Die Autoren möchten sich bei Natascha Kords für die kritische Durchsicht und die Aufarbeitung der Fussnoten bedanken.
Inhalt
- Kotierte Gesellschaften in finanziellen Schwierigkeiten
- Pflichten des Verwaltungsrates
- Die Pflicht, die Existenz der Gesellschaft zu erhalten
- Die unübertragbaren Pflichten des Verwaltungsrates in der
Krisensituation des Unternehmens - Oberleitungs- und Oberaufsichtspflicht
- Festlegung der Organisation und Bestimmung der obersten
Führungsebene - Die Ausgestaltung des Rechnungswesens
- Pflichten des Verwaltungsrates bei drohender Zahlungsunfähigkeit
- Begriff der Zahlungsunfähigkeit
- Pflicht des Verwaltungsrates zur Überwachung der Liquidität
- Massnahmen bei drohender Zahlungsunfähigkeit
- Pflichten des Verwaltungsrates bei Kapitalverlust
- Der Begriff des Kapitalverlustes
- Massnahmen bei Kapitalverlust
- Handlungspflichten des Verwaltungsrates bei Überschuldung
- Begriff der Überschuldung
- Pflichten des Verwaltungsrates bei Überschuldung
- Benachrichtigung des Gerichts und Aufschub aufgrund von
Sanierungsaussichten
- Konkursrechtliche Rahmenbedingungen
- Haftung des Verwaltungsrates
- Börsenrechtliche Rahmenbedingungen: Publizitätspflicht
- Publizitätspflichten im Rahmen des Kotierungsreglements der SIX und
FinfraG/FinfraV - Veröffentlichung von Jahres- und Halbjahresabschlüssen
- Ad hoc-Publizität
- Pflicht zur Bekanntgabe kursrelevanter Tatsachen
- Aufschub der Bekanntgabe
- Prospektpflicht bei der Emission von Aktien
- Auswirkungen der Transparenzvorschriften auf die Kursbildung im
Rahmen einer Sanierung
- Sanierungsmassnahmen bei Publikumsgesellschaften
- Deklaratorische Kapitalherabsetzung
- Gründe für die deklaratorische Kapitalherabsetzung
- Durchführung der Kapitalherabsetzung
- Kapitalerhöhung
- Ziel und wirtschaftliche Grundlage der Kapitalerhöhung
- Voraussetzungen der Kapitalerhöhung
- Beschluss der Generalversammlung
- Ausgabepreis
- Das Bezugsrecht
- Durchführung der Kapitalerhöhung
- Debt-Equity-Swap mit Finanzgläubigern
- Wirtschaftliche Grundlagen des Debt-Equity-Swaps
- Rechtliche Grundlagen des Debt-Equity-Swaps
- Vereinbarung mit den betroffenen Gläubigern
- Aktienrechtliche Umsetzung: Liberierung durch Verrechnung und
Entzug des Bezugsrechtes
- Sanierungsmassnahmen bei Obligationen: Erleichterung bei Zins und
Laufzeit, Debt-Equity-Swap - Einleitung des Verfahrens
- Stundung der Ansprüche
- Mögliche Massnahmen
- Der Debt-Equity-Swap bei Obligationen
- Der Beschluss der Gläubigerversammlung
- Bestätigung des Entscheids der kantonalen Nachlassbehörde
- Bedeutung der Restrukturierung einer Obligationenanleihe
- Schlussfolgerungen
- Literaturverzeichnis
Kotierte Gesellschaften in finanziellen Schwierigkeiten
Es gibt viele Ursachen, die zu finanziellen Schwierigkeiten bei kotierten Gesellschaften führen können, wobei konjunkturelle Probleme im Vordergrund stehen. Eine finanzielle Krise eines Unternehmens kann aber auch durch Fehlentscheide der Unternehmensleitung selbst ausgelöst oder zumindest verschärft werden. Beim Umgang mit einer finanziellen Krise haben kotierte Gesellschaften strengere Vorschriften zu beachten als nichtkotierte Unternehmen: sie müssen die sich aus der Kotierung ergebenden speziellen Rahmenbedingungen beachten. Dabei werden vor allem die Publizitätsvorschriften, die bei kotierten Unternehmen zu einer