Der Schoppenfetzer und das Maulaff-Mysterium
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Der Schoppenfetzer und das Maulaff-Mysterium

Erich Rottmanns vierzehnter Fall

  1. 194 Seiten
  2. German
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Der Schoppenfetzer und das Maulaff-Mysterium

Erich Rottmanns vierzehnter Fall

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Das Würzburger Traditionsweinlokal Maulaffenbäck wird völlig überraschend geschlossen. Der Stammtisch Die Schoppenfetzer und die anderen Gäste stehen vor verschlossenen Türen. Gerüchte von Zahlungsunfähigkeit geistern durch die Stadt. Der Eigentümer der Weinstube und der Wirt schweigen sich über die Gründe aus. Die Schoppenfetzer, die durch die Schließung heimatlos geworden sind, finden in der Weinstube Johanniterbäck eine Bleibe. Während sich am runden Tisch ein aus Italien eingereister entfernter Cousin von Ron Schneider einen Platz erobert, wird Exkommissar Erich Rottmann von Fili Filißter, dem Eigentümer des Maulaffenbäck, um Hilfe gebeten. Ehe sich Rottmann versieht, wird er in einen Strudel krimineller Ereignisse hineingerissen. Nach einer Nacht voller Sorgen um den verschwindenen Erich Rottmann stößt Elvira Stark auf eine Leiche. Die Spur führt in die Vergangenheit von Würzburg, zu dem schrecklichen 16. März 1945.

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Information

Verlag
Echter
Jahr
2018
ISBN
9783429064174
70 Jahre später
Würzburg, den 4. August 2015
Das schrille Läuten eines Telefons, das die Stille einer nächtlichen Wohnung durchdringt, hat etwas Unheimliches und versetzt die Bewohner in eine gewisse Alarmbereitschaft. Elvira Stark erging es da nicht anders. Sie schreckte aus ihren Gedanken auf und warf automatisch einen Blick auf das Ziffernblatt der Uhr über dem Sideboard in ihrem Wohnzimmer. Es war kurz vor vier. Sie war noch nicht im Bett gewesen. Sie war viel zu aufgeregt und nervös. Seit sie vor zwei Stunden Öchsle alleine in der Rosengasse aufgegriffen hatte, marschierte sie unruhig in ihrer Wohnung umher. Ihr erster klarer Gedanke nach dem Läuten war: Es ist etwas passiert! Sie eilte zum Telefon, hob ab und meldete sich.
Die Stimme, die aus dem Hörer kam, klang roboterhaft unmoduliert und leicht verzerrt.
„Guten Abend, Frau Stark, ich hoffe, ich habe Sie nicht allzu sehr erschreckt.“ Vergeblich versuchte sie festzustellen, ob es sich um eine weibliche oder eine männliche Stimme handelte. Die Verzerrungstechnik machte dies unmöglich.
„Was wollen Sie?“
„Frau Stark, leider muss ich von Ihnen einen Dienst erbitten. Gehen Sie nachher, auf keinen Fall aber vor halb fünf, zur Maulhardgasse. Nur Sie und sonst niemand. Dem Eingang des ‚Maulaffenbäck‘ gegenüber wartet ein Paket auf Sie.“
„Moment! Aber was ist …“ Sie kam nicht mehr dazu, nach Erich Rottmann zu fragen, denn das Gespräch war bereits unterbrochen. Verstört legte sie den Hörer zur Seite. Ihr Magen zog sich zusammen, wenn sie daran dachte, was sie dort erwartete. Hastig eilte sie ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen.
Eine Woche zuvor, am 27. Juli
Der Service-Mitarbeiter der Bahn löste die Bremse des auf dem Bahnsteig bereitstehenden mobilen Rollstuhllifts und zog das hydraulische Gerät in die Nähe der Bahnsteigkante. Schnell warf er einen Blick auf seine Armbanduhr: 13.46 Uhr. In der Ferne konnte er die weiß-rote Bugspitze des einfahrenden ICE Frankenland aus München erkennen. Der Zug hatte nur eine Minute Verspätung. Per Telefon war er über die Mobilitätsservice-Zentrale verständigt worden, dass sich im Wagen 14 ein Rollstuhlfahrer mit dem Zielbahnhof Würzburg befand. Wagen 14, Fahrgästen der 1. Klasse vorbehalten, würde im Abschnitt D des Bahnsteigs halten.
Stetig langsamer werdend, rollte der ICE in den Bahnhof ein. Auf dem Bahnsteig warteten zahlreiche Fahrgäste.
Der Service-Mitarbeiter wartete, bis der Wagen 14 exakt an dem dafür vorgesehenen Abschnitt des Bahnsteigs zum Stehen kam und sich die Türen mit einem Zischen öffneten. Zuerst verließ der Zugbegleiter den Wagen und verständigte sich mit dem Wartenden mit einem Nicken.
