Utopia
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Verfügbar bis 7 Nov |Weitere Informationen

Utopia

  1. 176 Seiten
  2. German
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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Thomas Morus' 'Utopia' ist der Entwurf einer idealen Gesellschaft, die auf sozialer Gerechtigkeit für alle Menschen, dem Streben nach Bildung, gemeinschaftlichem Besitz und demokratischen Grundzügen beruht. Aber kann ein solch gerechtes Staatswesen überhaupt existieren? Diese Frage beschäftigt auch heute noch Ökonomen, Philosophen und Schriftsteller.

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Information

|13|DER UTOPIA
ERSTES BUCH
|15|
Als der unbesiegbare König Heinrich von England, seines Namens der Achte, geschmückt mit allen Tugenden eines ausgezeichneten Fürsten, vor kurzem einen nicht geringfügigen Streit mit Karl, dem durchlauchtigsten Fürsten von Kastilien, hatte, ordnete er, diesen beizulegen, mich als Sprecher nach Flandern ab und gab mir den unvergesslichen Cuthbert Tunstall als Begleiter mit, den er unter dem größten allgemeinen Beifalle zum Großarchivar ernannt hatte, zu dessen Lobe von mir nichts gesagt werden soll, nicht weil ich befürchtete, dass das Zeugnis meiner Freundschaft wenig Glauben verdiente, sondern weil sein Charakter und seine Gelehrsamkeit über mein Lob erhaben sind und seine Berühmtheit so groß ist, dass sie erhöhen wollen, die Sonne mit der Laterne beleuchten hieße, wie das Sprichwort lautet.
In Brügge trafen wir, der Verabredung gemäß, die Abgesandten des Fürsten, sämtlich ausgezeichnete Männer, darunter der Präfekt von Brügge, als Haupt derselben, als ihr Mund und ihre Seele aber der Propst Georg Temsicius von Cassileta, der neben seiner natürlichen Beredsamkeit zugleich ein durchgebildeter Redner war, zugleich ein hochbegabter, wohlbeschlagener Staatsrechtsgelehrter. Nach zweimaliger Zusammenkunft nahmen jene, da wir in einigen Punkten nicht übereinstimmten, Abschied von uns, und reisten nach Brüssel, das Orakel des Fürsten einzuholen.
Ich begab mich unterdessen nach Antwerpen. Während ich mich dort aufhielt, sah ich oft Besuch, doch niemand lieber als Petrus Aegidius, einen geborenen Antwerpener von großer Biederkeit, in ehrenvoller Stellung, der die ehrenvollste verdiente, da es kaum einen gelehrteren und ehrbareren jungen Mann gab, herzensgut und belesen sondergleichen. Von ehrlicher Aufrichtigkeit |16|gegen jedermann, hat er ein so liebevolles, treues, hingebendes Gemüt gegen seine Freunde, dass kaum jemand zu finden sein dürfte, der es in erprobter Freundschaft mit ihm aufnähme. Seltene Bescheidenheit eignet ihn, jede heuchlerische Verstellung ist ihm fremd, bei aller Schlichtheit des Wesens ist er sehr klug. Seine Rede ist gewandt und zierlich, seine Scherze sind liebenswürdig harmlos, sodass meine Sehnsucht nach der Heimat und nach dem häuslichen Herde, nach der Gattin und den Kindern gemildert wurde, um die ich bei einer bereits mehr als viermonatlichen Abwesenheit ängstlich besorgt war. Solches besorgte die liebe Gewöhnung des Beisammenseins und das höchst angenehme Gespräch mit ihm.
Als ich eines Tages dem Gottesdienste in der Liebfrauenkirche, die ein wunderschönes Kunstwerk ist und beim Volke das höchste Ansehen genießt, beigewohnt hatte, und nach meinem Quartier zurückzukehren im Begriffe war, sah ich ihn mit einem ältlichen Fremden sprechen, dessen sonnenverbranntes Antlitz, herabwallender Bart, nachlässig über die Schulter hängender Reisemantel mir einen Schiffspatron zu verraten schienen. Sobald mich Peter erblickte, grüßte er und kam auf mich zu, indem er sich von jenem, der ihm eben eine Antwort zu geben im Begriffe war, ein klein wenig entfernte.
