Bushido
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Die Seele Japans

  1. 137 Seiten
  2. German
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Bushido

Die Seele Japans

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Der sogenannte Weg des Kriegers, Bushid?, der im Westen häufig als Synonym für japanisches Rittertum verwendetwird, ist ein Kind der Meiji-Zeit (1868-1912), die einen radikalen Umbruch der japanischen Gesellschaft und des Staatswesens herbeiführte.

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Information

Verlag
Nikol
Jahr
2011
ISBN
9783868209938

KAPITEL 1
Bushidō als ethisches System

Ritterlichkeit ist eine Blume, die in Japan genauso beheimatet ist wie die Kirschblüte, das Symbol Japans. Sie ist kein vertrocknetes Exemplar einer antiken Tugend, die im Herbarium unserer Geschichte aufbewahrt wird, sondern sie ist immer noch lebendig, voller Kraft und Schönheit. Und selbst wenn sie keine greifbare Form annimmt, so erfüllt ihr Wohlgeruch doch zumindest die moralische Atmosphäre und wir stehen noch immer in ihrem Bann. Die gesellschaftlichen Umstände, die sie hervorgebracht und genährt haben, sind seit langem verschwunden. Aber wie die weit entfernten Sterne, die einstmals waren und nun nicht mehr sind, und deren Lichtstrahlen noch immer für uns leuchten, so erhellt das Licht der Ritterlichkeit, die ein Kind des Feudalismus war, auch weiterhin unseren moralischen Pfad und hat den Ausgangspunkt ihrer Entstehung überlebt. Es ist mir ein Vergnügen über dieses Thema mit den Worten von Burke zu reflektieren, der die bekannte, zu Herzen gehende Eulogie über den zu Grabe getragenen europäischen Prototyp sprach.
Hinsichtlich des Fernen Ostens ist es als ein wahres Manko anzusehen, wenn so gebildete Gelehrte wie Dr. George Miller die Ansicht vertreten, dass Ritterlichkeit oder eine ähnliche Einrichtung niemals unter den Völkern der Antike oder bei den modernen Orientalen4 anzutreffen sei. Eine solche Unkenntnis kann jedoch verziehen werden, da die dritte Auflage des Buches dieses Gelehrten just zu jener Zeit erschienen war als Commodore Perry an die Pforten unserer Abgeschiedenheit klopfte. Mehr als ein Jahrzehnt später, als unser Feudalismus in den letzten Zügen seines Daseins lag, lenkte Karl Marx durch sein Werk »Das Kapital« die Aufmerksamkeit der Leser auf den besonderen Vorteil, den das Studium der gesellschaftlichen und politischen Einrichtungen des Feudalismus mit sich brächte, der zu jener Zeit nur noch in Japan gelebt werde. Ich wiederum würde gerne die westlichen Geschichts- und Ethikstudenten einladen, die Ritterlichkeit des gegenwärtigen Japans zu studieren.
Eine vergleichende historische Untersuchung des europäischen und des japanischen Feudalsystems sowie des Rittertums und Bushidō, ist zwar durchaus verlockend, doch nicht das eigentliche Ziel dieses Buches. Vielmehr möchte ich mich zunächst auf den Ursprung und die Quellen unseres Rittertums beziehen, zweitens dessen Charakter und Lehren beschreiben, drittens dessen Einfluss auf die Massen und viertens möchte ich auf die Beständigkeit und Fortdauer seines Ein-flusses eingehen. Der erste der genannten Punkte wird nur kurz und oberflächlich abgehandelt, während ich dem zweiten mehr Raum und Tiefe widme, da er mit Sicherheit für Studenten internationaler Ethik und komparativer Ethologie, die unsere Denk- und Handelsweise verstehen wollen, von größtem Interesse sein dürfte. Die restlichen beiden Punkte werden als Folgerungen der vorangegangenen behandelt.
