang des Hauses Hohenzollern markierte. Sein Cousin, Edward VII. von England, nannte ihn die "brillanteste Fehlbesetzung in der Weltgeschichte".

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Information

Jahr
2011
ISBN
9783831255924
Das erste Kind des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen und der englischen Prinzessin Victoria wurde bei seiner Geburt am 27. Januar 1859 vom Volk mit Jubel und Hurra-Rufen begrüßt. Beim Eintritt ins Leben war der kleine Wilhelm auf Dauer geschädigt worden. Das Kind kam, wie der Arzt konstatierte, scheintot zur Welt.
Wilhelm II. war eine Steißgeburt, die in jenen Zeiten meist tödlich verlief. Der linke Arm, 15 Zentimeter kürzer als der rechte, blieb leblos, hing nutzlos herab. Zum physischen Problem kamen später psychische Schäden als Folge der Behandlungen, mit denen die Lähmung des Armes behoben werden sollte. Der Arm des Knaben wurde mal elektrisiert, mal in eine Streckmaschine gespannt oder – weil die Ärzte zu moderneren Methoden noch kein rechtes Zutrauen hatten –nach altherkömmlicher Art salbadert: An das verkrüppelte Glied wurden in der abwegigen Erwartung, dies könne den abgestorbenen Arm wieder beleben, kurz vorher getötete und aufgeschlitzte Tiere gebunden.
Die Qualen, denen der junge Wilhelm bei den vergeblichen Bemühungen einer Heilung ausgesetzt wurde, blieben nicht ohne Konsequenzen auf den Charakter des künftigen Herrschers. Gereiztheit, ja Erbitterung war gegen jene zu konstatieren, die ihn so hatten behandelt lassen. Sein Groll richtete sich vor allem gegen seine Eltern, die ihn in diesem Zustand in die Welt gesetzt hatten.
Die Missbildung, die er etwa beim Anziehen des Uniformrocks als äußerst störend empfand, führte außerdem immer wieder zu Überreaktionen. Mit ihnen suchte er die Verkrüppelungen zu kompensieren: Daher sein häufig übertrieben schneidiges Auftreten und seine überzogene, forsche Gestik.
Weniger offensichtlich, doch schwerwiegender als die körperliche Abnormität schien ein anderer Geburtsfehler gewesen zu sein. Die neuere Forschung schließt nicht aus, dass bei der Steißgeburt auch das Gehirn geschädigt wurde und daraus manche Verhaltensstörungen wie Unstetigkeit oder Unkonzentriertheit zu erklären seien.
Kein Geringerer als Sigmund Freud machte auf die Folgen aufmerksam, die sich durch den Geburtsschaden für Sohn und Mutter ergeben hätten. Victoria, die erstgeborene Tochter der englischen Königin Victoria, habe nicht – wie Mütter gewöhnlich in solchen Fällen – ihr behindertes Kind durch vermehrte Zuneigung zu entschädigen gesucht, sondern „sie entzog dem Kind ihre Liebe wegen seines Gebrechens.“ Als dann aus dem Kind ein mächtiger Mann geworden sei, „bewies dieser durch seine Handlungen unzweideutig, daß er der Mutter nie verziehen hatte.“
Das Verhalten der Mutter wird durch die Umstände der Geburt verständlicher. Victoria heiratete mit 17, gebar mit 18 ihr erstes Kind unter unsäglichen Schwierigkeiten. Die Etikette verlangte, dass sie dabei einen Unterrock anbehielt, wodurch alles noch schwieriger wurde. Das Chloroform, das sie stundenlang einatmete, hatte ihre Schmerzen kaum zu dämpfen vermocht.
Überdies entwickelte sich der Charakter des Prinzen in einer Weise, die Victoria zunehmend an seiner Eignung zum Volksvorbild zweifeln ließ. Immer öfter klagte sie über Wilhelms Selbstsucht, Hochmut und Herzenskälte, seinen Mangel an Bescheidenheit, Güte, Wohlwollen, Rücksichtnehmen auf Andere.
Die Mutter begriff nicht, dass sie zu dieser negativen Entwikklung nicht unwesentlich beitrug. Sie ließ es ihren Sohn nur zu deutlich spüren, dass sie sich von ihm körperlich wie geistig mehr erwartet hatte. Sie hatte sich einen strammen und keinen behinderten Jungen gewünscht, einen Prinzen, der so zu werden versprach wie ihr Vater, Prinzgemahl Albert. Der erledigte alle seine Aufgaben gewissenhaft, egal ob sie ihm zugewiesen wurden und er sie sich selber ausgesucht hatte. Er war stets ernsthaft bemüht, an dem Platz, an den ihn das Schicksal gestellt hatte, sein Bestes zu geben.

