Prophetisch glauben
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Prophetisch glauben

Aufbrüche in franziskanischer Spiritualität

  1. 80 Seiten
  2. German
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Prophetisch glauben

Aufbrüche in franziskanischer Spiritualität

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Prophetinnen und Propheten bringen auf den Punkt, was auf dem Spiel steht. Sie formulieren und inszenieren in frischer Sprache, welche grundlegenden Änderungen in Kirche, Politik und Gesellschaft anstehen und ihrer Durchführung harren. Sie künden von der Freiheit Gottes und von der Notwendigkeit, Strukturen zu schaffen, damit Menschen gut leben können.Nach einführenden Überlegungen zum Prophetischen in der Bibel und bei Franz von Assisi stellt Hermann Schalück Aufbruchbewegungen in diesem Geist vor: Zum Beispiel eine islamisch-christliche Freundschaftsinitiative; zwei Brüder, die in einer Obdachlosensiedlung leben und am Fließband arbeiten oder das "Nevada Desert Experience" gegen Nukleartests und Waffenproduktion.Allesamt Aufbrüche, die neue Wirklichkeiten schaffen, Räume lebendigen Glaubens eröffnen, herrschaftsfreie Erfahrungsorte für Trauer, Suche, Zweifel, Dank und Jubel auftun. Und so die Vision eines menschenfreundlichen und gottverbundenen Lebens offenhalten.

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Information

Verlag
Echter
Jahr
2015
ISBN
9783429062026

1. Grundierungen des Prophetischen

„Alles ist möglich – nichts ist sicher“

Nicht nur unser Kontinent Europa, sondern die gesamte Welt befindet sich in einem Wandlungsprozess, der Hoffnungen und Ängste zugleich nährt. Politische Umwälzungen wie zuletzt in der arabischen Welt und in Osteuropa, dazu Wirtschafts- und Finanzkrisen lassen Gefühle von Unübersichtlichkeit, Ohnmacht und Hilflosigkeit aufkommen. Was wird? Was kommt? Lohnt sich ein Einsatz über meinen eigenen individuellen Bereich hinaus? Ein offenbarer Verlust an realen und sinnerfüllenden Mitgestaltungsmöglichkeiten in gesellschaftlichen und politischen Prozessen wird durch den schwindelerregenden Fortschritt vor allem in der Medizin und in den Naturwissenschaften sowie durch die phantastischen neuen Möglichkeiten der Kommunikation in digitalen Netzwerken nur zum Teil aufgehoben. Es wächst die Gefahr, sich in der Fülle virtueller Sonder- und Scheinwelten mit ihren Angeboten an Konsum und „Spaßhaben“ einzurichten und sich der Verantwortung zur Mitgestaltung zu entziehen. Auch die kulturell-religiöse Landschaft ist diffus und komplex. Sie ist oft gekennzeichnet vom beziehungslosen Pluralismus, von Misstrauen und Furcht, von Abgrenzung, Klischeedenken und nicht selten von Aggressivität. Man kann das ambivalente Grundgefühl der so genannten Postmoderne auf eine knappe Formel bringen: Alles ist möglich – nichts ist sicher.
Das Gespür dafür, dass auch unsere Zeit eine Zeit aus Gottes Hand ist, mit großen Gefährdungen und vielleicht nicht minder großen neuen Chancen, ist Gott sei Dank bei vielen lebendig. Christinnen und Christen können ja im Glauben an die Auferstehung Jesu niemals Unheilspropheten sein. Sie werden sich gerade auch in der Postmoderne diesen Fragen stellen: Wie kann ich heute angesichts der konkurrierenden Sinndeutungen und Wahrheitsansprüche mein Leben autonom, aber auch solidarisch mit den anderen gestalten? Gibt es Gewissheiten, die tragen? Gibt es Perspektiven, die Hoffnung machen?
Wer kann und will sich mit Alternativen vernehmen lassen? Haben leisere Stimmen im heutigen Machtgefüge und in der heutigen Medienlandschaft überhaupt eine Chance, gehört zu werden? Wird unsere Kirche an Haupt und Gliedern erkennen, welche Quelle der Hoffnung sie für die Welt sein könnte, wenn sie sich mit Papst Franziskus von der prophetischen Kraft des Evangeliums Jesu und der Freude daran anstecken und aufrichten ließe?

„Alles Leben ist Begegnung“ (Martin Buber)

Die Gotteserfahrung des Franziskus ist trinitarisch geprägt: Biblisches Denken gestaltet sein Leben und seine Form der Nachfolge. Er liest mehr mit dem Herzen als mit dem Verstand die von Zeugen aufgeschriebenen Taten Gottes.
Für Franziskus ist die trinitarische Erfahrung die tiefste Inspiration für seine Ablehnung klerikaler Vorrangstellungen, für sein Modell von Bruder- und Schwesterschaft, d. h. für einen gemeinsamen Lebensentwurf, in dem alle „durch die Liebe des Geistes einander freiwillig dienen und gehorchen“ (NbR 5, FQ 74), einander nach dem Beispiel Jesu „die Füße waschen“ (NbR 6, FQ 75) und in dem es möglich ist, dass einer dem anderen „vertrauensvoll seine Not offenbart“ (NbR 9, FQ 78). Eine franziskanische Spiritualität der communio wird immer von aufmerksamer Wahrnehmung vor allem für Unscheinbares, Randständiges und Fremdes, von Wertschätzung, wechselseitigem Interesse, achtsamem Umgang mit der Schöpfung, offenen Türen und Aufgeschlossenheit für neue Erfahrungen gekennzeichnet sein. Denn es gilt: Alles Leben ist Begegnung (Martin Buber).