»Siehst du diesen Mann«, sagte er zu mir, indem er auf den wies, mit dem ich ihn sprechen gesehen hatte. »Ich wollte ihn gerade zu dir führen.«
»Das würde mir um deinetwillen sehr angenehm gewesen sein«, sagte ich.
»Und an sich auch«, versetzte Peter, »wenn du ihn nur erst kenntest. Denn heutigentags lebt wohl niemand, der dir über Menschen und unbekannte Länder |17|so viel zu erzählen vermöchte, wie er, und solche Geschichten zu hören, bist du, wie ich weiß, höchst begierig.«
»So habe ich« erwiderte ich, »nicht falsch geraten, ich habe ihn auf den ersten Blick sofort für einen Seemann gehalten.«
»Du irrst sehr«, gab Peter zur Antwort. »Er hat zwar Seefahrten hinter sich, aber nicht als Palinurus, sondern als ein Ulysses, oder vielmehr als ein Plato. Nämlich: Raphael – das ist sein Geschlechtsname – Hythlodäus ist im Lateinischen bewandert, aber hat das Griechische noch viel gründlicher inne, (das er viel mehr betrieben hat, weil er sich ganz der Philosophie gewidmet hat, über die außer Seneka und Cicero im Lateinischen nichts der Rede Wertes vorliegt). Er stammt aus Lusitanien, trat sein väterliches Erbteil seinen Brüdern ab, schloss sich, um Land und Leute zu studieren, dem Amerigo Vespucci an und hat von jenen vier Seereisen, die man heutzutage bereits dort und da gedruckt lesen kann, drei als sein ständiger Begleiter mitgemacht, ist aber von der letzten nicht mit ihm zurückgekehrt. Er erreichte mit bringenden Bitten von Amerigo, dass er unter den vierundzwanzig war, die bis ans Ende der letzten Fahrt in einem Kastell zurückgelassen wurden. So blieb er zurück und konnte seinem Sinn willfahren, der mehr ans Reisen als an Sterben und Grab dachte, wie er denn fleißig ähnliche Sprüche im Munde zu führen pflegte: ›Der Himmel ist der Leichenstein desjenigen, dem keine Aschenurne beschieden worden‹, und: ›Der Weg zu den Göttern ist von überallher gleichweit‹. Dieser Wagemut hätte ihn, wenn Gott nicht schützend seine Hand über ihn gebreitet hätte, teuer zu stehen kommen können. Nach Abreise des Vespucci hat er mit fünf Castilianern viele |18|Gegenden durchstreift, bis er durch ein wunderbares Glück nach Taprobane gelangte, von dort nach Kalikut, wo er lusitanische Schiffe vorfand, worauf er gegen alles Erwarten in sein Vaterland zurückfuhr.«
Als Peter dies erzählt und ich ihm dafür Dank gesagt hatte, dass er so viel Gefälligkeit für mich gehabt und so viel Rücksicht auf mich genommen habe, mir eine Unterredung mit diesem Manne zuteil werden zu lassen, wandte ich mich zu Raphael und nach gegenseitiger Begrüßung und Austausch jener Gemeinplätze, die beim Zusammentreffen zweier Fremden üblich sind, begaben wir uns nach meinem Hause, wo wir uns im Garten auf einer Rasenbank niederließen und zu plaudern anfingen. Er erzählte, wie er und seine im Kastell gebliebenen Gefährten, nachdem Vespucci abgereist war, durch Entgegenkommen und Schmeichelworte bei jenen Völkerschaften sich beliebt zu machen begannen und nicht nur unbehelligt, sondern sogar vertraulich mit ihnen verkehrten, dass sie sogar einem Fürsten, dessen Name und Vaterland mir entfallen, willkommen gewesen, und dass ihm selbst und fünf