Ungehorsam
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Ungehorsam

Eine Zerreißprobe

  1. 192 Seiten
  2. German
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Ungehorsam

Eine Zerreißprobe

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Die Geschichte von Abraham und Isaak fasziniert und verstört bis heute. Was ist das für ein Gott - und ist das spiritueller Missbrauch? Zugleich ist sie von einer Tiefe, wie wenige biblische Stellen. Thomas Frings und Emmanuela Kohlhaas tauchen in diese Tiefen ein und fördern Überraschendes zu Tage. Sie schildern, was sich Isaak vielleicht gedacht hat, wie er gehadert und geflucht hat - aber warum man gerade von ihm spirituelle Resilienz lernen kann. Sie zeigen einen Abraham in seinem ganzen Zweifel, seiner Zerrissenheit, und schreiben über echten und falschen Gehorsam. Und, das Besondere: Auch Sara, oft vernachlässigt, kommt hier als Mutter und vor allem starke Frau zu Wort. Mehr noch, sie schreit ihre Wut, aber auch ihren Glauben in die Welt hinaus. Sara steht hier für die Frage nach der Rolle der Frau und wie sie das Beispiel für eine grundlegende Reform der Kirche ist. Ein provokantes und mutiges Buch, das genau zur richtigen Zeit kommt. Mit neuen und aufrüttelnden Ansätzen für das, woran Kirche leidet und was es jetzt braucht.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783451822377

ABRAHAM:
UNGEHORSAM

Isaak, mein Sohn.
Weil wir Menschen sind, brauchen wir Begründungen, und ich muss dir sagen, das ist es, was ich dir im Moment nicht geben kann. Wie sollte ich dir eine Begründung geben, die dich überzeugt und der du zustimmen könntest? Es geht doch um dein Leben.
Du fragst mich viel und du tust es zu Recht. Wie soll ich dir erklären, wie es zu dem hier gekommen ist, wie ich mit dir bis an diese Stelle gekommen bin und du auf dem Opferaltar liegst?
Doch bevor ich weiterspreche, will ich dich losbinden, denn solange du ein Gebundener bist, wirst du mir nicht zuhören können und wollen. Solange deine Hände und Füße gebunden sind, werden auch deine Ohren nicht offen sein für das, was ich dir sage.
Komm, ich setze mich zu dir auf das Opferholz. Auch wenn du es bis hierher getragen hast, habe ich es in meinem Herzen mitgetragen und dich obendrein. Nie in meinem Leben ist mir ein Weg schwerer gewesen als dieser. Auch nicht der, als ich aus meiner Heimat aufgebrochen bin. Ich habe dir zugehört, jetzt höre du mir zu. Ich will alle Geschichten und Gegebenheiten aufgreifen, die du genannt hast. Meine Sicht werde ich versuchen dir zu erklären und werde dafür weit ausholen müssen
Wir waren schon immer eine unruhige Sippe. Schon mein Vater Terach ist mit mir und meinem Bruder Nahor aufgebrochen aus Ur in Chaldäa. Mein zweiter Bruder Haran war schon gestorben und sein Sohn Lot, der erste Enkel deines Großvaters Terach, zog mit uns.[1] Wir sind bis Haran gekommen. Dort ist dein Großvater gestorben. Eigentlich wollte er schon bis Kanaan ziehen, aber daraus wurde nichts. Als wir nach Haran kamen, beschloss er, dass wir dort siedeln sollten. Ausgezogen aus Ur sind wir aus unterschiedlichen Gründen. Es gab immer wieder Streit mit anderen Sippen und es gab Ernten, die so schlecht waren, dass Mensch und Tier ums Überleben kämpfen mussten. Die Not ließ meinen Vater Terach einen so großen Schritt tun, die Heimat aufzugeben. Er sprach davon, nach Kanaan zu ziehen, aber als wir in Haran ankamen, da waren die Umstände so gut für uns, dass wir dort blieben, auf halber Strecke zwischen Ur und Kanaan. Um erneut aufzubrechen, brauchte es schon etwas Besonderes. Der erste Aufbruch war den Umständen geschuldet, der zweite einer Verheißung. Deswegen war der auch so viel schwerer zu verstehen und zu erklären. Es ging uns doch gut in Haran. Wir hatten ausreichend Platz für Mensch und Tier gefunden und auch genügend Nahrung. Das sollte jetzt ohne Not wieder aufgegeben werden? Und wofür? Für so etwas Vages wie eine Verheißung! Was ist das schon im Vergleich zu Platz für Zelt oder Wasser für Mensch und Tier?