„Servus. Ich denke, wir lassen erst die anderen Passagiere aussteigen. Seniore Luccaliano ist damit einverstanden.“
Ein Schwall von Reisenden verließ den Zug und eilte in Richtung Treppe. Einige hatten ihr Ziel erreicht, andere mussten den Bahnsteig wechseln, um ihren Anschlusszug zu bekommen.
Als sich einsteigende Passagiere in den Wagen drängen wollten, verwies sie der Zugbegleiter auf einen anderen Einstieg und der Service-Mitarbeiter fuhr den Rollstuhllift, nachdem der Zugbegleiter wieder eingestiegen war, dicht an die Treppe. Er arretierte die Räder und fuhr den Lift auf Höhe des Zugniveaus. Durch die Tür konnte er drinnen einen alten Herrn sehen, der in einem modernen Elektro-Rollstuhl saß und geduldig darauf wartete, dass er auf den Lift fahren konnte. Der Mann trug einen breitrandigen Hut, der sein Gesicht beschattete. Tiefe Falten markierten seine Züge wie hineingemeißelt und wurden durch die ausgeprägte Bräune, die sein Gesicht aufwies, nochmals betont. Unter dem hellen Übergangsmantel waren ein hellblaues Hemd und eine Krawatte zu erkennen. Seine ebenfalls gebräunten Hände hielten einen Gehstock mit silberfarbenem Knauf. Das Alter des Mannes war schwer einzuschätzen. Hinter ihm standen zwei hochgewachsene Männer mit Sonnenbrillen, die die Szene aufmerksam beobachteten. Die beiden hätten Brüder sein können.
Auf ein Zeichen des Zugbegleiters hin bewegte der Rollstuhlfahrer den Steuerstick seines fahrbaren Untersatzes. Das singende Geräusch eines Elektromotors ertönte und das Gefährt rollte auf die Plattform des Lifts. Der Begleiter hob ein Gepäckstück auf und trat damit ebenfalls auf die Plattform. Einen Augenblick später berührten die Räder von Seniore Luccalianos Rollstuhl zum ersten Mal Würzburger Boden. Der Blick seiner graublauen Augen glitt mit wacher Aufmerksamkeit über die Menschen, die eilig den ICE bestiegen, und über die anderen, die sich in einem breiten Strom über die Treppe in Richtung Bahnhofshalle ergossen. Bis jetzt hatte er keinen Ton gesprochen. Schließlich sah er den Zugbegleiter direkt an.
„Mille grazie für Ihre Betreuung“, sagte er leise mit sonorer Stimme. Sein Deutsch war akzentfrei. Einer der Männer hinter ihm, die über die Treppe ausgestiegen waren, gab dem Zugbegleiter die Hand, dabei drückte er ihm diskret einen Geldschein in die Hand. Erstaunt warf der Mann einen Blick auf die Banknote, dann bedankte er sich überschwänglich. Der Mann im Rollstuhl winkte nur ab. Der Zugbegleiter stieg eilig zurück in das Abteil. Durch die Lautsprecher am Bahnsteig kam die Ansage, dass der ICE abfahrbereit war.
Während der Intercityexpress einen Augenblick später langsam aus dem Bahnhof rollte, näherte sich eilig ein junger Mann über den Bahnsteig und kam zielstrebig näher.
„Grüß Gott, Herr Luccaliano, mein Name ist Stefan Berger, ich bin Ihr persönlicher Fahrer.“ Er beugte sich hinunter und wollte dem alten Herrn die Hand reichen. Der beachtete diese Geste aber nicht, sondern stellte in scharfem Ton fest: „Sie sind zu spät! Es war vereinbart, dass Sie mich am Bahnsteig erwarten.“
„Ich weiß“, gab Berger zurück, „ich muss mich auch vielmals entschuldigen, aber die Parkplatzsituation rund um den Würzburger Bahnhof ist einfach katastrophal.“
Der Mann im Rollstuhl machte eine ungeduldige Geste. „Das nächste Mal planen Sie Verzögerungen mit ein. So, jetzt sehen Sie zu, dass wir hier von diesem zugigen Bahnsteig runterkommen.“
Der Service-Mitarbeiter trat einen Schritt nach vorn. „Leider ist der Würzburger Bahnhof noch nicht mit einem Lift ausgestattet, so dass wir bedauerlicherweise einen kleinen Umweg nehmen müssen. Folgen Sie mir doch bitte.“
Einer der schweigsamen Begleiter des Rollstuhlfahrers hängte den Gepäcktrolley hinten an den Rollstuhl, dann steuerte der alte Mann das Gefährt hinter dem Servicemann her. Die Männer folgten. Über verschiedene Umwege erreichten sie schließlich den Bahnhofsvorplatz. Der Service-Mitarbeiter verabschiedete sich. Seine Aufgabe war erfüllt. Auch er erhielt ein großzügiges Trinkgeld, dann eilte er davon.
Auf dem Parkplatz steuerte Berger einen Kleinbus an, der auf Knopfdruck über eine Fernbedienung nach hinten eine Rampe ausfuhr, mit deren Hilfe Luccaliano bequem in das Fahrzeug fahren konnte. Dort wurden die Räder seines fahrbaren Untersatzes arretiert. Seine beiden Begleiter setzten sich neben den Fahrer. Luccaliano blieb während der Fahrt im Rollstuhl sitzen. Obwohl er mit unbeweglicher Miene aus dem Fenster sah, erfüllten ihn tief in seinem Innersten sehr gemischte Gefühle, als er draußen die Häuser der Stadt an den Scheiben vorbeihuschen sah.
Eine halbe Stunde später rollte der betagte Italiener über die barrierefreie Schwelle einer Penthousewohnung im Stadtteil Frauenland. Die auf dem Dach eines sechsstöckigen Bankhauses erbaute Wohnung war großzügig geschnitten und nahm das gesamte oberste Stockwerk des Gebäudes ein. Sie verfügte über eine Dachterrasse und genügend Räume, da auch Personal mit einziehen sollte.
Seniore Luccaliano zog den Hut vom Kopf und warf ihn auf den Sessel einer Polstergarnitur aus weißem Leder. Unter der Kopfbedeckung kamen militärisch kurz geschnittene weiße Haare zum Vorschein, die einen markanten Kontrast zu seinem gebräunten Teint bildeten. Ein Buch, das er zwischen Oberschenkel und Rollstuhllehne eingeklemmt hatte, legte er auf den Tisch. Offenbar hatte er im Zug darin gelesen. Langsam bewegte er sein Gefährt vor die westliche Wand des Wohnzimmers, die aus einer aus einzelnen Glassegmenten zusammengesetzten Fensterfront bestand. Durch die Scheiben konnte man einen Teil der Dachterrasse sehen. In der Ferne war die markante Skyline der Festung Marienberg zu erkennen. Luccaliano versank eine ganze Weile in der Betrachtung der Aussicht, dann drehte er den Rollstuhl abrupt um und stellte die Bremsen fest. „Adriano, helfen Sie mir bitte“, bat er auf Italienisch, dabei wies er auf die Fußstützen. Der mit „Adriano“ angesprochene Begleiter beeilte sich, diese einzuklappen, dann stemmte sich der alte Mann hoch.
Als Berger ihm dabei behilflich sein wollte, knurrte er nur kurz: „Meinen Stock!“ Als er, sich auf die Gehhilfe stützend, festen Stand hatte, löste er die Knöpfe seines Mantels und ließ ihn von den Schultern gleiten. Adriano fing ihn auf. Luccaliano trug unter dem Mantel einen maßgeschneiderten Anzug, der seine schlanke Figur betonte.
„Den Rollstuhl können Sie in den Flur schieben“, erklärte Luccaliano Berger. „Innerhalb der Wohnung werde ich ihn nicht benötigen. Wann kommt das Hausmädchen?“
„Magdalena Pawlowicz ist bereits heute früh eingetroffen. Sie hat das für sie vorgesehene Zimmer bezogen und ist jetzt unterwegs, um einige Lebensmittel einzukaufen. Sie haben uns ja Ihre entsprechenden Wünsche übermittelt. Ich denke, sie wird in der nächsten halben Stunde zurück sein. Möchten Sie sich vielleicht nach der langen Reise etwas ausruhen? Es ist auch einige Post für Sie eingetroffen.“
Luccaliano winkte ab. „Zeigen Sie zunächst einmal meinen Männern ihre Zimmer. Dann möchte ich das Bad sehen und anschließend die restliche Wohnung. Ich habe sie bisher ja nur auf Bildern gesehen.“
Bevor Luccaliano das Bad betrat, blieb er kurz stehen und kramte in seiner Hosentasche. Er zog einen Zettel hervor und übergab ihn Berger.
„Rufen Sie diese Nummer hier an. Sie gehört einem Ronald Schneider. Sagen Sie ihm, dass sein Cousin Michael aus Rom ihn sprechen möchte. Sicher wird er erst einmal überrascht sein, denn er weiß nicht, dass ich in Würzburg bin. Aber das macht nichts. Sagen Sie ihm, dass Sie ihn in drei Stunden zu Hause abholen.“
„Was ist, wenn er mir nicht glaubt? Wenn er Fragen hat?“
Luccaliano lachte leise. „Sagen Sie ihm, dass ich meine Planungen, die ich in meinem Brief angedeutet habe, früher als gedacht realisieren konnte. Glauben Sie mir, er wird kommen.“ Dann humpelte er ins Bad.