seiner Begleiter durch dessen Freigebigkeit reichlich Proviant geliefert worden sei, um die Reise mit einem treuen Führer, der sie zu anderen Fürsten, denen sie bestens empfohlen waren, zu Wasser auf Flößen, zu Lande per Wagen fortzusetzen. Nach mehrtägigen Reisen hätten sie kleinere und größere Städte angetroffen, um die es nicht übel bestellt gewesen, Staaten mit zahlreichen Völkerschaften. Unter dem Äquator und zu beiden Seiten desselben hätten weite Wüsteneien im beständigen Sonnenbrande gelegen. Schmutz und öde aussehende, unbebaute, von wilden Tieren und Schlangen und nicht minder wilden Menschen bewohnte Gegenden überall. Bei weiterer |19|Fahrt habe allmählich alles ein milderes Aussehen angenommen, das Klima habe an Rauigkeit verloren, die Tiere seien zahmer geworden, endlich seien Völker und Städte gekommen, die nicht nur unter sich und mit den nächst benachbarten, sondern auch mit entlegenen Völkerschaften emsig Handel zu Wasser und zu Lande und Gewerbe trieben. So sei ihm Gelegenheit geworden, viele Länder hüben und drüben zu besichtigen, da er und seine Gefährten in jedem Schiffe gern aufgenommen worden, wohin dasselbe auch segelte. Die ersten Schiffe, die sie erblickten, hätten flache Kiele gehabt, die Segel seien von Blättern des Schaftes der Papyrusstaude genäht, oder von Weidenruten geflochten gewesen, anderwärts von Leder; dann trafen sie auf zugespitzte Kiele und hänfene Segel und im Übrigen den unsrigen ähnlich, die Seeleute waren in der Kenntnis des Himmels und Meeres bewandert. Schönsten Dank aber, erzählte er, hätte er geerntet, als er sie im Gebrauche des Magnets unterwiesen, der ihnen früher ganz unbekannt gewesen; daher hätten sie sich nur mit Zagen dem Meere anvertraut und hätten das nur im Sommer gewagt. Jetzt aber, im Vertrauen auf den Magnetstein, spotten sie des Winters im Gefühle falscher Sicherheit, sodass die Gefahr besteht, dass ein Ding, von dem sie glauben mussten, dass es ihnen in Zukunft von großem Nutzen sein werde, ihnen ob ihrer unklugen Sorglosigkeit zur Quelle großer Übel werde.
Er erzählte dann noch ein lang und breit davon, was er an jedem Orte gesehen, was zu schildern aber nicht der Zweck dieses Werkes ist. Vielleicht wird dies von mir anderen Orts berichtet werden, insbesondere von solchen Dingen, deren Kenntnis von praktischem Nutzen ist, wie zum Beispiel vor allem seine Beobachtungen |20|über das, was er bei gesitteten Völkern für treffliche, besonnene Einrichtungen gefunden.
Nach solchen Dingen waren wir besonders begierig und von ihnen sprachen wir am liebsten. Nach den Ungeheuern fragten wir nicht weiter, die nichts neues mehr an sich hatten. Denn Schrecknisse wie die Scylla, menschenfresserische Lästrygonen und derlei unglaubliche Monstra findet man fast überall, heilsame und weise Satzungen der Bürger jedoch durchaus nicht so.
Übrigens, wie er bei diesen neuentdeckten Völkerschaften viel Törichtes fand, so erzählte er auch von nicht wenigem, woran sich unsere Städte, Völkerschaften, Nationen und Reiche ein Beispiel nehmen könnten, um das, was bei ihnen verfehlt ist, zu korrigieren, was ich, wie gesagt, andern Orts vorbringen werde.
