Frauen stören
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Frauen stören

Und ohne sie hat Kirche keine Zukunft

  1. 202 Seiten
  2. German
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Frauen stören

Und ohne sie hat Kirche keine Zukunft

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Katharina Ganz hat sich in den Diskussionen um die Rolle der Frauen in der katholischen Kirche pointiert und unerschrocken geäußert. Dabei stellt sie klar, dass diese ihren unschätzbaren Beitrag für das Leben und Miteinander nur dann glaubhaft vermitteln kann, wenn ihre Strukturen, die Verteilung von Macht, der Umgang mit den eigenen Mitgliedern und Ressourcen dem Geist Jesu Christi entsprechen.Dazu gibt sie Anstöße, indem sie eigene Erlebnisse und Stationen erzählt, theologisch und spirituell reflektiert und mit Positionen aus ihrer Ordensgemeinschaft und solchen als feministisch-pastoraltheologisch denkende Franziskanerin verknüpft. Ausgehend von ihrer Begegnung mit Papst Franziskus im Mai 2019 geht sie auf Fragestellungen ein, mit denen sich das Forum "Frauen in Diensten und Ämtern" beim Synodalen Weg befasst, blendet zurück in die Zeit der Gründung ihrer Kongregation im 19. Jh., um dann Fragen zu erörtern, die gegenwärtig innerkirchlich unter den Nägeln brennen.

