Zeit - Postmoderne
eBook - ePub

Zeit - Postmoderne

Philosophie / Kulturwissenschaften

  1. 15 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Zeit - Postmoderne

Philosophie / Kulturwissenschaften

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Es gibt unterschiedliche Zeitverständnisse. Mit den jeweils herrschenden Zeitvorstellungen wird in der Gesellschaft Ordnung gemacht und auch die Individuen strukturieren mit ihrem Zeitverständnis ihr Leben und dessen Verlauf.In der Postmodernde werden das Zeitverständnis und das Zeithandeln weitgehend von den Non-stop Technologien bestimmt. Das Zeithandeln richtet sich in erster Linie aud die Zeitverdichtung hin aus. Alles, gleichzeitig und zwar sofort ist das Motto postmoderner Zeitorganisation. Das nennen wir "flexible Zeiten".

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Zeit - Postmoderne von Karlheinz A. Gei im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Philosophie & Geschichte & Theorie der Philosophie. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Postmoderne Zeitgeber:

Durch die Beschleunigungspotentiale der Medien wurden völlig neue Möglichkeiten des Denkens und Handelns erschlossen. Mit der „elektrischen Augenblicksverbindung“ und der „Eroberung der Allgegenwärtigkeit“ (A. Warburg), lässt sich die Zeit scheinbar eliminieren. Nichts dauert mehr. Alles ist sofort, auf Knopfdruck, da. Und doch haben wir das Gefühl, dass uns mehr denn je etwas fehlt. Und das trotz der Millionen Fernsehgeräten und Telefone, der DVD- und CD-Player, der Radios und Handys, die in deutschen Wohnungen und so mancher Jacken- oder Hosentasche zu finden sind.
Mit dem Ende der Beschleunigung gewinnt die „Zeit-Verdichtung“ mehr Bedeutung. Sie ist, ebenso wie die Steigerung der Geschwindigkeit, eine zeitökonomische Strategie. Verdichtet, so die real wirksame Vorstellung, lässt sich die relativ knapp bemessene Lebenszeit „effizienter“ nutzen, wenn man mehrere Dinge gleichzeitig tut beziehungsweise möglichst viel (an Information) in die gleiche Zeit packt.
Auch hierfür bietet die Welt der Medien eine Vielzahl an Möglichkeiten: Radiohören beim Zeitungslesen, Bügeln beim Fernsehen, Musikhören beim Internet-Surfen, Telefonieren beim Auto- oder Zugfahren. Wer seine Aufmerksamkeit teilt, hat mehr vom Leben - so lautet das Credo der Zeitoptimierer. Die Zeit wird porenlos genutzt, und da die Erlebnisdichte zunimmt, wird so mancher Zeitgenosse dabei atemlos. Immer geschieht etwas, und weil immer etwas geschieht, geschieht auch vieles andere, und das möglichst gleichzeitig, zumindest aber möglichst schnell.
Das Handeln derer, die die Medien nutzen, erschöpft sich jedoch nicht in den Strategien der Beschleunigung und Zeitverdichtung. Denn Zeit ist in unserer Gesellschaft nicht nur zu einem knappen Gut geworden, mit dem es möglichst „effizient“ und „sparsam“ zu wirtschaften gilt. Sie ist zuweilen auch im Überfluss vorhanden. Am offensichtlichsten für das wachsende Heer der unfreiwilligen Arbeitslosen.
Aber auch für diejenigen, die sich tagsüber in ihrem Beruf abrackern (dürfen), verwandelt sich Zeit spätestens am Feierabend oder in der Freizeit zu etwas, mit dem man reichlich gesegnet ist. Mit diesem Zeit-Reichtum können nicht alle gleichviel anfangen. Die gesuchte Ablenkung, die drei Stunden, die die Bundesbürger täglich vor dem Fernseher verbringen, ist immer auch eine Ablenkung von der „Leere“ der Zeit, von der „Langeweile“, dem ereignislosen Verfließen der Zeit - und damit immer auch eine Ablenkung von sich selbst. Der zunehmende Mediengebrauch dient offenbar nicht nur der Beschleunigung des Lebens, sondern auch dazu, die wachsende „freie“ Zeit zu strukturieren und ihr einen wie auch immer gearteten Sinn zu geben.
Ganz gleich, ob in chronischer Zeitnot oder in Situationen, in der wir uns einem Überfluss an Zeit gegenüber sehen: In beiden Fällen - gehetzt wie gelangweilt - vertreiben wir die Zeit aus unserem Leben: Zum einen, indem wir sie möglichst intensiv bewirtschaften und nach dem Prinzip „Zeit ist Geld“ den Kampf gegen alles Langsame, Bedächtige, Pausierende aufnehmen. Zum anderen, indem in der so gewonnenen Freizeit mit Hilfe der Medien die Zeit „totgeschlagen“ wird. Auch wenn tagsüber durch Telefon und Mailverkehr erfolgreich Zeit „gespart“, Abläufe beschleunigt und durch zahlreiche Parallelhandlungen verdichtet wird, scheinen viele doch an langen Fernsehabenden oder in stundenlangen Internet-Sitzungen alle Zeit der Welt zu haben. Die Rastlosigkeit beim vermeintlichen Sparen von Zeit mündet am beruflichen Feierabend in der nicht minder großen Ratlosigkeit, sinnvoll mit ihr (und sich) umzugehen. Es fällt offenbar schwer, eine Balance zwischen dem Zeitsparen Müssen und der Muße zu finden. Zeitmangel und Zeitüberfluss verwirren sich zu postmoderner Zeiterfahrung. Je mehr Zeit man hat, um so mehr muss mit dieser etwas gemacht werden und entsprechend weniger hat man schließlich wieder, mit der man sparsam umzugehen hat.