hohen Transparenz gegenüber den Anlegern führen, häufig zu einem Problem für die Organe, da eine „stille Behebung“ der finanziellen Probleme, anders als bei einer privat gehaltenen Gesellschaft, nicht möglich ist. Auch der Umstand, dass bei kotierten Gesellschaften eine Vielzahl von Aktionären beteiligt sind, kann eine Sanierung erheblich erschweren. Es ist bei diesen Gesellschaften nicht möglich, mit den Aktionären potenzielle Massnahmen bezüglich des Eigenkapitals im „kleinen Kreis“ zu besprechen und so verbindliche Lösungen zu finden. Bei Massnahmen im Bereich des Eigenkapitals muss immer eine Generalversammlung einberufen werden, was in der Öffentlichkeit, aber vor allem auch unter Kunden und Lieferanten des Unternehmens Diskussionen und Zweifel über die Überlebensfähigkeit des kotierten Unternehmens auslöst. Die Hauptunterschiede zwischen der Sanierung privat gehaltener und kotierten Unternehmen liegt letztlich darin, dass die Sanierung bei kotierten Unternehmen unter der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit stattfindet, was alle Beteiligten einem erheblichen Druck aussetzt und das Unternehmen in betrieblicher Hinsicht zusätzlich destabilisiert. Dieser Beitrag zeigt auf, welche Pflichten den Verwaltungsrat von kotierten Unternehmen bei Sanierungstransaktionen treffen. Der Beitrag berücksichtigt dabei auch relevante Änderungen im Zuge der Aktienrechtsrevision.
Pflichten des Verwaltungsrates
In kotierten Gesellschaften versteht sich der Verwaltungsrat in der Regel als reiner „Aufsichtsrat“ der Gesellschaft und sieht seine Hauptaufgaben in der Überwachung der Geschäftsleitung, der Risikokontrolle, der Sicherstellung der Compliance sowie der Umsetzung der Publizitätsvorschriften. Verwaltungsräte kotierter Gesellschaften bringen sich zwar auch in die Strategieentwicklung des Unternehmens ein, beschränken sich aber meistens darauf, die von der Geschäftsleitung entwickelte Strategie zu diskutieren und zu genehmigen. Eine aktive Mitwirkung des Verwaltungsrates oder einzelner Mitglieder bei der Strategiegestaltung ist sehr selten. Noch seltener kommt es vor, dass der Verwaltungsrat von sich aus in operative Belange des Unternehmens eingreift und versucht, einzelne Entscheide der Geschäftsleitung in Bezug auf die Umsetzung der Strategie zu beeinflussen. Die Verwaltungsratsmitglieder halten sich im Allgemeinen konsequent an die Delegation und überlassen die operative Führung des Unternehmens der Geschäftsleitung bzw. dem CEO als Vorsitzendem der Geschäftsleitung. Die Zurückhaltung des Verwaltungsrates von kotierten Gesellschaften kommt meistens auch darin zum Ausdruck, dass in der Öffentlichkeit der CEO im Zentrum der Aufmerksamkeit steht und dieser auch gegenüber den Aktionären die Strategie und die operative Umsetzung vertritt. Der Verwaltungsrat wird folglich auch von den Aktionären und der Öffentlichkeit als Aufsichts- und Kontrollorgan wahrgenommen. Diese Zurückhaltung des Verwaltungsrates zeigt sich sodann oftmals auch bei der zeitlichen Beanspruchung: Während CEO und Geschäftsleitung vollamtlich tätig sind, nehmen Verwaltungsratsmitglieder ihre Funktion als Nebenamt war und wenden in realistischer Betrachtung in aller Regel weit unter 10% ihrer Zeit für die Tätigkeit auf. Lediglich der Präsident des Verwaltungsrates wendet manchmal etwas mehr Zeit auf.