Der japanische Begriff, den ich grob als Rittertum oder Ritterlichkeit wiedergegeben habe, ist in seiner ursprünglichen Bedeutung mehr als nur Reitkunst. Bu-shi-dō bedeutet wörtlich übersetzt Militär – Ritter – Wege – die Wege, die kämpfende Adelige im täglichen Leben als auch in ihrem Beruf beachten sollten. Kurzum, die »Regeln für die Ritterschaft«, die noblesse oblige für die Kriegerklasse. Da ich nun die wörtliche Bedeutung dieses Begriffs dargelegt habe, sei es mir hinfort gestattet, das Wort im Original zu verwenden. Es bietet sich zudem an den Originalbegriff zu verwenden, da eine Lehre, die in sich so geschlossen und einmalig ist, eine Lehre, die eine einzigartige Gesinnung und Eigenschaft erzeugt hat, ja die so ortsgebunden ist, nicht anders als mit einem Zeichen ihrer Eigenheit versehen werden kann. Manche Worte haben einen nationalen Klang, der die Eigenschaften einer Rasse in sich trägt und ausdrückt, sodass selbst die besten Übersetzer diesen Ausdrücken kaum gerecht werden, um nicht zu sagen ihnen positive Ungerechtigkeit und Kränkung zuteil werden lassen. Wer kann schon das deutsche Wort Gemüth richtig in eine andere Sprache übertragen, ganz zu schweigen von dem Unterschied der beiden verbal so nah verwandten Worte gentleman im Englischen und gentilhomme im Französischen?
Bushidō ist somit der Kodex moralischer Prinzipien, die von einem Ritter gefordert wurden, oder die er lernte zu beachten. Es ist kein geschriebener Kodex, vielmehr besteht er höchstens aus ein paar Maximen, die mündlich tradiert wurden oder aus der Feder eines bekannten Kriegers oder Gelehrten stammten. Nicht selten ist er ein unausgesprochener, ungeschriebener Kodex, der umso mehr die wirkungsvolle Billigung der veritablen Tat besaß und eines Gesetzes, das in Fleisch und Blut übergegangen war. Bushidō ist nicht einem einzigen Gehirn entsprungen, wie fähig es auch gewesen sein mag, und er baut auch nicht auf dem Leben einer einzelnen Person auf, ganz gleich wie berühmt sie war. Er ist über die Jahrzehnte und Jahrhunderte der Militärgeschichte organisch gewachsen. Und man könnte sagen, dass er sogar die gleiche Position in der Geschichte der Ethik einnimmt wie die Englische Verfassung in der politischen Geschichte. Dennoch hat er nichts aufzuweisen, was mit der Magna Charta oder dem Habeas Corpus Gesetz verglichen werden könnte. Es ist wahr, dass im frühen 17. Jahrhundert Militärgesetze (Buke shohatto) verkündet wurden, die jedoch in ihren 13 kurzen Artikeln vor allem den Eheschließungen, Burgen, Bündnissen usw., gewidmet war, didaktische Anordnungen jedoch nur am Rande streifte. Wir können deshalb nicht mit Bestimmtheit einen festen Zeitpunkt oder Ort angeben, den wir als »Quelle« bezeichnen könnten. Der Ursprung kann im Hinblick auf die Zeit der Entstehung durch den Feudalismus definiert werden, da er das Bewusstsein im feudalen Zeitalter erreichte. Aber Feudalismus selbst ist aus vielen Fäden gesponnen, und Bushidō ist ein Bestandteil dieses komplizierten Gebildes. Die politischen Institutionen des Feudalismus in England können in die Zeit der normannischen Eroberung datiert werden, während die Japans gleichzeitig mit dem Aufstieg Yoritomos einsetzten, das heißt im späten 12. Jahrhundert. Die sozialen Elemente des Feudalismus in England können in die Zeit weit vor Wilhelm dem Eroberer zurückverfolgt werden und auch in Japan begann der Feudalismus lange vor der bereits von mir erwähnten Epoche zu keimen.
