Der Wert des Lebens
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Der Wert des Lebens

Politische Theorie / Philosophie

  1. 12 Seiten
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Der Wert des Lebens

Politische Theorie / Philosophie

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Über dieses Buch

Welchen Wert hat individuelles, menschliches Leben? Zunächst steht die subjektive Perspektive, in der wir Risiken für unser Leben eingehen und damit implizit eine Bewertung vornehmen. Diese subjektive Perspektive ist allerdings mit einer ganzen Reihe von Problemen verbunden, darunter dem, was überhaupt als vergleichbar gelten kann.Dem wird eine objektive Perspektive gegenüber gestellt, wonach das menschliche Leben extern betrachtet einen bestimmten Wert habe, was ebenfalls zu Aporien führt. Aufgrund dieses negativen Ergebnisses plädiert dann der Referent für eine deontologische Konzeption, die nicht auf den Wert des Lebens selbst, sondern auf die Regeln des Umgangs mit individuellem menschlichen Leben Wert legt, wobei die Autonomie der einzelnen Person, ihre Autorschaft und Eigenverantwortung im Mittelpunkt stehen.

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Information

Das Wissen dieser Welt aus den Hörsälen der Universitäten.
Fachbereich
POLITISCHE THEORIE / PHILOSOPHIE
Der Wert des Lebens
Von Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin

Was macht den Wert menschlichen Lebens aus?

Was ist der Wert des Lebens? Das ist eine der vielleicht schwierigsten Fragen, vor allem der Philosophie natürlich, aber auch der öffentlichen Debatten. Denken Sie zum Beispiel an die Frage: Soll der ADAC weitere Rettungshubschrauber anschaffen? Das ist sicher auch eine ökonomische Frage für den ADAC, aber möglicherweise auch eine ethische, nämlich: Was ist eigentlich die Rettung eines menschlichen Lebens wert? Oder, um es provokativ zu formulieren: Lohnt es sich eigentlich, soviel Geld auszugeben, um ein zusätzliches Menschenleben zu retten?
In der Medizin hat es sich eingebürgert, einen bestimmten Maßstab zu verwenden, die sogenannten Qualys. Das sind Lebensjahre, die allerdings bewertet werden nach der Qualität dieser Lebensjahre, im Englischen „quality adjusted life years“, und danach werden die Kosten gewichtet, beurteilt, die in der Medizin eingesetzt werden. Wie viele Euro kostet ein zusätzlicher Qualy? Das ist sehr unterschiedlich von Maßnahme zu Maßnahme und entsprechend inkohärent – könnte man sagen – ist das Gesundheitssystem insgesamt. Die Kosten mancher lebensverlängernden Maßnahmen sind es uns wert, andere lebensverlängernde Maßnahmen sind es uns nicht wert. Das gilt insbesondere für die kostengünstigen Vorsorgemaßnahmen, die relativ gering beachtet werden, im Gesundheitswesen insgesamt. Aber wir wollen jetzt nicht primär über Medizinethik sprechen, sondern eine philosophische Frage klären: Was macht eigentlich den Wert des menschlichen Lebens aus? Und wir tasten uns da vorsichtig heran.

