Den österlichen Mehrwert im Blick
eBook - ePub

Den österlichen Mehrwert im Blick

  1. 232 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Den österlichen Mehrwert im Blick

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Der Erfurter Bischof Joachim Wanke bezieht seit vielen Jahren pointiert und beachtet Stellung zu aktuellen Fragen von Kirche und Gesellschaft. Ihn bewegen die Sorge um die Weitergabe des Glaubens, die Offenheit der katholischen Kirche gegenüber einer säkularen Gesellschaft und der Dialog wie das Zusammenleben mit Nichtchristen. Seine Überzeugung ist, dass Christen, die im Gottesgeheimnis verwurzelt sind, für die Menschen immer interessant und anregend bleiben. Dabei soll der "österliche Mehrwert", den der Gottesglaube schenkt, in den Blick kommen. An einer nüchternen Betrachtung der gesellschaftlichen Situation einerseits und dem Anspruch und Zuspruch des Evangeliums andererseits hat sich jede Kirchenentwicklung zu orientieren.Theologinnen und Theologen der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Erfurt greifen die Anstöße des Erfurter Bischofs auf. Insbesondere die Situation der kleinen, aber vitalen Kirche in der Diaspora prägt die einzelnen Beiträge. Sie geben Impulse für die aktuellen Diskussionen um die Erneuerung von Kirche und katholischem Christentum.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Den österlichen Mehrwert im Blick von Benedikt Kranemann, Maria Widl, Benedikt Kranemann, Maria Widl im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Teología y religión & Iglesia cristiana. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Verlag
Echter
Jahr
2012
ISBN
9783429060473

ISRAEL UND DIE VÖLKER IN JES 2,1–5.
EIN MODELL FÜR DIE SELBSTBESINNUNG DER KIRCHE?

Norbert Clemens Baumgart
Hinführung
Wenn demnächst eine repräsentative Umfrage in Deutschland dazu auffordern würde, innerhalb des folgenden Textes die gegenwärtig bekannteste Formulierung zu benennen, welches Ergebnis wird man erwarten dürfen?
1 Das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, über Juda und Jerusalem schaute.
2 Es wird geschehen in zukünftigen Tagen:
Fest wird stehen der Berg des Hauses JHWHs
an der Spitze der Berge,
er überragt die Hügel
.
Alle Nationen werden zu ihm strömen,
3 viele Völker werden hingehen und sagen:
„Kommt doch, lasst uns hinaufziehen zum Berg JHWHs,
zum Haus des Gottes Jakobs.
Er lehre uns von seinen Wegen,
dass wir gehen in seinen Pfaden.“
Ja, von Zion wird Weisung ausgehen
und das Wort JHWHs von Jerusalem.
4 Er wird richten zwischen den Nationen
und zwischen vielen Völkern schlichten.
Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden,
ihre Lanzen zu Winzermessern.
Nicht mehr wird Nation gegen Nation das Schwert erheben,
noch werden sie ferner das Kriegshandwerk lernen.
5 Haus Jakob, kommt doch, lasst uns gehen im Licht JHWHs! (Jes 2,1–5)
Man darf wohl auf die Formulierung „Schwerter zu Pflugscharen“ tippen. Die Formulierung dürfte selbst Zeitgenossen bekannt klingen, denen die Bibel eher unbekannt ist. Denn die Formulierung ist vor nicht allzu langer Zeit zu einem Slogan aufgestiegen und hat eine beeindruckende Wirkungsgeschichte entfaltet. Wie war es dazu gekommen?
Eine Skulptur trug dazu bei. Der sowjetische Bildhauer Ewgenij Viktorowitsch Wutschetitsch (1908–1974) hatte die Skulptur angefertigt: Ein Mann schmiedet ein Schwert in eine Pflugschare um. 1957 kam diese Skulptur als Geschenk der UdSSR an die UNO nach New York. Dort aufgestellt, führte das Werk zu Reaktionen, die von den Schenkenden vermutlich gar nicht beabsichtigt worden waren. Angesichts militärischer Hochrüstung sowie düsterer großpolitischer und gesellschaftlicher Erfahrungen wurde die Skulptur als eine Verdichtung von Hoffnungen gedeutet und angenommen. Das geschah von Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre an vor allem in der Friedensbewegung der DDR, die in Teilen auch christlich geprägt war. Die Skulptur wurde auf einem Kreisrund als Bild wiedergegeben. Das Bild wurde zudem im Kleinformat auf Stoff geprägt, um es auf Bekleidungsstücke aufnähen zu können. Das Bild unterlegte man mit der Formulierung „Schwerter zu Pflugscharen“. Das Wort war für viele zum Motto ihrer Einstellung und Erwartung geworden. Das Bild und das Motto wurden auch schnell im Westen Deutschlands bekannt.
