Lebendige Seelsorge 5/2019
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Lebendige Seelsorge 5/2019

Abschied von der Volkskirche?

  1. 76 Seiten
  2. German
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Lebendige Seelsorge 5/2019

Abschied von der Volkskirche?

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Über dieses Buch

Wie ist das nun eigentlich mit der Volkskirche? Ist sie schon weg und nur noch Erinnerungsgegenstand von manchen Älteren? Oder ist sie noch da und wandelt aber ihre Gestalt? Ist Volkskirche das, was gehen muss, um Besserem Platz zu machen? Oder hat Volkskirchlichkeit auch etwas, was man besser behalten sollte?Beides kann man sich mit Fug und Recht fragen, denn für beide Ansichten gibt es triftige empirische Belege und ekklesiologische Gründe. Auf der einen Seite kann man im Mitgliederschwund der katholischen Kirche im deutschsprachigen Raum natürlich einen Anlass sehen, den Anspruch von Volkskirche für überholt zu halten. Auf der anderen Seite kann es einem passieren, dass man in einer hochgradig unkonfessionell geprägten Stadt wie Hannover am Bahnhof Kaffee trinkt und in der Speisenkarte für Freitag nur Fischgerichte findet - denn Freitag ist doch Fischtag. Weiß doch jeder. Auf der einen Seite propagieren die einen die Entscheidungskirche, in der endlich die alte volkskirchliche Tendenz zur Mitläuferschaft überwunden sein wird. Auf der anderen Seite mahnen Stimmen, dass es auch etwas mit Freiheit zu tun hat, wenn religiöse Settings so angelegt sind, dass man mit viel Ruhe in den hinteren Bänken Platz nehmen darf, ohne dass einer nachfragt.Das Themenheft ruft diese innere Debatte auf. Es fragt: Was gewinnt, was verliert man, wenn man nicht mehr Volkskirche sein will? Wie verändert sich, je nach Position, die Gestalt der Normalstruktur, des Regelbetriebs von Kirche: die Gemeinde? Ist Verkleinerung, aber Profilierung besser als die bisher gegebene breite, aber eben diffuse kulturelle Präsenz von Kirche? Oder anders, mit Rahner: Muss oder darf der Christ der Zukunft ein Mystiker sein? Und wenn er muss: warum?

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Information

Verlag
Echter
Jahr
2019
ISBN
9783429064259
INTERVIEW
Gemeinde – wie geht’s?, und wie geht’s weiter?
Ein Gespräch mit den Pfarrern Werner Otto, Werner Portugall und Andreas Unfried
LS: Sehr geehrte Herren Pfarrer, ich freue mich sehr, dass wir uns zu diesem Gespräch hier treffen können. Sie alle drei sind langjährig erprobte Gemeinde- und Pfarreileiter, haben manche große und kleine Strukturänderung Ihrer Berufssituation erlebt und engagieren sich in ganz unterschiedlicher Weise für eine zukunftsfähige Gestalt von Kirche allgemein und von Gemeinde speziell. Beginnen wir direkt: War für Sie die Erfahrung von ‚Gemeinde‘ ein wichtiger Grund, sich für den Priesterberuf zu entscheiden?
Pfr. Otto: Meine Heimatgemeinde St. Ursula in Oberursel war für mich ein Ort, an dem ich mich einfach zuhause fühlte. Dort habe ich viele Menschen erlebt, deren Engagement für andere mich sehr beeindruckt hat. Durch die Besuche der Gottesdienste und gute Gespräche mit dem Pfarrer und vielen anderen bin ich in den Glauben immer mehr hineingewachsen. Und ich habe entdeckt, wie viel Freude es mir macht, mich selbst in der Kirche zu engagieren: als Ministrant, Jugendgruppenleiter und in vielen anderen Bereichen.
LS: Und bei Ihnen beiden?