Die Ablebenswahrscheinlichkeit

Beginnen wir mit einer einfachen Fragestellung: Was ist dir eigentlich dein Leben wert? Die meisten werden eine solche Frage an sich gerichtet, empört möglicherweise, zurückweisen und sagen: Was ist denn das für eine merkwürdige Frage. Ich bin natürlich nicht bereit, mein Leben dranzugeben, mein Leben aufzugeben, welchen Betrag auch immer du mir anbietest.
Jetzt kommt der Entscheidungstheoretiker oder der Ökonom und sagt, ja das scheint dir so, aber möglicherweise verhältst du dich ganz anders. Dein Verhalten zeige, wird er vielleicht sagen, welchen Wert du deinem eigenen Leben beimisst. Illustrieren wir das an einem Beispiel: Sie haben sich entschieden, Drachen zu fliegen. Drachenfliegen gehört neben einigen anderen Risikosportarten wie Reiten und Tauchen zu denjenigen, bei denen doch eine beträchtliche Erhöhung der Ablebenswahrscheinlichkeit pro Jahr registriert ist. Das ist statistisch erhärtet, das heißt, mit jeder Stunde Drachenfliegen oder mit jeder Stunde Tauchen oder jeder Stunde Reiten, erhöhen Sie die Wahrscheinlichkeit, bei dieser Aktivität zu Tode zu kommen. Und wenn Sie jung und gesund sind, dann verändert das die Wahrscheinlichkeit zu Sterben doch in beträchtlicher Weise, kann das zum Beispiel verdoppeln. Das ist ja immerhin eine deutliche Veränderung.
Ich will das kurz quantitativ erläutern: Menschen werden im Schnitt, sagen wir ganz grob, um es einfach zu rechnen, 100 Jahre alt. Das heißt, wenn die Wahrscheinlichkeit pro Jahr, zu Tode zu kommen, jedes Jahr gleich hoch wäre, was natürlich nicht der Fall ist, dann hätten wir eine Wahrscheinlichkeit pro Jahr, zu Tode zu kommen, von einem Hundertstel. Oder – Erinnerung an den Mathematikunterricht – von 10–2.
Wenn Sie alt und gebrechlich sind, an Krankheiten leiden, die möglicherweise zum Tode führen, dann erhöht sich diese Wahrscheinlichkeit und zwar um gewaltige Beträge. In hohem Alter bewegt sich das so in einer Größenordnung der Wahrscheinlichkeit ein Zehntel. Sie haben also eine Wahrscheinlichkeit zu Tode zu kommen pro Jahr von 10–1.
Betrachten wir jetzt nur einmal diejenigen, die gesund sind, die keine Suizidneigung haben. Die häufigste Todesursache in bestimmten Altersgruppen ist der Suizid. Verkehrsunfälle, auch Unfälle im Haus oder bei sportlichen Aktivitäten, spielen in dieser Altersgruppe eine erstaunlich große Rolle im Vergleich zu Todesfällen aufgrund von Krankheiten. Das heißt, es sind zum großen Teil auch Todesfälle, die durch eigenes Verhalten sehr stark beeinflusst werden können. In dieser Altergruppe bewegt sich die Wahrscheinlichkeit normalerweise auf einem sehr, sehr niedrigen Niveau.
Es gibt übrigens einen sehr interessanten Unterschied zwischen Mann und Frau. Junge Männer neigen dazu, sich riskanter zu verhalten, insbesondere ab der Pubertät bis Mitte 20. Unterschiedlich von Kultur zu Kultur, ist auch dort, wo es nicht gerade Bürgerkriege oder Kriege gibt, die Wahrscheinlichkeit, als Mann zu Tode zu kommen, sehr viel höher als die der Frau. Das gilt übrigens schon unmittelbar nach der Geburt. Auch dort ist die Wahrscheinlichkeit, dass männliche Neugeborene sterben höher als die der weiblichen Neugeborenen, jedenfalls in den westlichen Industrieländern.
Sagen wir einmal vereinfacht, Sie haben eine Wahrscheinlichkeit, zu Tode zu kommen von einem Zehntausendstel pro Jahr. Wenn sie jung und gesund sind, ist das durchaus realistisch. Und jetzt beginnen Sie eine Sportart, die Sie intensiv betreiben, und für die gilt, dass jeder Zehntausendste pro Jahr zu Tode kommt. Dann verdoppeln Sie die Wahrscheinlichkeit, im nächsten Jahr zu Tode zu kommen – allein aufgrund der Wahl dieser Sportart.