Jugend in England

Der Sohn rückte von der Mutter, die ihn nicht verstand und ihm die schwere Geburt nie verzieh, im Laufe der Jahre immer weiter ab. Und mit der Distanz zu ihr entfernte er sich auch immer mehr von ihrem Mutterland England. Die persönliche Abneigung gewann später politische Bedeutung. Dabei hatte der Mann, der England später als „perfides Albion“ und die englische Familie als „verfluchte family“ bezeichnete, als Junge wunderschöne Zeiten auf der britischen Insel erlebt.
„Die frühesten Erinnerungen, die ich mir noch heute deutlich zurückrufen kann“, begann er seine Memoiren, „verknüpfen sich mit dem Schlosse Osborne auf der Insel Wright“, dem Lieblingssitz der englischen Königsfamilie. Großvater Albert pflegte das Baby „in eine Serviette zu legen und darin zu schaukeln“. Wilhelm schien das aber nicht für eine dem Preußenprinzen angemessene Behandlung gehalten zu haben.
Im Alter von vier Jahren, 1863, kam der junge Prinz ein weiteres Mal nach England. Anlass war die Hochzeit seines Onkels Bertie, des späteren Königs Eduard VII. Er erinnerte sich in seinen Memoiren an den Paukenschläger der Horse Guards und die blauen Mäntel der Ritter vom Hosenbandorden.
Noch an eine andere Geschichte erinnerte sich Wilhelm später: Er hatte den kleinen Dolch, den er zu seiner schottischen Tracht trug, gegen die englischen Prinzen Arthur und Leopold gezückt, als sie ihn in der St. Georges‘s Chapel in Windsor zur Ruhe mahnten. Die Familie behauptete später, er habe den 13-jährigen Arthur, als er ihm den Dolch entwinden wollte, sogar ins Bein gebissen.
Es folgten noch viele weitere Besuche in England, das die Mutter nicht oft genug besuchen konnte. Großmutter Victoria, die der Heranwachsende später respektlos als „als altes Reff“ bezeichnete, kam ihrem „dear boy“ fürsorglich, wenn auch gouvernantenhaft entgegen. Bei jeder passenden und auch unpassenden Gelegenheit stellte sie ihm Großvater Albert als leuchtendes Vorbild hin und ermahnte ihn eindringlich, seinen Eltern gegenüber gehorsam zu sein.
Ziviles Spielzeug, beispielsweise die Kinderküche im Schlosspark, interessierte den jungen Wilhelm wenig. Schon damals war er viel mehr von den ausrangierten Kanonen, mit denen seine Onkel bereits „Bum Bum“ gemacht hatten, und erst recht von den Geschützen auf den britischen Kriegsschiffen fasziniert. Auf dem Dreidecker St. Vincent durfte er sogar erstmals eine Abzugsschnur ziehen und begeisterte sich am Donner des Schusses. Später, als Kaiser, verwirklichte er die maritimen Träume, die er als kleiner Prinz hatte, in verhängnisvoller Weise und baute sich seine riesige Flotte von Schlachtschiffen. Und seinem Volke redete er ein, dass Deutschlands Zukunft auf dem Wasser liege.
Dabei lag Preußens Vergangenheit wie Gegenwart auf dem Lande, gründete auf der „schirmenden Wehr“ seines Heeres. Auch das gehörte zu Wilhelms frühesten Eindrücken. „Preußens Hauptstadt war ohne Soldaten und ohne Militärmusik nicht zu denken“, erinnerte er sich. Im Winter, wenn die Familie im Kronprinzenpalais zu Berlin wohnte, bewunderte er sonntags die marschierenden Soldaten, die nach dem Gottesdienst Unter den Linden an Wilhelm I. vorbei marschierten. „Der Furor militaris, der bei uns in der Familie traditionell und selbstverständlich ist“, ergriff auch den jüngsten Spross.

