Toter Regens - guter Regens
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Toter Regens - guter Regens

Mord im Priesterseminar. Kriminalroman

  1. 282 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfĂŒgbar
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Toter Regens - guter Regens

Mord im Priesterseminar. Kriminalroman

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Über dieses Buch

"Dass er mit diesem Telefonanruf sein eigenes Todesurteil ausgesprochen hatte, konnte Norbert Görtler 
 nicht ahnen. Auch in seinen unheilvollsten AlbtrĂ€umen hĂ€tte er zwar vieles fĂŒr möglich gehalten, das nicht. Nur noch ein einziger Mensch wĂŒrde je mit ihm 
 kurz vor der Berufung zum Weihbischof in seiner Heimatdiözese, ein Wort wechseln: sein Mörder."Sein zweiter Fall fĂŒhrt Kommissar Kellert in die Welt des Klerus, speziell in das Friedensberger Priesterseminar, dessen Regens ermordet wurde. Sollte der Mörder einer der Seminaristen oder gar ein Mitbruder des Regens gewesen sein? Ein heikler Fall fĂŒr den Kommissar, bei dem er sich erst in die eigene Welt der Geistlichkeit einfinden muss.

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Information

Verlag
Echter
Jahr
2017
ISBN
9783429063467
1
Kriminalhauptkommissar Bernd Kellert glaubte sich verhört zu haben. Er fragte nach: „Was? Wohin soll ich?“ „Stimmt schon, Chef“, gab die Kommissariats-SekretĂ€rin Lena Winter-Drexler zurĂŒck, „Sie haben schon richtig verstanden: in das Priesterseminar, Von-Balthasar-Straße 4. Da gab es einen Mord!“ Kellert, achtundvierzig Jahre alt, immer noch sportlich, schlank, etwas ĂŒber einsachtzig groß, wusste, dass die SekretĂ€rin keine Witze machte. DafĂŒr war sie schon viel zu lange im Betrieb tĂ€tig; dafĂŒr kannten sie sich nach fast fĂŒnfzehnjĂ€hriger Zusammenarbeit zu gut. Trotzdem blickte er sie nun unglĂ€ubig an: „Das kann doch nicht sein! Ein Mord im Priesterseminar!“ „Ist aber so, Chef! Los 
 und nehmen Sie Thiele mit!“
Kellerts VerblĂŒffung dauerte nur kurz. Mit raschen Schritten eilte er in das DoppelbĂŒro, das er sich seit drei Jahren mit seinem Assistenten, Kriminalhauptmann Dominik Thiele, teilte. „Auf, Dominik, Einsatz!“, rief er dem an seinem Schreibtisch sitzenden Kollegen zu, der mit konzentrierter Miene auf den Computerbildschirm vor sich starrte, ohne selbst etwas zu tippen.
Kellert griff sich seine Jacke vom Garderobenhaken neben der TĂŒr, machte kehrt und lief auch schon in Richtung Dienstparkplatz. Thiele – etwas grĂ¶ĂŸer als sein Chef und siebzehn Jahre jĂŒnger, auch er sportlich und durchtrainiert, auch er mit Kurzhaarfrisur, seit drei Monaten aber zudem mit einem stets akkurat getrimmten Dreitagebart – folgte ihm, hatte ihn bald eingeholt.
Viele Worte brauchte es zwischen den beiden nicht. Sie waren inzwischen ein perfekt eingespieltes Team. Sie hatten gelernt, dienstlich zu harmonieren, ohne privat viel miteinander zu unternehmen. Die Abstimmung passte. „Wohin?“, fragte Thiele kurz, als er sich die SchlĂŒssel fĂŒr den neuen Dienst-BMW vom SchlĂŒsselbord nahm. „Von-Balthasar-Straße“, gab Kellert zurĂŒck. Thiele schaute kurz auf, seine Augen blickten ins Leere, dann zuckte er kaum merklich mit den Schultern: „Kenne ich nicht! Wo ist das denn?“ „Kennst du doch“, behauptete Kellert. „Die enge Gasse hinterm Dom, mit Kopfsteinpflaster. Da, wo es rĂŒbergeht zur Uni.“
Immer noch unsicher blickend setzte sich Thiele ans Steuer und startete den Wagen. Überlaute Radiomusik brandete auf. Mit energischem Knopfdruck sorgte Kellert fĂŒr jene Stille, die er fĂŒr einen Montagmorgen um kurz nach halb neun fĂŒr angemessen hielt. „Und was sollen wir da?“, fragte Thiele nach, wĂ€hrend der Wagen fast lautlos auf den doppelspurigen Humboldt-Ring einbog.
