Medizin als Heilsversprechen
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Medizin als Heilsversprechen

Die überforderte Gesundheit als theologisch-ethisches Problem

  1. 219 Seiten
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Medizin als Heilsversprechen

Die überforderte Gesundheit als theologisch-ethisches Problem

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Die vorliegende empirische Untersuchung macht ins Äußerste gesteigerte Erwartungen an die Medizin im Umfeld des radikal säkularisierten Lebensgefühls aus. Auf sie gilt es angemessen mit einem differenzierten kirchlich-pastoralen und medizinisch-therapeutischen Handeln zu reagieren. Kirchliche Verkündigung scheint innerhalb der glaubensfernen Kontexte nur noch schwer verständlich. Medizin tritt als Ersatzgebilde für religiöse Hoffnungen auf. Kirche scheint ihren Platz dort zu haben, wo Medizin und Naturheilkunde an ihre Grenzen kommen. Die Erwartungsstruktur gegenüber Medizin und Glaube erfordert deshalb ein kooperatives Handeln medizinischer und seelsorgerischer Kompetenz und Professionalität, um den Patienten eine umfassende psychophysische Hilfe zur Verfügung zu stellen. Sie reicht bis in die spirituelle Assistenz angesichts der Bedrohung von Krankheit, Behinderung und Tod hinein.

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Information

Verlag
Echter
Jahr
2018
ISBN
9783429064006
1. Kapitel:
Sehnsucht nach Gesundheit
1.1. Die ganz alltägliche Hoffnung auf Gesundheit – ein religiöses Verlangen?
Die Medizin und ihre Möglichkeiten, Gesundheit zu erhalten und zu stabilisieren, sind in der modernen Gesellschaft Gegenstand vieler Erwartungen. Nicht wenige, die im Gesundheitswesen tätig sind, erleben diese Erwartungshaltung aber auch als eine Überforderung, ja als ein Anspruchsdenken1. Gerät die Hoffnung auf die Erfolge medizinischen Handelns in die Nähe zu religiöser Sehnsucht?
Beispiele für diese Überhöhung der Erwartungen an Medizin und Gesundheit überhaupt lassen sich jedenfalls schnell finden. Sie reichen bis zur Verbindung zwischen Wellness und Spiritualität.
Um mit einer nüchternen Feststellung und Beschreibung zu beginnen: Niemand wird bezweifeln, dass sich der Mensch nach Gesundheit sehnt. Diese Sehnsucht kommt in recht unterschiedlichen, aber unübersehbaren Phänomenen innerhalb der gegenwärtigen Gesellschaft zum Ausdruck.
Wohl kaum ein Geburtstag vergeht, an dem nicht nach allen anderen Wünschen immer wieder der Wunsch angefügt wird: „… und vor allem Gesundheit!“. In dem bekannten Kanon, der nicht selten an einem Geburtstag gesungen wird, heißt es:
„Viel Glück und viel Segen auf all’ deinen Wegen;
Gesundheit und Frohsinn sei auch mit dabei!“
Hier werden dem gewünschten Glück und dem erhofften Segen die Gesundheit und der Frohsinn/die Freude beigesellt: Sie sollen das Glück und den Segen gleichermaßen konkretisieren und vervollständigen.
Selbst der 3. Johannesbrief im Neuen Testament beginnt mit den Worten:
„Der Älteste an den geliebten Gaius, den ich in Wahrheit liebe. Lieber Bruder, ich wünsche dir in jeder Hinsicht Wohlergehen und Gesundheit, so wie es deiner Seele wohlergeht.“ (3 Joh 1f)
Es ist in diesem Sinne wohl sicherlich angemessen, von einer Alltäglichkeit der Sehnsucht nach Gesundheit und Heil zu sprechen. Gesundheit wird heute allgemein als das Wichtigste im menschlichen Leben verstanden, nicht selten ist dabei sogar vom „höchsten Gut, das wir überhaupt besitzen“, die Rede.2
1.1.1. Gesundheit als aktive Aufgabe
Gesundheit wird aufgrund seiner allgemein hohen Wertschätzung zugleich zu einem Gegenstand moralischer Anstrengung. In den Dimensionen von Ernährung, Erhaltung der Fitness, ja in der Struktur des Gesundheitswesens und der in ihm üblichen Sprache kommt dieser ethische Verpflichtungscharakter ins Spiel. Das Erleben von Krankheit in seiner mittelbaren und unmittelbaren Nähe lässt auch und gerade den gesunden Menschen fragen, wie er seine Gesundheit durch eigenes Tun (oder Unterlassen) erhalten kann. Gemäß dem geläufigen Wort „Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts!“ versuchen viele, gesund zu bleiben bzw. zu werden.
Durch bewusst gesunde Ernährung, die sich z. B. in der immer größeren Nachfrage nach Bio-Produkten niederschlägt, kommt dieser inhärent ethische Charakter der Gesundheitssehnsucht gegenwärtig vielleicht am pointiertesten zum Ausdruck. Davon zeugt auch das breit gefächerte Angebot im Supermarkt, in dem diese Produkte unübersehbar allen Kunden ins Auge fallen (sollen). Auch die jährliche „Grüne Woche“ in Deutschland ist ganz in diesem Sinne bestimmt von Öko- und Bio-Produkten, die u. a. eine gesündere Ernährung versprechen.
Aber darüber hinaus gilt umfassend im Blick auf die Verwendung des Begriffs Gesundheit: Sehnsucht, persönliche Anstrengung, ja öffentliches Bewusstsein verbinden sich miteinander. Krankenkassen nennen sich bewusst Gesundheitskasse (AOK), und aus Krankenpflegern sind inzwischen Gesundheitspfleger geworden.
Auf der Suche, Sehnsucht und Verlangen nach Gesundheit und Wohlbefinden zu verwirklichen, werden heute – führt man diese Beobachtungen weiter – die unterschiedlichsten Angebote gemacht, die Gesundheit und Wohlbefinden versprechen: Fitness-Studios, deren Nutzung heute für viele fest zum wöchentlichen Terminplan gehört – und dies nicht selten sogar mehrmals in der Woche –, werben dafür, durch körperliche Betätigung etwas für die eigene Gesundheit zu tun. Sieben Tage in der Woche wird – gelegentlich hinter überdimensional großen „Schau-Fenstern“ – der Blick von Passanten auf die Nutzer der FitnessGeräte gelenkt, um bei möglichst vielen Menschen Interesse an deren Nutzung für das eigene Wohlbefinden zu wecken.
Wellness wird in diesem Kontext folgerichtig als optimales Wohlbefinden beschrieben. 1990 wurde in der Logik dieser Tendenzen in Deutschland die Europäische Wellnessunion (EWU) gegründet. So verwundert es nicht, dass in den vergangenen Jahren Wellnessanlagen (mit nicht nur verheißungsvollen Namen, sondern gleichermaßen) mit verheißungsvollen Angeboten wie Pilze aus dem Boden schossen.
Der Sinn dieser Anstrengungen ist dabei offensichtlich: Der vom Alltagsstress geplagte Mensch ist eingeladen, durch Wellness, gesundheitsfördernde Kuren, durch Bäder, Massagen, Licht-, Stein-, Geruchstherapien u. v. m. die Einheit von Körper, Geist und Seele wiederherzustellen.3
Die Besucherzahlen in den Thüringer Thermen – um Beispiele aus dem konkreten Umfeld des Autors dieser Studie zu nennen – bestätigen dieses Verlangen, wobei die Einrichtungen in ihren stets neuen Angeboten nicht einfallslos sind.
In der Kristall-Therme in Bad Klosterlausnitz findet sich ein „Sinnespfad“ (2012), auf dem man durch das Beschreiten mittels einer „natürlichen Fußreflexzonenmassage“ sein Bewusstsein erweitern soll. Dort heißt es zum Beispiel:
„Der Kristall-Sinnespfad mit den Stationen Granitsteine, Rindenmulch, Kalk-Kieselsteine und Tannenzapfen:
Der Sinnespfad mit unseren verschiedenen Stationen ist eine natürliche Fußreflexzonenmassage. Alle Organe und Körperteile haben auf der Fußsohle feste Punkte, mit deren Anregung durch ‚Massage‘ diese positiv angeregt sowie günstig beeinflusst werden. Es wird der gesamte Körper mit all seinen Organen und Sinnen durch gesetzte Reize stimuliert und die Selbstheilungskräfte Ihres Körpers aktiviert.
Durch das Begehen des Sinnespfades werden die sensorischen Fähigkeiten trainiert und die Durchblutung in den Füßen angeregt. Erweitern Sie Ihr Bewusstsein bei einem Rundgang durch unseren Sinnespfad.
Wir wünschen Ihnen viel Freude dabei!
Bleiben Sie gesund!
Ihr Kristall-Team!
Kristall-Therme
Genuss pur“4
Die Toskana-Therme in Bad Sulza5 wirbt an ihrem Eingang (2012) mit dem unübersehbaren Slogan:
„Verschenken Sie Glück und Gesundheit“.
In ihrem Flyer bezeichnet die Kette der Toskana Thermen in Bad Sulza (Thüringen), Bad Orb (Hessen) und Bad Schandau (Sachsen) einen Thermenbesuch mit einer individuellen Behandlung sogar als eine „nachhaltige Investition in Gesundheit und Wohlergehen“. Durch eine empfohlene „Indian Head Massage“ wird eine „Balance zwischen Körper und Geist“ versprochen, die ein „Gefühl von Harmonie und Wohlbefinden“ erzeugt. Eine „Klangmassage“ verheißt eine einmalige Wirkung, indem durch das direkte Auflegen und Anschlagen von verschiedenen Klangschalen auf dem Körper Klangwellen den Körper durchströmen, der dadurch eine sanfte Zellmassage erfährt; die einzelnen Körperbereiche werden mit ihnen entsprechenden Klängen bedacht, wodurch der Körper zu seiner ursprünglichen harmonischen Frequenz zurückfinden soll. Eine Reiki-Behandlung verspricht, die heilende, universelle Energie durch Handauflegen in den Körper einfließen zu lassen. Sie wird als sehr alte Heilkunst beschrieben, die „universale Lebenskraft“ bedeutet. Durch Auflegen der Hände werde hier heilende Kraft weitergeleitet; Reiki wirke auf allen Ebenen „reinigend und heilend“, und Körper, Geist und Seele kommen ins Gleichgewicht.6
1.1.2. An der Schwelle zum religiösen Heilsverlangen? Die qualitative Vertiefung der Erwartung an Heilung und Heil
Es ergeben sich interessanterweise – und das ist hier wichtig – aus dieser irgendwie „ganzheitlichen“ Ausweitung der alltäglichen Sehnsucht nach Gesundheit Dimensionen gewissermaßen „transzendenter“ Qualität, welche das moderne Verständnis von Heilung in diesen Entwicklungen begleiten kann. Oder vorsichtiger ausgedrückt: Gesundheit und ganzheitliche Lebensqualität, körperliche und emotionale Bedürfnisse, somatische und spirituelle Seiten menschlichen Heilseins rücken zusammen. Stichworte wie „Glück und Gesundheit“, „Balance zwischen Körper und Geist“, „Gefühl von Harmonie und Wohlbefinden“, „ursprüngliche harmonische Frequenz“, „heilende universelle Energie“, „universelle Lebenskraft“, „heilende Kräfte“, „reinigende und heilende Wirkung“, „Gleichgewicht von Geist und Seele“ wirken attraktiv und vielversprechend für die meisten Menschen, zumal sie in ihrer so überaus ideenreichen Verwendung nicht nur körperliche Gesundheit, sondern Heil versprechen.