Die Erziehung des jungen Prinzen

Um Wilhelm frühzeitig preußischen Schliff beizubringen, wurden von den Eltern die passenden Erzieher ausgewählt. Besonders geeignet schien ihnen dafür Freifräulein Sophie von Dobeneck. 1861 wurde sie zur Gouvernante des Prinzen bestellt, und bereits 1862 zur Obergouvernante befördert. Sie galt als resolut und handgreiflich.
Mit sechs Jahren bekam Wilhelm einen Militärgouverneur, der ihm erste Kenntnisse über Uniformen, Waffen und Waffengattungen vermittelte. Mehr Spaß schienen ihm die Stunden beim Sergeanten Klee gemacht zu haben, der ihn das Trommeln lehrte. An seinem zehnten Geburtstag wurde er, wie es bei den Hohenzollern Tradition war, in die preußische Armee aufgenommen und in die Uniform des Ersten Garderegiments zu Fuß gesteckt. Auf dem Kasernenhof wurde dann erstmals mit ihm exerziert.
Bei seiner Ausbildung gewann preußische Realität schon bald die Oberhand über englische Idealität. Das war nicht zuletzt seinem zivilen Erzieher zuzuschreiben, dem Gymnasiallehrer Dr. Georg Hinzpeter, der dem Prinzen neuhumanistisches Bildungsgut mit spartanischen Methoden einbläute. In der entscheidenden Entwicklungsphase seines Zöglings, von 1866 bis 1877, trug er viel dazu bei, eine von den Eltern gewünschte liberale Erziehung zu vereiteln und Wilhelms schwachen Charakter noch mehr zu verbiegen.
Der Bielefelder Professorensohn war ein Kalvinist, Anhänger jener Reformationslehre, die davon ausging, dass der Schöpfer seine Kreaturen von Anbeginn in Auserwählte und Verworfene eingeteilt habe. Hinzpeters Pädagogik war ganz auf harte, nüchterne Pflichterfüllung und aufs Dienen eingestellt. Der Charakter musste durch stetes Entsagen gestählt werden. Das Leben des Prinzen hatte sich demnach im Sinne altpreußischer Einfachheit zu gestalten.
Trockenes Brot gab es zum Frühstück, und wenn seine Vettern aus Meiningen zu Besuch da waren, musste er ihnen Kuchen anbieten, durfte aber selbst nichts davon nehmen. Bereits im Alter von sieben Jahren begann der Erziehungstag im Sommer um sechs Uhr morgens und im Winter um sieben Uhr. Er dauerte zwölf Stunden lang und war nur unterbrochen durch karge Mahlzeiten und anstrengende Leibesübungen.
Auf die rüde Art, mit der er dem behinderten und daher unsicheren Achteinhalbjährigen das Reiten beibrachte, war Hinzpeter besonders stolz: „Da weder Reitknecht noch Stallmeister dazu imstande waren, hob der Erzieher, seine inzwischen unbedingt gewordene moralische Autorität mit einsetzend, den weinenden Prinzen auf sein Pferd ohne Bügel und erzwang die Übung der verschiedenen Gangarten, taub gegen alles Bitten und Weinen, erbarmungslos den unaufhörlich herunterstürzenden Reiter wieder hinauf hebend, bis endlich nach wochenlanger Quälerei das nötige, schwer zu erwerbende Gleichgewicht erlangt war.“
Der Erfolg rechtfertigte das Mittel, lautete die kalvinistische wie preußische Maxime, nach der dem Erziehungsbefohlenen eine neuhumanistische Bildung mit altpreußischen Methoden einpaukte. Ob sich der Schüler zu seiner Zufriedenheit entwickelt hatte, darüber nachzusinnen bekam Hinzpeter, der bis 1907 lebte, noch reichlich Gelegenheit. Bereits am Gymnasiasten rügte er Unkonzentriertheit und Lernunfähigkeit, eine Versteifung des Charakters, den fast kristallinisch hart gefügten Egoismus, der den innersten Kern des Wesens Wilhelms ausmachte. Auf den Gedanken, dass er daran mitschuldig sein könnte, schien der Pädagoge nie gekommen zu sein.
Rückblickend klagte Wilhelm II., so freudlos wie sein Wesen sei auch die Pädagogik Hinzpeters gewesen, „und freudlos die Jugendzeit, durch die mich die harte Hand des spartanischen Idealisten geführt hat.“ Die 1.000 Seiten Grammatik, durch die er sich hindurch hatte quälen müssen und die endlose Beschäftigung mit dem Römertum und dem Hellenentum habe nicht den richtigen Segen für die Förderung des Germanentums und die Weltgeltung Deutschlands gebracht, bemängelte er im Nachhinein.