Prophetie – den Glauben als Hoffnung leben

Das Prophetische besteht darin, in großer Sensibilität und mit einem vom Glauben getragenen Unterscheidungsvermögen eine unübersichtliche und mehrdimensionale Gegenwart „lesen“, deuten und Wegweisung zu einem Handeln geben zu können, das Zukunftsperspektiven erschließt. In diesem Sinne ist das Prophetische wie eine Stimme, die ruft: Die geschichtliche Konstellation, die Welt oder die Gemeinschaft der Glaubenden – sie sind nicht so, wie sie es nach dem Willen Gottes und ihrer ursprünglichen Bestimmung sein sollten. Der Prophet will die Augen öffnen und zum Umdenken führen, damit Gefahr vermieden und Zukunft gelingen kann. Joseph Ratzinger hat einmal in einem Interview zum Thema Prophetie u.a. ausgeführt, ein Prophet sei jemand, „der aus der Berührung mit Gott die Wahrheit sagt, und zwar die Wahrheit für heute, so dass sie freilich auch die Zukunft erhellt“. Er sei in der biblischen Tradition der Hoffnungsdimension zuzuordnen, der Prophet „hilft, jetzt den Glauben als Hoffnung zu verstehen und zu leben“. Die Kirche müsse deshalb notwendigerweise Hoffnungsträgerin sein.1
Wir dürfen aber den Propheten Franziskus nicht isoliert betrachten, sondern müssen ihn auf dem Hintergrund des biblischen Prophetentums verstehen. Die Propheten des Alten Bundes bis zu Jesus waren immer auch Poeten, ausgestattet mit bildhafter Vorstellungskraft (Imagination) und viel Talent für Darstellungskunst. Sie bringen auf den Punkt, was in kritischen und chaotischen Zeiten auf dem Spiel steht. Sie formulieren und inszenieren in frischer Sprache und oft auch nonverbal, welche Transformationen sich ankündigen und ihrer Durchführung harren.
Man könnte für Prophetinnen und Propheten bis in unsere Zeit eine Art Anforderungsprofil erstellen. Sie sind berufen, zu den vorherrschenden politisch-sozialen und religiösen Koordinaten und ihren Sprachspielen Alternativen aufzuzeigen. Ein Prophet ist Katalysator und zugleich Sprachrohr für neue Wirklichkeiten. Er ermutigt dazu, ihre ersten, vielleicht noch unbestimmten Anzeichen in den Blick zu nehmen. Er mahnt zur Furchtlosigkeit, wenn die „alten Realitäten“ das Neue noch überlagern. Propheten und Prophetinnen theoretisieren nicht: Sie sprechen und handeln nicht unter dem Aspekt der Ewigkeit. Sie sind konkret, artikulieren sich in einem beschreibbaren Kontext und erhellen einen bestimmten Abschnitt der Geschichte. Sie bleiben misstrauisch gegenüber Personen und Instanzen, die für sich ontologisch gesicherte Existenz, Bedeutung und Unfehlbarkeit beanspruchen. Im Establishment einer kontrollierten und statischen Religion künden sie von der Freiheit Gottes und von der Notwendigkeit, Menschen zu befreien.

Neues kommt – seht ihr es nicht? (Jes 43,18.19)

Ein Prophet fragt nicht, ob etwas realistisch und praktisch ist, sondern ob man sich etwas Neues überhaupt erst einmal vorstellen kann (Imagination). Prophetische und poetische Vorstellungskraft und furchtlose Rede haben zu allen Zeiten starre Systeme beunruhigt. Die Berufung von Männern und Frauen zur Prophetie führt nicht selten zu Konflikten, zu Verfolgung und auch zum Martyrium. Wo Prophetie sich aber entfalten kann, entstehen alternative Räume des Lebens und des Glaubens, in denen es möglich ist, jene Hoffnungen zu benennen, zu feiern und zu leben, die zuvor „nur“ verhalten anklangen.
Besonderes Augenmerk verdienen die Besonderheiten der prophetischen Ausdrucksweise: Sie ist nicht vom „management“ religiöser und politischer Mandatsträger verdorben, sie bleibt frisch und lässt aufhorchen. Prophetische Sprache ist nicht abstrakt. Sie verwendet Bilder und Gleichnisse. Sie versetzt eine Glaubensgemeinschaft in einen Zustand hoffnungsvoller Erwartung und ermöglicht es ihr, selbständig weitere Zeichen des „Kommenden“ zu lesen und zu deuten. Eine von prophetischer Imagination ergriffene Gemeinschaft will zudem ihre Erfahrungen von Gott, von Glaube und Freiheit besingen, inszenieren, feiern. Neue Zeiten brauchen „neue Lieder“ (Jes 42,10). Aber nur diejenigen werden neue Liturgien des Lebens feiern können, die ihrer Ängste eingedenk bleiben und deren Wunden zu ihrer neuen Identität gehören, ganz so, wie es bei Jesus und auch bei Franziskus war. Ohne diese Erinnerungskultur wären solche Feiern Beschwichtigungsformeln. An Jesus selber ist die Quintessenz der prophetischen Tradition ablesbar, auch in ihren poetischen Zügen: Seine Sprache, sein öffentliches Wirken und sein Pascha haben als Grundbotschaft nicht den Optimismus, sondern die im Glauben begründete Hoffnung. Im Lukasevangelium lesen wir von zwei Frauen – Maria und Elisabet –, die besingen, dass unmöglich Erscheinendes möglich wurde. Jahwe erweist sich als treu, während alle anderen Versprechungen von Menschen sich als nichtig erweisen (Lk 1,46–55; Lk 1,68–79).