Dieses Verständnis des Verwaltungsrates als blosses Aufsichtsorgan ist nach Art. 716 Abs. 2 und Art. 716b des Obligationenrechts (OR) grundsätzlich zulässig. Danach ist die Delegierung der Geschäftsführung erlaubt, jedoch nur unter Vorbehalt der in Art. 716a OR aufgeführten unübertragbaren Aufgaben des Verwaltungsrates. Die Interpretation des Verwaltungsrates als zurückhaltendes Organ entspricht aber nicht dem ursprünglichen gesetzgeberischen Bild. Der Verwaltungsrat ist gemäss Art. 716 Abs. 2 OR als höchstes Exekutivorgan der Gesellschaft grundsätzlich für die Geschäftsführung verantwortlich. Die Delegation an eine Geschäftsleitung führt nicht dazu, dass der Verwaltungsrat seine Verantwortung oder seinen Verantwortungsbereich einschränkt, sondern nur dazu, dass ein anderes Organ die Geschäftsführung wahrnimmt. Die Delegation kann aber immer nur solange gelten, wie das spezielle Geschäftsleitungsorgan tatsächlich vorhanden ist und der Verwaltungsrat diesem bezüglich der Geschäftsführung vertrauen kann. In Krisensituationen rückt aber die Verantwortung des Verwaltungsrates für die Führung des Unternehmens wieder in den Vordergrund, denn eine Krise entsteht ja gerade dadurch, dass es der operativen Geschäftsleitung auf ihrer Stufe nicht möglich ist, die Probleme der Gesellschaft zu lösen. Der Verwaltungsrat kann sich in der Krise nicht mehr im vollen Umfang auf die Delegation der Geschäftsführungsfunktion verlassen, sondern muss sich stärker einbringen als in „normalen“ Zeiten. Das Bewältigen der Krise gehört zu den unübertragbaren Aufgaben des Verwaltungsrates nach Art. 716a OR.
Die Pflicht, die Existenz der Gesellschaft zu erhalten
Gemäss Art. 717 Abs. 1 OR hat der Verwaltungsrat die grundlegende Pflicht, die Interessen der Gesellschaft zu wahren. Diese zentrale Aufgabe verpflichtet den Verwaltungsrat bei finanziellen Schwierigkeiten insbesondere dazu, Massnahmen einzuleiten, welche die Existenz der Gesellschaft sichern. Darunter fallen Massnahmen, welche die für die Betriebsführung notwendige Liquidität sicherstellen, die Ertragskraft stärken und das Eigenkapital wiederherstellen, sofern dieses durch Verluste geschmälert worden ist.
Diese Verpflichtung zur Einleitung von Sanierungsmassnahmen in einer finanziellen Krise mit dem Ziel, das Unternehmen zu erhalten, gilt unabhängig von Art. 725 ff. OR, die dem Verwaltungsrat spezifische Handlungspflichten auferlegen, wenn die finanzielle Krise die Liquidität des Unternehmens gefährdet oder sogar zu einem Kapitalverlust bzw. zu einer Überschuldung führt. Die Verpflichtung, die Interessen der Gesellschaft zu wahren und ihre Existenz zu sichern, gilt auch unabhängig von der Delegation der Geschäftsführungskompetenz an einen CEO oder eine Geschäftsleitung. Der Verwaltungsrat muss im Rahmen der Kompetenzen, die er bei der Delegation vorbehalten hat, zur Sanierung des Unternehmens beitragen. Die Krise kann aber, wie oben gezeigt, gerade auch Anlass sein, die Delegation zu überdenken und sie entweder aufzuheben, ...