Gewaltexzesse antiker Tyrannen
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Gewaltexzesse antiker Tyrannen

Alte Geschichte

  1. 20 Seiten
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Gewaltexzesse antiker Tyrannen

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Über dieses Buch

Die Antike: Blutige Kriege, geisteskranke Despoten und grausame Gladiatoren stehen für eine Zeit, in der die Menschen besonders verroht erscheinen.Bei näherer Betrachtung stellt sich aber heraus, dass die antiken Zeitgenossen Gewalt ebenso verabscheuten wie wir heute. Wie sind dann aber die vielen Berichte über Gewalttaten gerade bei Tyrannen zu bewerten?Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass Berichte über Gräueltaten wenig Vertrauen erweckend sind. Oft werden politische Gegner verunglimpft, indem man ihnen Gewaltexzesse unterstellt.Die weitere Geschichte der Gewaltdarstellungen zeigt, dass bis weit in die römische Kaiserzeit die Schilderung von brutalen Morden benutzt wurde, um Politik zu machen.Dabei werden in ihrer Grausamkeit bisweilen absurd wirkende Episoden erzählt. Für den Historiker sind sie von hohem Interesse, da sie die Kommunikation antiker Gesellschaften besser verstehen lassen.

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Information

Jahr
2011
ISBN
9783831256525

Einführung

Über Gewalt zu sprechen, ist nicht angenehm. Das gilt auch für die vielen Exzesse und Massaker, die die antike Überlieferung für uns bereit hält und die in den Quellen in großer Zahl aufzufinden sind. Viele verbinden mit antiken Kulturen Gewaltexzesse, Gladiatorenspiele fallen an, die großen Schlachten bei Cannae und an anderen Orten mit Tausenden von Toten.
Diese Berichte die wir in den antiken Quellen über Gewalt und extreme Formen von Gewalt finden, können oft bis ins absurde gesteigert werden. So hören wir etwa in einer Vita des kaiserzeitlichen Biographen Plutarch dass die Schwägerin Ciceros nach der Ermordung dieses großen Redners den Sklaven, der mit dafür verantwortlich war, dass Cicero ums Leben kam, gefangen nehmen ließ. Aber nicht nur das: Sie führte ihn in den Garten ihres eigenen Hauses, zwang ihn dazu, sich Fleisch von den Armen abzuschneiden, es zu grillen und selbst zu essen. Sie sehen, die Geschichten können bis in die Absurdität gesteigert und pathologisch kaum mehr vermittelbar sein.
Das Komische dieser Geschichten findet sich in der gesamten antiken Literatur. So erfahren wir etwa von dem Kaiser Commodus, der am Ende des 2. Jahrhunderts nach Christus regierte, er habe sich in einem Anfall von Hunger bucklige Krüppel, mit Senf bestrichen, servieren lassen. Und er tat andere komische Dinge in der Öffentlichkeit. So schnitt er einem dickleibigen Mann den Bauch auf, um sich über die heraus fallenden Eingeweide zu belustigen.