Sowohl in Japan als auch in Europa trat mit der offiziellen Einführung des Feudalismus die Klasse der berufsmäßigen Krieger in den Vordergrund. Diese waren in Japan als Samurai bekannt, was wörtlich bedeutet, ähnlich wie das altenglische cnight (knecht, knight), Garde oder Diener, und die in ihrer Eigenschaft den soldurii ähneln, die laut Cäsar in Aquitanien bestanden oder den comitati, die nach Tacitus den germanischen Häuptlingen zu seiner Zeit folgten. Oder, um eine spätere Parallele anzuführen, den milites medii, die in der Geschichte des mittelalterlichen Europa erwähnt werden. Ein sinojapanisches Wort Bu-ke oder Bu-shi (kämpfende Ritter) wurde ebenfalls allgemein verwendet. Es handelte sich dabei um eine privilegierte Klasse, die ursprünglich aus rauen Männern bestand, die Kämpfen zu ihrem Beruf gemacht hatten. Diese Klasse setzte sich natürlich aufgrund eines langen Zeitraums ständiger Kriegsführung aus den mannhaftesten und abenteuerlustigsten Männern zusammen. Da die Schwachen und Ängstlichen ausgegliedert wurden, entstand ein »raues Geschlecht, männlich und von roher Kraft«, um es mit den Worten von Emerson auszudrücken, das überleben konnte, Familien gründete und schließlich die Klasse der Samurai bildete. Indem ihnen große Ehren und entsprechende Privilegien zuteil wurden und sie große Verantwortung zu tragen hatten, erkannten sie sehr bald, dass es für das Verhalten eine allgemeingültige Norm geben müsse, da sie unterschiedlichen Clans zugehörig waren und stets angriffslustig und kampfbereit waren. So wie Ärzte den Wettstreit untereinander durch berufsmäßige Höflichkeit eindämmen und Anwälte in Ehrengerichten im Falle verletzter Etikette sitzen, so mussten auch die Krieger einen Rückhalt haben, der es ihnen erlaubte, Missverhalten be- und verurteilen zu können.
Fair Play im Kampf! Welch fruchtbare Keime des Sittlichkeitsgefühls doch in diesem einfachen Empfinden von Wildheit und Kindheit liegen. Doch ist das nicht die Wurzel aller militärischen und zivilen Tugenden? Wir lächeln (wenn wir dem entwachsen sind!) über den knabenhaften Wunsch des kleinen Briten Tom Brown, »dafür bekannt zu sein, niemals einen kleinen Jungen schikaniert oder einem großen den Rücken zugekehrt zu haben«. Weiß nicht ein jeder, dass dieser Wunsch der Grundstein ist, auf dem moralische Strukturen ungeheuren Ausmaßes errichtet werden können? Sollte ich nicht sogar so weit gehen zu behaupten, dass die vornehmsten und den Frieden am meisten liebenden Religionen dieses Streben befürworten? Toms Wunsch ist die Grundlage, auf der die Größe Englands weitestgehend aufgebaut ist, und es wird nicht mehr lange dauern, bis erkannt wird, dass Bushidō auf gleichem Niveau anzusiedeln ist. Kämpfen an sich, sei es defensiv oder offensiv, ist, wie Quäker zu Recht bestätigen, brutal und falsch, und wir können mit Lessing sagen, »ich weiß aus welchen Fehlern unsere Tugend keimt«.5, 6
»Kriecher« und »Feigling« sind Schimpfworte tiefster Schmach für gesunde einfache Naturen. Die Kindheit beginnt mit solchen Denkbildern und die Ritterschaft ebenfalls, doch je weiter das Leben voranschreitet und die Beziehungen vielseitiger werden, sucht der frühe Glaube Billigung von einer höheren Autorität und rationalere Gründe für die eigene Rechtfertigung, Satisfaktion und Entwicklung. Hätten militärische Systeme ohne den Beistand einer höheren Moral operiert, wie weit wäre die Ritterlichkeit der Ritterschaft wohl gekommen? In Europa beeinflusste das Christentum trotz der Zugeständnisse an die Ritterlichkeit es mit seinen geistigen Werten. »Religion, Krieg und Ruhm waren die drei Seelen eines perfekten christlichen Ritters«, sagt Lamartine. In Japan gab es mehrere Ursprünge, aus denen Bushidō gespeist wurde.