Für jetzt bin ich gesonnen, nur das zu berichten, was er von den Sitten und Einrichtungen der Utopier erzählt hat, indem ich nur noch jenes Gespräch vorausschicke, in dessen Verfolge er ganz ungezwungen auf jenes staatliche Gemeinwesen gekommen ist. Denn als er gar weise die vielerlei Missgriffe kritisch beleuchtet hatte, die hier und dort in großer Zahl begangen werden, dann wieder Dinge, die bald bei uns, bald bei jenen vernünftiger geordnet sind, und als man sah, dass er die Einrichtungen der verschiedenen Völkerschaften so inne hatte, dass man hätte wähnen können, er habe an jedem Orte, den er besuchsweise berührt, sein ganzes Leben zugebracht, da sprach Peter seine Bewunderung des Mannes aus.
»Es wundert mich wahrlich, lieber Raphael«, sagte er, »warum du dich nicht irgend einem Könige zur Verfügung stellst, da du ihm doch, ich bin überzeugt |21|davon, höchst erwünscht sein würdest, indem du ihn durch deine Orts- und Menschenkenntnis nicht nur ergötzen, sondern durch Beispiele zu belehren und durch deinen Rat zu unterstützen im Stande wärest, wie du zugleich auch deine Interessen dadurch ausgezeichnet wahrnehmen würdest und allen den deinigen von größtem Nutzen sein könntest.«
»Was die Meinigen anbelangt,« antwortete jener, »so habe ich wenig Sorge um sie, da ich glaube, meine Pflichten gegen sie leidlich erfüllt zu haben. Denn von meinem Besitztum, das Andere erst im Alter und Siechtum, weil sie es nicht länger festhalten können, und auch dann noch ungerne abtreten, habe ich mich schon im gesunden und kräftigen Alter, ja schon in der Jugend zugunsten von Verwandten und Freunden getrennt, die ich durch meine Mildtätigkeit zufriedengestellt zu haben glaube, und die nicht überdies von mir verlangen und erwarten dürften, dass ich mich ihres Vorteiles halber in die Sklaverei von Königen begebe.«
»Schön gesagt«, versetzte Peter darauf, »aber meine Meinung ist nicht, dass du den Königen dienen, sondern dass du ihnen Dienste leisten sollst.«
»Das ist bloß eine etwas längere Ausdrucksweise für dienen,« versetzte jener.
»Aber ich meine«, erwiderte Peter, »welchen Namen du der Sache auch geben magst, das sei gerade der Weg, auf dem du nicht nur andere Privatpersonen, sondern auch das Gemeinwesen fördern und deine eigene Lage glücklich gestalten kannst.«
»Glücklicher meine Lage durch Mittel und Wege gestalten, von denen sich mein Gemüt zurückgestoßen fühlt? Wenn ich jetzt nach meinem freien Willen lebe, so glaube, so vermute ich, dass dieses Los den wenigsten Purpurträgern zuteil wird. Gibt es doch genug |22|solcher, die um die Freundschaft der Machthaber werben, sodass es für diese jedenfalls keinen großen Verlust zu bedeuten hat, wenn sie meiner oder das einen oder andern mit mir Gleichgesinnten entbehren.«
»Dann, Raphael«, sagte ich, »ist es klar, dass du weder nach Reichtümern noch nach Macht verlangst, und ich verehre einen Menschen von deiner Gesinnung nicht weniger, als einen, der die höchste Machtfülle im Staate in Händen hält. Immerhin scheint es mir eine eines so edlen und wahrhaft philosophischen Geistes würdige Sache zu sein, auch mit teilweiser Aufopferung deines persönlichen Wohlseins, deinen Genius und deinen Fleiß zum Besten des Gemeinwohls auszubieten, und das würde dir auf keine vollkommenere Weise gelingen, als dadurch, dass du als Beirat mächtigen Fürsten ihm, woran gar nicht zu zweifeln ist, nur Gerechtes und Ehrenhaftes beibrächtest. Denn vom Fürsten gehen gute wie üble Wirkungen wie von einer nie versiegenden Quelle aus und strömen ins Volk. Deine Gelehrsamkeit ist eine so unbedingte, dass du auch ohne Geschäftspraxis einen vorzüglichen Ratgeber für jeden beliebigen König abgeben würdest.«
»Du befindest dich da in einem doppelten Irrtum«, sagte jener, »lieber Morus, erstens hinsichtlich meiner, sodann hinsichtlich der Sache. Denn ich besitze die Begabung nicht, die du mir zuschreibst, wenn ich sie aber auch im höchsten Maße besäße, so würde ich doch, wenn ich auch meine Ruhe und Muße gänzlich opferte, die Sache des Gemeinwesens nicht fördern. Denn erstens beschäftigen sich die meisten Fürsten lieber mit militärischen Studien (worin ich Kenntnisse weder besitze, noch zu besitzen wünsche) als mit den heilsamen Wünschen des Friedens. Viel wichtiger ist ihnen das Bestreben, aus rechtem oder unrechtem Wege sich |23|neue Reiche zu erwerben, als die erworbenen gut zu regieren.