Der Glaube, mit dem ich damals aufgebrochen bin, er ist nicht immer stark geblieben. Noch in der letzten Nacht, die Sachen waren schon gepackt und ich hatte mich von allen verabschiedet, da habe ich kein Auge zugemacht. Rastlos habe ich mich hin und her gewälzt. Soll ich diesen Schritt wirklich gehen? Ich war mir sicher, Gottes Stimme gehört zu haben, doch gesehen habe ich ihn erst später. Aber ich war überzeugt von dem, was ich gehört hatte und dass die Verheißung von Gott kam: „Geh fort aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde! Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein. Ich werde segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den werde ich verfluchen. Durch dich sollen alle Sippen der Erde Segen erlangen“[2].
Ich war fünfundsiebzig Jahre alt und hatte Lebenserfahrung. Es war keine Flucht und es gab keine Notwendigkeiten, denn es ging uns doch gut. Ich war schon lange mit deiner Mutter verheiratet und unser einziger Kummer war unsere Kinderlosigkeit. Was hatte man mich gewarnt vor dem Schritt: Das ist ein Fehler! – Du wirst enttäuscht zurückkehren! – Du wirst auf dem Weg alles verlieren! – Niemand wartet auf dich in Kanaan! – Es wird kein Platz für euch sein in einem anderen Land! – Du hast dir das alles nur eingebildet! – Du läufst einem Traum hinterher, einer Chimäre! – Dein Vater hatte doch gute Gründe, aus Ur in Chaldäa aufzubrechen und dann hierzubleiben und nicht bis Kanaan weiterzuziehen! – Glaubst du denn, du wärest besser als wir, die wir hierbleiben? – Welcher Gott hat denn zu dir gesprochen und warum nicht auch zu uns? Alle haben auf mich eingeredet und hinter meinem Rücken getuschelt. Die verstohlenen und geringschätzigen Blicke waren noch auszuhalten, aber jede Diskussion setzte mir zu und nährte den Zweifel. Wie peinlich würde es sein, wenn die Mission scheitern sollte? Würde ich je zurückkehren? Eine Heimkehr im wahrsten Sinne des Wortes würde es nur geben, wenn es ein Weg ins Verderben gewesen ist und ich mit leeren Händen wieder bei den Meinen um Aufnahme bitten müsste. Da wäre sogar Sklaverei besser gewesen als die Abhängigkeit im Alter von den Menschen, die mich gewarnt hatten und von deren Gnadenbrot ich abhängig würde.
Mir war es eine große Erleichterung, als sich Lot mir anvertraute und vorsichtig zu erkennen gab, dass er Interesse daran habe, mit mir zu ziehen. Wir hatten schon immer einen guten Draht zueinander und nach dem Tod seines Vaters Haran wurde er noch enger. Bevor ich Sara von meinem Traum erzählte, hatte ich ihn ins Vertrauen gezogen. Seine erste Reaktion war totale Entgeisterung, absolutes Unverständnis. Das könne nicht mein Ernst sein! Natürlich seien Träume wichtige Wegweiser für unser Leben, aber wir könnten doch nicht unser Leben und das der Sippe nur auf einen Traum hin aufs Spiel setzen. Mit Lot habe ich die ersten Diskussionen geführt. Er hatte eindeutig die besseren Argumente auf seiner Seite. Was konnte ich dagegen sagen? Allein das Wort Gottes konnte ich ins Feld führen, eines Gottes, den die anderen noch gar nicht kennengelernt und erfahren hatten. Lot musste also allein auf mein Wort hin sich mir anschließen. Er musste letztlich mir glauben, so wie ich meinem Gott Glauben schenkte. Als ich dann Sara von meinen Visionen berichtete, da war ich schon etwas vorbereitet auf die kommenden Fragen und Bedenken. Auch deine Mutter war nicht begeistert, aber sie liebte mich und sagte: „wo du hingehst, dahin gehe auch ich, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.“[3] Sie bemühte sich, meinen Gott als ihren Gott anzunehmen, wenn sie auch noch eine ganze Weile die alten Götter versteckt in ihrer Habe und ihrem Herzen mitgenommen hat. Ich konnte es ihr nicht verdenken.