„Da gibt’s natĂŒrlich ein Tötungsdelikt. ‚Mord‘ sagt man auch dazu. Schon mal gehört?“, gab Kellert mĂŒrrisch zurĂŒck. „Mord im Priesterseminar!“ Kurz ging ein kleiner Ruck durch den Wagen, als Thiele den Fuß vom Gaspedal nahm und seinen Chef ĂŒberrascht und fragend anblickte. „Mehr weiß ich auch nicht“, beantwortete der den fragenden Blick seines Mitarbeiters. „Wir werden schon sehen, was da los ist.“
Die Kollegen von der Streifenpolizei waren offensichtlich schon einige Zeit vor Ort. Die Zufahrt zum Priesterseminar von der buckligen und engen Von-Balthasar-Straße aus war bereits mit weiß-roten AbsperrbĂ€ndern versehen. Ein Dienstfahrzeug blockierte mit eingeschaltetem Blaulicht die Einfahrt. Die ganze Szenerie wurde in das bestĂ€ndige Wechselspiel des auf- und abblitzenden Lichtrhythmus hineingenommen und wirkte dadurch fast irreal.
‚Wenigstens kein Sirenen-Signal‘, dachte Kellert, der den Aufwand fĂŒr ĂŒbertrieben hielt. Zwei Streifenbeamte kontrollierten den Zugang. Thiele parkte den BMW auf einem fĂŒr Behinderte reservierten Parkplatz rechts vor dem Tor der Einfahrt, der einzigen freien Parkmöglichkeit, die er auf die Schnelle erkennen konnte. Kellert zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts.
Einer der Streifenpolizisten kam auf sie zu, grĂŒĂŸte und fĂŒhrte sie durch das hohe Tor in den erstaunlich großen Vierungshof, der ringsum von dreistöckigen GebĂ€uden umgeben war. Einige sahen mehrere Jahrhunderte alt aus, andere mochten um die Wende zum 20. Jahrhundert errichtet worden sein. Obwohl der Hof gerĂ€umig war, wirkte das gesamte Szenario doch eher dĂŒster. Der in die Mitte in ein kleines Rundbeet gepflanzte, vielleicht fĂŒnfzehn Meter hohe Kastanienbaum verfĂ€rbte sich bereits, hatte schon einen Teil seines gelblich braunen Blattwerks abgeworfen.
Sie wurden in eines der GebĂ€ude gefĂŒhrt, das aus der letzten Bauetappe stammen musste. ‚Ende des 19. Jahrhunderts, tippe ich‘, dachte Kellert. Hohe, saalartige RĂ€ume, Schmuckstuck an den weißgetĂŒnchten, aber eher grau wirkenden Decken, schmale, tief ausgeschnittene und hoch aufragende doppelverglaste Fenster. Innen alles weiß gestrichen, funktional eingerichtet, unpersönlich. ‚Ein bisschen wie ein Krankenhaus‘, ging es Kellert durch den Kopf, dann korrigierte er sich aber: ‚Oder doch eher wie ein Internat. Also: wie ich mir frĂŒher ein Internat vorgestellt habe.‘
Nachdem sie mehrere hohe, hallende GĂ€nge durchschritten hatten, kamen sie an eine TĂŒr, wo sie ein anderer Beamter schon erwartete. Links neben der TĂŒr war ein silbrig glĂ€nzendes Metallschild angebracht, auf dem groß das Wort „Regens“ zu lesen war, darunter viel kleiner „Dr. Norbert Görtler. GesprĂ€chstermine jederzeit, aber bitte nur nach Absprache.“
‚Regens‘? Kellert runzelte die Stirn. ‚Was heißt denn das nun wieder genau? Bezeichnungen haben die in der Kirche, da kennt sich doch kein Mensch aus!‘ Dass das Dienstzimmer jedoch zu einem Mann in leitender Stellung gehören musste, war auf den ersten Blick zu erkennen. Viel Zeit zum Nachdenken blieb Kellert aber nicht. „Beckers“, stellte sich der hier postierte Streifenbeamte kurz vor. Er ersparte sich aber weitere Worte und wies die Kriminalbeamten in den dahinterliegenden Raum. „Wir haben nichts verĂ€ndert“, gab er ihnen noch mit.