Übrigens gibt es keinen Ratgeber der Könige, der nicht entweder selbst so weise ist, oder wenigstens sich so weise dünkt, dass er den Rat eines anderen Mannes billigt, außer dass sie in abgeschmacktester Weise denjenigen schmeicheln, die in der höchsten Gunst des Fürsten stehen, oder durch Zustimmung sich dieselbe zu verdienen trachten. Und in der Tat ist es nur natürlich, dass die Menschen in die Einfälle ihres eigenen Geistes verliebt sind. Den Raben und den Affen dünken ihre Jungen auch die schönsten Geschöpfe.
Wenn nun in einer solchen Gesellschaft, in der die Einen die Gedanken anderer Leute verachten, die anderen ihre eigene Meinung obenan stellen, irgend jemand etwas vorbrächte, wovon er gelesen, dass es weiland so gehalten worden, oder was er selbst anderwärts betätigt gesehen, so tun jene so, als ob ihre ganze Weisheit Gefahr liefe und sie fortan nur für Dummköpfe gelten würden, wenn es ihnen nicht gelänge, an den Gedanken und Ratschlägen anderer zu kritteln und zu mäkeln. Wenn alles andere versagt, nehmen sie ihre Zuflucht dazu, dass sie sagen: ›So hat es unseren Vorfahren beliebt; wollte Gott, dass wir ihnen an Weisheit gleichkämen‹. Und dann (wenn sie sich so im Rate erhoben) setzen sie sich wieder nieder, als ob die Sache damit gründlich erörtert und abgetan sei. Als ob es die größte Gefahr mit sich bringe, wenn einmal einer in irgend etwas klüger erfunden wird, als seine Vorfahren! Und doch sind wir es voll Gleichmut zufrieden, dass ihre weisesten Ratschlüsse unausgeführt bleiben, und wenn in einer Angelegenheit eine bessere Maßregel hätte getroffen werden können, so ergreifen wir begierig die Gelegenheit, unseren Tadel anzubringen. |24|So bin ich gar häufig andernorts auf hochmütige, alberne, grillenhafte Urteile gestoßen, einmal auch in England.«
»So warst du, bitte, auch in England?«, fragte ich.