So sind wir losgezogen aus Haran. Einen winzigen Moment habe ich gezögert, bevor ich das Zeichen zum Aufbruch gab. Doch es war nicht nur Zweifel in mir, nein, es war auch viel Zuversicht, Spannung, Abenteuerlust und Hoffnung! Es gab eben auch diese Phasen, in denen ich mir absolut sicher war, dass ich mit dem Segen Gottes unterwegs bin. Er würde mit uns ziehen und seine Verheißung wahr werden lassen! Manchmal war mir, als würde ein Engel neben mir gehen, als würde ich seine physische Existenz förmlich spüren und als könnte ich seine Stimme hören die zu mir sagt: „Ich will mit dir reisen, ich kenne den Weg.“[4]
Wir ließen unsere Heimat zurück, die Familie, Verwandte, Freunde, einiges an Grund und Boden, das wir nach Vaters Ankunft auch dort schon erworben hatten. Aber wir ließen auch geliebte Orte und Aussichten zurück. Wie gut schmeckte das Wasser aus den Quellen, das Obst von unseren Bäumen, das Getreide aus der fruchtbaren Ebene des Euphrats. War Vater gleichsam gegen den Strom des Euphrats von der Mündung zur Quelle gezogen, so brach ich jetzt auf, weg von den fruchtbaren Ufern in ein unbekanntes Land, und mehr noch, in eine unbekannte Zukunft. Es dauerte Tage, in denen wir immer noch durch uns vertraute Gegenden zogen und bis wir die gewohnten Landschaften hinter uns ließen. Immer und immer wieder blickten wir zurück. Es gab wohl keinen Moment, an dem nicht irgendjemand von uns den Blick über die Schultern warf und ein wehmütiger Zug sich auf sein Gesicht legte. Gleichzeitig zogen wir voraus und wir mussten doch mehr nach vorne schauen als zurück, denn sonst hätten Menschen oder Tiere stolpern, stürzen und sich verletzen können. Es war beides in jedem von uns, der Blick zurück ins Bekannte, Gewohnte, Geliebte und der Blick voraus ins Unbekannte, Spannende, Verheißene. Ganz gleich wohin wir blickten, die Blicke der anderen kreuzten sich mit den eigenen. Wer in die Augen der Zurückblickenden sah, der konnte die Wehmut verstehen, und umgekehrt wurden diese ermutigt durch das Feuer in den Augen derer, die das Zukünftige erahnten.
Die Jungen liefen uns oft voraus und wir machten uns Sorgen um sie. Doch sie, die noch keine lange Lebensgeschichte hatten und deren Bindung an die Eltern größer war als alles andere, sie gingen dahin, wo wir hingingen. Sie kannten weder Angst noch Furcht. Sie vertrauten uns. Sie, die Kinder, musste ich anschauen, wenn mein Vertrauen in Gottes Verheißung schwankte. So wie sie musste ich meinen Weg gehen! Doch je älter jeder Einzelne von uns war, desto schwerer fiel ihm Abschied und Aufbruch. Einige blickten zuversichtlich nach vorne, andere, und darunter besonders die Frau von Lot, blickten immer wieder zurück. Und ich? Ich ging am Abend, wenn wir das Lager aufschlugen, oft noch alleine ein Stück des Weges zurück und mit dem Blick in die Vergangenheit bat ich Gott immer wieder um sein Geleit. Er möge mir Zeichen seiner Nähe und Gegenwart geben, denn es hing doch so viel von meinem Glauben an ihn ab. Hing nicht das ganze Unternehmen, das Leben aller, unsere Zukunft von meinem Glauben ab? Ich glaubte ihm! Aber die meisten in unserer Gruppe glaubten nicht an Gottes Verheißung, sondern sie gingen, weil ich es gesagt hatte. Die ganze Verantwortung lastete auf meinen Schultern, auch wenn ich dies die anderen nicht spüren ließ. Nur in den Abendstunden gönnte ich mir den Blick zurück und ein tiefes Durchatmen. Morgens rief ich dann alle wieder zum Aufbruch und übersah geflissentlich die Blicke derer, die sich von mir das Zeichen zur Rückkehr erhofften.