Das monetäre Maß des Lebens

Soweit so gut. Jetzt kommt der Entscheidungstheoretiker und sagt: Wie viel ist dir denn diese Sportart wert? Das heißt, angenommen ich biete dir einen Betrag an, ab welcher Höhe würdest du zugunsten dieses Betrages auf die Sportart verzichten. Da kommt ein bestimmter Betrag heraus. Vermutlich bei jedem, es mag den einen oder die andere geben, die sagen: Mir ist das völlig egal, ich betreibe diese Sportart in jedem Fall. Du kannst mir anbieten, was du willst, das ist mir völlig egal, das ist Teil meines Lebens. Aber vermutlich werden die meisten doch ab einem bestimmten Betrag sagen: Na ja, das ist es mir wert, in diesem nächsten Jahr auf die Ausübung dieser Sportart zu verzichten.
Sagen wir einmal, das sind 5.000 Euro. Ab 5.000 Euro, sagen Sie, verzichte ich auf diese Sportart zugunsten dieses Betrages. Damit haben sie jetzt etwas, was in der Ökonomie als „monetäres Maß“, als monetäre Bewertung einer Aktivität definiert ist. Das heißt, die Aktivität, in unserem Falle Drachenfliegen, ist Ihnen also über das Jahr gerechnet diese 5.000 Euro wert.
Jetzt betrachten wir den Vergleich mit dem Risiko, zu Tode zu kommen. Sie haben dieses höhere Risiko, zu Tode zu kommen, durch Drachenfliegen. Angenommen Sie wissen, wie wahrscheinlich es ist, dass sie zu Tode kommen, das heißt sie gehen dieses Risiko bewusst ein. Dann wissen wir, dass Ihnen diese Erhöhung Ihrer Todesfallwahrscheinlichkeit im nächsten Jahr um ein Zehntausendstel oder, wenn Sie jung und gesund sind, die Verdoppelung ihrer Todesfallwahrscheinlichkeit weniger bedeutsam erscheint als diese 5.000 Euro.
Wenn wir jetzt noch einige Annahmen machen, zum Beispiel die, dass die Wahrscheinlichkeit Ihres Ablebens proportional ist zur Bewertung, die Sie da vornehmen, dass also in dem Falle, dass es doppelt so wahrscheinlich wird, dass Sie im nächsten Jahr zu Tode kommen, es dann auch doppelt so schlecht für Sie ist und Sie entsprechend auch bereit wären, um diesen Nachteil zu vermeiden, einen doppelten Geldbetrag zur Verfügung zu stellen, dann können wir jetzt grob rechnen: Ein Zehntausendstel war die Wahrscheinlichkeit, zu Tode zu kommen, wie viel Wert ist dann Ihr Leben, dokumentiert durch Ihr konkretes Verhalten, nämlich durch Ihre Bereitschaft, Drachen zu fliegen – die Bereitschaft, auf Drachenfliegen zu verzichten, wenn sie 5.000 Euro bekommen – na ja, 5.000 Euro mal 10.000. Das ist ein gewaltiger Betrag, ein Betrag den normalerweise ein Mensch im Leben nicht verdient. Wir sind ja da bei 100 Millionen Euro insgesamt und man könnte nun sagen, Sie haben jetzt durch Ihr Verhalten gezeigt, dass das die Größenordnung ist, in der Sie Ihr Leben bewerten.
Nun tauchen hier eine Reihe weiterer Fragen auf, einige wenige wollen wir uns wenigstens noch klar machen. Das eine ist die Frage: Was hat das eigentlich für eine Relevanz. Interessiert diese merkwürdige Berechnung, die wir gerade vorgenommen haben?