»Ja«, sagte er, »ich habe mich einige Monate dort aufgehalten, nicht lange nach der kläglichen Niederlage, mit welcher der Bürgerkrieg der Westengländer gegen den König unterdrückt worden ist.«
Während der Zeit war ich dem hochehrwürdigen Vater Johannes Morton, Kardinal-Erzbischof von Canterbury, zur Zeit auch Kanzler von England, zu großem Danke verpflichtet, einem Manne, lieber Peter, (dem Morus sage ich damit nichts neues) nicht weniger verehrungswürdig durch Weisheit und Tugend als durch hohe Stellung. Er war von mittlerer Statur, die Last der Jahre beugte ihn nicht, sein Antlitz ehrwürdig, im Umgange ist er nicht schwierig, doch von ernstem Wesen. Er liebte es zuweilen, Bittsteller durch einen rauen Anstrich, aber harmlos, auf die Probe zu stellen, wie weit ihre Geistesgegenwart und ihr Freimut gehe, und war darüber, wenn nur keine Frechheit dabei war, als über etwas seiner Natur Verwandtes entzückt. Einen solchen wählte er gern für einen Staatsdienstposten. Seine Rede war fein und markig, seine Rechtskenntnis groß, seine Geistesanlage unvergleichlich, sein Gedächtnis fabelhaft. Diese von Natur hervorragenden Gaben hatte er durch Studium und Praxis noch weiter ausgebildet. Auf dessen Rat schien mir der König viel zu geben und sich auf ihn zu stützen, denn er war in frühester Jugend von der Schule weg an den Hof gezogen und durch alle Lebensalter in den wichtigsten Staatsgeschäften und in den mannigfaltigsten Brandungen des Schicksals unaufhörlich hin- und hergeworfen worden und hatte so praktische Weltkunde |25|unter vielen und großen Gefahren sich angeeignet, und die so erworbene haftet unverlierbar.
Als ich eines Tages bei ihm zu Tische war, war auch ein eurer Gesetze kundiger Mann aus dem Laienstande zugegen, der aus irgendeinem mir unbekannten Anlasse jene stramme Justiz zu loben begann, die damals dort zu Lande eifrigst gegen die Diebe gehandhabt wurde, die, wie er erzählte, meist zu zwanzig ans Kreuz geheftet wurden. Er sagte, er wundere sich nicht wenig, dass es, obwohl nur wenige der Todesstrafe entgingen, doch allerorten von Dieben wimmle.
Da nahm ich das Wort – denn ich durfte beim Kardinal frei reden – und sagte: »Du darfst dich mitnichten wundern, wenn diese Bestrafung der Diebe überschreitet die Grenze der Gerechtigkeit und ist für das Gemeinwohl nicht ersprießlich. Zur Sühne des Diebstahls ist sie nämlich zu grausam und zu seiner Verhinderung doch ungenügend. Der einfache Diebstahl ist doch kein so ungeheures Verbrechen, dass er mit dem Kopfe gebüßt werden muss, noch ist andererseits eine Strafe so schwer, dass sie vom Stehlen diejenigen abhielte, die sonst keinen Lebensunterhalt haben. In dieser Beziehung scheint nicht nur ihr, sondern die halbe Welt jenen schlechten Schullehrern nachzuahmen, die ihre Schüler lieber mit der Rute züchtigen als unterrichten. Schwere, schauerliche Strafen sind für die Diebe festgesetzt worden, während doch eher Vorsorge zu treffen gewesen wäre, dass einer nicht in die harte Notwendigkeit, zu stehlen, versetzt werde und dann infolge dessen sterben zu müssen.«
»Dafür«, versetzte jener, »ist genügend gesorgt, es gibt Handwerke, es gibt den Ackerbau, mittels deren das Leben gefristet werden kann, wenn die Leute nicht vorsätzlich schlecht sein wollten.«
|26|»Damit entschlüpfst du mir nicht«, erwiderte ich darauf. »Sehen wir vorerst von jenen ab, die aus auswärtigen oder aus Bürgerkriege...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. THOMAS MORUS SEINEM PETRUS AEGIDIUS GRUSS!
  6. DER UTOPIA ERSTES BUCH
  7. DER UTOPIA ZWEITES BUCH
  8. VON DEN STÄDTEN, INSBESONDERE VON AMAUROTUM
  9. VON DEN OBRIGKEITEN
  10. VON DEN HANDWERKEN
  11. VOM GEGENSEITIGEN VERKEHRE
  12. VOM REISEN DER UTOPIER
  13. VON DEN SKLAVEN
  14. VOM KRIEGSWESEN
  15. VON DEN RELIGIONEN DER UTOPIER