Vier Zeit-Tendenzen sind es, die für die elektronischen Medien und für deren Gebrauch charakteristisch sind:
  1. Informations- und Kommunikationsmedien zielen grundsätzlich darauf ab, räumliche wie zeitliche Distanzen zu reduzieren. Bereits die frühen Formen der Nachrichtenübermittlung versuchten das Trennende des Raumes mit möglichst geringem Zeitaufwand zu überwinden. Den neuen elektronischen Medien gelingt es erstmals, diesen Zweck aller Mediennutzung zu vollenden. Mit der Lichtgeschwindigkeit der Signalübertragung wird die Grenze der Beschleunigung erreicht, werden zeitliche und räumliche Distanzen reduziert und der Wahrnehmung entzogen. Ohne nennenswerte Zeitverzögerung ist uns von nun an jeder Ort der Welt medial zugänglich. Und auch wir sind an jedem Ort erreichbar. Räumliche wie zeitliche Unterschiede verlieren ihre Bedeutung im weltweiten Netz der Medien. Die globale Gleichzeitigkeit wird zur zentralen Zeiterfahrung.
  2. Die weltweite Medienvernetzung kommt dem menschlichen Streben und der menschlichen Sehnsucht nach möglichst schwereloser Überwindung von Raum und Zeit entgegen. Weniger diese Überwindung als solche, vielmehr ihre vermeintliche Mühelosigkeit macht die Faszination der neuen Medien aus. Angefangen mit dem Telefon, vorerst endend mit der digitalen Neuschöpfung der Welt im Cyberspace, erheben wir uns zu engelsgleichen Wesen. Geschöpfe, die die Barrieren von Raum, Zeit und Materie mühelos überwinden. Die Gesetze der Schwerkraft scheinen außer Kraft, wenn wir uns per Mausklick oder Fernbedienung die Welt auf den Bildschirm holen. Diese „Engelhaftigkeit“ unserer virtuellen Existenz versteckt und verdeckt die materiellen und naturgesetzlichen Bedingungen, denen auch die neuen Medien und ihr Gebrauch unterliegen.
  3. Die Informations- und Kommunikationsmedien sind nicht nur Teil unserer Nonstop-Gesellschaft; sie sind dafür mitverantwortlich. Die pausenlose Verfügbarkeit von Programmangeboten in Fernsehen und Radio ist heutzutage - nach Abschaffung des Sendeschlusses im Fernsehen und der Pausenzeichen im Radio - eine Selbstverständlichkeit. Das Internet ist ein „Ort“, zu dem man jederzeit Zutritt findet, sofern die technischen Voraussetzungen geschaffen sind. Die vielfältigen Formen moderner Telekommunikation ermöglichen ein Nonstop der Erreichbarkeit. Dadurch nehmen die individuellen Nutzungsspielräume entscheidend zu. Eine soziale Koordination des Medienumgangs und des Mediengebrauchs findet jedoch nur selten statt. Individuell sind die Freiheiten zweifelsohne größer geworden, aber kollektiv (z.B. politisch) werden diese Freiheiten nicht mehr abgesichert, so dass mit den Freiheiten auch die Zwänge zunehmen. Auf soziale Zeiten und Rhythmen, wie etwa das Wochenende oder den Wechsel von Arbeit und Ruhe, nehmen die Medien und ihre Nutzer keine Rücksicht mehr. Dies führt zur paradoxen Erfahrung: Je vernetzter und flexibler unsere Nonstop-Gesellschaft ist, desto isolierter sind ihre Mitglieder. Das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit geht einher mit einem wirklichen Verschwinden der Allmählichkeit.
  4. Die Medien, speziell jene, die wir als „neu“ bezeichnen, konfrontieren uns täglich mit höchst flexiblen Zeitformen. Diese Vielfalt der Medienzeiten ist jedoch nicht mehr an der zeitlichen Vielfalt der Natur orientiert. Die Medien orientieren sich z.B. nicht am Rhythmus der Jahreszeiten. Sie funktionieren im Sommer genauso wie im Winter, sie sind unabhängig von Helligkeit und Dunkelheit, Tag und Nacht. In einer globalisierten Medienwelt ist immer „was los“, ist immer alles taghell. Die Vielfalt der Zeitmuster, die wir in der Natur vorfinden, wird ergänzt und häufig auch ersetzt durch eine Vielfalt technisch/elektronisch produzierter Zeitmuster und Programmschemata. Durch diese Entkopplung von den Zeiten der Natur entsteht eine zivilisatorische Spannung zwischen der Welt der Medien einerseits und der kaum noch wahrgenommenen Natur andererseits. Trotz aller medialer Aufrüstung und Abschirmung sind und bleiben die Menschen jedoch Teil der Natur. Diese Zugehörigkeit zur Natur lässt sich „dank“ der Medien lediglich besser leugnen. Zumindest am Ende unserer Existenz werden wir sie akzeptieren müssen.