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Information

Verlag
Echter
Jahr
2021
ISBN
9783429065317
Teil 1

1.Papst Franziskus und die (Ordens-)Frauen

Im Mai 2016 habe ich zum ersten Mal an der alle drei Jahre in Rom stattfindenden Mitgliederversammlung der Internationalen Vereinigung der Generaloberinnen (UISG) teilgenommen.21 Die Tagung stand unter dem Motto „Für das Leben eine globale Solidarität weben“. Es findet traditionell im einzigen Hotel in der Ewigen Stadt statt, das – wie mir andere Teilnehmerinnen berichteten – über eine Aula verfügt, in der bis zu 1.000 Menschen auf einmal tagen können. Die versammelte Frauenpower beeindruckte mich sehr. 870 Generaloberinnen, die weltweit hunderttausende Ordensfrauen apostolisch-tätiger Kongregationen vertreten, saßen an runden Tischen, in elf Sprachgruppen aufgeteilt. Alle Meditationen, Vorträge und Impulsfragen wurden von Referentinnen aus den eigenen Reihen vorgetragen. Befremdlich war für mich allerdings, was ich dann bei den Eucharistiefeiern erlebte: Täglich um 11 Uhr betrat ein Mann – meist ein Ordensmann, ab und zu ein hochrangiger Vertreter des Vatikans – den Saal, legte das Wort Gottes aus und zelebrierte die Messe. Danach verschwand er ebenso schnell wie er gekommen war, und wir Ordensfrauen waren wieder unter uns.
Von Tag zu Tag erschien mir dieser Auftritt anachronistischer, wie ein Relikt aus vergangener Zeit, deplatziert und fragwürdig. Hier saßen Frauen, die – unabhängig davon, ob sie in Russland, Südkorea, Brasilien, Nigeria, Kanada, Indien oder Tschechien lebten – allesamt geistliche Leiterinnen katholischer Gemeinschaften sind. Sie sind vielfältig in allen vier kirchlichen Grundformen tätig: in Liturgie und Stundengebet, in der Diakonie, Glaubensverkündigung und in der Sammlung der Gemeinschaft. Alle sind beauftragt, ihren Kongregationen vorzustehen; ihre Mitglieder haben ihnen für eine gewisse Amtszeit Personal- und geschäftsführende Verantwortung übertragen. Sie entscheiden über die Aufnahme neuer Mitglieder und nehmen im Namen der Kirche deren Gelübde entgegen. Sie begleiten sterbende Schwestern und übernehmen bisweilen den Beerdigungsdienst. Sie errichten und schließen Niederlassungen; sie stehen – oft über Länder und Kontinente hinweg – in Kontakt mit Schwestern, Konventen, Regionen und Provinzen; sie korrespondieren mit weltlichen und kirchlichen Behörden. Die Kongregationen fungieren als Arbeitgeberinnen und unterhalten Einrichtungen, engagieren sich pastoral und sozial, sind im Bildungs- oder Gesundheitswesen tätig oder an der Seite von besonders verwundbaren Menschen. Sie tun dies alles in der Nachfolge Jesu, indem sie nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, seine froh machende Botschaft erfahrbar werden zu lassen, entsprechend dem jeweiligen Gründungscharisma und der ihren Gemeinschaften zugrunde liegenden spirituellen Ausrichtung. Die Generaloberinnen dürfen Unternehmen leiten, Theologie lehren, Mitglieder ausbilden, weitreichende finanzielle und wirtschaftliche Entscheidungen treffen, nur einiges Wenige dürfen sie nicht: Brot und Wein in Leib und Blut Jesu Christi wandeln, Kranke salben und im Namen der Kirche Sünden vergeben.
Als ich an meinem deutschsprachigen Tisch während einer Reflexionsrunde einmal mein Befremden und inneres Dilemma mit der priesterlichen Situation kundtat, versuchte mich eine Kollegin aus Österreich zu trösten, die in der vierten Amtszeit Generaloberin war. Sie schilderte mir die enormen Fortschritte, die es in den letzten Jahrzehnten gegeben habe. Als sie in den 1990-er Jahren erstmals an den UISG-Tagungen teilgenommen hatte, seien die Vorträge noch allesamt von männlichen Referenten, meist von Angehörigen des Jesuitenordens, gehalten worden. Sukzessive hätten Expertinnen aus den eigenen Reihen die Moderation und Gestaltung der Inhalte übernommen. Für mich wurde nie deutlicher als in jenen Tagen, wie sehr die Feier der Eucharistie ein Ämterverständnis spiegelt, in dem die Weihevollmacht und sakramentale Amtshandlung strikt an das männliche Geschlecht gebunden sind. Und mehr als jemals zuvor hat mich dies zutiefst befremdet und irritiert.