Ein anderer Herrscher soll seinen Bruder im Gartenteich ertränkt haben und genoss bei den Mahlzeiten Hinrichtungen. Bei diesem Tyrannen handelt es sich aber nicht um einen antiken Herrscher, sondern um den nordkoreanischen Staatschef Kim Jong-il. Man sieht also, dass bis heute Geschichten über Tyrannen mit Gewaltexzessen und behaupteten Gewaltexzessen angereichert waren und schlägt man die Tageszeitungen auf, dann zieht sich das wie ein roter Faden durch die öffentlichen Debatten.
Ich möchte in den folgenden 60 Minuten der Frage nachgehen, was diese Berichte über antike Gewalt eigentlich verraten und wie diese Lektüre einzuschätzen ist, was also der alltägliche Schrecken der antiken Tyrannis in diesen Berichten gewesen ist. Das möchte ich in drei Schritten vorstellen. Zunächst werde ich anhand von einigen Beispielen diese Gewaltexzesse noch einmal vorstellen und in Erinnerung rufen. Anschließend soll ermittelt werden, wie die antiken Leser und Hörer dieser Texte selbst mit diesen Berichten umgingen und wie sie diese Berichte beurteilten. Dabei möchte ich zeigen, dass das Beispiel für diese Art von Gewaltdarstellungen eine lange Tradition bis in die griechische Kulturgeschichte hat und dass diese Geschichten sich aber in ihrer ganzen Bedeutung erst erschließen, wenn man sie bis nach Rom verfolgt und schaut, wie die Römer mit diesen Geschichten umgehen und wie sie diese Geschichten einsetzen, um auch eigene politische Ziele zu erreichen. Dabei sollen also diese kleinen Gewaltepisoden und diese schrecklichen Geschichten nicht nur als Beispiele für Gewaltexzesse von Alleinherrschern gedeutet werden, sondern vor allem auch als Beispiel vorgestellt werden, wie man in der Antike und vielleicht bis heute soziale und politische Standortbestimmung vornimmt.
Zwei Vorbemerkungen sind noch nötig. Wenn ich von Tyrannen spreche, dann meine ich alle Alleinherrscher, unabhängig davon, ob sie im staatsrechtlichen Sinne wirkliche Tyrannen gewesen sind, also ob sie die Verfassung außer Kraft setzten oder ob sie neben dieser standen. Das spielt keine Rolle. Es geht um das Label, das man bestimmten Figuren anklebte. Und wenn ich von den alltäglichen Schrecken dieser antiken Tyrannen spreche, dann meine ich nicht Enteignungen und Hinrichtungen und ähnliches, die auch in einem freien Gemeinwesen der Antike zum Alltagsgeschäft gehörten und in ganz anderer Form als heute die Alltagswahrnehmung der Zeitgenossen bestimmten. Mit geht es um Geschichten und Episoden, die selbst für antike Zeitgenossen, die einiges gewohnt waren, besonders schlimm waren und hartgesottene Bürger der griechischen Polis-Welt und Roms aus der Ruhe brachten, wenn man sie ihnen erzählte.