„Alles immer, überall und sofort“: Postmodernes Zeitverständnis

Eines modernen Tages, es ist noch nicht all zu lange her, erkannte man, dass „Flexibilisierung“ der treffende Ausdruck für jenes zeitliche Verhalten war, an dem es uns mangelte. Dies war der Anfang vom Ende einer sich ausschließlich an der Uhrzeit orientierenden Zeitordnung. Pünktlichkeit war nicht mehr allererste Bürgerpflicht. Ab sofort hatte man flexibel zu sein und ab sofort, durfte man auch flexibel sein. Das Zeitalter sozial fremdbestimmter Zeitorganisation schien damit an seinem Ende angekommen zu sein.
Flexibilisierung, Deregulierung und Globalisierung markieren als aufdringliche Hinweisschilder den Weg in eine neue Zeit-Epoche, für die man den nicht allzu ausdrucksstarken Begriff der „Postmoderne“ gefunden hat. Das Präfix „post“ macht dabei auf den Sachverhalt aufmerksam, dass die neuen, die flexiblen Zeiten der Preis sind, den wir für die überaus erfolgreiche moderne Zeit zu zahlen haben. Auf der anderen Seite ist diese zunehmende Flexibilität jedoch auch die radikale und die konsequente Weiterführung der modernen Zeit-Dynamik. Zwar sind wir nicht am Ende der Neuzeit angekommen, es beginnen aber neue Zeiten. Musste man sich während der Vormoderne in natürliche und kosmische Zeitvorgaben einfügen, so war man in der Moderne gezwungen, sich den herrschaftlich vorgegebenen Zeitmustern unterzuordnen. Heute nun stellt sich uns die Frage: In und mit welcher Zeit wollen wir leben? Nie zuvor in der Geschichte hatte in den Industrieländern eine so große Anzahl von Menschen soviel Entscheidungsfreiheit über die Zeit und deren Ordnung, aber nie zuvor hatten die Menschen auch eine solche Menge Entscheidungsprobleme damit.
Was unter „Postmoderne“ firmiert, beschreibt eine Epoche, oder besser: den Beginn einer Epoche, in der wir im Hinblick auf die Möglichkeiten unseres Umgangs mit „Zeit“ reicher geworden sind. In der Realität aber erleben wir eher das Gegenteil. Dort haben wir meist weniger Zeit als früher. Der Grund dafür liegt nicht zuletzt darin, dass wir die größeren Freiheiten gegenüber vorgegebenen Zeitordnungen nicht nur nutzen können, sondern auch gezwungen sind, sie zu nutzen. Das kostet Zeit. Mit der Eroberung neuer ungeahnter Möglichkeiten rasen wir nämlich auf immer auch neue Entscheidungsprobleme zu. So kommt es zu dem lästigen Zustand, dass man immer mehr Zeit braucht, um schließlich etwas mehr Zeit zu haben. Viele führen ihr Leben nur mehr als eine fortwährende Ablenkung, die, wie Kafka das vorausahnend formulierte, „nicht einmal zur Besinnung darüber kommen lässt, wovon sie ablenkt.“