Die glorreiche Zeit des Reichs

Die glorreichen Ereignisse der Reichsgründungszeit müssen auf den Knaben Wilhelm einen unauslöschlichen Eindruck gemacht haben. Der Fünfjährige stand 1864 am Fenster des Kronprinzenpalais, als der Großvater die Parade der in den Krieg gegen Dänemark marschierenden Truppen abnahm, die er schon bald darauf als Sieger heimkehren sah.
Zwei Jahre später erlebte er den Einzug des siegreichen königlichen Heeres, das im Krieg von 1866 Österreich geschlagen und den Weg für eine Einigung Deutschlands durch Preußen freigekämpft hatte. Der Siegesmarsch führte durchs Brandenburger Tor, über die Linden, die „Via triumphalis“, zum Ziel im Lustgarten. Wieder vier Jahre später, im Juli 1870, wurde der Elfjährige zum Vater gerufen, der ihm eröffnete, dass er als Oberbefehlshaber einer Armee in den Krieg gegen Frankreich ziehen würde. Zum Kampf gegen den Erbfeind, der den Preußen die Macht missgönne und den Deutschen die Einheit vorenthalten wolle.
„Wie habe ich über die ersten Siege gejubelt!“, erinnerte sich Wilhelm II. „Wie habe ich mich über die ersten ins Neue Palais gebrachten Kriegstrophäen, einen Reiterhelm, die Fahne von Lützelstein, die Stadtschlüssel der Städte Nancy und Bar-le-Duc, sowie über die erbeuteten französischen Adler gefreut, die zum Balkon des Arbeitszimmers meines Vaters hinausgehängt wurden! Was habe ich nicht damals mit den anderen Jungen Hurra und immer wieder Hurra geschrien!“
Vom großen Sieg bei Sedan erfuhr Wilhelm in Bad Homburg, wo seine Mutter ein Lazarett eingerichtet hatte. Im Nachthemd stürzte er ans Fenster, sah Fackeln tragende und die „Wacht am Rhein“ singende Menschen vorüberziehen –und musste sich ein Donnerwetter Hinzpeters wegen eigenmächtigen Aufstehens und seines ungehörigen Erscheinungsbildes anhören.
Zur Kaiserproklamation in Versailles gratulierte der Prinz dem „lieben Großpapa“ in einem Brief, bei dem ihm Hinz-peter die Feder geführt hatte: „Es scheint nun ein großes Glück, dass Du Deutscher Kaiser geworden bist, denn jetzt sind alle kleinen deutschen Fürsten zu einem einzigen großen und mächtigen Staate verbunden. Jetzt ist endlich die kaiserlose Zeit vorbei und das deutsche Reich einig. Du kannst Dir leicht denken, wie ich mich freue, zu einem Geschlecht zu gehören, welches sich an die Spitze des deutschen Reiches emporgeschwungen hat….“
