Mit Kritik umgehen lernen: Für bessere Fehlerkultur in Unternehmen
// Von Simone Janson
Wie gehen wir mit Fehlern und Kritik um? Was passiert, wenn wir uns selbst bei einem Fehler ertappen oder von Kollegen oder – noch schlimmer – dem Chef/der Chefin ertappt werden? All das lässt Rückschlüsse auf die Fehlerkultur in Unternehmen und unserer Gesellschaft zu. Praktische Tipps im Umgang mit Kritik.
Irren ist menschlich
Irren ist menschlich… Leicht dahingesagt, dieses Wort, denn wer gibt schon gern zu, dass er einen Fehler gemacht hat? Eigentlich niemand. Und doch passieren große und kleine Fehler jedem von uns Tag für Tag.
Vielleicht haben Sie auch schon einmal eine vertrauliche eMail an die falsche Person geschickt oder bei einem Meeting schlecht recherchierte Informationen präsentiert? Und haben Sie nicht auch gelegentlich die Äußerungen eines Kollegen falsch verstanden und absolut unpassend reagiert?
Reaktion ist alles
Irrtümer und Fehleinschätzungen sind bei Menschen an der Tagesordnung; Psychologen schätzen, dass jeder Mensch pro Stunde zwei bis fünf Fehler macht.
Gründe dafür sind zum Beispiel Überlastung, Verwendung falschen Materials oder ein Produkt, das nicht ausreichend getestet wurde. Das ist Murphys Gesetz: Was schiefgehen kann, geht auch schief. Oder salopp ausgedrückt: Shit happens.
Fruchtlose Vermeidungsstrategien
Daraus folgt: Auch wenn Sie perfektionistisch all Ihre Zeit darauf verwenden, jeden auch nur erdenklichen Fehler von vornherein auszuschließen – gelingen wird Ihnen das nie. Es werden Ihnen immer kleinere Fehler unterlaufen. Entscheidend für Ihr berufliches Vorankommen ist allein, ob Sie bereit sind, Kritik anzunehmen und aus Ihren Fehlern zu lernen. Oder ob Sie lieber über Ihre Fehler klagen und sich dafür selbst hassen wollen. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.
Wie wir mit Fehlern umgehen, hängt immer auch von der Art ab, wie wir kritisiert werden: Wenn Ihr Kollege oder Chef unverschämt wird oder einzelne Fehler verallgemeinert, etwa indem er sagt: “Sie blöde Kuh, Sie machen immer alles falsch!”, sollten Sie die Unsachlichkeit zurückweisen: “Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe. Dennoch brauchen Sie mich nicht zu beleidigen.” Bitte nicht ausfällig oder beleidigt reagieren: Das wirft kein gutes Licht auf Ihre Bereitschaft, konstruktiv mit Fehlern umzugehen. Wenn man Ihren Fauxpas jedoch detailliert kritisiert und konstruktive Verbesserungsvorschläge macht, will man vermutlich nur helfen. Bleiben Sie also freundlich: “Danke, dass Sie sich so viel Mühe gegeben haben. Ich setze das entsprechend um.” Wenn Sie anderer Ansicht sind, können Sie diese sachlich begründen: “Ich danke Ihnen für Ihre Kritik. Aus folgenden Gründen sehe ich das aber anders…”
Sich das Leben nicht unnötig schwer machen
Gerade im Umgang mit Fehlen machen sich Perfektionisten das Leben oft unnötig schwer. So wie Paul. Er ist freiberuflicher Softwareprogrammierer. In letzter Zeit hatte er leider einige private Probleme. Und so kommt es dazu, dass er beim abschließenden Test einer neuen Software, total übermüdet, einige Fehler übersieht.
Der Kunde, für den diese Software eigens konzipiert wurde, hat durch die Fehler einen Systemabsturz; da er aber mit Pauls Arbeit bislang stets zufrieden war, zeigt er sich kulant: Paul kann die Fehler innerhalb einer Woche ausbessern. Für Paul jedoch ist das Ereignis ein Schock – wie konnte das nur passieren? Auf keinen Fall darf ihm das noch einmal geschehen. Die Software muss bis zum Termin absolut fehlerlos sein. Beim nächsten Mal will er unbedingt jeden Fehler vermeiden.
Unmögliche Arbeitsaufträge: So gehen Sie damit um
Wenn Sie einen Arbeitsauftrag bekommen, der Ihrer Meinung nach zu Fehlern führen wird, weil Sie zum Beispiel die Arbeit in der vorgesehenen Zeit unmöglich schaffen können: Weisen Sie rechtzeitig diplomatisch und mit sachlichen Argumenten darauf hin!
Fragen Sie den Vorgesetzen nach seiner Meinung, damit er nicht verärgert reagiert. Und zeigen Sie, dass es eine bessere Lösung geben kann: “Meine Erfahrung zeigt mir, dass wir, wenn wir das wie jetzt geplant machen, bestimmte Konsequenzen befürchten müssen. Ich würde daher einen anderen Weg vorschlagen. Was meinen Sie dazu?”
Selbstgemachter Druck
Paul möchte in der kommende Woche die Software nicht nur abliefern, sondern auch noch selbst installieren, um zu zeigen, dass sie absolut fehlerlos funktioniert. Zusätzlich zur Überarbeitung des Programms recherchiert er daher einige wichtige Fakten und gestaltet ein Handbuch zur Bedienung seines Programms. Er will unbedingt einen guten Eindruck machen und arbeitet dafür Tag und Nacht.
Doch leider läuft die Software nicht fehlerfrei. Paul gerät stark unter Druck, macht dabei einige entscheidende Fehler und legt dadurch das komplette Computersystem des Kunden lahm. Er hatte einige Besonderheiten in dem fremden System nicht einkalkuliert. Für sein sorgsam ausgearbeitetes Handbuch interessiert sich niemand mehr – der Kunde entzieht Paul den Auftrag. Pauls perfektionistische Vermeidungsstrategie hat zum Misserfolg geführt.
Der absolute Supergau
Warum aber der ganze Stress? Für viele Perfektionisten ist ein Fehler geradezu ein persönlicher Supergau: Er zeigt ihnen, dass sie längst nicht so perfekt sind, wie sie geglaubt haben und verunsichert sie zutiefst in ihrem Bedürfnis, die Dinge unter Kontrolle zu halten. Dazu kommt, dass viele Perfektionisten zu einer Alles-oder-Nichts-Haltung neigen, die sie dazu bringt, aus einem kleinen Fehler eine Katastrophe zu machen.
Für viele Perfektionisten ist es auch deshalb so erstrebenswert, absolut fehlerlos zu sein, weil für sie bereits ein einziger kleiner Fehler bedeutet, dass sie ihre Arbeit gänzlich schlecht erledigen. “Ich mache ja immer alles falsch”, jammern sie dann gern und bemitleiden sich dabei kräftig selbst. Um gar nicht erst in diese Situation zu kommen, möchten sie Fehler um jeden Preis vermeiden, zum Beispiel, indem sie sich akribisch auf eine Situation vorbereiten, um gegen jede Eventualität gerüstet zu sein.
Fehler kann man nicht vorausahnen
Natürlich ist es wichtig, so sorgsam wie möglich vorzugehen, damit Fehler erst gar nicht passieren. Doch niemand kann vorausahnen, was in einer bestimmten Situation geschehen wird: Wenn Sie beispielsweise eine Präsentation vorbereiten, können Sie die Fragen Ihrer Zuhörer nicht schon vorher wissen, sondern müssen während des Vortrags auch improvisieren.
Dennoch setzen sich viele Perfektionisten mit dem Wunsch, auf keinen Fall einen Fehler zu machen, regelrecht selbst unter Druck und schießen dabei auch oft über das Ziel hinaus – wie Paul. Je mehr sie sich bemühen, etwas absolut richtig zu machen, desto mehr Stress bauen sie auf und können dadurch im entscheidenden Moment nicht vernünftig reagieren. Denn Stress wirkt sich negativ auf das klare Denk- und Konzentrationsvermögen aus – wie das genau geschieht, erfahren Sie noch. Durch diesen Mechanismus entstehen Fehler. Vermutlich kennen auch Sie aus Ihrem eigenen Arbeitsalltag einige Situationen, in denen Sie alles so gut wie möglich machen wollten. Und gerade dann ging etwas schief – eben weil Sie im entscheidenden Moment zu sehr unter Stress standen!
Sind Sie ein vollkommener Versager?
Paul hält sich nun für einen vollkommenen Versager und beschließt, die Selbstständigkeit aufzugeben und sich einen ruhigen Bürojob ohne jede Verantwortung zu suchen. Doch auch wenn sein Verhalten so wirken könnte, als würde er seine Fehler einsehen und Konsequenzen daraus ziehen – das Gegenteil ist der Fall:
Er reagiert völlig übertrieben. Indem Paul seinen Fehler verallgemeinert, macht er sich gegen jede Kritik immun; wenn er ohnehin ein Versager ist, ist es ja ganz und gar unmöglich, etwas zu verbessern und er braucht sich gar nicht erst zu bemühen, es bei einem neuen Auftrag besser zu machen. Statt also genau zu analysieren, was schiefgegangen ist und was beim nächsten Mal anders werden könnte, gibt er auf. Mit dieser Mischung auch Schwarz-Weiß-Denken, Katastrophismus und Bequemlichkeit verbaut er sich aber selbst die Möglichkeit, seine gewonnen Einsichten für die Zukunft zu nutzen.