„Ist die KTU schon informiert?“, fragte Kellert im VorĂŒbergehen. „SelbstverstĂ€ndlich! Die wollen in etwa“ – Beckers blickte auf seine Armbanduhr – „zehn Minuten hier sein. Sie haben also noch ein bisschen Zeit, um sich in Ruhe umzuschauen.“ Kellert hielt noch einmal inne und wies mit der rechten Hand in den vor ihnen liegenden Raum. „Äh, schon identifiziert?“, fragte er.
„Ja, sicher“, gab Beckers zurĂŒck, der das wohl fĂŒr selbstverstĂ€ndlich hielt. „Das ist der Chef hier, der Regens, dem das Zimmer gehört, also dieser 
 Moment 
 Görtler.“ „Sagt wer?“, mischte sich Thiele ein. „Na dieser Arenhövel, der ist hier – wie nennt der sich noch mal? – Subregens, glaube ich, also wohl der Stellvertreter. Der hat ihn doch auch gefunden und die Polizei angerufen. Der ist völlig durch den Wind. Kriegt kaum einen Ton raus. Wartet drĂŒben in einem anderen Raum. Kollegin Unterhöfer ist bei ihm. Wollen Sie ihn sprechen?“ „Nee, danke, jetzt nicht“, gab Kellert zurĂŒck. „SpĂ€ter bestimmt!“
2
Kellert und Thiele hatten sich PlastikĂŒberzieher ĂŒber die Schuhe gezogen und die Gummihandschuhe ĂŒber die HĂ€nde gestreift, die ihnen der Streifenbeamte Beckers eilfertig entgegengehalten hatte. Vorsichtig betraten sie das große Dienstzimmer des Regens. ‚Kalt‘, dachte Thiele als Erstes. ‚Streng‘, ĂŒberlegte Kellert. Das Grundprinzip des Raums erschloss sich auf den ersten Blick. Hier herrschte Ordnung, kalkuliert, diszipliniert und stĂ€ndig ĂŒberprĂŒft. Mobiliar, BĂŒcher, Ausstattung – all das erweckte den Anschein von FunktionalitĂ€t und EffektivitĂ€t. Allein das Aquarium ĂŒberraschte. Keinerlei Pflanzen. Kaum Hinweise auf persönliche GegenstĂ€nde des Benutzers dieses Raums.
All diese EindrĂŒcke schossen den beiden Kriminalbeamten in kurzen Augenblicken durch den Kopf. Ihre Aufmerksamkeit wurde sofort darauf gestoßen, was diese Ordnung durchbrach. Brutal durchbrach, radikal. Zwischen Schreibtisch und Sitzgruppe mochten vier, fĂŒnf Meter liegen. Genau hier befand sich die leicht gekrĂŒmmt daliegende mĂ€nnliche Leiche. Das Gesicht vornĂŒber in Richtung Schreibtisch, die Beine zur Seite verdreht, sah der Mann in schwarzem Anzug und mit weißglĂ€nzendem Kollar auf den ersten Blick immer noch aus, als wĂ€re er unglĂŒcklich gefallen, könnte sich aber jeden Moment wieder erheben.