Der Umgang mit dem eigenen Leben

Angenommen, Sie haben die Aktivität des Drachenfliegens. Sie überqueren andererseits die vielbefahrene Straße vor Ihrer Haustür, gehen nicht den Umweg bis zur nächsten Ampel und warten dort nicht warten ab, bis sie auf grün geschaltet ist. Auch das erhöht die Wahrscheinlichkeit Ihres vorzeitigen Ablebens. Angenommen, Sie schnallen sich nicht an, obwohl es auch hier klare statistische Befunde gibt, die dafür sprechen, dass angeschnallt fahren die Wahrscheinlichkeit, zu Tode zu kommen, verringert usw.
Es könnte sein, dass jeweils – dieselbe Rechnung angestellt, wie wir gerade versucht haben – ein ganz anderer Betrag herauskommt. Einmal kommt vielleicht der genannte heraus und einmal einer, der nur ein Bruchteil ist, vielleicht Hundert mal kleiner ist. Wenn dem so wäre, kann man auf zweierlei Weisen reagieren. Man kann entweder sagen: Diese Art der Bestimmung des subjektiven Wertes des eigenen Lebens ist völlig irrelevant. Oder man kann sagen: Offenkundig gehen Sie mit Ihrem eigenen Leben nicht in kohärenter Weise um. Einmal legen Sie großen Wert darauf, Ihr Leben nicht zu riskieren und das andere Mal legen Sie einen geringen Wert darauf. So dass Sie insgesamt eine irrationale Praxis im Umgang mit ihrem eigenen Leben haben.

Inkommensurable Güter

Da wendet jetzt der Philosoph ein sehr grundsätzliches Argument ein. Er sagt, das ist zwar ökonomische Praxis, es ist Praxis in der ökonomischen Theorie, in dieser Weise den subjektiven Wert zu bestimmen, auch den subjektiven Wert des eigenen Lebens. Aber dies übersieht, dass es Güter gibt, die nicht vergleichbar sind, die inkommensurabel sind, die sich nicht miteinander vergleichen lassen. Ich bin nicht bereit, Leben einerseits – mein eigenes oder vielleicht das Leben anderer Menschen – mit Geld zu gewichten, zu bewerten. Ein entsprechendes monetäres Maß anzuwenden auf die Frage von Leben und Tod. Der angemessene Umgang mit diesen beiden Gütern ist, dass sie ganz unterschiedlich sind. Dass das eine Gut etwas ist, was natürlich letztlich alles ausmacht, von dem alles andere abhängt, weil ohne dieses Gut des eigenen Lebens alle anderen Güter nichts sind.
Das andere Gut dagegen, das Geld, ermöglicht die Vergleichbarkeit von Waren, zum Beispiel auf dem Markt. Man kann sich entscheiden, mit einem gewissen Betrag diese oder jene Ware zu kaufen. Auf dem Markt wird eine Art Bewertung vorgenommen, das heißt die Güter bekommen einen Betrag zugeordnet und wir entscheiden uns dann entsprechend, wir vergleichen Güter gegeneinander, indem wir auf dem Markt bestimmte Geldbeträge zur Verfügung stellen.

Leben, körperliche Unversehrtheit und Liebe sind nicht marktgängig

Aber auf dem Markt ist nicht alles käuflich. Da wird nicht jedes Gut, jeder Wert verkauft. Und die Tatsache, dass das menschliche Leben nicht marktgängig ist, nicht marktfähig ist, außer in Mafiafilmen und vielleicht in der Realität zynischer, mit Menschenleben handelnder Organisationen, macht gerade die Humanität einer Gesellschaft aus. Das Leben ist nicht marktgängig. Ebenso nicht die körperliche Unversehrtheit, sie ist nicht marktgängig. Leben, körperliche Unversehrtheit gehören zu den individuellen Rechten, die jede einzelne Person hat. Jede einzelne Person verfügt über ihr eigenes Leben, über ihren eigenen Körper, sie ist gewissermaßen Eigentümerin ihres Lebens und ihres Körpers. Sie kann sich entscheiden, dies dranzugeben, sie kann Risiken eingehen, ja sogar der Suizidversuch ist nicht mehr strafbar, was zeigt, dass die Rechtsordnung akzeptiert, dass wir Eigentümer unseres eigenen Lebens sind.
Menschen können sich weigern, lebensrettende Behandlungen zu akzeptieren. Sie können „nein“ sagen, auch wenn dies definitiv zu ihrem vorzeitigen Tod führt. Wir verfügen über unser Leben, wir verfügen über unseren Körper, aber das heißt nicht, dass wir sie zur Ware werden lassen, mit der gehandelt werden kann. Die einen monetären Wert, der mit anderen normalen, handelbaren Gütern vergleichbar ist. Das Leben hat in dieser Hinsicht eine inkommensurablen, einen unvergleichlichen, unvergleichbaren Wert und ist sicher nicht das einzige Gut, für das dies zutrifft.
Liebe, jedenfalls die Liebe, in der es in erster Linie geht um Gefühle und nicht lediglich um die körperliche Vereinigung, ist nicht handelbar. Liebe wird nicht verkauft und gekauft. Liebe ist etwas, das man gewissermaßen ohne Nutzenabwägungen empfindet, das insofern ebenfalls keinen Warencharakter hat. Also spricht dies dafür, Leben wie Liebe und vieles andere in den Bereich derjenigen Güter zu stellen, die keine geldwerten Äquivalenzen haben, die also nicht durch Geld aufgewogen werden können.