Drei Tage später am 12. Mai 2016 fand eine Audienz mit Papst Franziskus in der Aula Paul VI. statt.22 Schon Wochen vor unserem Treffen in Rom waren wir per Mail eingeladen worden, Fragen an die Koordinatorinnen unserer elf Sprachgruppen zu schicken, die wir Papst Franziskus stellen wollten. So kamen insgesamt 250 Einzelfragen zusammen, die vom Präsidium der UISG zu sechs Fragenkomplexen gebündelt und im Vorfeld an den Papst weitergeleitet worden waren. Obwohl er sich schriftlich auf die Audienz vorbereitet hatte, suchte Franziskus den Dialog mit den Ordensfrauen und bat die Präsidentin Sr. Carmen Sammut MSOLA (Malta), ihre Fragen erneut zu stellen. Im ersten Anliegen ging es um die bessere Einbindung von Frauen in die Entscheidungsprozesse der Kirche sowie um die Möglichkeit für Frauen, in der Eucharistiefeier zu predigen. Hier gab der Papst zu, dass Frauen noch zu wenig in Entscheidungsprozesse eingebunden sind und versprach Abhilfe. Im Fall der Predigt in der Eucharistiefeier verwies er auf die Einheit von Wortgottes- und Eucharistiefeier, in der der Priester den Vorsitz habe und „in persona Christi“ handelt.
Das zweite Thema betraf die Einführung eines ständigen Diakonates für Frauen mit der Begründung, dass gerade (Ordens-)Frauen sehr stark im diakonalen Bereich tätig sind und gipfelte in den Fragen: „Was hindert die Kirche daran, auch Frauen unter die ständigen Diakone aufzunehmen, genau wie es in der frühen Kirche geschehen ist? Warum setzt man keine offizielle Kommission ein, die diese Frage untersuchen könnte?“23 Der Papst versprach, diesen Vorschlag aufzugreifen. Weitere Anliegen bezogen sich auf die bessere Einbindung von Ordensfrauen in Belange des geweihten Lebens. Es wurde die Frage gestellt, wie es möglich ist, dass die Stimmen von 2000 weiblichen Ordensinstituten „sehr oft vergessen und nicht einbezogen werden“, etwa in den Vollversammlungen der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und für die Gesellschaften des apostolischen Lebens? „Kann die Kirche es sich erlauben, über uns zu sprechen statt mit uns zu sprechen?“24 Auch sprach das Präsidium der UISG über die Erfahrung von Ordensfrauen, in ihrem Dienst an der Seite von Armen und Ausgegrenzten bisweilen von Vertretern der kirchlichen Hierarchie als politische Sozialaktivistinnen hingestellt zu werden. „Einige kirchliche Autoritäten möchten, dass wir mystischer und weniger apostolisch“ sind.25 Hier ermutigte Papst Franziskus die Schwestern, ihrem eigenen Charisma zu trauen, in der Freiheit des Geistes Gottes zu handeln, und betonte, dass das Kirchenrecht ein Werkzeug sei, das der Wirklichkeit angepasst werden könne und müsse, wenn es die Notwendigkeiten erforderten.
Die Nachricht über das Vorhaben des Papstes, eine Studienkommission einzusetzen, die das Frauendiakonat weiter untersuchen sollte, hatte noch am selben Abend weltweit die Schlagzeilen beherrscht.26 Mit einer Gruppe der in Rom versammelten deutschsprachigen Generaloberinnen feierten wir das Ereignis. Gemeinsam hatten wir Hoffnung geschöpft, dass die verschlossen geglaubte Tür zur Frauenordination möglicherweise nur geschlossen, aber nicht dauerhaft zugeschlagen oder gar verriegelt sei. Weitere Hoffnung, dass es Franziskus ernst sein könnte mit der Frauenförderung in der katholischen Kirche, keimte auf, als die Liturgiekommission wenige Wochen später den 22. Juli aufwertete. Seitdem wird der Tag in Erinnerung an die erste Osterzeugin Maria von Magdala gleichrangig wie ein Apostelfest begangen, und es gibt eine eigene Präfation im liturgischen Hochgebet.