KAPITEL 2
Die Quellen von Bushidō

Ich möchte mit dem Buddhismus beginnen. Er lieferte ein Gefühl des ruhigen Vertrauens in das Schicksal, eine stille Unterwerfung unter das Unvermeidliche, die stoische Gelassenheit angesichts von Gefahr oder Unglück, diese Geringschätzung des Lebens und die Gewogenheit gegenüber dem Tod. Wenn ein angesehener Lehrer der Schwertkunst erkannte, dass sein Schüler das Höchste seiner Kunst zu meistern verstand, sagte er ihm, dass »darüber hinaus meine Unterweisung der Zen-Lehre weichen muss«. »Zen« ist das Äquivalent für Dhyana, das die menschliche Anstrengung verkörpert, durch die Meditation Ebenen zu erreichen, die sich über den Bereich verbaler Ausdrucksweise erheben«.7 Die Methode von Zen ist die Kontemplation mit dem Ziel, so weit ich verstanden habe, von einem Prinzip, das allen Phänomen zugrunde liegt, und wenn möglich vom Absoluten selbst überzeugt zu sein, sodass man sich selbst damit in Einklang bringen kann. Diese Definition ist mehr als ein Dogma einer Sekte, und wer immer die Wahrnehmung des Absoluten erreicht, erhebt sich selbst über die weltlichen Dinge und begreift »einen neuen Himmel und eine neue Erde«.
Was der Buddhismus nicht bieten konnte, bot der Shintōismus in Überfülle dar. Die Loyalität gegenüber dem Herrscher, die Verehrung des Andenkens der Ahnen und die kindliche Pietät werden von keinem anderen Glauben gelehrt, sondern durch die Shintō-Doktrinen eingeprägt, was dem sonst hochmütigen Charakter der Samurai Pas-sivität vermittelte. Shintō-Theologie hat keinen Platz für das Dogma der »Erbsünde«. Sie glaubt im Gegenteil an die innewohnende Güte und die gottgleiche Reinheit der menschlichen Seele, die sie als Allerheiligstes verehrt und aus dem die göttlichen Orakel hervorgehen. Jedermann kann beobachten, dass die Shintōschreine gänzlich frei von Gegenständen und Geräten der Verehrung sind, und dass nur ein einfacher Spiegel, der im Heiligtum hängt, den wesentlichen Teil der Einrichtung bildet. Wer vor dem Schrein steht, um seine Verehrung darzubringen, sieht nur sein eigenes Bild auf der schimmernden Fläche des Spiegels, und der Akt der Verehrung ist gleich der alten delphischen Aufforderung »Erkenne dich selbst«. Aber die Selbsterkenntnis impliziert weder in der griechischen noch der japanischen Lehre die Kenntnis des physischen Teils des Menschen noch seiner Anatomie oder seiner Psychophysik. Erkenntnis war mehr von moralischer Art, die Einsicht in unsere moralische Natur. Mommsen, der Griechen und Römer miteinander verglich, sagte, dass erstere beim Gebet die Augen gen Himmel richteten, da das Gebet Kontemplation war, während der Römer sein Haupt bedeckte, da er über sich selbst nachdachte. Unsere Reflektion, die im Wesentlichen der römischen Auffassung von Religion entspricht, brachte nicht so sehr die Moral als vielmehr das nationale Bewusstsein des Individuums zum Vorschein. Die Verehrung der Natur war die tief in unseren Seelen verankerte Liebe zu unserem Land, während die Ahnenverehrung, die von einer Generation zur anderen weitergegeben wurde, die kaiserliche Familie zum Quell der gesamten Nation erhob. Für uns ist Japan mehr als das Land und der Boden, in dem wir nach Gold suchen und auf dem das Korn reift – es ist die geheiligte Wohnstätte der Götter, der Geister unserer Vorfahren: Für uns ist der Kaiser mehr als der Erzwächter eines Rechtstaats oder der Patron eines Kulturstaates – er ist der leibliche Vertreter des Himmels auf Erden, der in seiner Person die Macht und Gnade des Himmels vereint. Wenn das, was Émile Gaston Boutmy8 vom englischen Königtum sagt, zutrifft, nämlich dass es »nicht nur das Bild der Autorität ist, sondern das des Schöpfers und das Symbol der nationalen Einheit«, dann, so glaube ich, kann diese Ansicht doppelt und dreifach für das Königtum in Japan bejaht werden.
Die Grundsätze des Shintōismus umfassen die beiden herausragenden Eigenschaften des emotionalen Lebens unseres Geschlechts – Patriotismus und Loyalität. Arthur May Knapp sagt sehr treffend: »in der hebräischen Literatur ist es oft schwer zu entscheiden, ob der Verfasser von Gott oder der Allgemeinheit spricht, vom Himmel oder von Jerusalem, vom Messias oder von der Nation als solcher«9. Eine ähnliche Verwirrung kann bei der Nomenklatur unseres nationalen Glaubens festgestellt werden. Ich sagte Verwirrung, da es von einem logischen Intellekt aufgrund der verbalen Zweideutigkeit als solche erachtet wird. Shintō, der mehr das Rahmenwerk des nationalen Instinkts und der Gefühle unseres Geschlechts darstellt, gab niemals vor eine systematische Philosophie oder rationale Theologie zu sein. Diese Religion – oder sollte man besser sagen, die Gefühle unseres Geschlechts, die diese Religion zum Ausdruck bringt? – erfüllte Bushidō mit Loyalität zum Herrscher und der Liebe zur Heimat. Diese Gefühle waren jedoch mehr Impulse als Doktrinen, denn Shintō, anders als die mittelalterliche christliche Kirche, schrieb seinen Anhängern kaum irgendein Glaubensbekenntnis vor, sondern gab ihnen vielmehr eine einfache und geradlinige Handlungsordnung an die Hand.