Extreme Gewalt in der Antike – Beispiele

Man sollte also nicht erschrecken, wenn die Grenzen des guten Geschmacks im Folgenden etwas überschritten werden, aber das ist, wie ich denke ganz interessant und notwendig, um einen Blick auf antike Kulturen zu werfen, der in dieser Form noch nicht geworfen worden ist, uns jetzt aber zeigt, wie diese antiken Kulturen sich verständigen, miteinander kommunizieren, und wie Gewalt in diesen Kommunikations- und Verständigungsprozessen eine Rolle spielt. Damit beginne ich mit einigen Beispielen:
Einer der ersten Tyrannen, über die Schreckliches berichtet wird, ist Periander in Korinth, also im griechischen Mutterland. Von ihm wird berichtet, er habe in einem Zornesausbruch seine schwangere Frau mit einem Fußtritt so stark verletzt, dass sie starb. Diese geheime Tat im Palast des Tyrannen kam ans Tageslicht, weil die Tote als Geist umgegangen sein soll und den Bürgern Korinths verriet, was ihr Mann mit ihr angestellt hat.
Besonders inhumane Details werden von Hinrichtungen unter Tyrannen überliefert. So spielten aufwändige Maschinerien, die man erfand, eine wichtige Rolle. Phalaris soll etwa im 6. Jahrhundert vor Christus als Tyrann von Akragas einen bronzenen Stier anfertigen lassen, der an der Rückenpartie eine Doppeltür besaß. Diese Doppeltür diente dazu, Delinquenten in den Rücken dieses Stieres einzufüllen, unter den Stier ein Feuer zu entfachen und die dabei bis zum Tod Gequälten durch die Schreie, die aus dem Schlund des Stieres drangen, sozusagen musikalisch zu genießen. So die Geschichte und die Unterstellung.
Dieses Marterinstrument wurde von einem anderen Tyrannen weiterentwickelt. Er ließ um 300 vor Christus ein eisernes Bett errichten und die Delinquenten und die zum Tode Verurteilten einfach auf dieses Bett spannen, entfachte darunter ein Feuer und sah den Sterbenden bei ihrem Todeskampf zu. Nabis in Sparta hatte um 200 vor Christus die sogenannte Eiserne Jungfrau erfunden, ein Folterinstrument, das man heute noch in allen mittelalterlichen Schlössern und Burgen betrachten kann, das also eine beachtliche Karriere in der europäischen Kultur durchlaufen hat. Das ist einfach eine Eisenfigur, die im Inneren mit Dornen versehen ist und in die die zum Tode Verurteilten gesetzt werden. Man schließt dann diese Figur und sie werden durch die Eisenstacheln zu Tode gebracht.
Nicht nur solche Gerätschaften, auch die Exzesse besonderer Grausamkeit bei Hinrichtungen erregten in der Antike die Gemüter. Agathokles ließ Frauen die Knöchel der Füße zerquetschen, schnitt ihnen die Brüste ab und drückte Schwangeren mit Steinen die Föten aus dem Unterleib. Alexander von Pherai ließ zu seinem Vergnügen Menschen in Tierhäute nähen und von seinen Hunden zerreißen.
Auch der Vorwurf des Kannibalismus begegnet regelmäßig in der gesamten Antike. Apollodor etwa von Kassandreia, einer der Prototypen des unmenschlichen Tyrannen, hat gemeinsam mit seinen Helfern kleine Kinder verspeist. Wenn man nicht Herrschern wie etwa Phalaris Kannibalismus unterstellte, dann nahm man wie bei Mithridates von Pontos zumindest an, dass sie andere dazu anregten, Kinder und Säuglinge zu verspeisen.
Zu den in der Regierungszeit des römischen Kaisers Caligula berichteten schrecklichen Hinrichtungen, gehörte etwa das schlichte Zersägen achtenswerter Männer. Einen Verurteilten soll Caligula so lange mit einer Eisenkette ausgepeitscht haben, bis ihn das in Verwesung übergehende Gehirn so störte, dass er diese Tortur abbrechen ließ. Einen anderen Senator ließ er einfach von Schreibgriffeln durchbohren und die Leiche danach zerstückeln. Die Eingeweide mussten vor dem Kaiser aufgehäuft werden.
Diesen Hinrichtungen konnten ganz sinnlose Folterexzesse vorangehen. Tiberius etwa band bei Männern die Harnröhre zu, um ihnen dann Rotwein einzuflössen und der Drang, Wasser zu lassen, hat ihnen dann unendliche Qualen bereitet. Einen Finanzbeamten des Gallienus wiederum ließ man nach der Tortur mit heraushängenden Augäpfeln im Senatsgebäude stehen.
Auch die Opfer, so die Berichte, nahmen spektakuläre Selbstverstümmelungen und Selbstmorde an sich selbst vor. Verschwörer etwa bissen sich, nach Mitwissern befragt, regelmäßig selbst die Zunge ab, um sie dem Tyrannen ins Gesicht zu spucken. Cato der Jüngere, ein Opfer des Tyrannen Caesar, nahm sich selbst das Leben, indem er sich die Bauchdecke aufschnitt. Ärzte eilten herbei, versuchten, die Eingeweide wieder in seinen Körper zu bringen, doch Cato riss die Wunde wieder auf und verstarb dabei.
Ich breche an dieser Stelle ab. Wir haben gesehen, die Exzesse, die berichtet werden, haben alle eine ähnliche Signatur. Neben der regelmäßigen Überschreitung der Grenzen zum Ekel gibt es Motivwiederholungen und wir können feststellen, dass der Großteil dieser Episoden trotz aller Grausamkeit eigentümlich erlogen und wenig vertrauenserweckend wirkt. Sie lassen sich schlicht der sogenannten Tyrannentopik zuweisen, also der regelmäßigen Unterstellung von besonderen Bluttaten, ohne dass wir beweisen können, dass diese Bluttaten in dieser Form auch stattgefunden haben.

Zielsetzung und Wirkung

Das erklärt aber nicht, weshalb diese Geschichten immer berichtet werden, wer sie erfindet und zu welchem Zweck. Um das zu verstehen, muss man sich den Stellenwert derartiger Einzelheiten zunächst in den antiken Texten vergegenwärtigen und danach fragen, wie eigentlich die Autoren und Leser dieser Zeit solche grausamen Details beurteilten.
Bei der Lektüre antiker Geschichtswerke fällt zunächst auf, dass solche widerwärtigen Motive unter dem Strich weniger häufig vorkommen, als man bei einer Geschichtsschreibung, die ja vornehmlich Kriegsgeschichtsschreibung ist, erwarten könnte. Grausige Details werden viel mehr sehr überlegt in die Texte eingebaut. Das lässt sich an zwei Beispielen exemplarisch verdeutlichen.
Sehen wir uns das erste Beispiel an: Der griechische Geschichtsschreiber Xenophon berichtet zu Beginn des 4. Jahrhunderts vor Christus vom Zug der Zehntausend. Das sind 10.000 griechische Söldner, die mit einem Spross der persischen Königsfamilie um 400 bis in das Perserreich gezogen waren, um diesen Spross der persischen Königsfamilie auf den Thron zu setzen. Der freudvolle Aufbruch dieser griechischen Söldnertruppe und ihr mit entsetzlichen Mühen verbundener Weg nach Griechenland zurück, bei dem die Hälfte dieser Söldner das Leben lassen muss, sind Gegenstand dieses Werkes des griechischen Autors Xenophon. Der Text enthält aber nur eine besonders schreckliche Szene: Nach dem Tod des Kyros, jenes Persers, für den sie in den Osten gezogen waren, gerieten die anwesenden griechischen Offiziere in einen persischen Hinterhalt und wurden getötet. Nur einer von ihnen konnte sich in das eigene Lager retten. Er hatte eine schwere Bauchverletzung und konnte nur mit Mühe die Eingeweide an seinem Körper halten. Diese effektvoll grausige Episode, die Xenophon erzählt, ist der Scheitelpunkt des Zugs. Mit ihr beginnt der mühevolle Rückzug nach Griechenland.
Eine ähnlich übersetzte Einsetzung eines so grauenvollen Motivs können wir bei Tacitus beobachten, dem großen römischen Historiographen des 2. Jahrhunderts nach Christus. Als Beispiel mag ein Bericht über ein Unglück in der italienischen Stadt Fidenae gelten. Hier hatte ein Freigelassener zur Zeit des Kaisers Tiberius ein Amphitheater aus Holz für Gladiatorenspiele errichtet, aus Profitsucht jedoch einfach am Material gespart. Der Effekt war, das Amphitheater aus Holz brach ein und mehrere tausend Menschen fanden in den Trümmern den Tod. Man suchte nach verbrannten und Toten an dieser Unglücksstelle. Es spielten sich unbeschreibliche Szenen ab. Die Verwandten stritten sich um die bis zur Unkenntlichkeit zerquetschten Leiber, nur um überhaupt eine Leiche zu haben, die sie bestatten konnten.