So scheint heute Gesundheit dem Menschen als letztes und endgültiges Ziel vor Augen zu stehen. Es ist folgerichtig, dass viele meinen, für die Gesundheit alles tun zu müssen. Manfred Lütz weist im Sinne dieser Dynamik mit der Behauptung „Gesund ist, wer nicht ausreichend untersucht wurde“ auf eine Überlegung von Rudolf Gross hin, demzufolge
„[d]ie Praxis zeige, dass die Zahl der krankhaften Werte mit der Zahl der Untersuchungen zusammenhänge. Macht man bei jedem Menschen 5 Untersuchungen, sind vielleicht noch mehr als 95 % gesund. Bei 20 Untersuchungen sind es nur noch 36 % und bei 100 Untersuchungen ist mutmaßlich jeder Mensch krank. Da jeder krankhafte Wert weitere Kontrolluntersuchungen nach sich zieht, gibt es ab einem bestimmten Punkt kein Halten mehr. Daraus folgt: Gesund ist, wer nicht ausreichend untersucht wurde.“7
Das heißt, der sich vertiefende, sich in seinen ganzheitlichen Aspekten differenzierende Blick auf Gesundheit und Heilsein führt auch zu einer „mikrokosmischen“ Sensibilität in diesem Bereich – zu einer qualitativen Vertiefung der Erwartung an Überwindung der Beeinträchtigung durch Krankheit, fehlender Balance und Belastungen. Die Sehnsucht des Menschen, gesund zu sein und gerne wissen zu wollen, wie er dies erreichen kann, erklärt vielleicht so manchen Arzttermin, der unter Umständen gar nicht nötig wäre.
Mit dem Rückgang existenzieller körperlicher, seelischer und sozialer Bedrohungen geraten heute – auch das ist eine weitere, ergänzende Beobachtung – zunehmend milde Erkrankungen, Befindlichkeitsstörungen und Symptome in das Zentrum der Aufmerksamkeit von Betroffenen und des gesundheitsindustriellen Komplexes. In dieser Entwicklung liegt vielleicht auch der Grund, warum Naturheiler und Heilpraktiker zunehmend eine Rolle auf dem Feld der Erwartungen bezüglich der Gesundheit und des Wohlbefindens des Einzelnen spielen.
Die alternative Medizin befindet sich in einem solchen Ausmaß auf dem Vormarsch, dass in Europa bei steigender Tendenz jährlich etwa ein Drittel der Bevölkerung auf irgendeine Art und Weise diese Medizin in Anspruch nimmt;8 damit verbunden ist auch ein vermehrter Konsum von sogenannten Nahrungsergänzungsmitteln.
Kann man so – auch heute noch oder wieder – mit Platon formulieren: „Die ständige Sorge um die Gesundheit ist auch eine Krankheit“9?
1.1.3. Eine tatsächlich religiöse Tiefe der Sehnsucht?
Aus theologischer Perspektive drängt sich jedenfalls – und damit wird der Fokus der hier vorgelegten Untersuchung berührt – angesichts dieser Phänomene gegenwärtiger Erwartungen an Gesund...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelblatt
  3. Urheberrecht
  4. Inhalt
  5. Vorwort des Herausgebers
  6. Vorwort des Autors
  7. Quellen- und Literaturverzeichnis
  8. Abkürzungsverzeichnis
  9. 1. Kapitel: Sehnsucht nach Gesundheit
  10. 2. Kapitel: Gesundheit, Heil und Heilung – Zugänge
  11. 3. Kapitel: Heilung als Zeichen des angebrochenen Heils – „Kleine“ und „große“ Transzendenz im Horizont neutestamentlicher Theologie
  12. 4. Kapitel: Sehnsucht und Suche nach Heilung und Heil heute – eine empirische Untersuchung
  13. 5. Kapitel: Diskussion: Ein differenziertes kirchlich-pastorales und medizinisch-therapeutisches Handeln
  14. Anhänge