Abwägungen in Grenzsituationen

Das komplexe Verhältnis zwischen dem subjektiven Wert, den das Leben für uns hat, das sich in unserer Praxis äußert, ob wir leichtfertig mit unserem Leben umgehen oder weniger leichtfertig, und dem objektiven Wert des Lebens, das also von anderen Externen zu bestimmen sein müsste, zeigt sich in einer besonders dramatischen Weise für viele Menschen jedenfalls am Lebensende. Moribunde Personen, also Personen, die sterben werden, bei denen aber noch nicht feststeht, zu welchem Zeitpunkt sie sterben werden, die also in relativ naher Zukunft wissen, dass ihr Tod droht, die aber die Zeitspanne noch beeinflussen können, stehen oft vor der schwierigen existenziellen Abwägung, in welchem Umfange sie zum Beispiel Schmerzmittel einsetzen oder den Arzt ermächtigen sollen, Schmerzmittel einzusetzen, wohlwissend, dass ab einer bestimmten Dosierung diese Schmerzmittel zu einen früheren Tod als einer Nebenfolge führen. Wenn dies intendiert wäre, wenn das die beabsichtigte Wirkung der Vergabe der Schmerzmittel ist, dann ist das in Deutschland aufgrund von Gesetzen verboten, das wäre aktive Sterbehilfe. Wenn es jedoch eine nicht intendierte Nebenfolge ist, so wird üblicherweise argumentiert, das heißt etwas, das man nicht beabsichtigt, das man aber in Kauf nimmt, dann ist das zulässig und das geschieht viel tausendfach in deutschen Kliniken.
Menschen, die sich dieser Situation bewusst sind, entscheiden also indirekt zwischen der Qualität, nämlich der besseren Qualität ihrer noch verbliebenen Lebensspanne und der Dauer ihres Lebens. Das heißt, sie nehmen gewissermaßen eine Abwägung vor: Wie viel ist es mir wert, einen weiteren Tag oder weitere Tage zu leben? Ist es mir wert, dies mit Schmerzen zu erkaufen, mit einem höheren Maß an Schmerzen zu erkaufen?
Das Gleiche gilt oft bei Beginn einer Krebserkrankung oder nach einer Diagnose sehr grundsätzlich. Auch dort gibt es Patienten, die bewusst auf Jahre, ja möglicherweise sogar auf das Überleben, das aufgrund der Statistiken möglich wäre, verzichten, um noch einige gute Monate leben zu können. Auch das kann man dieser Person nicht nehmen. Sie kann diese Entscheidung für sich selbst treffen. Das heißt, sie nimmt in solchen existenziellen Situationen Abwägungen vor – das sind Grenzsituationen, die für die Person selbst und auch für ihre Angehörigen schwer erträglich sind – zwischen dem Wert einer weiteren zu lebenden Spanne, einer Frist auf der einen Seite und der Qualität ihres Lebens. Dies ist eine subjektive Abwägung, die jede Person für sich treffen kann, eine Abwägung, die sofern die Person bei Bewusstsein ist, ihr auch niemand abnehmen kann.