Fehler auf eine derart übertriebene Art- und Weise einzugestehen, indem Sie sich selbst des völligen Versagens bezichtigen, wirkt auf andere nur bedingt positiv. Manchmal zieht die “Tränendrüsennummer”. Es reicht aber nicht, wenn Sie plastisch und in epischer Breite über Ihren Fehler klagen, Sie müssen auch zeigen, dass Sie zwar überlastet, aber trotz aller Widrigkeiten bereit sind, Übermenschliches zu leisten. So mancher Chef fühlt sich dann als Sklaventreiber und Ausbeuter und wird Ihnen aus schlechtem Gewissen und Mitleid verzeihen. Andere Chefs stempeln Sie mit solch einem Verhalten allerdings zum unglaubwürdigen Schwächling – vor allem wenn es öfter vorkommt und Sie jedes Mal laut klagen, sich aber immer wieder der gleichen Fehler vorwerfen. Dann zeigen Sie, dass Sie nichts gelernt haben. Besser: Gehen Sie konstruktiv mit Fehlern um!
Konstruktiv statt destruktiv
Aus diesen Gründen ist das Vermeiden von Fehlern um jeden Preis nicht die optimale Strategie. Viel sinnvoller ist es, konstruktiv mit Fehlern umzugehen und daraus für die Zukunft zu lernen. “Wenn das so einfach wäre…” werden Sie vielleicht stöhnen. Richtig! Einfach ist es nicht, denn dazu müssen Sie sich Ihre Fehler zunächst bewusst machen und analysieren, was genau schiefgegangen ist. Je nachdem, wie schwer der Fehler wiegt und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, kann dieser Prozess schwierig und auch schmerzhaft sein. Denn Sie werden sich ein ums andere Mal fragen, was Sie hätten besser machen können und ob sich aus einer anderen Entscheidung eine andere Situation ergeben hätte.
Aber diese Gedanken sind keinesfalls unnötig oder gar Zeitverschwendung. Denn wenn Sie darüber nachdenken, was anders hätte laufen können, bekommen Sie neue Ideen zur Lösung eines Problems oder erkennen, worauf Sie bei der nächsten Entscheidung achten sollten, um diesen Fehler zu vermeiden. Aber Achtung: Nicht in tiefes Grübeln versinken! Es ist viel wichtiger, dass Sie nach einer eingehenden Analyse Ihre Erkenntnisse auch produktiv in die Tat umsetzen.
Ihre innere Einstellung
Wie Sie mit Schwierigkeiten umgehen, hängt auch stark von Ihrer inneren Einstellung ab. Das gilt gerade auch dann, wenn Ihnen bei Ihrer Arbeit Fehler unterlaufen. Denn nun haben Sie zwei Möglichkeiten: Sie können sich über Ihre Fehler schier schwarzärgern oder aber versuchen, Ihre Fehler positiv zu sehen und daraus zu lernen, was Sie beim nächsten Mal besser machen können.
Und auch wenn Sie mit einen gewissen Hang zum katastrophierenden Denken vielleicht zunächst davon ausgehen, dass ein Fehler das Schlimmste ist, was Ihnen überhaupt passieren kann, so können Sie Fehlern immer auch etwas Positives abgewinnen. Denn was sind Fehler anderes als Erfahrungen und was sind Erfahrungen anderes als die Summe der Dummheiten, die man im Bedarfsfall wieder anwendet – um es mit dem Kabarettisten Dieter Hildebrandt zu halten?
Mit Kritik umgehen – eine Übung
Ein etwas humoristischer Blick schadet also nicht, wenn Sie die folgende Übung anwenden: Zeichnen Sie auf ein Blatt drei Spalten (Sie können das Blatt auch knicken). In Spalte 1 schreiben Sie auf, welchen Fehler Sie sich geleistet haben. In der mittleren Spalte notieren Sie nun, wie Sie sich verhalten oder gefühlt haben, als Sie den Fehler bemerkten. Diese Übersicht bekommt außer Ihnen niemand zu sehen – beschreiben Sie Ihre Gefühle also so ehrlich und genau wie möglich. Vermerken Sie genau, was Sie denken und in welchen Worten Sie diese Gedanken ausdrücken.
Wenn Sie dann noch einmal auf Ihre Tabelle schauen, stellen Sie vielleicht fest, dass Sie als eingefleischter Perfektionist im ersten Moment dazu tendieren, sich auch vor sich selbst für den Fehler zu rechtfertigen: Steh...