Mein Junge, das muss ich dir sagen, wer aus dem Gewohnten aufbricht, der geht einen schweren Weg. Anfangs kann er noch mit seinen Visionen von einem Gelobten Land begeistern, aber wenn dieses nicht bald nach dem Aufbruch in Sicht kommt, dann werden immer mehr Menschen murren. Sie werden sich zurücksehnen nach den Fleischtöpfen und dem Brot, das sie kannten, und sei es ihnen auch noch so hart geworden.[5] Menschen sind vergessliche Wesen. Manchmal ist es gut, vergessen zu können. Doch wir vergessen auch schnell die Not, vor der wir geflohen sind, und verklären das Vergangene. Im Rückblick verblassen Unterdrückung, Verfolgung, Vergeblichkeit. Selbst wenn man Eltern ihre Kinder wegnähme und tötete,[6] selbst dann halte ich es für möglich, dass diese Eltern in das Land zurückkehren wollten, das ihnen ihre Kinder genommen hat. Wenn sich Schwierigkeiten zeigen auf dem Weg in die Freiheit, dann vergessen die Menschen nicht nur die Verheißung auf ein besseres Leben, sondern sie kehren um und laufen erneut in ihr Verderben. Das Bekannte und Gewohnte, und sei es noch so bedrückend und traurig gewesen, es hat für manche Menschen eine größere Anziehungskraft als jede unbestimmte Verheißung! Liegt diese jenseits des Horizontes und ist noch unerfüllt, liegt jenes tief verankert in der Erinnerung und entwickelt einen immer größeren Sog, je weiter man sich davon entfernt. Dagegen muss eine Vision erst einmal bestehen.
Als wir im Land ankamen, war es an der Orakeleiche, einem von vielen Erzählungen umwobenen Ort, da erschien mir der Herr und sagte: „Deinen Nachkommen gebe ich dieses Land“[7]. Daraufhin baute ich ihm einen Altar. Es sollte der erste sein von vielen, die ich meinem Gott errichtete. Immer wieder habe ich ihm Kultstätten errichtet als Zeichen meiner Treue und Dankbarkeit. Ja, ich hatte mich nicht getäuscht. Er war mit mir auf dem Weg, er, mein Herr und Gott. Es lief gut, auch wenn es noch viele andere Völker gab, die dort siedelten.
Mir war doch vorher schon klar, dass niemand auf uns gewartet hat oder freiwillig das Feld räumen würde. Wir würden Zeit brauchen, um wirklich anzukommen und zu siedeln. Aber ich war mit Gott unterwegs, ich hatte alle Zeit dieser Welt, denn der Schöpfer der Welt war mit mir, und wer oder was konnte dann gegen mich sein? Gott und ich, wir sind immer die Mehrheit![8]
Irgendwann kam natürlich auch der erste Rückschlag. Wir waren im Gelobten Land angekommen und hatten allen Widrigkeiten zum Trotz unser Ziel erreicht. Gottes Verheißung schien sich erfüllt zu haben. Die Spannung, die auf dem langen Weg mein fester Begleiter war, sie wich von mir. Die Last auf meinen Schultern wurde leichter. Ich war da, wo Gott mich haben wollte! Jetzt warteten Sara und ich darauf, dass der zweite Teil von Gottes Verheißung sich erfüllen sollte, Nachwuchs, denn ich sollte doch der Vater eines großen Geschlechtes werden. Der erste Teil der Verheißung war in Erfüllung gegangen, warum sollte da der zweite sich nicht auch erfüllen? Doch stattdessen taten sich Schwierigkeiten auf. Die Ernte war schlecht, das Vieh hatte nicht genug zu fressen und auch uns Menschen ging es schlecht und schlechter. Nun gut, es würde nicht gleich beim ersten Anlauf alles gelingen. In der Sippe begannen Einzelne zu murren und ich hörte, wie sie einander zuraunten: „Wozu hat er uns überhaupt hier heraufgeführt, um uns, unsere Kinder und unser Vieh hier sterben zu lassen?