Das Kloster als Alternative
oder Das Zeugnis der Frauen
Gott achtet bei jedem Menschen darauf, dass sich der niedere Stand nicht über den höheren erhebe. […] Wer steckt all sein Viehzeug zusammen in einen Stall: Rinder, Esel, Schafe, Böcke? Da käme alles übel durcheinander! So ist auch darauf zu achten, dass nicht alles Volk in eine Herde zusammengeworfen werde.
Mit dieser für uns Heutige schon fast kaltschnäuzigen Überlegung verteidigte die nachmals zwar nicht heiliggesprochene, aber als Heilige verehrte und in unserer Zeit gelegentlich auch im Lager der Grünen hochgelobte Äbtissin, Mystikerin und Universalgelehrte Hildegard von Bingen (1098–1179) die Gewohnheit, ausschließlich Frauen adeliger Herkunft in das von ihr gegründete Kloster am Rupertsberg bei Bingen aufzunehmen. Man mag ihr zugutehalten, dass nicht der Standesdünkel sie zu dieser Äußerung veranlasste, sondern dass sie ihrer Überzeugung folgte, nach welcher die vom Schöpfer eingerichtete Weltordnung auch für das Gottesreich Gültigkeit habe.
Schon im Altertum waren es vorzugsweise begüterte Frauen, welche sich, überdrüssig der weltlichen Zerstreuungen, zu einem Rückzug in die Einöde entschlossen. Darin folgten sie den Mönchen, welche die ›Welt‹ verließen, um in Einsamkeit oder in Gruppen vereint ein beschauliches und asketisches Leben zu führen.
Als eine Art Vorläuferin der späteren abendländischen Frauenklöster gilt die Gemeinschaft, welche die reiche Römerin Marcella (um 330–410) in der Reichshauptstadt um sich scharte und die sich vor allem aus Frauen vornehmer Herkunft rekrutierte. Nach dem Tod ihres Mannes führte Marcella in ihrem Haus auf dem Aventin zusammen mit adeligen Damen ein asketisches Leben. Um 382 nahm sich der heilige Hieronymus dieser Gemeinschaft an und wurde, bevor er sich ins Heilige Land absetzte, während dreier Jahre zu ihrem Lehrer und geistlichen Beistand.
Wenn Hildegard von Bingen sich vehement dafür aussprach, nur adelige Damen in ihr Kloster aufzunehmen, hätte sie sich ohne Weiteres auf Marcella berufen können. Ob sie von deren Existenz überhaupt Kenntnis hatte, ist allerdings zweifelhaft. Tatsache ist, dass das Klosterleben im Mittelalter vorerst nur für Frauen adeliger oder großbürgerlicher Herkunft eine Option darstellte. Wobei bei einem Klostereintritt die religiösen Motive gelegentlich eine eher untergeordnete Rolle spielten.
Als im 7. Jahrhundert in Frankreich anlässlich der Missionierung durch irische Mönche zahlreiche Frauenklöster entstanden, waren diese für manche vornehme Witwen und unverheiratete Töchter aus Adelsgeschlechtern oft weniger eine Stätte der Frömmigkeit als vielmehr ein Ort der Versorgung. Nicht selten kam es vor, dass vermögende Frauen nach dem Tod des Gatten ein Kloster stifteten, das ihnen dann als Alterssitz diente.
Wohl leitete, wenn wir denn der Überlieferung trauen dürfen, Scholastika, die Schwester von Benedikt von Nursia, eine Gemeinschaft frommer Frauen nach dem Vorbild ihres Bruders. Dennoch gab es im Frühmittelalter relativ wenige Frauenklöster, denen anfänglich keine allzu große Bedeutung zukam. Nachdem viele von ihnen im Zug der Normannenund Ungarnüberfälle im 9. und 10. Jahrhundert der Zerstörung zum Opfer gefallen waren, setzten die Neugründungen nur zögerlich ein.
Das änderte sich, wenn auch bloß vorübergehend, als sich im 11. und 12. Jahrhundert immer mehr Frauen aus einer von Männern dominierten Gesellschaft zurückzogen, sodass die Frauenklöster in ganz Europa plötzlich Hochkonjunktur hatten. In dieser Zeit erlebten viele weibliche Orden eine eigentliche spirituelle Blüte. Als Religiosen eröffneten sich den Aussteigerinnen neue Möglichkeiten zur Selbstentfaltung. Zu den einflussreichsten Zentren gehörte bald einmal die 1055 von Abt Hugo von Cluny gegründete Abtei Marcigny in Burgund, wo über neunzig hochadelige Nonnen nach cluniazensischem Vorbild lebten. Als nicht ganz ein halbes Jahrhundert später die Abtei Fontevrault im Anjou als Doppelkloster gegründet wurde, entstand Marcigny eine ernsthafte Konkurrenz. Der Zulauf der Frauen zu diesem von einer Äbtissin geleiteten Konvent war so stark, dass schon bald erste Zweigniederlassungen entstanden. Nach nur 50-jährigem Bestehen gehörten dem Verband über 4000 Nonnen an.
Große Anziehungskraft hatten in jener Zeit auch die weiblichen Niederlassungen des Prämonstratenser- und vor allem jene des Zisterzienserordens. Später gründeten auch andere Gemeinschaften (Franziskaner, Dominikaner, Augustiner, Karmeliter, Kartäuser…) ›weibliche Abteilungens‹, sodass es in der Zeit vom 12. zum 13. Jahrhundert in Europa etwa gleichviel Mönche wie Nonnen gab. Zählte man in Deutschland ums Jahr 900 rund 70 Frauenkonvente, waren es um 1250 bereits etwa 500. Was bedeutet, dass in dieser Zeit Tausende von Frauen durch die Ablegung der Gelübde sich dem himmlischen Bräutigam anverlobten.
Und dies trotz der strengen Anforderungen, welche die (meist benediktinische) Ordensregel an die Nonnen stellte. Das ora et labora, Gebet und Arbeit, hielten sich bei der Bestimmung des Tagesablaufs die Waage. Täglich wurden die Monialen sieben Mal von der Glocke zum Beten der Tageszeiten in die Kirche gerufen. Der Nachtgottesdienst erfolgte um zwei Uhr morgens, die Laudes fand je nach Orden zwischen halb fünf und sechs Uhr statt. Bis zur Prim, der dritten Gebetszeit, wurde die Zeit zum Waschen, Lesen und Singen genutzt. Nach der Prim gab es einen leichten Imbiss. Dann begab die Gemeinschaft sich in den Kapitelsaal, wo das Leben des oder der Tagesheiligen vorgelesen und ein Abschnitt aus der Benediktregel ausgelegt wurde. Anschließend wurde gearbeitet. Die Terz unterbrach diese Tätigkeiten kurz. Nach der Sext wurde die morgendliche Arbeit beendet. Ein etwas kräftigeres Essen folgte; danach hielten die Nonnen bis zur Non Mittagsruhe. Bis zur Vesper ging man schließlich wieder der gewohnten Arbeit nach. Nach einem kleinen Abendessen betete man die Komplet; anschließend war Nachtruhe.
Begreiflicherweise vermochten die Nonnen harte Feldarbeit nicht in gleichem Maß zu verrichten wie die Mönche. Vorzugsweise beschäftigten sie sich mit der Herstellung von Arzneien und dem Kopieren von Handschriften, mit Stickereien oder dem Gartenbau. Viele von ihnen waren in der Hauswirtschaft tätig – sofern nicht die Möglichkeit bestand, ›niedere‹ Arbeiten wie Stricken, Spinnen, Weben, Kochen, Putzen, Wäschereinigung … durch Mägde oder Laienschwestern verrichten zu lassen.
Falls Letztere fehlten und kein Geld für Angestellte vorhanden war, mussten die adeligen Chorschwestern eben selber Hand anlegen.
Wegen der Klausurvorschriften und deren zeitweise strengen Handhabung spielten Armenfürsorge und Krankenpflege in den meisten Frauenklöstern keine zentrale Rolle. Eine Ausnahme bildeten jene Konvente, welche sich an der Augustinusregel orientierten. Wer damals aus religiöser Überzeugung (es gab auch andere Motive, wie wir gleich sehen werden) in ein Kloster eintrat, dachte dabei nicht an die Werke der Barmherzigkeit, sondern wollte die eigene Seele retten.
An sich konnte jede nicht durch Heirat gebundene Frau Nonne werden. Dass der Anteil adeliger Töchter und Witwen weithin überwog, hat seinen Grund darin, dass mit dem Eintritt in ein Frauenkloster die Abgabe einer Mitgift verbunden war; die Nonnen mussten ja auch gelebt haben. Es konnte also durchaus vorkommen, dass ein Mädchen nicht reich genug war, um das Gelübde der Armut abzulegen. Wer keine Morgengabe herbeischaffen konnte, hatte allenfalls die Möglichkeit, als Magd oder, im besten Fall, als Laienschwester in die klösterliche Gemeinschaft aufgenommen zu werden.
Dass ein Großteil der zum Klostereintritt entschlossenen Frauen den Ruf Gottes verspürte, steht außer Frage. Von vielen lesen wir in den alten Chroniken, dass sie sich bewusst von der ›Welt‹ abkehrten, weil sie ausschließlich religiöse Ziele verfolgten. Nicht selten geschah es, dass Eheleute sich in gegenseitigem Einvernehmen trennten, um den Rest ihres Lebens in einem Kloster zu verbringen. Dazu kommt, dass die von den Klerikern hochgelobte sexuelle Enthaltsamkeit bewirkte, dass die Ehe bloß toleriert statt wertgeschätzt wurde. Überdies haftete mittelalterlicher Vorstellung zufolge der ehelichen Intimgemeinschaft etwas Sündhaftes an. Dazu gesellte sich (nicht nur bei Frauen!) die ständige Angst, sich angesichts der Versuchungen und Gefahren, die draußen in der ›Welt‹ zu bestehen waren, das ewige Heil zu verscherzen. Die Todsünden – vor allem jene des ›Fleisches‹ – hingen damals nur so herum wie heute die Würste im Metzgerladen. Schon deshalb war es besser, sich vor dem Teufel, der buchstäblich überall herumscharwenzelte, hinter Klostermauern in Sicherheit zu bringen.
Für manche Frauen war das Kloster überdies die einzige Alternative, den Zwängen einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft zu entfliehen. In einer Ehe hatte einzig der Mann das Sagen; ledige Frauen unterstanden ihrem Vater oder Bruder. Ein Verfügungsrecht über ihre Güter wurde ihnen nicht zugestanden. Was ein Pariser Gelehrter Ende des 14. Jahrhunderts äußerte, galt damals ganz allgemein. Der schrieb, dass die Frau die Anforderungen ihres Mannes widerspruchslos erfüllen müsse, seien sie nun vernünftig oder nicht, denn die Liebe einer guten Ehefrau zu ihrem Gatten müsse der Treue eines Hundes gleichen. Begreiflich daher, dass manche Frauen es vorzogen, in einer Gemeinschaft unter ihresgleichen zu leben. Es war dies oft die einzige Möglichkeit, einer Zwangsheirat zu entgehen, ganz abgesehen noch davon, dass so auch der andauernde Gebärzwang wegfiel, der damals vielen Frauen das Leben kostete.
Immer wieder kam es vor, dass Frauen sich keineswegs aus eigener Initiative einer religiösen Gemeinschaft anschlossen, sondern ›ins Kloster gesteckt‹ wurden. Adelige oder der bürgerlichen Oberschicht entstammende Töchter galten erst als ›versorgt‹, wenn sie eine gute – also standesgemäße – Partie gemacht hatten. Dazu aber war nicht nur ein passender Partner, sondern auch eine entsprechende Aussteuer vonnöten, die manche Väter nicht aufbringen konnten – oder wollten. Die vom Kloster eingeforderte Mitgift war oft um einiges geringer.
Ins Kloster abgeschoben wurden häufig auch kränkliche, manchmal gar geistig zurückgebliebene, oft erst sechs- oder siebenjährige Mädchen (gelegentlich auch Jungen). Anlässlich einer Visitation des Frauenklosters Niedermünster im Jahr 1246 erfuhr der Franziskaner Bertold von Regensburg, dass fast alle Nonnen bereits im Alter von vier oder fünf Jahren von ihren Eltern ins Kloster gegeben worden waren (das Mindestalter war damals je nach Orden auf acht bis zwölf Jahre festgelegt). Ein ähnliches Schicksal erwartete in Adelskreisen manchmal auch Gattinnen, wenn der Mann ihrer überdrüssig geworden war – das Kloster als Kerker.
Nonnen, die von ihren Familien zwangsversorgt worden waren, verspürten verständlicherweise keine allzu große Lust, der Gottesminne zu frönen – was sich längerfristig negativ auf die klösterliche Disziplin auswirkte. Daran erinnert ein altes Volkslied, in dem eine Nonne ihrer sexuellen Not Ausdruck verleiht:
Wie muss ich meine Zeit verschlüssen,
ich armes Kind,
ich muss von keinen Frewden (Freuden) wissen,
die weltlich sind.
Wie lieber möcht ich einen Knaben,
als eine grawe (graue) Kappen haben.
Pfy diesem Kleiyd vnnd (und) Nonnenleben,
hinweg mit dir,
mir ist kein Nonnen-Fleisch gegeben.
Ist niemand hier,
der mich auß diesem Joch auszspannt,
vnnd meinen frischen Leib bemannt?
Man hat mich jung hierher getrieben,
ich war so schlecht (schlicht),
dass ich nicht wusste, was das Lieben,
was linck, was recht.
Nun mich die Jahre mannbahr machen,
gedenck ich auch an Mannes-Sachen.
Mein Dencken ist in einem Orden,
da man sich küsst,
ich bin der Nonnen müde worden,
dann mich gelüst.
Ein Weib kann Gott so wol gefallen,
als aller Nonnen-Psalter lallen.
Allerdings ist zu beachten, dass ein Großteil der Nonnen das Klosterleben keineswegs als Belastung, sondern eher als Befreiung empfand. Denn hinter verschlossenen Pforten eröffneten sich Räume, welche ihnen in der damaligen Gesellschaft sonst verschlossen geblieben wären. Die Frauenklöster waren jahrhundertelang fast die einzigen Stätten, in denen sich die weibliche Kreativität entfalten konnte. Die meisten der verhältnismäßig wenigen Frauen, welche im Mittelalter die Kunst des Schreibens beherrschten, waren Monialen. Viele von ihnen erwarben Lateinkenntnisse, pflegten Gesang, Musik und Malerei. Kaum bekannt ist, dass es nicht nur in Männer-, sondern auch in vielen Frauenklöstern ein Skriptorium gab, eine Schreibstube, in welcher die Nonnen ganze Bücher kopierten und mit kunstvollen Illustrationen versahen.
Manche Ordensschwestern begnügten sich nicht mit dem Kopieren von Texten, sondern waren auch selber schriftstellerisch tätig. Zahlreiche mittelalterliche Lebensbeschreibungen, Chroniken, mystische Texte und dichterische Werke entstanden in Frauenklöstern.
So zählt Roswitha (Hrotsvit) von Gandersheim (um 935 – nach 973) zu den berühmtesten Dichterinnen des Mittelalters. Als junge Frau trat sie in den Benediktinerorden von Gandersheim in der Nähe von Göttingen ein. Ihre in lateinischer Sprache geschriebenen Werke umfassen acht religiöse Gedichte (Heiligenlegenden), zwei historische Chroniken in Versform (di...