Pfr. Portugall: Auch für mich war es eine bedeutsame Erfahrung, dass ich eine Kirche erlebt habe, die sich Jugendlichen zuwandte und sie förderte, zum Beispiel in meiner Heimatgemeinde, aber auch in Jugendverbänden, im Religionsunterricht und vor allem durch Jugendpfarrer und Jugendbildungsreferent*-innen. Das hat zwar meine Berufung nicht „gemacht“, aber geholfen, sie zu entwickeln
Werner Otto
geb. 1966, Dr. theol., Studium an der PTH St. Georgen in Frankfurt a. M. und am Institut Catholique in Paris; 1999 Priesterweihe, 2001-2003 Bezirksjugendpfarrer im Rheingau, seit 2011 Pfarrer in Sankt Bonifatius Frankfurt; 2005 Gründung der Jugendkirche JONA als Stadtjugendpfarrer in Frankfurt; Gestalttherapeut DVG, Supervisor DGSv.
Werner Portugall
geb. 1963, Studium an der PTH St. Georgen in Frankfurt a. M. und an der Eberhard Karls Universität in Tübingen; 1992 Priesterweihe, 1995-2003 Jugendpfarrer und Stadtvikar in Frankfurt/M., 2004 bis 2009 Pfarrer in Mutter vom Guten Rat in Frankfurt-Niederrad; 2010 bis 2014 Dekan Frankfurt-Süd und Leiter des Pastoralen Raums Frankfurt Südwest; seit 2015 Pfarrer der Pfarrei neuen Typs St. Jakobus Frankfurt am Main.
Andreas Unfried
geb. 1963, Studium an der PTH St. Georgen in Frankfurt am Main und in Würzburg; 1989 Priesterweihe, 1997-2010 Bezirksdekan im Bezirk Main-Taunus, seit 2010 Pfarrer in Oberursel und Steinbach.
Matthias Sellmann
Dr. theol., Professor für Pastoraltheologie an der Ruhruniversität Bochum; Mitglied der Schriftleitung der „Lebendigen Seelsorge“. und Menschen kennenzulernen, mit denen ich meinen Glauben teilen konnte.
Pfr. Unfried: Ganz ähnlich bei mir. Auch ich komme aus der klassischen Gemeindekirche und habe meine Prägung durch kirchliche Jugendarbeit erfahren. Allerdings wurde mir schon im Studium klar, dass meine Kirche sich gerade in einem umfassenden Prozess der Wandlung befindet.
LS: Okay, der Wandel ist ja unübersehbar. Aber da Sie alle drei Ihre Wurzeln in der Gemeindeerfahrung haben, hake ich doch mal provokativ nach: Plädieren Sie dafür, das überkommene Gemeindemodell zu erhalten? Sind Sie Pfarrer, die das alte volkskirchliche Gemeindemodell weiterhin gut finden?
Pfr. Otto: Ich finde mich gar nicht wieder in Ihrer angedeuteten Formulierung „Pfarrer, die das alte Volkskirche/Gemeinde-Modell immer noch gut finden“. Denn es ist ganz klar: Die Pfarrei, in der ich jetzt Pfarrer bin, ist nicht mehr ‚Gemeinde‘, wie ich sie von früher kenne. Es ist ein großes Gebilde mit 5 Kirchen. Vielen Menschen darin ist der Kirchturm vor Ort noch sehr wichtig. Immer mehr Gläubige suchen aber nicht da die Kirche auf, wo sie wohnen, sondern wo ein Gottesdienst nach ihrem Geschmack gefeiert wird. In St. Bonifatius experimentieren wir viel mit dem Thema ‚Ästhetische Liturgie‘. Für die Menschen, die zum „Zentrum Sozialpastoral“ in St. Aposteln kommen, ist der Kirchort vollkommen bedeutungslos. Sie kommen dorthin, weil ihnen dort Hilfe angeboten wird oder sie die Begegnungsmöglichkeiten schätzen. Darüber hinaus verlieren die klassischen Gemeindegremien an Bedeutung, themenorientierte Arbeit in Teams hat bei uns Zulauf. Das ist die Pfarrei, in der ich arbeite. Sie ist mir in der Tat wichtig, aber sie ist ganz anders als die Gemeinde von früher.
Pfr. Portugall: Klare Zustimmung, Herr Kollege. Das Label passt gar nicht. Und ich finde es auch nicht schlimm, dass wir uns von den historischen Vorgaben der letzten zwei Jahrhunderte entfernen und uns neu formieren. Diese Entwicklung beinhaltet ja auch die Chance, bestimmte sozialpsychologische Schatten zu überwinden – damit meine ich den Missbrauchsskandal gegenüber Schutzbefohlenen und den ebenso verbrecherischen Missbrauch von Frauen, wie er etwa zuletzt erschütternd als Dokumentation zur sexualisierten Gewalt gegen Ordensfrauen bekannt gemacht wurde. Auch die permanente Entwertung des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen oder die klerikalistische, zerstörerische Absonderung hierarchischer Kirchenvisionen vom Dialog mit dem Kirchenvolk kann gerne auf den Müllhaufen der Geschichte. Meines Erachtens bietet hier die neue Pfarrei Chancen des Aufbaus neuer synodaler Strukturen und Partizipationen. Jedenfalls gehöre auch ich zu denjenigen, die die Strukturreform der Kirche in Deutschland und in unserem Bistum sinnvoll finden und den spannenden Veränderungsprozess sogar genießen.
Pfr. Unfried: Ich stimme zu: man muss schon genauer kategorisieren. Das fängt beim Begriff ‚Gemeinde‘ an. Wir versuchen in Oberursel und Steinbach die Pfarrei wiederzuentdecken in ihrem ekklesiologischen Wert. Die Pfarrei bedarf dann aber einer Vielzahl von Gemeinden und gemeindeähnlichen Beziehungsräumen, um dem Anspruch, Kirche in ihrer Katholizität zu verwirklichen, entsprechen zu können. Glaube lebt nicht ohne lebendige Beziehungen. Das wichtigste Kriterium ist dabei das der gesellschaftlichen Relevanz: Was trägt Kirche dazu bei, dass das Leben der Menschen besser wird?
LS: Danke für diese Widerstandskraft gegen mein zu einfaches pastoraltheologisches Label! Das Neue muss also mit dem bewährten Alten synchronisiert werden. Das erzeugt natürlich Spannungen. Wenn wir zunächst auf die einzelnen Phänomene schauen: Was genau entdecken Sie denn an Veränderungstreibern in Ihrem gemeindlichen Umfeld?
Pfr. Portugall: Ich sehe erhebliche kulturelle Ungleichzeitigkeiten als große innergemeindliche Herausforderung. Bestimmte volkskirchliche Traditionen leben in den gemeindebestimmenden sozialmoralischen Milieus mit ihren Werten und Normen weiter, trotz nachkonziliarer Gestaltung des Gemeindelebens. Gesellschaftlich haben sich diese Milieus aber spätestens mit dem Durchbruch der digitalisierten vernetzten Gesellschaft weitgehend und mit großer Geschwindigkeit aufgelöst. Partizipations- und Leitungsstrukturen verändern sich ebenfalls rasant. Neue Medien einerseits und die in den städtischen Ballungsräumen relativ gut organisierte Mobilität sorgen sozusagen für neue Kulturen und Ansprüche an und in Gemeinde. Sie sind für mich aber zugleich auch die wichtigsten Instrumente beim Aufbau der Pfarreien neuen Typs mit ihrer größeren Fläche und den inhaltlichen wie verwaltungstechnischen Anforderungen.
Wir befinden uns z. B. aktuell in einem sehr strukturkreativen Prozess, was das Ausloten der Möglichkeiten des synodalen Prinzips angeht oder auch die Organisation von Gemeindeleitung in der Pfarrei mit ihren verschiedenen Kirchorten. All das betrifft aber nicht nur uns als Kirche. Die „formierte Gesellschaft“ steht insgesamt vor der Herausforderung, sich neu zu gestalten, angesichts der derzeitigen kulturellen Umbrüche.