Das Bild enthielt von Anfang an einen Hinweis auf die Bibel: „Micha 4“. Der Hinweis hätte ebenso „Jesaja 2“ lauten können. Die beiden Abschnitte Jes 2,1–5 und Mi 4,1–5 sind im Wortlaut sehr ähnlich.
Die hier skizzierte Wirkungsgeschichte kennt also ein inspirierendes und beflügelndes Potential, das man dem alttestamentlichen Text zu entnehmen vermochte. Aber nicht nur die Wirkungsgeschichte ist interessant.
Beachtenswert sind auch die Funktionen, die der Abschnitt 2,1–5 innerhalb des Buches Jesaja übernimmt. Dem wird dieser Beitrag nachgehen. Der Abschnitt Jes 2,1–5 übt eine Art Signalfunktion für den Lesegang durch das Prophetenbuch aus. Diese Signalfunktion entsteht aber erst dadurch, dass der Abschnitt zusammen mit den Texten, die ihm vorausgehen, eine Spannung aufbaut.
Ein erster Pol, durch den die Spannung entsteht, ist leicht einsichtig und ergibt sich aus dem Gedanken in Jes 2,1–5, dass eine künftige Wallfahrt der Völker zum Zion, nach Jerusalem, die Lage auf der Welt deutlich verbessern könnte. Dabei würden global die Grundlagen für Krieg und Zwist abgeschafft werden und verschwinden – ein kühner Gedanke im antiken Buch Jesaja, dessen Entstehung sich vom 8. Jh. bis zum 4. Jh. v. Chr. erstreckte. Allseits würde Frieden einkehren.
Der andere Pol, der zur Spannung beiträgt, wird erst deutlich, wenn man das erste Kapitel des Jesajabuches als Hintergrund hinzunimmt. Am Anfang des Buches steht es innerhalb der Gemeinschaft am Zion und in Jerusalem offenkundig nicht zum Besten. Der Anfang des Buches muss bei der Gemeinschaft Desiderate feststellen. Die Gemeinschaft folgt nicht ihren religiösen und gesellschaftlich-politischen Idealen und Satzungen, sondern verkehrt diese Ideale und Satzungen eher in ihr Gegenteil. Die Desiderate haben bereits zu fatalen Schlägen und zu Verlusten für die Gemeinschaft geführt und könnten noch weitere, ähnliche Folgen für sie heraufbeschwören.
Die Spannung, die sich aus diesen beiden Polen ergibt, ruft im Jesajabuch eine eindringliche Fragestellung hervor: Wird die in Aussicht gestellte, erstrebenswerte Zukunft der Völker von der Gemeinschaft am Zion und in Jerusalem als etwas für sie Relevantes angenommen werden? Wird sie ihr Verhalten lenken können?
Diese Spannung im Jesajabuch lädt letztendlich die Größe „Jerusalem und Juda“ ein, sich ihrer Rolle und Verantwortung in der Welt der Völker bewusst zu werden. Verkehrungen im Innenbereich sind eine schmerzliche und beklagenswerte Sache. Aber das Jesajabuch bleibt dem kleinen Innenbereich und dessen Mängeln nicht verhaftet, sondern bietet eine Art Selbstbesinnung anhand einer geweiteten Perspektive an. In der Besinnung reicht es nicht aus, nur auf sich selbst zu starren wie auf einen isolierten Binnenzirkel. Vielmehr ist es nötig, die förderliche und die fordernde Verwobenheit in die breite Völkerwelt in den Blick zu nehmen. Dieser neue, weite Blick über den Innenraum hinaus kann vielleicht eine Motivation dafür liefern, die eigene Lebensführung zu überdenken und neu zu gestalten.
Wie das konkret in den Texten und im Buch aussieht, sei nun dargestellt. Zu beginnen ist mit dem oben schon zitierten Abschnitt Jes 2,1–5.