Das prophetische Evangelium Jesu

Israel hat in seinem Glauben eine schmerzliche Lerngeschichte durchgemacht, von allzu menschlichen Vorstellungen hin zur Erkenntnis, dass Jahwe heilig und anders ist. Jahwe ist nicht bei den Siegern, sondern bei den Leidenden und Opfern; nicht patriarchalisch, sondern gleichermaßen Mann und Frau; nicht vergeltend, sondern erbarmend; er ist nicht nationalistisch gesinnt, sondern schenkt seine Zuwendung allen, auch den Unreinen und Heiden.
Jesus von Nazaret knüpft an die vorgegebene prophetische Tradition an. Sein Auftreten und Wirken werden mit Mose und Elija, Hosea, Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Jona in Verbindung gebracht. Das Volk betrachtet ihn auch als Propheten (Mt 14,5; Mt 21,10; Lk 7,16). Er selber sieht sich mit Blick auf das Schicksal des Propheten Jona ebenfalls als einen solchen (Mt 12,39). Die uns überlieferte Redeweise Jesu ist als Ganzes prophetisch. Sie bewegt sich zwischen dem „Wehe euch“ und dem „Selig seid ihr“, zwischen Anklage und Zukunftsverheißung, zwischen harter Kritik und zarter Zuwendung. Aber sie bleibt in ihrer ganzen Ausrichtung eine Botschaft der Verheißungen, der verlässlichen Zusagen. Die Gemeinde derer, die seinen Worten und der Wahrheit seines Pascha trauen, ist selber bereits Teil einer neuen Wirklichkeit.2 Jesus geht den für einen Propheten kennzeichnenden Weg: In seinem Lebensbeispiel überschreitet er kultische, kulturelle und religiöse Grenzen. Er missachtet Kategorisierungen der Menschen nach Rasse, Geschlecht und sozialem Status. Das Angebot, das Gott seiner Schöpfung macht, ist mit einem großen Gastmahl zu vergleichen. Er ist erfüllt von der großen Vision des Reiches Gottes. Sein Vermächtnis ist die Verheißung von „Leben in Fülle“ (Joh 10,10). Er überrascht damit, dass er entgegen allen geltenden Standards Frauen ebenso wertschätzend begegnet wie Männern. Er hat seine eigene Religion, das Judentum, mit kraftvoller Autorität an seine eigenen Ursprünge erinnert: an die Erfahrung des Gottes, der aus der Sklaverei führt und der keine Götter an seiner Seite duldet, die Herrschaft und Unterdrückung legitimieren.3 Er ergreift Partei für die Verletzlichen, die Gefährdeten und Ausgeschlossenen. Er riskiert viel und zahlt mit Widerspruch und Verfolgung einen hohen Preis. Durch seine Auferstehung und die Sendung des Geistes wurde „Prophetie“ in eine neue Phase überführt. Sie ist nun bleibend in die Gemeinschaft der Glaubenden eingestiftet.

Die Kirche als Ganzes ist prophetisch „begabt“

Die Christologie (Lehre von Jesus Christus) muss innerhalb der Kirche eine kritische Funktion haben. Jesus verkündet ja eine neue religiöse und zugleich soziale Wirklichkeit, das Reich Gottes. Er stellt die Belange des Menschen, vor allem des Armen, an die erste Stelle. Er lebt und predigt den absoluten Verzicht auf Gewalt und politische Manipulation. Er lebt und lehrt in einer kritischen Grundhaltung gegenüber der vorherrschenden legalistischen Praxis. Den Buchstaben des Gesetzes misst und interpretiert er im Geist der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.
Die Zeit d...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Zur Einführung: Franziskus lebt
  6. 1. Grundierungen des Prophetischen
  7. 2. Beispiele des Prophetischen heute
  8. 3. Zum Abschluss: Wortreiche Sprachlosigkeit oder befreiende Sprache?
  9. Anmerkungen
  10. Zum Weiterlesen
  11. Abkürzungsverzeichnis