Pfr. Otto: Kann ich bestätigen, das Phänomen dieser Ungleichzeitigkeit. Die ist an vielen Orten spürbar. Der überall feststellbare Schwund an Gemeindemitgliedern verläuft zum Beispiel nicht an allen Orten gleichmäßig. Es gibt lebendige Gemeinden, die weiterhin regen Zulauf haben. Und es gibt Orte, an denen die Gemeinde langsam ausstirbt, was bei den vor Ort Gebliebenen meist Trauer und Wut auslöst. In Frankfurt kann man sehen, wie Gläubige sehr genau prüfen, welche Aktivitäten es in den verschiedenen Pfarreien gibt, und dann den Ort auswählen, der das für sie attraktivste Angebot vorhält. Das Wohnortprinzip verliert zunehmend an Bedeutung – allerdings eben auch wieder nur bei einem Teil der Gläubigen.
LS: Wenn Sie Ihre eigene Identität als Priester und Pfarrer betrachten – hat sich durch den Wandel der Gemeinde und der Sozialformen auch hier etwas gewandelt?
Pfr. Otto: Meine Identität als Priester ist immer stark davon geprägt worden, dass ich vor der Herausforderung stand, etwas Neues aufbauen zu sollen: als Jugendpfarrer eine Jugendkirche in Frankfurt und als Pfarrer eine „Pfarrei neuen Typs“. An einer „Kirche im Werden / im Aufbruch“ mitwirken zu dürfen, ist etwas, das ich als Geschenk empfinde und was mir viel Freude macht. Für meine Berufsidentität ist von entscheidender Bedeutung die Arbeit im Team.
Pfr. Portugall: Ich muss oft an das Buch „Kleriker“ von Eugen Drewermann denken. Drewermann sah die Pfarrer seinerzeit in einer Art Zerreißprobe zwischen der Rolle als „Chef“ oder als „Schamane“, und er sah einen deutlichen Rollenwechsel hin zum Priester als „Schamanen“. Für mich ist aber gerade die Spannung reizvoll. In den Veränderungsprozessen der vergangenen Jahre gab es immer Zeiten, in denen mal die eine oder die andere Seite stärker eingefordert war. Aktuell erlebe ich mich ganz gut in der Balance zwischen den beiden Polen.
Pfr. Unfried: Die Bestandsaufnahme fällt auch bei mir positiv aus. Ja, ich kann sogar sagen: Ich war nie zufriedener in meinem Beruf als in den letzten Jahren. Meinen Beitrag leisten zu können, dass Kirche sich entwickelt – lokal aber nicht engstirnig, macht mir große Freude. Ich muss nicht länger abwickeln oder Mangel verwalten, sondern darf schauen, wohin der Geist Gottes uns heute ruft.
LS: Sie sprechen ja wirklich offensiv und unternehmungslustig von dieser ‚Pfarrei neuen Typs‘. Viele befürchten ja eine Verschlechterung. Ist die große Pfarrei denn nicht das Ende der nahen und heimatgebenden Kirche?
Pfr. Portugall: Quatsch. Sie ist – wenn man es klug angeht – ein wirkungsvolles Instrument, Kirche vor Ort und nahe an den Menschen zu organisieren. Das bedeutet: Man soll zentralisieren, was sinnvoll zentralisiert werden kann, zum Beispiel Steuerung, Liegenschaften, Personalführung, Verwaltung. Aber man muss nah und dezentral managen, was dem Gemeindeleben vor Ort dient, zum Beispiel AnsprechBars und Infotheken statt Pfarrbüros, nützliche Gemeinderäume, verlässliche Gottesdienstzeiten, die nicht rotieren, bekannte Ansprechpartner*innen vor Ort usw.
Pfr. Unfried: Natürlich muss auch die Großpfarrei dezentral organisiert sein. Natürlich geht Glaube niemals ohne persönliche Beziehung und mitmenschliche Erfahrung. Es ist aber schlicht falsch, dass das in den alten Strukturen selbstverständlich gegeben gewesen ist. Genauso falsch, wie dass es in der neuen Struktur nicht möglich wäre.