Die Völker kommen
Die zweite Überschrift im Prophetenbuch, Jes 2,1, wirkt wie eine kommentierende Stimme. Die Stimme stellt die Lektüre des Abschnittes 2,1–5 unter eine Regieanweisung. Was in diesem Abschnitt zu vernehmen ist, gehört zu „dem Wort“, welches Jesaja geschaut hat und welches sich auf die Zweiheit „Juda und Jerusalem“ bezieht. Beide Namen benennen Themen, die das Buch Jesaja durchziehen („Juda“ bis 65,9; „Jerusalem“ bis 66,20). Das Übergreifende im Buch gilt es zu beachten. Zwar wird unser Abschnitt nur „Jerusalem“ (vgl. 2,3) erwähnen und das ansprechen, was mit diesem Stadtnamen eng verbunden ist. Aber dem stellt die Überschrift 2,1 Signale voran, die sich an die erste Überschrift im Buch anlehnen (1,1). Die erste Überschrift bezieht sich auf das ganze Buch. Somit sind die wallfahrenden Völker zusammen mit dem wahrzunehmen, worum es der prophetischen Schrift laut ihrer ersten Überschrift insgesamt auch geht: Jesajas Vision über „Juda und Jerusalem“ (1,1). Wenn im Buch erstmals der Abschnitt 2,1–5 eine Wallfahrt der Völker zum Zion schildert, will die Schilderung anscheinend als eng auf das Buch bezogen wahrgenommen werden, und zwar derart, dass die Wallfahrt der Völker für die Konzepte im Buch bedeutsam ist. Juda und Jerusalem werden mit den Völkern konfrontiert. Man kann auch sagen: Die für das Buch ausschlaggebende theologische Größe „Israel“ wird auf die Völker bezogen.
Von Jes 2,2 an kommt der literarische Prophet Jesaja sozusagen selbst zu „Wort“. Seine Stimme ist jetzt im Text zu vernehmen. Sofort richtet Jesaja seinen Blick auf die „zukünftigen Tage“. Er denkt dabei an keine jenseitige Ära, die erst nach dem Abbruch der Geschichte eintreten würde. Jesaja versteht die kommenden Tage und das, was sich an ihnen ereignen wird, binnengeschichtlich. Jesaja rechnet damit, dass Völker in die Stadt Jerusalem kommen werden. Aber es gibt noch einen zeitlichen Spielraum, bevor die Völker herbeiströmen. Dieser Spielraum wird für Jesaja noch wichtig werden.
Jesaja ordnet das Kommen der Völker in eine hintergründige Topographie ein. Die Topographie stimmt nicht überein mit unserer Kenntnis über die faktische Lage der Stadt Jerusalem, über ihr Höhenniveau im Verhältnis zum Umland. Aber das Landschaftsbild, letztlich die Weltlandschaft, wird während des Kommens der Völker verwandelt sein. Das kontrafaktische Landschaftsbild hebt theologisch-konzeptionell auf die einmalige Bedeutung „des Berges des Hauses JHWHs“, des Zions, und von Jerusalem ab. Dieser Berg werde einst eine Festigkeit in der Schöpfung besitzen, er sei dann zugleich der höchste der Berge, und kein Hügel erreiche seine Höhe. Diese metaphorische Erhöhung Zion-Jerusalems wird mit der Aufwärtsbewegung der Völker zu dieser Stätte einhergehen: Sie werden „hinaufziehen“ wollen (Jes 2,3). Diese Aufwärtsbewegung der Völker schließt den Aspekt mit ein, dass die Völker solch „göttliche“ Höhe nicht mehr bei sich und in ihrem Umfeld werden finden können. Die Antike verband oft Götter und Berge, wobei die „Höhenverhältnisse“ Religiös-Theologisches zum Ausdruck brachten. Das Jesajabuch wird später – insbesondere ab Kapitel 40 – noch ausweisen, dass sich die Götter der Völker in der Geschichte als Nichtse entpuppen und dass sich Israels Gott JHWH allein als wahrhafte Gottheit erweist. Das klingt bereits in Jes 2 verhalten an. Die Völker werden schon vor ihrer Wallfahrt einsehen, dass ihnen Göttliches sowie göttliche Belehrung und Hilfe in der eigenen Umgebung und in dem ihnen sonst Zugänglichen entschwand, wohl aber in Zion-Jerusalem zu finden sein wird und dort als Geschenk entgegen genommen werden kann.