Ein Fortschritt, der bei näherem Hinsehen nur halb so groß ist, wie er auf den ersten Blick aussieht. Bestes Beispiel dafür ist der Computer. Er ist eine Zeitsparmaschine, die viel, sehr viel Zeit kostet. Unlösbare Widersprüche und paradoxe Ausweglosigkeiten mehren sich. Um aus den Zeitzwängen herauszukommen, müssen wir uns zwingen, uns mit der Zeit zu beschäftigen. Und nicht nur mit dieser. Auch die Idee des Fortschritts, nach der Europa 250 Jahre gelebt hat, ist heute erschüttert.
Wir wissen: Morgen geht gestern nicht weiter. Aber wir wissen nicht: Wie soll’s weitergehen? Alle leben wir heute auf eigene Gefahr. Mithilfe von Zeitmanagementseminaren, durch Zeitplanbücher und Terminkalender, zunehmend auch in elektronischer Ausführung, werden Orte und Zeiten gesucht, in und an denen man verweilen kann und die dem raschen Veränderungsprozess entzogen sind. Trotzdem kommen wir vor lauter Schnelligkeit und sekundengenauer Zeitplanung zunehmend häufiger zu spät. Anlässlich seines hundertsten Geburtstages im Jahre 1990 hat der Sozialethiker Nell-Breuning seine Lebenserfahrung zwischen modernen und postmodernen Zeiten auf eine anschauliche Formel gebracht: In den zwanziger Jahren habe er von seiner Hochschule zum Frankfurter Hauptbahnhof 15 Minuten benötigt, heute „nur“ noch gut 25 Minuten. Die Widersprüche sind offensichtlich, und sie verschärfen sich. Ihre Auflösung wird immer unwahrscheinlicher. Der Alltag zeigt es nur allzu deutlich. Größere Entscheidungsfreiheiten der Einzelnen und die Zunahme von Mobilitätsmöglichkeiten, das sind die attraktiven Seiten der sich abzeichnenden neuen Zeitordnung. Die Ablösung von entlastenden, traditionellen, naturnahen und sozialen, zeitlichen Orientierungsmarken, sowie das Anwachsen des Entscheidungsstresses, sind der Preis dafür. Getrieben durch die Geschäfte und die Geschäftigkeit des Alltags machen wir uns auf die Suche nach der gewonnenen Zeit. Bis wir schließlich - all der Hetze müde - fragen: Lohnen sich eigentlich die Zeitgewinne, zahlt sich der Aufwand aus, den wir mit der „Zeit“ betreiben? Angesichts der sichtbaren und spürbaren Verluste an Zeit, Lebensqualität und ökologischer Balance gibt es auf diese Fragen keine eindeutige Antwort mehr.
Die Idee der Moderne, dass die Welt, insbesondere die Menschen und die Dinge darin, stetig besser würden, diese Idee hat in der jüngsten Geschichte zu viele Rückschläge erlitten, als dass sie sich heute noch uneingeschränkter Zustimmung erfreuen könnte. Nicht zu übersehen ist jedoch, dass diese Unsicherheiten, und Uneindeutigkeiten (manche sprechen von „Chaos“) auch neue Möglichkeiten eröffnen. Sie befreien von falschen Eindeutigkeiten und zeigen Wege für alternative, hoffentlich auch bessere Ordnungen auf. Um den Blick auf diese zu öffnen, muss man ihn zuerst auf die Merkmale des gegenwärtigen Wandels richten.
Fünf Charakteristika sind es, anhand derer sich die strukturellen Veränderungen vom modernen zum postmodernen Zeitalter charakterisieren lassen:

Erstens: Der Rhythmus des Sozialen löst sich auf

Zwar hat die Moderne das Zeitverhalten der Menschen aus der engen und einschränkenden Verknüpfung mit den Prozessen der Natur, Gottes Willen und der kirchlichen Lehrmeinung befreit, doch wurde mit diesem Schritt der Umgang mit der Zeit für die Menschen nicht zu einem Akt freier Wahl. Die Zeitkultur der Moderne setzte andere, insbesondere selbst gemachte Traditionen, Rituale und Zeremonien an die Stelle der vormodernen Vorgaben. Einflussreiche Männer, Landesfürsten, Unternehmer und kirchliche Würdenträger strukturierten das zeitliche Verhalten der Bevölkerung, indem sie verbindliche Standards setzten. Sie schrieben die Länge der Arbeitstage vor und entschieden damit auch über die Dauer der arbeitsfreien Zeit. Sie bestimmten ehemals die Feier- und die Festtage. Auch heute tun sie es noch, inzwischen als demokratisch legitimierte Machthaber. So z.B. bei der Einführung der Sommerzeit. Sie entscheiden, zu welchem Zeitpunkt wir jene Stunde, die uns im Frühjahr genommen wird, im Herbst wieder zurückerhalten. Auch die Befriedigung unserer Konsumbedürfnisse wird per Parlamentsbeschluss zeitlich eingeschränkt, durch Regelungen von Ladenöffnungszeiten. Diese temporalen Standardisierungen gaben und geben immer noch, heute meist in der Form von Vorschriften, einen für das Zeitverhalten der Menschen stabilisierenden, aber auch einschränkenden Rahmen ab. Sie waren und sind Fixpunkte im Fluss der Zeit und ermöglichen die Rhythmisierung des Alltags und die des Lebenslaufes. Die Programmpunkte heutiger Veränderungsabsichten lauten: Flexibilisierung, Deregulierung und Entstandardisierung. Sie setzen die in der Moderne entstandenen Zeitformen und Zeitvorstellung einem radikalen Wandel aus. Zeitliche Bindungen sollen, so die Absicht dieses postmodernen Programms, nicht mehr aus der Vergangenheit übernommen werden, sie sind jeweils aktuell zu entscheiden und immer wieder neu herzustellen. Deregulierung und Destandardisierung fördern dabei die Flexibilisierung der sozialen und der individuellen Zeitrhythmen. Wenn es nicht so bleibt, wie es war und auch nicht so, wie es ist, dann steigt der Druck, die Zeitmaße selbst finden zu müssen oder zu lernen, ohne orientierendes Zeitmaß leben zu können. Dass dies ein anderes Leben und eine andere Zeitkultur als jene ist, die in der Moderne auf den Weg gebracht wurde, zeigt der postmoderne Alltag: Kalender werden durch Zeitplanungssysteme ersetzt. Die Funktion der Uhren übernehmen Mobiltelefone.