Pfr. Otto: Man kann Zentralisierung und Professionalisierung der Pastoral nicht gegen Wohnortnähe ausspielen. Wir haben zum Beispiel die „Kontaktstellen“ an den Kirchorten weitgehend geschlossen, weil die Leute lieber direkt zum Zentralen Pfarrbüro gegangen sind, da der Service dort einfach besser ist. Es ist wichtig, gemeinsam mit den Gemeindemitgliedern zu überlegen, welche seelsorglichen Angebote vor Ort ihnen wichtig sind und was auch zentralisiert angeboten werden kann. Und es lohnt sich, dafür zu werben, dass Kirchorte sich inhaltlich profilieren. Wenn an einem Ort qualitativ hochwertige profilierte Angebote gemacht werden, dann kommen Menschen auch gerne dorthin.
LS: Die Spannung von Ferne und Nähe ist ein aktueller Streitpunkt, wenn es um die Zukunft der Gemeinden geht. Ein zweiter ist die Spannung von Entscheidung und Konvention. Manche sagen, das frühere Modell habe zu viele Mitläufer und versorgte Konsumenten produziert und sei mystisch schwach geblieben, anspruchslos. Sie fordern die Entscheidungskirche. Was sagen Sie?
Pfr. Otto: Entschiedene Christ*innen sind ein Segen für die Menschen – aber nur, wenn sie nicht meinen, sie müssten den Menschen die Erlösung bringen. Das macht Christus schon selbst. Christen sind diejenigen, die um dieses Geschenk wissen und aus der Dankbarkeit dafür leben.
Pfr. Unfried: Kirche darf nie elitär werden. Die Botschaft geht an alle und geht alle an. Jesus hat die Bergpredigt nicht nur vor den Aposteln gehalten. Kirche, die sich von den Menschen entfernt, hat ein Problem. Und sie kriegt eines, und zwar mit Jesus.
Pfr. Portugall: Es gibt eben viele und unterschiedliche „Kirchentypen“. Was, wer und wie aber auch immer die Christ*innen der Zukunft sein werden, ich hoffe, dass etwas von diesem Erbe des II. Vatikanischen Konzils in ihnen weiterbrennt: „Kirche in der Welt von heute“ sein zu wollen und „Kirche in der Welt von heute“ zu gestalten. Das halte ich für zentral.
LS: Sprechen Sie eigentlich selbst noch von ‚Volkskirche‘? Oder von ‚Kirche im Volk‘ oder ähnlich? Oder halten Sie den Begriff nicht mehr für passend? Ist dieser Begriff für Sie von Zahlen abhängig – etwa der Sonntagsgottesdienstbesucher*innen? Oder von anderen Größen?
Pfr. Portugall: Vor Jahren las ich mal einen Beitrag in einer Ausgabe der „Blätter zur politischen Bildung“, der in ähnlicher Weise über die Frage nachdachte, ob der Begriff „Volkspartei“ noch sinnvoll sei. Der Autor wunderte sich, warum die Kirchen (vor allem ihre Bischöfe, Kirchenpräsidenten und Theolog*innen) so eifrig versuchen, sich von der Marke „Volkskirche“ zu trennen, wo es doch weder quantitativ noch qualitativ aktuell eine intermediäre Institution hierzulande gäbe, die das leiste, was die großen Kirchen mit ihren unt...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Inhalt
  3. Thema
  4. Thesen zur Zukunft von Gemeinden als Basisstruktur des Christlichen
  5. Reform durch „Missionarische Synodalität“ Die Replik von Paul Metzlaff auf Karl Gabriel
  6. Halbiertes Christentum Die Replik von Karl Gabriel auf Paul Metzlaff
  7. „Volkskirche“: eine verheißungsvolle Realität Ein Blick in die Zukunft der deutschen Großkirchen
  8. Projekt
  9. Interview
  10. Praxis
  11. Pflicht oder Kür? Oder: Wie Fresh Expressions zeigen, dass Gemeinde nicht normal sein kann
  12. Abschied von der Volkskirche – Thesen zu einer aktuellen Kirchendeutung in kirchenhistorischer Perspektive
  13. Gemeinde nach dem Ende der Volkskirche. Eine Stimme aus den Niederlanden
  14. Forum
  15. Nachlese
  16. Buchbesprechungen
  17. Impressum
  18. Popkulturbeutel
  19. Take a picture and leave