“[9] Und die, die nicht murrten, an deren Blicken konnte ich ablesen, was sie dachten. Am Ende half es nichts. Wir mussten wieder aufbrechen und zogen erst einmal weiter, diesmal nach Ägypten. Im Vergleich mit dem Zug aus Haran war das fast um die Ecke. Für uns gab es kein Bleiben in dem Land. Wir waren als Letzte gekommen, und auch wenn Gott es mir und meinen Nachkommen verheißen hat, wir mussten erst einmal weiterziehen und gingen nach Ägypten. Ich dachte, ich sei am Ziel, doch ich musste wieder aufbrechen. Wie habe ich diesen Aufbruch gehasst, ja wirklich gehasst! Weißt du, wie das ist, wenn du ein Wagnis auf dich genommen hast und denkst, du seiest nach allen Diskussionen, Abwägungen, Anfeindungen, Risiken und Schwierigkeiten endlich angekommen – und dann musst du wieder weiterziehen? Der Aufbruch von Haran nach Kanaan war getragen von einer Verheißung. Aber, mein Junge, brich einmal auf aus dem verheißenen Land. Diese Entscheidung ist mir schwergefallen und ich habe Gott mein Schicksal mehr als einmal nicht nur vorgehalten, nein, ich habe es ihm vorgeworfen. Habe ich denn nicht schon alles für ihn riskiert? Bin ich nicht ohne Sicherheiten losgegangen und habe alles aufgegeben, und das nur auf sein Wort hin? In Ur und in Haran habe ich als gerechter Mensch gelebt und mein Denken und Streben ging in allen Handlungen darauf hin, gerecht vor Gott zu leben. Doch meinen Weg gegangen bin ich allein aufgrund des Glaubens an ihn.[10] Anscheinend wollte er meinen Glauben noch einmal prüfen. Ich sollte nicht sesshaft werden im Gelobten Land. Noch nicht! Deswegen schickte Gott uns die Hungersnot. Wir hätten auch zurückgehen können nach Haran oder Chaldäa und nicht wenige aus meiner Sippe warteten darauf, dass ich einen Befehl in diese Richtung geben würde. Das konnte ich an ihren Blicken ablesen. Diese fragenden Blicke und leisen Bemerkungen. Geflüsterte Worte wie ,Haran‘ oder ,Euphrat‘. Da klang alles mit, diese Sehnsucht nach dem Damaligen, dem Früheren. Aber das kam für mich nicht in Frage. Es gab kein Zurück! Nicht, weil es eine Schande und Schmach gewesen wäre, sondern weil ich wusste, dies ist das verheißene Land und ein zweites Mal würde auch ich nicht aus der Vergangenheit in die Zukunft aufbrechen. In diese Gefahr durfte ich mich und meine Verheißung nicht bringen. Dieses Risiko war einfach zu groß. Daher gab ich den Befehl, den Weg nach Ägypten einzuschlagen. Die Nachrichten, die uns von da erreichten, waren gut und wir konnten Wasser und Nahrung für alle erwarten. Unser Zug war diesmal jedoch ein ganz anderer als der vorherige. Der Weg nach Kanaan war wie ein Weg in eine uns noch unbekannte Heimat – der Weg nach Ägypten wurde von uns gegangen als ein Weg in die Fremde! Nie hatte ich vor, dort mehr zu sein als ein Fremder! So schön, wie Ägypten auch sei, so sicher das Land, so fruchtbringend der Nil, es war nicht der Ort, an dem Gott mit mir sein wollte. Nach Kanaan bin ich gezogen, um zu bleiben, diesmal zog ich aus, um so bald wie möglich zurückzukehren.
Du hast Recht mit dem, was dann geschah, und hast doch auch Unrecht. Ich hatte Angst um mein Leben und fürchtete, man könnte mich töten um Saras willen. Stell dir vor, so etwas wäre wirklich passiert? Nicht auszudenken! Natürlich habe ich Gottes Verheißung nicht vergessen, aber die Angst um deine Mutter war zu groß. Ohne mich wäre sie ganz schutzlos gewesen. Auch wer auf Gottes Wort hin und unter seinem Segen geht, der kann auf gefährliche Wege geraten. Gott hat mir nicht jeden Schritt vorgeschrieben. Ich musste scho...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Die Opferung Isaaks
  6. Isaak: Spirituelle Resilienz
  7. Sara: Protest für das Leben
  8. Abraham: Ungehorsam
  9. Epilog
  10. Anmerkungen
  11. Viten