Was jedoch die strikten ethischen Doktrinen betrifft, so sei hier die Lehre des Konfuzius genannt, die für Bushidō die ergiebigste Quelle der Moral war. Der Konfuzianismus fasste in Worte, was uns Japanern bereits innewohnte, aber erst durch die Einführung der konfuzianischen Schriften aus China schriftlich bestätigt wurde: die fünf moralischen Beziehungen zwischen Herrn und Diener (dem Regierenden und dem Regierten), Vater und Sohn, Ehemann und Ehefrau, älterem und jüngerem Bruder, und zwischen Freund und Freund. Der ruhige, gütige abgeklärte Charakter dieser politisch-ethischen Verhaltensmaßregeln passte hervorragend zu den Samurai, welche die herrschende Klasse bildeten. Der aristokratische und konservative Ton entsprach genau den Anforderungen dieser Staatsmänner der Kriegerklasse. Neben Konfuzius übte Menzius gewaltigen Ein-fluss auf Bushidō aus. Menzius’ überzeugende und oftmals demokratische Theorien waren für mitfühlende Naturen außerordentlich anziehend. Diese Theorien wurden sogar als gefährlich und subversiv für die bestehende soziale Ordnung betrachtet, sodass das Werk von Menzius lange Zeit unter Zensur stand; dennoch fanden die Worte dieses herausragenden Geistes einen dauerhaften Platz im Herzen der Samurai.
Die Schriften von Konfuzius und Menzius bildeten die hauptsächlichen Textbücher für die Jugend und galten als die höchste Autorität unter den Alten. Eine alleinige Kenntnis der klassischen Bücher dieser beiden Weisen wurde jedoch nicht besonders geschätzt. Ein allgemeines Sprichwort bespöttelt jeden, der nur das intellektuelle Wissen von Konfuzius besitzt, als einen Mann, der zwar stets gelehrig ist, aber die Analekten nicht kennt. Ein typischer Samurai bezeichnet einen in der Literatur bewanderten Gelehrten als einen Bücherwurm. Ein anderes Sprichwort vergleicht das Lernen mit einem übelriechenden Gemüse, das immer wieder gekocht werden muss, bevor es genießbar ist. Einem Mann, der nur wenig gelesen hat, haftet der Geruch eines Pedanten an, umso mehr einem Manne, der viel gelesen hat, beide sind unangenehm. Der Verfasser meinte hiermit, dass Wissen erst dann zum Tragen kommt, wenn es im Geist des Lernenden verankert ist und sich in seinem Gebaren zeigt. Ein intellektueller Spezialist galt als eine Maschine. Der Intellekt selbst wurde als der ethischen Emotion untergeordnet betrachtet. Mensch und Universum wurden zugleich als spirituell und ethisch wahrgenommen. Bushidō konnte das Urteil von Huxley nicht annehmen, nach dem der kosmische Vorgang unmoralisch war.
Bushidō nahm Wissen als solches auf die leichte Schulter. Es wurde nicht als ein Endziel an sich verfolgt, sondern als ein Mittel Weisheit zu erlangen. Wer jedoch kurz vor diesem Ziel aufhörte, wurde gleichbedeutend mit einer bequemen Maschine betrachtet, die auf Befehl Gedichte und Maxime von sich geben konnte. Wissen galt deshalb als identisch mit der praktischen Umsetzung im Leben. Diese sokratische Doktrin fand ihren größten Vertreter in dem chinesischen Philosophen Wang Yangming, der nie müde wurde den folgenden Satz zu wiederholen: »Wissen und Handeln sind eins«.
Man möge mir den kurzen Exkurs bei diesem Thema nachsehen, aber die Lehren dieses weisen Mannes beeinflussten die edelsten unserer bushi in starkem Maße, sodass ich darauf eingehen muss. Westliche Leser werden in seinen Schriften viele Parallelen zum Neuen Testament entdecken. Die Passage »Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen«10, vermittelt einen Gedanken, der fast auf jeder Seite von Wang Yangming zu finden ist. Ein japanischer Anhänger11 von Wang Yangming sagte: »Der Herr von Himmel und Erde, von allen Lebewesen, wohnt im Herzen des Menschen und wird zu seiner Gesinnung (Kokoro), infolgedessen ist die Gesinnung etwas Lebendiges und ewig Strahlendes«, und weiter: »Das spirituelle Licht unseres eigentlichen Wesens ist rein und nicht vom Willen des Menschen beeinflusst. Wenn es in unserem Geist spontan zum Vorschein ko...