Konflikt zwischen stoizistischem und christlichem Ethos

Was ist aber mit den Personen, die nicht mehr in der Lage sind, zu entscheiden, zum Beispiel weil sie schon eine Bewusstseinstrübung erfahren haben, weil sie nicht mehr voll zurechnungsfähig sind, weil sie die komplexen medizinischen Zusammenhänge nicht verstehen? In diesen Fällen müssen andere entscheiden. Es ist gewissermaßen ein ganz elementarer und zentraler Bestandteil des Ethos des Arztes, des medizinischen Ethos, dass man alles tut, um das Leben von Menschen zu erhalten. Es wiederspricht dem Ethos des Mediziners, Leben zu verkürzen. Oft sind es die Angehörigen, die die Qualen sehen und verkürzen wollen und es sind die Mediziner, die dann dafür plädieren, doch möglichst alles zu tun, damit dieses Leben verlängert wird.
Das sind schwierige Konflikte und im Falle der über viele Jahre hinweg komatösen Eluana und vieler anderer Betroffener, führt das sogar vor Gericht zu entsprechenden Auseinandersetzungen, bei denen die Angehörigen die Klinik auffordern, die lebensverlängernden Maßnahmen zu beenden. In diesen Falle, bei komatösen Patienten, geht es auch nicht mehr darum, Qualen abzukürzen, sondern einen hoffnungslosen Zustand, einen Zustand, der zu einem immer weiteren körperlichen Verfall führt, der nie mehr ins Bewusstsein zurückführen kann, zu beenden und gewissermaßen den natürlichen Eintritt des Todes nicht zu blockieren.
Es gehört zu den Merkwürdigkeiten der öffentlichen Diskussion, dass dabei zwei Grundhaltungen in Konflikt geraten, nämlich auf der einen Seite eine in unserer Rechtsordnung, in unserer Gesellschaft, in unserer westlichen, liberalen, individualistischen Gesellschaft weit verbreiteten Haltung, nämlich die Person entscheidet selbst. Und wo sie nicht selbst entscheiden kann, entscheiden die Angehörigen. Autonomie und Würde, auch angesichts des eigenen Todes.
In der Stoa der Antike war sogar die Haltung charakteristisch, dass die Fähigkeit, den Todeszeitpunkt selbst zu bestimmen, die besondere Würde des Menschen ausmacht, dass man sich nicht einem Prozess ausliefert, der dann nicht mehr steuerbar ist. Das ist eine tiefverankerte Haltung in unserer Kultur und der steht eine andere Haltung gegenüber, die bei allen Ähnlichkeiten zwischen Stoa und Christentum, zwischen stoizistischer – zumindest römisch-stoizistischer – Ethik auf der einen Seite und christlichem Ethos auf der anderen Seite doch einen deutlichen Gegensatz darstellt, nämlich die christliche Vorstellung, dass man sein Schicksal erdulden müsse, dass Gott einem Prüfungen auferlegt, das auch die eigenen Sünden und die Sünden der Vergangenheit abgebüßt werden durch eigenes Leid, dass man sich dagegen nicht auflehnen darf.
Diese beiden Grundintuitionen – gewissermaßen die demütige Hinnahme des Schicksals mit allen Konsequenzen auf der einen Seite und die Gestaltung des eigenen Lebens bis zuletzt auf der anderen Seite – stehen in einem schwer auflösbaren Konflikt miteinander. Und es ist oft die katholische Kirche, die sich gegen die von der Humanität geforderten Erleichterungen wendet, die nicht zustimmt, wenn Menschen, die unheilbar krank sind und deren Schmerzen immer größer werden, um einen gnädigen Tod bitten oder wenn dieser gnädige Tod gewährt wurde, das Begräbnis auf den Friedhöfen nicht zulassen.
Hier geraten Humanität, Selbstbestimmung auf der e...

Inhaltsverzeichnis

  1. Was macht den Wert menschlichen Lebens aus?