Zweitens: Die Individualisierung von Zeitordnungen

„Selbstbedienung“ ist das flächendeckend anzutreffende Handlungsmodell der Postmoderne - auch gegenüber der Zeit und deren Maße. Die Einzelnen müssen ihre je eigene Zeit und deren Ordnung täglich neu „erfinden“. Dies lässt sich zweifelsohne als Gewinn von Zeitsouveränität interpretieren. Der Preis dafür besteht jedoch in dem Zwang, allzeit zeitsouverän sein zu müssen, auch wenn man es nicht kann oder nicht will. Dieser Sachverhalt aber schränkt die Zeitsouveränität wieder ein. Heute existieren kaum mehr gesicherte Grundlagen der Zeitordnung, und wenn überhaupt dann nur kurzfristig. Es gibt keine sozial festgelegte richtige und auch keine falsche Zeit mehr. Die einzelnen Individuen können und müssen, je nach Situation, selbst bestimmen, welche Zeit richtig und welche falsch ist. Damit übernehmen sie auch die Konsequenzen für ihre jeweils selbst hergestellte Zeitordnung. Neben einem Zuwachs an Entscheidungsfreiheit führt dies zu größeren und umfangreicheren Zeitkonflikten, zu mehr Unsicherheiten und zum Anwachsen des zeitlichen Orientierungsbedarfes.

Drittens: Die Zeitkonflikte nehmen zu

Durch die Individualisierung der Zeitordnungen steigt die Vielfalt neuer Erlebnis- und Erfahrungsmöglichkeiten. Diese lassen sich durch das systematische Ausschöpfen der Beschleunigungspotentiale des Individualverkehrs - das Auto sieht nach dem inzwischen massenhaft genutzten Zugang zum Internet inzwischen ziemlich alt aus - weiter erhöhen. Aber jeder Stau, jede Unterbrechung, jede Störung bringt uns in unserem zeitlich „ausoptimierten“ Alltag in Zeitkonflikte. Flughäfen, die hektischen Marktplätze der Postmoderne, sind dafür die geeigneten Beobachtungsobjekte. Nirgends wird häufiger gewartet, herumgestanden, nirgendwo wird mehr gehetzt und gehastet als an diesen flüchtigen Orten. Nirgends auch wird deutlicher, wie mobilitätsbedingte Zeitgewinne in Zeitverluste umschlagen, und wie die Schnelligkeit den Zeitdruck auf die Beschleunigung von Anschlusshandlungen erhöht. Symptomatisch dafür ist der hektische Manager, der von einem 14-tägigen Meditationskurs aus einem nepalesischen Kloster kommend, das Bodenpersonal wegen eines verpassten Anschlussfluges erregt beschimpft.
Das Gefühl, etwas zu versäumen, steigt mit wachsender Wahlfreiheit und steigenden Wahlmöglichkeiten. Immer mehr findet gleichzeitig statt und auch immer mehr zu einem Zeitpunkt, zu dem man schon etwas anderes vorhat. „Zeit haben“ heißt unter diesen Bedingungen, immer zu wenig Zeit zu haben. Die Möglichkeiten, die wir uns zusammenrasen, sind immer auch erhetzte zeitraubende Entscheidungsprobleme. So werden wir zunehmend häufiger Opfer unserer eigenen Zeitfreiheit. Nicht mehr die Zeit, unsere Zeitfreiheit beherrscht uns.