Der zweite Blick ließ keinen Zweifel zu: Dieser Mann war tot. Auf dem Hinterkopf zeigte sich eine klaffende, blutverkrustete Wunde. Um Kopf und Oberkörper des Leichnams hatte sich eine große Blutlache gebildet, die teils in den Teppich, teils in das schon etwas abgenutzte Parkett eingezogen war.
Vorsichtig bewegten sich die beiden Kriminalbeamten durch den Raum. Ihrem routinierten Blick entging fast nichts. ‚Alles perfekt aufgerĂ€umt, kein MĂŒll, kein querliegender Gegenstand, nichts‘, notierte sich Kellert in sein inneres Wahrnehmungsprotokoll. ‚Keine auf den ersten Blick erkennbare Spur von einem Besucher in diesem Raum.‘ „Tatwerkzeug?“, raunte er zu Thiele hinĂŒber, aber der zuckte nur, die Augenbrauen hochziehend, mit den Schultern.
Auch nach lĂ€ngerem Suchen fand sich nichts, was als Tatwerkzeug hĂ€tte in Frage kommen können. Blutspuren zeigten sich nur rund um das Opfer. Weder in Richtung TĂŒr noch Fensterwand ließen sich weitere Ungewöhnlichkeiten feststellen. Dass sĂ€mtliche Fenster geschlossen waren, dass die TĂŒr nicht beschĂ€digt war, hatten sie ganz zu Anfang sichergestellt. Der TĂ€ter – ‚oder die TĂ€terin!‘, ermahnte sich Kellert, vorschnelle FehlschlĂŒsse zu vermeiden – war offensichtlich ganz normal durch die ZimmertĂŒr hinein- und ebenso auch wieder hinausgelangt.
Plötzlich blieb Kellert ruckartig stehen, schnupperte. Thiele blickte ihn entgeistert an. ‚Was hat er denn nun schon wieder?‘, dachte er. Gleichzeitig kannte er seinen Chef inzwischen gut genug, um zu ahnen, dass ihm etwas aufgefallen war.
„Riechst du nichts?“, fragte der Kriminalhauptkommissar seinen Mitarbeiter. Der versuchte nun seinerseits, irgendeine Witterung aufzunehmen, blieb dabei aber erfolglos. „Nichts Außergewöhnliches!“, gab er zurĂŒck. „Da hĂ€ngt doch eine kleine Spur von Wachs und Rauch in der Luft“, meinte Kellert und wies auf mehrere Punkte im Raum. „Und schau: Da sind mehrere große Kerzen. Die werden wohl noch vor Kurzem gebrannt haben. Wer hat die ausgemacht? Das möchte ich gern wissen!“
Thiele zuckte mit den Schultern. Er konnte beim besten Willen nichts riechen. Aber wenn sein Chef Recht hĂ€tte – ‚und das hat er ja fast immer!‘, gestand er sich ein –, dann war das schon eine berechtigte Frage. Aber wem könnte man sie stellen?
„So, wir ĂŒbernehmen!“ Mit besitzergreifendem Getöse betraten drei ganz in weiße SchutzanzĂŒge gekleidete Kollegen der kriminaltechnischen Untersuchungsabteilung den Raum und unterbrachen unsanft sĂ€mtliche GedankengĂ€nge der dort agierenden Polizisten. „Darf ich bitten, Bernd?!“ Der Leiter des Teams, Thomas Kleinheister, komplimentierte die Kriminalbeamten fast schon gewaltsam aus dem Raum hinaus.
Ein solches Vorgehen waren diese aber genauso gewohnt wie Kleinheisters Marotte, Dominik Thiele gar nicht eigens zu beachten, geschweige denn zu erwĂ€hnen, sondern als eine Art Anhang von Bernd Kellert zu betrachten. Das ging Thiele oft so, verschaffte ihm aber Freiheiten, die er immer wieder nutzte. Anfangs hatte er sich ĂŒber diese vermeintliche GeringschĂ€tzung geĂ€rgert, inzwischen erkannte er die Chancen des Agierens im Windschatten seines Chefs.