Bald darauf konnte Wilhelm seinen Großvater als Deutschen Kaiser begrüßen. Beim Einzug durch das Brandenburger Tor ritt der Zwölfjährige auf einem Pony dicht hinter dem Vater. Hinzpeter ließ ihn einen Aufsatz schreiben, in dem er eingestand, „daß während des ganzen Ritts die Linden herunter und während der Parade ich keine Zeit zum Denken gehabt habe; ich war zu sehr mit Staunen und Hören beschäftigt.“ Der stärkste Eindruck war, dass ihm der Kaiser die Hand auf die Schulter gelegt und gesagt hatte: „Diesen Tag wird Er auch nicht vergessen.“
Er vergaß diesen Tag wirklich nie und gewöhnte sich daran, fasziniert durch die schimmernde Wehr und das klingende Spiel der Militärs, mit dem Denken auszusetzen. Das war die Prädisposition eines jungen Prinzen, der nun nicht nur Anwärter auf den preußischen Königsthron, sondern nun auch auf den deutschen Kaiserthron war.
Das neue Reich wurde von einer Koalition aus konservativem Preußentum und nationalliberalem Bürgertum getragen. Dadurch kamen Wilhelms Eltern auf die Idee, die im Kronprinzenpalais in höfischer Isolation begonnene Erziehung des künftigen Königs und Kaisers in einem öffentlichen Gymnasium fortzusetzen. Friedrich Wilhelm und primär Victoria versprachen sich von einem Prinzen, der sich unter Bürgersöhnen bewegte, mehr Bürgernähe. Und sie erhofften sich von dem Thronerben mehr Bürgersinn, wenn er seine Kräfte mit gesellschaftlichen Aufsteigern messen musste.
Wilhelms Eltern waren einerseits dem modernen Geist aufgeschlossenen und dabei dennoch der monarchistischen Tradition verhaftet. Sie bauten darauf, dass bürgerliche Lehrkräfte, die Freisinn mit Obrigkeitsgläubigkeit zu vereinen wussten, ihren Sohn jenen Liberalismus näher bringen könnten, der ihnen als Staatsideal vorschwebte. Auch Hinzpeter riet zur Ausbildung in einer öffentlichen Anstalt. Wenn der Prinz mit Bürgerlichen die gleiche Schulbank drücke, würde er vielleicht seine Überheblichkeit verlieren. Diese „bürgerliche“ Ausbildung war ein Novum im Hohenzollernhaus, das von Wilhelm I., dem kaiserlichen Familienoberhaupt, grollend hingenommen wurde.