Viertens: Privatisierung der Zeitkoordination

Wenn Zeitordnungen in die Verfügungsgewalt von Einzelpersonen übergehen, wird die Zeitkoordination zu deren Aufgabe. An die Stelle von natürlichen und sozialen Rhythmen, tritt die von den Subjekten zu leistende Synchronisation der unterschiedlichen Zeitordnungen. Wenn Zeitordnung nicht mehr durch soziale Herrschaft oder Natur hergestellt wird, muss sie zwischen den Individuen - wollen diese nicht vereinzelt leben - ausgehandelt werden. Das benötigt viel Zeit und provoziert den Wunsch nach Beschleunigung. Dieser ist ja nichts anderes als die Hoffnung, Zeit sparen zu können. Deshalb werden Verabredungen heute gerne per Mobiltelefon vereinbart und nicht selten ersetzt das Telefongespräch auch den ehemals gemeinsam verplauderten Genuss einer Flasche guten Weines. Den gewachsenen Aufwand, der mit der Suche nach gemeinsamer Zeit einhergeht, bekommen insbesondere jene Gemeinschaften und Vereine zu spüren, die sich der Geselligkeit verschrieben haben. Sie müssen um ihre Mitglieder fürchten. So verloren beispielsweise viele Sportvereine Mitglieder an die rund um die Uhr zugänglichen Fitness-Studios. Dort kann man sich - so eine Formulierung des Wiener Kaffeehausspezialisten Polgar - in Gesellschaft alleine fühlen. Der Wunsch, sich vom steigenden zeitlichen Koordinationsaufwand zu entlasten, ist verständlich; aber er ist auch illusorisch, wenn man die wachsenden Möglichkeiten, speziell die des Dienstleistungsbereiches, wirklich nutzen will. So müssen beispielsweise heute die unterschiedlichen Lernangebote für die Kinder die vielfältigen Freizeitofferten und die Attraktionen des Fernsehprogramms privat zeitlich koordiniert werden.
Die verschiedenen Öffnungszeiten von Supermärkten, Kindergärten, Beratungsangeboten und Einwohnermeldeämtern muss man irgendwie „auf die Reihe“ bekommen. Alle - ob wir das wollen oder nicht, - alle müssen wir zu Zeitmanagern und Zeitmanagerinnen werden. Nicht selten wird dabei die Qual der Wahl zur Wahl einer Qual. Und diese heißt immer öfters: Sich noch mehr Zeit für die Zeitkoordination nehmen zu müssen.

Fünftens: Der Aufwand an Zeitkoordination steigt

Als Unternehmer unserer eigenen Lebenszeit sind wir dazu verurteilt, diese Lebenszeit ohne Unterlass zu organisieren, zu optimieren und zu kontrollieren. Das ist aufwendig, das kostet Zeit, meist jene Zeit, die nicht in Geld verrechnet werden kann. Die reichhaltige Güterausstattung, die wir uns nicht zuletzt durch eifriges Zeitsparen erarbeitet haben, sie benötigt Zeit, sowohl für ihren fachgerechten Gebrauch, ihre Wartung und schließlich auch für ihre Entsorgung. Allein die Trennung der unterschiedlichen Abfallsorten gelingt kaum mehr ohne systematischen Lernprozess im Hinblick auf ein erfolgreiches Trennungsmanagement; und wenn man dann die unterschiedlichen Müllabholtermine mit den anderen unabdingbaren Tätigkeiten des Alltags in Einklang gebracht hat, erfährt man, wie anstrengend und zeitraubend der heutige Zeitkoordinationsaufwand ist. Familien mit halbwüchsigen Kindern und einem Fernsehapparat mit 53 Programmen, stellen zweifelsohne die geeigneten Studienobjekte für Belastungsanalysen postmoderner Zeitkoordination dar. Sie erleben den Widerspruch zwischen dem Glück, das ihnen durch die vielen Möglichkeiten offeriert wird und ihrem eigenen Unglücklichsein, wenn sie diese Möglichkeiten nutzen wollen. Sie erfahren, wie der Kauf eines Fernsehgerätes die Zeit des in die Ferne Sehens beschränkt, weil die Zeit damit zugebracht werden muss, das Nahe auf die Reihe zu bringen. Auch all jenen, die lieber alleine leben, um die Möglichkeiten des Arbeits- und des Erlebnismarktes ausnutzen zu können, geht es nicht viel besser. Die hochflexiblen jungen Menschen, die mehr oder weniger gezwungen werden, durch das „Job-Surfen“ ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, sind zu kaum leistbaren Koordinationsanstrengungen verurteilt: Morgens Textverarbeitung, mittags Bedienung am Tresen des Schnellimbissrestaurants, nachmittags zwei Stunden Arbeit im Szenekaffee, abends noch schnell einen Artikel für die Stadtzeitung schreiben und nachts hin und wieder Taxifahren. Das lässt sich nicht so einfach unter einen Hut bringen, das „kostet“ Zeit - nicht selten ist das dann mehr Zeit als die Arbeitszeitverkürzung und die allseitige Beschleunigung eingebracht haben. So kommt es zu dem lästigen Zustand, d...

Inhaltsverzeichnis

  1. Postmoderne Zeitgeber: