Vom âNotnagelâ zur geschĂ€tzten Mitarbeiterin und âFrau Pastorâ
Das Berufsbild der Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten im Wandel
Die Internationale Tagung, veranstaltet vom Berufsverband der Pastoralreferentinnen Deutschlands e.V. und des VPW Nederland vom 16. bis 18. November 2015 in Aachen, trĂ€gt den Titel âHerausforderungen und Entwicklungen unseres Berufesâ. Schon in den ersten GesprĂ€chsrunden wird klar, dass âUngleichzeitigkeitâ bei den Teilnehmenden sowohl in ihren Erfahrungen und beruflichen Feldern als auch in den Rahmenbedingungen und konkreten Dienstaufgaben vorherrscht. Dieser Eindruck der bunten Vielfalt wird dadurch verstĂ€rkt, dass nicht nur Vertreterinnen und Vertreter der Berufsgruppe aus den deutschen BistĂŒmern teilnehmen, sondern auch aus den Niederlanden, Luxemburg, Belgien, der Schweiz und aus Ăsterreich. Ăberall ist man in der katholischen Kirche beheimatet und fĂŒr diese tĂ€tig und zugleich liegen die Dinge ĂŒberall ein wenig oder sogar völlig anders: GemeindegröĂen, DienstverhĂ€ltnisse, Kompetenzen, Dienstaufgaben, Bistumsvorgaben, Haupt- und Ehrenamt, GeschlechterverhĂ€ltnisse, Projekte, PlĂ€ne, Priester und Bischöfe â all das eint und trennt zugleich. Martin Ostermann
Die Beschreibung als âNotnagelâ fĂŒr Pastoralreferentinnen und -referenten mag zwar der Vergangenheit angehören, aber die Wahrnehmung als âErsatzkaplanâ ist auch heute noch an manchen Orten pastorale Wirklichkeit. Deutlicher (und in der Beschreibung treffender) erscheint der Begriff âSeelsorger/inâ, denn die Seelsorge steht fĂŒr die Frauen und MĂ€nner dieser Berufsgruppe insbesondere auch in der ganz persönlichen Motivation an vorderster Stelle. Als theologische Expertinnen und Experten könnte in Zukunft auch die Funktion des Dolmetschens mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. In einer Gesellschaft, die schon jetzt zu einem Drittel aus Menschen besteht, die sich keinem Bekenntnis und keiner Religion zugehörig fĂŒhlen, verlangt religiöses Wissen nach Beratungs-, ErklĂ€rungs- und Ăbersetzungskompetenz. Das Dolmetschen ist dann aber nicht nur eine rein intellektuelle oder sprachliche TĂ€tigkeit, sondern kann auch wieder ZugĂ€nge zu kulturellen Handlungen und geprĂ€gten Orten beinhalten. Kirche ist eben mehr als ein Baudenkmal aus vergangener Zeit. Ebenso wie Pastoralreferent/innen heute schon Generalisten und Spezialisten zugleich sein mĂŒssen, werden sie auch zu Personen, deren Kompetenz das Erkunden (spiritueller Suche und allgemeiner Lebensbegleitung) und das Ermöglichen (von neuen Formen der TrauerbewĂ€ltigung oder von Begleitung in WechselfĂ€llen des Lebens) werden. Aber dies sind bereits Einsichten, die am Ende der Tagung in Gruppen, welche die GesprĂ€chsergebnisse zusammenzufassen suchten, formuliert worden sind. Am Anfang stand vor allem auch die gegenseitige RĂŒckversicherung ĂŒber den Ort und das Aufgabenfeld, in welche Mann und Frau hinein entsandt worden sind.
Martin Ostermann
Dr. theol.; von 2003 bis 2012 Mitarbeiter bzw. Akademischer Rat am Lehrstuhl fĂŒr Dogmatik an der Katholischen UniversitĂ€t EichstĂ€tt-Ingolstadt; von September 2012 bis August 2014 Bildungsreferent im Bistum Erfurt am Bildungshaus St. Ursula; seit September 2014 Studienleiter bei Theologie im Fernkurs und Lehrbeauftragter an der Katholischen UniversitĂ€t EichstĂ€tt und an der UniversitĂ€t Erfurt.
âMĂDCHEN FĂR ALLESâ: DIE GEGENWĂRTIGE SITUATION
War zu Beginn von Ungleichzeitigkeit in Bezug auf das Berufsbild der Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten die Rede, so kann nun noch das Stichwort der UnĂŒbersichtlichkeit ergĂ€nzt werden. Auch wenn âUnâ-Worte dazu neigen, wertend verstanden zu werden, so sind sie im vorliegenden Zusammenhang nur deskriptiv gemeint. Das UnĂŒbersichtliche des Berufsbildes bezieht sich auf den Raum bzw. die vielfĂ€ltigen RĂ€ume, in denen gearbeitet wird, auf die sehr unterschiedlichen Aufgabenfelder des Berufes und auf die sich zum Teil widersprechenden Perspektiven, unter denen diese Arbeit geschieht.
Die UnĂŒbersichtlichkeit des Raumes speist sich zum einen aus dem in allen deutschen BistĂŒmern immer stĂ€rker um sich greifenden Trend, pastorale RĂ€ume und Einheiten zu vergröĂern, sodass die ehemals ĂŒbersichtliche Pfarrgemeinde mit einem klar abgegrenzten Gebiet und einer (zumindest im Kern) ĂŒberschaubaren Menge an Menschen bald der Vergangenheit angehört. Positiver formuliert beinhaltet diese Entwicklung eine VerĂ€nderung der Pastoral weg von einzelnen Pfarrgemeinden hin zu formal gröĂeren Strukturen, die aber eigene Binnenstrukturen entwickeln. Diese Binnenstrukturen sind weniger von Gebieten und einem Kirchenbau sich zugehörig fĂŒhlenden Menschen gekennzeichnet, sondern von Interessengruppen, unterschiedlichen Einrichtungen (z.B. Kindergarten, Schule, Altenheim) und Menschen, die sich sowohl âdrauĂenâ (z.B. aus der Kirche Ausgetretene), als âGrenzgĂ€ngerâ (z.B. Kasualienfromme), als auch âdrinnenâ (z.B. ehrenamtlich Engagierte) verorten (vgl. Bucher, 136-147).
Aus Sicht der pastoral Mitarbeitenden ist diese Situation insofern unĂŒbersichtlich, als diese HeterogenitĂ€t von Personen, RĂ€umen und Anforderungen eine Vielfalt von Handlungs- und Denkweisen verlangt. Es kann nicht mehr das eine pastorale Programm fĂŒr alle geben (falls es so etwas jemals gab) und die Halbwertzeit von Initiativen reduziert sich immer weiter bzw. ist zumindest starken zeitlichen Schwankungen unterworfen. Wenn Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten im Zwischentitel als âMĂ€dchen fĂŒr allesâ bezeichnet werden, so ist damit auf der Seite der Handlungsoptionen und Handlungsfelder die genannte UnĂŒbersichtlichkeit beschrieben. âMĂ€dchen fĂŒr allesâ zu sein kann ĂŒberfordernd, aber auch herausfordernd sein. Die Herausforderung bedarf allerdings klarer Perspektiven: Was ist mein Einsatzort? Wer sind die Adressaten meines Handelns? Welche Ziele werden verfolgt und aus welchen Ressourcen kann ich schöpfen? Um die positiv verstandene Herausforderung besser zu verstehen, soll die gegenwĂ€rtige Situation noch differenzierter betrachtet werden.
âFRAU DEKANINâ: DIE SPANNUNG VON âLAIEâ-SEIN IM HAUPT- UND EHRENAMT
Da die pastoralen RĂ€ume und damit die ZustĂ€ndigkeitsbereiche vergröĂert werden, sind die Einsatzstellen oft nicht mehr auf der Ebene der Gemeinde direkt vor Ort, sondern auf der strukturell nĂ€chsthöheren Ebene, z.B. dem Dekanat, angesiedelt. Hier muss vor allem organisatorische und begleitende Arbeit (von Ehrenamtlichen) geleistet werden. Begleitung und Anleitung wird dann oft als (ĂŒbergeordnete) Leitung wahrgenommen, sodass die Pastoralreferentin in dieser Position als âFrau Dekaninâ wahrgenommen wird. Dies ist so lange unproblematisch, wie es sich um eine inhaltlich gut austarierte und fĂŒr die anvertrauten Menschen förderliche TĂ€tigkeit handelt. Problematisch wird eine Zuschreibung als âFrau Dekaninâ, wenn damit Erwartungshaltungen in Bezug auf letztverantwortliche Leitung und ReprĂ€sentation als Sakramentenspenderin verbunden ist. Wohlgemerkt: problematisch ist dies vor allem fĂŒr die Mitarbeiterin, die mit AnsprĂŒchen konfrontiert wird, die sie oft nicht erfĂŒllen kann.
An dieser Stelle ist festzuhalten, dass die Arbeit im Team aus Priestern und Laien im pastoralen Dienst an vielen Orten sehr gut funktioniert und mit viel gemeinsamen Engagement gefĂŒllt wird, ohne zu verschweigen, dass unterschiedliche Rollen- und Berufungsvorstellungen durchaus Konfliktpotential beinhalten. Die Konflikte erwachsen mehrheitlich aber aus unklaren Zielvorgaben, AnhĂ€ufung von Aufgabenfeldern und einer kaum noch einzuholenden Differenzierung der Pastoral vor Ort. Ist die (GroĂ-)Pfarrei nur eine Verwaltungseinheit, die in kleinere, mit deutlichen Konturen versehene pastorale Einheiten (Gemeinden?) ausdifferenziert werden muss? Wenn dem so ist: Wer trĂ€gt dann wofĂŒr in den kleineren Einheiten die Verantwortung? Wie stellt sich in den kleineren Einheiten das VerhĂ€ltnis von Gemeinde- und Kategorialseelsorge dar? Welche Kompetenzen werden Laien im pastoralen Dienst zuerkannt und wie stellt sich das VerhĂ€ltnis von Haupt- und Ehrenamtlichen dar?
Ganz im Sinne von Ungleichzeitigkeit und UnĂŒbersichtlichkeit gibt es auf diese Fragen keine eindeutigen, immer und ĂŒberall gĂŒltigen Antworten, sondern entscheidend ist der Kontextbezug. Der Kontext ist lĂ€nder-, diözesan- und ortsspezifisch zu beschreiben. Vor allem sollte beachtet werden â und das war in den GesprĂ€chen der Tagung in Aachen immer wieder Thema -, dass es weniger um Strukturen und Ămter, sondern mehr um Sendung und Charismen geht. âAls gemeinsame Mitglieder von Kirche sind wir viel mehr fĂŒreinander als âHauptamtlicheâ und âEhrenamtlicheâ. Das zu realisieren ist die Voraussetzung, um tun zu können, was wir fĂŒreinander vor allem tun sollten: voneinander lernen, was das Evangelium heute bedeutetâ (Bucher, 130).
âSAMMLUNG UND SENDUNGâ: ZWISCHEN BISTUMSVORGABEN UND BERUFSIDENTITĂT
Eben jene Sendung, um das Evangelium zu verkĂŒnden, ist vom Zweiten Vatikanischen Konzil gestĂ€rkt worden. âDie Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heiĂt Zeichen und Werkzeug fĂŒr die innigste Vereinigung mit Gott wie fĂŒr die Einheit der ganzen Menschheitâ (LG 1). Die Kirche ist zudem vor allem Ortskirche, d.h. vor Ort realisiert sich katholische Kirche fĂŒr die Menschen und in den Menschen.
âDiese Kirche Christi ist wahrhaft in allen rechtmĂ€Ăigen Ortsgemeinschaften der GlĂ€ubigen anwesend, die in der Verbundenheit mit ihren Hirten im Neuen Testament auch selbst Kirchen heiĂen. Sie sind nĂ€mlich je an ihrem Ort, im Heiligen Geist und mit groĂer Zuversicht (vgl. 1 Thess 1,5), das von Gott gerufene neue Volkâ (LG 26). In der Konstitution der âKirche in der Welt von heuteâ wiederum finden wir ein klares Bekenntnis zur VorlĂ€ufigkeit allen kirchlichen Handelns und Denkens und ein immer neues Zugehen auf die sich stĂ€ndig verĂ€ndernde Welt (vgl. GS 91). Schon die ersten Zeilen und AbsĂ€tze von âGaudium et Spesâ machen deutlich, dass sich die christliche frohe Botschaft an alle Menschen richtet und darum auch kirchliches Handeln zuallererst einen allgemeinen, an alle Menschen sich richtenden Bezug hat. Um sich aber âFreude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heuteâ (GS 1) ganz konkret zuwenden zu können, bedarf es auch der Sammlung als Kirche, bedarf es der bestĂ€ndigen RĂŒckversicherung der Nachfolg...