Kriminalhauptkommissar Kellert seinerseits kannte seinen Freund Kleinheister nun schon seit fast fĂŒnfundzwanzig Jahren und wusste, wie man seine bĂ€rbeißig-selbstbewusste Art zu nehmen hatte. Vor allem aber wusste er, dass dieser seine Arbeit Ă€ußerst penibel und zuverlĂ€ssig zu erledigen pflegte. Deshalb folgten Kellert und Thiele der sanften Gewalt und verließen das zum Tatort gewordene Dienstzimmer des Regens. „Unbedingt die Fingerspuren checken!“, gab Kellert dem Chef der KTU noch mit auf den Weg, einen Ratschlag, den dieser nur mit wortlosem KopfschĂŒtteln und Verziehen des Mundes kommentierte. Als ob er das je vergessen hĂ€tte!
„Und jetzt?“, fragte Thiele, als sie sich der Überzieher entledigt hatten. „Ich werde mir jetzt erst mal grĂŒndlich die HĂ€nde waschen gehen, und dann sprechen wir mal mit diesem 
 Ă€h 
 Subregens. Der hat uns sicher einiges zu erzĂ€hlen. Das hier“ – Kellert wies mit dem Daumen der linken Hand ĂŒber seine rechte Schulter zurĂŒck – „wird schwierig. Ich glaube nicht, dass Kleinheister und Co. uns dieses Mal wirklich weiterhelfen. Sagt mir mein GefĂŒhl.“ Und das, so wusste Dominik Thiele nach dreijĂ€hriger Zusammenarbeit inzwischen, trog den Hauptkommissar der Mordkommission Friedensberg fast nie.
3
„Nun kommen Sie! Bitte reißen Sie sich zusammen. Sie können und mĂŒssen uns wirklich helfen!“ Bernd Kellert blickte auf den Mann hinab, der wie ein HĂ€ufchen Elend auf einem Holzstuhl saß. Zusammen mit Dominik Thiele befanden sie sich in einer Art Besprechungszimmer, drei Flure vom gleichfalls ebenerdigen Dienstzimmer des Regens entfernt. Sparsam ausgestattet – ein Tisch, vier StĂŒhle, zwei Seitenregale, darauf eine Bibel und ein Dutzend bunt eingebundener schmaler GedichtbĂ€nde, alle von dem gleichen Autor, Andreas Knapp – war dies abgesehen von einem schlichten Holzkruzifixus ein kleiner, völlig schmuckloser Raum.
Maximilian Arenhövel, der Subregens des Priesterseminars, hatte auf ihr Eintreten zunĂ€chst fast gar nicht reagiert, sie kurz begrĂŒĂŸt, ansonsten aber wortlos und glasig vor sich hingeschaut, in sich gekehrt, niedergedrĂŒckt. Er mochte Mitte, vielleicht Ende dreißig sein. Sein etwas schwammiger, zur Dickleibigkeit neigender Körper schien ihm eher eine Last zu sein. Die unordentlichen, halblangen, zum Teil lockigen braunen Haare klebten an den schweißnassen SchlĂ€fen. Auch er trug einen schwarzen, wenn auch an den Seiten leicht kneifenden Anzug und einen steifen Kollar. ‚Offenbar eine Art Uniform hier‘, dachte Thiele.
Nach zwei, drei höflichen Versuchen, Arenhövel zu befragen, war Kellert der Geduldsfaden gerissen und er hatte eine etwas schĂ€rfere Tonart eingeschlagen. Und erstaunlich: Der Angesprochene zuckte zusammen, straffte sich und blickte sein GegenĂŒber erstmals an. Diese Form der Ansprache konnte offensichtlich seine Apathie durchstoßen. ‚Gott sei Dank‘, fuhr es Kellert durch den Kopf. Thiele beobachtete den Vorgang mit Interesse. ‚Das hĂ€tte ich mich nicht getraut‘, dachte er bei sich, ‚wieder was gelernt!‘
„Entschuldigen Sie, Sie haben ja völlig Recht!“, stammelte Arenhövel mit einer hohen, eher jungenhaften Stimme. „Aber ich bin völlig durcheinander. Der Regens – tot! Das kann doch einfach nicht wahr sein! Wer macht denn so was! Wie soll ich das den Seminaristen beibringen? Und wie dem Bischof? Und ich kann mir schon vorstellen, wie sich die Presse auf den Fall stĂŒrzen wird. Die suchen doch nur danach, uns wieder was ans Zeug zu flicken.“ Er blickte völlig verzweifelt und sichtlich ĂŒberfordert auf Kellert, als erhoffte er sich von diesem wirklich Antworten auf seine Fragen und Hinweise auf Auswege aus der Situation. Thiele hatte auch er bislang völlig ignoriert.
„Bitte, Herr Arenhövel. Wir brauchen dringend einige AuskĂŒnfte von Ihnen!“, versuchte Kellert sein GegenĂŒber zur Konzentration zu mahnen. Er nahm einen der beiden ĂŒbrigen freien StĂŒhle, drehte ihn, setzte sich falsch herum darauf, legte die Arme ĂŒber die nach vorn weisende Lehne und fuhr mit fester Stimme fort: „Wie war das also: Sie haben die Leiche, also den Regens, doch entdeckt, oder? Wann war das genau?“
Der Subregens schĂŒttelte sich einmal, zweimal, dann aber hatte er sich gefasst. „Das war so“, begann er. „Montagmorgens treffen wir uns immer zur Wochenvorbesprechung, immer um halb acht, immer beim Regens.“ „Wir?“, unterbrach Kellert. „Wer?“ „Na, die Hausleitung“, entgegnete Arenhövel, als sei das völlig selbstverstĂ€ndlich, „also Regens Görtler, Spiritual Dietz und ich.“
„Entschuldigen Sie, dieser Dietz“ – unterbrach Kellert den nun sprudelnden Redefluss erneut, spĂŒrte aber gleichzeitig, dass er jetzt nicht auch noch nachfragen sollte, was das denn nun wieder sei, ein ‚Spiritual‘ – „war der auch dabei? Ist der jetzt auch im Haus?“ „Eben nicht“, entgegnete Arenhövel sofort. „Das war ja das Seltsame! Ich muss das wohl erklĂ€ren. Wissen Sie: Eigentlich beginnen wir als Hausgemeinschaft die Woche immer mit der Laudes 
“
Als er sah, dass ihn Kellert fragend anblickte, fĂŒgte er hinzu: „
 also einem gemeinsamen Morgengebet in der Kapelle. Nur hatten wir freies Wochenende. Also: Bevor a...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelblatt
  3. Urheberrecht
  4. Folgende Personen treten auf
  5. Vorspiel – Endspiel
  6. Kapitel 1
  7. Kapitel 2
  8. Kapitel 3
  9. Kapitel 4
  10. Kapitel 5
  11. Kapitel 6
  12. Kapitel 7
  13. Kapitel 8
  14. Kapitel 9
  15. Kapitel 10
  16. Kapitel 11
  17. Kapitel 12
  18. Kapitel 13
  19. Kapitel 14
  20. Kapitel 15
  21. Kapitel 16
  22. Kapitel 17
  23. Kapitel 18
  24. Kapitel 19
  25. Kapitel 20
  26. Kapitel 21
  27. Kapitel 22
  28. Kapitel 23
  29. Kapitel 24
  30. Kapitel 25
  31. Kapitel 26
  32. Kapitel 27
  33. Kapitel 28
  34. Kapitel 29
  35. Kapitel 30
  36. Kapitel 31
  37. Kapitel 32
  38. Kapitel 33
  39. Kapitel 34
  40. Kapitel 35
  41. Kapitel 36
  42. Kapitel 37
  43. Kapitel 38
  44. Kapitel 39
  45. Kapitel 40
  46. Kapitel 41
  47. Kapitel 42
  48. Kapitel 43
  49. Kapitel 44
  50. Nachspiel