Überhöhung des Papsttums

Im Mai 2019 nahm ich zum zweiten Mal an der UISG-Vollversammlung in Rom teil. Sie stand unter der Überschrift „Säerinnen prophetischer Hoffnung“. Diesmal war die Audienz mit Papst Franziskus auf den letzten Tag festgesetzt worden. Zuerst hatten wir eine Messe im Petersdom mit dem Vorsitzenden der Religiosenkongregation, Kardinal João Braz de Aviz. Aufgrund der umfassenden Sicherheitskontrollen saßen wir lange vor Gottesdienstbeginn in der Apsis der mächtigen barocken Basilika, der bedeutendsten Kirche des Katholizismus. Über eine Stunde betrachtete ich die Cathedra Petri, das imposante Kunstwerk Gian Lorenzo Berninis. Im Auftrag von Papst Urban VII. hatte Bernini den aus dem Mittelalter stammenden hölzernen und mit Elfenbein verzierten Thron in eine Bronzeskulptur eingebettet. Nun tragen vier Kirchenväter – zwei aus dem Orient, zwei aus dem Okzident – den Heiligen Stuhl lediglich mit ihren Fingerspitzen. Der überhöht dargestellte Sitz schwebt auf den Wolken, über den Köpfen der Gläubigen. Direkt über dem majestätischen tonnenschweren Arrangement schwebt die Heilig-Geist-Taube, umhüllt von einer dünnen Alabasterschicht, durch die die Strahlen der einfallenden Morgensonne den Raum in ein mystisches Licht tauchen. Diese – vom auferstandenen Christus und seinem Heiligen Geist – herkommenden Strahlen wurden durch die künstlerische Hand Berninis genial verstärkt.
Die nonverbal vermittelte Botschaft lautet: Der Papst ist absoluter Herrscher und Monarch der ganzen Christenheit, er thront zwischen Himmel und Erde, ist Mittler Jesu Christi und sein Stellvertreter auf Erden. Mit dem Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens- und Gewissensfragen wurde dieser Autoritätsglaube beim Ersten Vatikanischen Konzil 1870 dogmatisch zur kirchlichen Lehre erhoben. Seitdem bedeutet Glaube im Katholizismus auch gehorsame Unterwerfung unter die kirchliche Hierarchie. Wer nicht gehorcht, glaubt nicht richtig. An die Stelle innerer Überzeugung tritt die Annahme dessen, was das Lehramt entscheidet und zu befolgen gebietet. Etwas überspitzt könnte man auch sagen: Das Kirchenrecht und der Katechismus überflügeln das Evangelium. Katholisch Christ*in sein heißt nun nicht mehr in erster Linie Jesusnachfolge, sondern das Für-wahr-Halten von vorgelegten Glaubenssätzen.
Tendenziell ist diese Auffassung einer streng hierarchischen Kirchenverfassung, die sich erst im Ultramontanismus des 19. Jahrhunderts ganz auf Rom hin ausrichtete und zentralisierte, per se eher demokratiefeindlich und schwer zu vereinen mit dem postmodernen Streben nach Freiheit sowie Erscheinungen von Pluralität, Geschichtlichkeit und Veränderbarkeit. Schnell werden Wünsche nach mehr Partizipation, Synodalität und Mitbestimmung als Angriffe des Relativismus auf die unveränderliche göttliche Ordnung gesehen oder – mit einem antiökumenischen Unterton – als Protestantisierung abgetan. So nimmt die römisch-katholische Kirche zunehmend identitäre Züge an, während sie meint, dem Zeitgeist und Mainstream zu trotzen. Sie generiert sich als Hüterin der Tradition und eines einmal geoffenbarten und unveränderlichen Glaubensgutes. Dieses Wächteramt habe Jesus Christus den Aposteln mit Petrus als primus inter pares übertragen, seine Nachfolger sehen sich als durch Weihe und Handauflegung legitimiert und ermächtigt, diese Überlieferung zu bewahren. So entsteht ein geschlossenes klerikales, männerbündisches System. Durch die Einheit zwischen Ordination und Jurisdiktion, wie sie lehramtlich erst im Zweiten Vatikanischen Konzil festgeschrieben wurde, wird zudem das Geschlechterverhältnis hierarchisiert.27 Denn geweiht werden können nur Männer. So bleiben auch die Positionen der Letztverantwortung in ihrer Domäne, ganz unabhängig davon, ob man diese ungleiche Verteilung der Kompetenzen über lehramtliche Deutungshoheit, Personal, Finanzen und andere Ressourcen nun mit der Vokabel „Macht“ benennt oder mit dem Begriff „Dienst“ verharmlost.
Andere Auffassungen vom Wachsen des Reiches Gottes oder vom gemeinsamen Priestertum der Gläubigen und von der mit der Taufe verliehenen Würde der Kinder Gottes kommen gegen das hierarchische Priestertum, das davon als wesenhaft und dem Grade nach verschieden angesehen wird, nicht an (vgl. Lumen gentium, LG 10). Wir haben es – so die Dogmatikerin Johanna Rahner in Anlehnung an Michael Seewald – hier mit einer „Verrechtlichung der Theologie zu tun, die an die Stelle der Bezeugung der Wahrheit tritt, d. h. äußerer Gehorsam, hierarchisch organisierte Machtstrukturen treten an die Stelle von innerer Einsicht, argumentativer Absicherung und Begründungsleistung, der vernünftigen Durchdringung und kognitiven Hilfeleistung“.28 Dieses Traditionsverständnis bricht radikal mit dem vor der Neuzeit geltenden Verständnis, dass die Offenbarung geschichtlich vermittelt ist, demzufolge die Überlieferung immer ein Prozess der aktiven Fortschreibung der Offenbarung in die jeweilige Zeit, Kultur und Situation hinein ist.
Trotzdem geben die Verfechter*innen dieses Verständnisses vor, als sei ihre Auffassung die einzig wahre Interpretation von Tradition. „Typisch katholisch“ ist nun nicht mehr das sorgfältige Abwägen von Vernunftgründen, die verschiedene Ansichten und Schlussfolgerungen erlaubt, sondern der Ausschluss anderer Meinungen, die durch die Überhöhung der monarchisch-ständischen Ordnung und der Kirche als Sakralinstitution zum Ausdruck kommt. Was im Dogma der Unfehlbarkeit des Papsttums gipfelt, ist die Unfähigkeit zur Selbstkorrektur, zur Fehlereinsicht und zum Schuldeingeständnis.29
Indem sich das katholische Lehramt an die Stelle Gottes setzt oder zumindest nur wenig tiefer, wie es die Position der Cathedra Petri im Petersdom augenscheinlich signalisiert, vermittelt es, dass es – und nur es allein – weiß, was der unveränderliche Wille Gottes ist. In Zeiten, in denen Staatsführungen ihren Machtanspruch durchsetzten, indem sie sich als Herrscher von Gottes Gnaden präsentierten, mag dieses Selbstkonzept noch aufgegangen sein. Angesichts der demokratischen Errungenschaften des letzten Jahrhunderts und weitreichender Modernisierungs- und Pluralisierungserfahrungen in vielen Gesellschaften verliert die katholische Kirche jedoch durch ihr Beharren auf autoritärer Führung, hierarchischen Strukturen und Reformunfähigkeit ihren letzten Rest an Glaubwürdigkeit. Dem Machtanspruch auf der einen Seite stehen innerkirchlich ein massiver Abbruch an Autorität und Vertrauensverlust gegenüber. Die Kirche marginalisiert sich selbst, exkludiert sich immer mehr aus gesellschaftlichen Diskursen.30