Inhaltsverzeichnis

  1. BUSHIDO
  2. Vorwort zur deutschen Ausgabe von Bushidō
  3. Vorwort zur zehnten und überarbeiteten Ausgabe
  4. Vorwort zur ersten Ausgabe
  5. Einführung
  6. KAPITEL 1. Bushidō als ethisches System
  7. KAPITEL 2. Die Quellen von Bushidō
  8. KAPITEL 3. Rechtschaffenheit oder Gerechtigkeit
  9. KAPITEL 4. Wagemut und Duldsamkeit
  10. KAPITEL 5. Mitmenschlichkeit, das Gefühl für Leid
  11. KAPITEL 6. Höflichkeit
  12. KAPITEL 7. Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit
  13. KAPITEL 8. Ehre
  14. KAPITEL 9. Die Schuldigkeit der Loyalität
  15. KAPITEL 10. Erziehung und Ausbildung eines Samurai
  16. KAPITEL 11. Selbstbeherrschung
  17. KAPITEL 12. Die Institutionen der Selbsttötung und der Vergeltung
  18. KAPITEL 13. Das Schwert, die Seele des Samurai
  19. KAPITEL 14. Ausbildung und Stellung der Frau
  20. KAPITEL 15. Der Einfluss von Bushidō
  21. KAPITEL 16. Ist Bushidō noch lebendig?
  22. KAPITEL 17. Die Zukunft von Bushidō
  23. Anmerkungen