Gewaltbeschreibung – Sinnbild tyrannischer Herrschaft

Die Ausführlichkeit, mit der uns Tacitus dieses Ereignis schildert, ist darauf zurückzuführen, dass er das Unglück als Kennzeichen der Regierungszeit des ihm verhassten Kaisers Tiberius verstand. Die Szenerie des Grauens im nächtlichen Fackelschein wird zum Sinnbild der tyrannischen Herrschaft dieses römischen Kaisers. Und im Übrigen hat auch der römische Biograph Sueton dieses Ereignis ganz ähnlich beurteilt. Das Unglück von Fidenae mit Tausenden von Toten und diesen zerquetschten Leibern wurde zum Signum der Herrschaft eines römischen Kaisers.
Zwei Beispiele nur verdeutlichten den sehr überlegten Einsatz ekelhafter Motive. Dazu passt die in hellenistischer Zeit im 2. und 1. Jahrhundert vor Christus geführte Diskussion darüber, ob solche Details überhaupt in eine historische Darstellung gehören. Auf der einen Seite stehen Autoren, die blutige Einzelheiten fordern, Dionysios von Halikarnassos etwa kritisiert an dem großen griechischen Geschichtsschreiber Thukydides, dieser habe die Eroberung von Städten teilweise so farblos geschildert, dass man sich das Grauen, das mit so einem Ereignis verbunden sei, gar nicht vorstellen könne.
Die Gegenposition zu diesem Wunsch nach Gewalt und Blut in den Darstellungen formuliert Diodor, ein Zeitgenosse dieses Dionysius von Halikarnassos im 1. Jahrhundert vor Christus. Bei der Schilderung der Ermordung von angesehenen Bürgern durch den Tyrannen Agathokles von Syrakus bemerkt er, dass er selbst über die Dinge, die man nachts den Frauen antat, nicht sprechen wolle und er führt weiter aus: „Wir müssen unseren Bericht über die Vorkommnisse von jener künstlich tragischen Darstellung freihalten, wie sie manchen Historikern eigen ist. Zum einen wegen des Mitleids mit dem Opfer und zum anderen, weil kein Leser den Wunsch hat, all das auch zu hören, was er sich selbst bei diesen Ereignissen vorstellen kann.“ – Zitat Ende.

Geschichtsschreibung als Katharsis?

Hintergrund dieser Kritik Diodors ist die Stellungnahme zu einigen hellenistischen Geschichtsschreibern, die man in der Forschung früher missverständlich tragische Historiographen genannt hat. Sie zeichnen sich nämlich dadurch aus, dass sie in ihrer Schilderung von Kriegen, von Gewalt, von Folter besonders detailliert vorgehen. Sie neigen zur Darstellung sehr brutaler Gewalt. Man hat früher angenommen, dass sie die Entscheidung für diese Gewaltdarstellung getroffen haben vor dem Hintergrund der Kritik des Aristoteles an der Geschichtsschreibung. Aristoteles hatte gesagt, nur die Tragödie könne im Grunde genommen den Menschen über die Katharsis – über einen Reinigungsprozess – zum Guten führen. Der Geschichtsschreibung war das verbaut. Die Erzeugung von Jammer und Schauder etwa sei in der Geschichtsschreibung nicht möglich.
Nun hatte man vermutet, dass die Historiographen diese blutigen Darstellungen aufgenommen haben, um der Tragödie etwas entgegenzusetzen. Aber es hat vielmehr den Anschein, als ob diese Autoren in erster Linie darauf abzielen, möglichst farbig zu schildern, ohne ReinigungKatharsis – und ähnliche Konzepte im Hinterkopf zu haben. Im Vordergrund stand also die mimetisch genaue Wiedergabe des Geschehens und selbst mit Detail versessenen Gewaltdarstellungen wollte man offenbar Vergnügen bereiten, wobei man zugleich die Berichte ins Sensationelle steigern konnte.
Es geht aber in dieser Auseinandersetzung nicht nur um die Einschätzung von Sensationen und Sensationsgeschichtsschreibung. Der eigentliche Kern dieser Auseinandersetzung findet sich bei einem anderen hellenistischen Geschichtsschreiber von großer Bedeutung, nämlich bei Polybios. Der kritisiert bei...

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