Glaubwürdigkeit liegt in Trümmern

Nach dem Gottesdienst in der an Prunk, Gold und Marmor kaum zu übertreffenden Kirche standen die Repräsentantinnen apostolisch-tätiger Gemeinschaften aus allen Ländern der Welt am 10. Mai 2019 erneut Schlange, diesmal vor der vatikanischen Audienzhalle. Im Eingangsbereich der Aula war eine Fotoausstellung zu sehen, die Papst Franziskus gleich eröffnen sollte: Seit 2009 existiert Talitha Kum, ein Netzwerk katholischer Frauengemeinschaften, mit denen über 2.000 Schwestern in 76 Ländern gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution vorgehen. Papst Franziskus unterstützt die Initiative, mit der weltweit Maßnahmen zu Prävention, Schutz und Rehabilitation gefördert werden. Unter der Überschrift „Nuns healing hearts“ – „Nonnen heilen Herzen“ hat Lisa Kristine, eine amerikanische Fotografin und Menschenrechtsaktivistin, die Arbeit der Ordensfrauen fotografisch dokumentiert. Dabei geht es ihr darum, mit ihren Bildern Menschen zu Veränderungen zu inspirieren und anzuregen, sich für die Menschenwürde einzusetzen.31
Während wir auf Papst Franziskus warteten, betrachtete ich in der von Architekt Pier Luigi Nervi 1971 erbauten Halle die Skulptur hinter der Tribüne, „La Resurrezione“, 1975 von Pericle Fazzini geschaffen. Auch diese aus Messing und Bronze errichtete Skulptur wiegt annähernd 40 Tonnen. Meine Online-Recherchen ergeben, dass der Künstler die Auferstehung Christi in einem großen Olivenhain darstellen wollte, ein an sich friedlicher Ort, an dem Jesus bei seinem nächtlichen Gebet vor seiner Verhaftung Todesängste ausstand. Angesichts der atomaren Bedrohung in den Zeiten des Kalten Krieges und eisernen Vorhangs ließ Fazzini Christus aus einem Krater aufsteigen, den eine Atombombe aufgerissen hat. Gegenwärtig denke ich bei dieser Darstellung a...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Einleitung
  7. Teil 1
  8. Teil 2
  9. Teil 3
  10. Anmerkungen