Gymnasiumszeit in Kassel

Im September 1874 trat der Prinz in die Obersekunda des Gymnasiums in Kassel ein. Er kam mit seinem jüngeren Bruder Heinrich, dem Zivilgouverneur Dr. Hinzpeter und dem Militärgouverneur Generalmajor von Gottberg samt Dienerschaft, wohnte im Winter im Fürstenhof und im Sommer auf Schloss Wilhelmshöhe. Diese Umstände waren nicht dazu angetan, Hinzpeters Rechnung aufgehen zu lassen. Wilhelms dynastischer Stolz wurde kaum gemindert. Im Alter von gerade 16 Jahren erklärte er kühn, ein neuer Friedrich der Große werden zu wollen.
Auch sein schulischer Ehrgeiz wurde in Kasel kaum gestärkt. Hinzpeter klagte weiter über Lernunlust und Nachlässigkeit. „Ich glaube nicht, daß er klug ist. Er hat nur ein vortreffliches Gedächtnis. Er glaubt aber, schon alles zu verstehen, spricht über alles und stellt Behauptungen auf mit einer Sicherheit und Rechthaberei, die einen Widerspruch völlig abschneiden“, bemerkte 1875 Hans Delbrück, der Erzieher von Wilhelms Bruder Waldemar. „Sein Hochmut ist sehr groß und nicht versteckt, sondern bewußt.“
Dabei ließ Wilhelms Stundenplan kaum Zeit für ein Verschnaufen, geschweige denn für jeglichen Auslauf. Der Schülertag begann im Sommer mit dem Wecken um fünf Uhr, um sechs Uhr ging es mit der Vorbereitung auf den Gymnasialunterricht los, der von acht bis zwölf und von 14 bis 16 Uhr dauerte. Zwischen zwölf und 14 Uhr wurde spazieren gegangen, gefochten oder geschwommen. Um 16 Uhr begann die Repetitionsstunde bei Hinzpeter, zwischen 17 und 18 Uhr war Essenspause, an die sich der Nachhilfeunterricht anschloss, der sich oft bis 21 Uhr oder länger hinzog.
Die Naturwissenschaften, die den technischen Fortschritt und die industrielle Entwicklung ermöglicht hatten, blieben dem Schüler eines altsprachlichen Gymnasiums ein Buch mit sieben Siegeln. Sein Interesse daran war gering. Für Mathematik hatte er keinerlei Begabung. Für Physik und Chemie war im Lehrplan des Kasseler Gymnasiums ohnehin wenig Platz.
Im Januar 1877 bestand Wilhelm das Abiturexamen als Zehnter unter den 17 Schülern seiner Klasse. Das Zeugnis bescheinigte ihm die Reife für ein Universitätsstudium. Das bedeutete aber noch lange nicht, dass er reif für das Leben gewesen wäre. Seine Mutter bestritt das und viele, die den unfertigen Charakter des Prinzen gut kannten, pflichteten ihr bei. Er selbst war felsenfest der Meinung, dass er spätestens mit der Vollendung seines 18. Lebensjahres die Vollreife erlangt habe. Darin wurde er durch die feierliche Erklärung seiner Volljährigkeit am 27. Januar 1877 nur bestärkt.
Der Prinz war voller Stolz, dass ihn sein Großvater zu diesem Anlass den Schwarzen Adlerorden verlieh, den höchsten Orden Preußens. Von der englischen Großmutter, Queen Victoria, die ihn eigentlich mit dem Bathorden auszeichnen wollte, verlangte – und erhielt er – den Hosenbandorden, die höchste Auszeichnung, die das englische Königshaus zu vergeben hatte.
Obwohl in der Thronfolge sein 46-jähriger Vater vor ihm stand, fühlte sich der junge Wilhelm schon jetzt nicht nur herrschaftsberechtigt, sondern auch überlegen und unabhängig. Zu seiner großen Freude war er nun den Plagegeist seiner Jugend losgeworden: Hinzpeter, dessen Aufgabe als erfüllt angesehen wurde, zog sich nach Bielefeld zurück. Dem künftigen Kaiser stand nun eine ungebundene Studentenzeit in Bonn am Rhein bevor.

Studienzeit in Bonn

In Bonn genoss der Hohenzollern-Prinz jene Burschenherrlichkeit, die so oft besungen worden ist, aber nur von einem wie ihm voll und ganz genossen werden konnte. Ihm standen alle Mittel für ein flottes Studentenleben zur Verfügung. Er musste nicht ernsthaft studieren, da er ohnehin nicht vorhatte, einen akademischen Beruf zu ergreifen. Bonn als Studienort wurde gewählt, weil es in Preußen lag und schon sein Vater dort studiert hatte. Auf seinen Spuren trat Wilhelm auch der feudalsten Studentenverbindung bei, dem Korps Borussia. Aktiv wurde er dort nicht, stand nicht auf Mensur, blieb „Konknei...

Inhaltsverzeichnis

  1. Geschichts-Daten
  2. Inhaltsverzeichnis
  3. Jugend in England
  4. Die Erziehung des jungen Prinzen