Riccardo Luccaliano hörte das Läuten der Klingel. Luigi, der zweite Begleiter des Italieners, ging zur Sprechanlage im Flur. Luccaliano warf einen prüfenden Blick auf den Couchtisch. Magdalena hatte trotz der kurzen Zeit, die ihr zur Verfügung gestanden hatte, alles zu seiner Zufriedenheit gerichtet.
Es dauerte einige Minuten, dann kam Ron Schneider ins Zimmer.
Der Italiener ging seinem Gast am Stock einige Schritte entgegen.
Ron Schneider blieb in der Tür stehen und musterte Luccaliano mit großen Augen. „Lieber Cousin, du siehst mich einfach sprachlos! Als ich vorhin den Anruf erhielt, konnte ich es gar nicht glauben. Du bist schon hier! Ich habe erst in einigen Monaten mit dir gerechnet. Also dann, herzlich willkommen in Würzburg! Ich freue mich wirklich, dich kennenzulernen.“ Er ging auf Luccaliano zu und umarmte ihn.
„Tja, Ronald, manchmal entwickeln sich die Dinge schneller, als man denkt. Ich bin auch sehr glücklich, nach den vielen Jahrzehnten meiner Abwesenheit von Deutschland noch einen Verwandten in Würzburg gefunden zu haben. Schön, dass du dir die Zeit genommen hast, mich so spontan zu besuchen. Wir haben uns sicher viel zu erzählen.“
„Oh, bitte, nenn mich Ron. Kein Mensch sagt Ronald zu mir. Ich weiß auch nicht, was sich meine Eltern bei dieser Namenswahl gedacht haben.“
Luccaliano lachte. „Also gut, Ron, komm rein in meine bescheidene Hütte und nimm Platz.“ Er wies zum Couchtisch. „Das Hausmädchen hat eine kleine Auswahl Kuchen besorgt, hoffentlich hat sie deinen Geschmack getroffen.“ Luccaliano hinkte hinter seinem Cousin zu einem Sessel und ließ sich hineinfallen. Schneider nahm auf der Couch Platz. Dabei warf er einen bewundernden Blick auf die Aussicht. „Von wegen ‚bescheidene Hütte‘. Das ist ja ausgesprochen luxuriös. Ich habe das Gefühl, dir ist es in all den Jahren in Italien sehr gut gegangen.“
In der Tür erschien eine junge Frau mit einer Kaffeekanne in der Hand.
Luccaliano stellte sie kurz vor. Ron Schneider nickte ihr zu, sie grüßte zurück.
„Lassen Sie die Kanne auf dem Tisch stehen“, bat der Italiener, nachdem sie eingeschenkt hatte, „wir bedienen uns selbst.“
„Gern“, erwiderte sie, dann zog sie sich zurück.
„Eine sehr nette junge Frau“, stellte Schneider fest.
„Ja, da hat Berger wirklich einen Glücksgriff getan.“
„Es ist schon erstaunlich, auf welchem Wege du mich ausfindig gemacht hast. Bis zu deinem ersten Brief hatte ich von deiner Existenz keine Ahnung. Soweit ich von meiner Mutter weiß, sind mein Vater und seine beiden Brüder im Krieg gefallen. Ich selbst habe ja keine Erinnerung an diese Zeit, da ich am Kriegsende gerade mal ein paar Monate alt war. Weil wir ausgebombt waren, lebten wir einige Jahre auf einem Bauernhof bei Verwandten.“
Luccaliano hörte ihm aufmerksam zu. Er nahm einen Schluck Kaffee, dann lehnte er sich in die Polster zurück.
„Die Erinnerungen an meine Kindheit waren relativ nebulös. Erlebnisse und Geschehnisse sind szenische Erinnerungsfetzen ohne jeglichen Zusammenhang. Auf der anderen Seite steht das Gesicht meines Vaters und meines Onkels Heinrich sehr genau vor meinem geistigen Auge. Ich weiß auch noch, dass meine Mutter bei einem Tieffliegerangriff ums Leben gekommen ist. Mein Vater war dann da und hat sich um mich gekümmert. Wir lebten einige Zeit bei Onkel Heinrich in einem Keller. Plötzlich, eines Tages, drangen Soldaten bei uns ein und haben Vater und Onkel abgeführt. Ich weiß noch, ich habe schrecklich geschrien und da waren außerdem noch diese fürchterlichen Explosionen und überall Feuer. Mein Vater und mein Onkel waren plötzlich weg und ich war alleine. Hier reißt meine Erinnerung ab. Da ist wie ein schwarzes Loch, aus dem allerdings imm...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelblatt
  3. Urheberrecht
  4. Würzburg 1945
  5. 70 Jahre später
  6. Die Schoppenfetzer-Reihe von Günter Huth