Das attraktive, anziehende Zion-Jerusalem mit JHWHs Wohnung in der Welt wird noch vor der Ankunft der Völker eine erste, einstweilen noch provisorische Einigung unter ihnen herbeiführen. Jesaja gibt die künftigen Worte der Völker wieder und zitiert sie. Sie werden sich gemeinsam in vereinter Rede bekunden können. Zuerst werden sie sich auf eine Absicht geeinigt haben, und zwar auf ihre gemeinsame Wallfahrt: „Kommt doch, lasst uns hinaufziehen zum Berg JHWHs, zum Haus des Gottes Jakobs“ (Jes 2,3). JHWH wird für die Völker zugleich der Gott von Israels Erzvater Jakob sein. So werden die Völker auch etwas von der Geschichte JHWHs mit Israel mitbekommen haben und damit davon, wie sich JHWH über die Zeiten hin anhand von Jakob-Israel in der Welt kundgemacht hat. Die Völker werden erahnen, wer als der eine und einzige Gott im Tempel auf dem aufgesuchten Zion präsent ist. Aufgrund des Erahnten werden die Völker von JHWH Orientierung erwarten, und sie werden sich daran auch halten wollen. Denn in ihren Worten sind sie davon überzeugt, von JHWH unterwiesen zu werden, und sie erklären zudem gemeinsam ihre Bereitschaft, seiner Unterweisung zu folgen: „Er lehre uns von seinen Wegen, und wir wollen gehen auf seinen Pfaden (2,3).“ Mit der für die Bibel typischen Wegmetaphorik wird hier ein Verhalten angesprochen, welches im göttlichen Belehren vorgezeichnet und dann in lernbereiter Folgsamkeit der Völker vollzogen werden wird.
Danach übernimmt wieder Jesaja das Wort. Dem Strömen, Gehen und Hinaufziehen der Völker zum „Berg des Herrn“ stellt er eine Gegenbewegung gegenüber: „Ja, von Zion geht Weisung aus und das Wort JHWHs von Jerusalem (Jes 2,3).“ Von zentraler Bedeutung ist der Begriff „Weisung“, hebräisch „Tora“, der kurz zuvor vorbereitet wurde durch das wurzelgleiche Verb „lehren“. Zwölfmal taucht der Begriff „Tora“ im Buch Jesaja auf (von Jes 1,10 bis 51,7) und damit vielleicht nicht rein zufällig in einer biblisch bedeutsamen Anzahl. Steht hier in Jes 2 die Tora in Parallele zum „Wort JHWHs“, dürfte Jesaja an keine feststehenden Tora-Gebote denken, sondern an eine durch das aktuelle Wort Gottes neu unterbreitete Tora. Jedenfalls wird die Tora den Völkern nicht verborgen bleiben, sondern die Tora wird sich aktiv den Völkern zuwenden.
Jesaja entfaltet keine konkreten Inhalte des JHWH-Wortes, dafür aber den Zweck, wozu das göttliche Wort ergeht. Der Zweck besteht keineswegs darin, dass JHWH zum Strafgericht über die Völker anhebt. Er wird nicht „über“ dieses oder jenes Volk richten. Vielmehr wird JHWH „zwischen“ den Völkern richten. JHWH wird sich ihres Zusammenlebens und Miteinanders annehmen, für gerechte Rechtssprechung eintreten und auf diese Weise unter ihnen Schlichtung bewirken: „Er wird richten zwischen den Nationen und zwischen vielen Völkern schlichten (Jes 2,4).“
Wird JHWH so die Angelegenheiten der Völker auf gerechte Weise entschieden haben, kommt es sodann unter den Völkern zu einem erstaunlichen Selbstlauf. Jesaja wendet sich mit poetisch dichten Worten diesem Selbstlauf zu, und dabei folgt nun die Formulierung, deren eindrückliche Wirkungsgeschichte im 20. Jahrhundert eingangs skizziert wurde: „Schwerter zu Pflugscharen“. Die Völker werden – so darf man meinen – wieder nach Hause reisen und dort eine so genannte „Rüstungskonversion“ vernehmen. Die teuren Materialien für Waffen und ihre aufwendigen Herstellungen hatten schon in der Antike wertvolle Ressourcen der Völker gebunden, die ihnen so für andere Entwicklungen und vielleicht sogar auch für soziale Aufgaben fehlten. Der Sinn des Verses 2,4 würde verkannt werden, wenn man ihn nur als romantische Idylle abtut. Der Vers befasst sich vielmehr mit dem, worauf kollektive Energien mit weitreichenden sozial-gesellschaftlichen und politischen Folgen ausgerichtet sein können. Was die Völker an Bodenschätzen in der Welt vorfinden und was ihnen an Potentialen selber zueigen ist, wird nicht mehr für Abschreckungen vergeudet oder für Eroberungen und Vernichtungen eingesetzt werden („Schwerter“, „Lanzen“), sondern wird der Ernährung dienen und das tägliche Arbeiten erleichtern dürfen („Pflugscharen“, „Winzermesser“). Doch damit nicht genug. Mit den abhandengekommenen Waffen wird auch selbstredend das Lernen und Einüben ihrer Anwendungen verschwinden: „Und sie werden ferner nicht mehr den Krieg erlernen (Jes 2,4).“ Der Prophet Jesaja rechnet somit mit einem Pazifismus, der in Zukunft möglich werden kann.
Die Grundlagen für diese kühne und hoffnungsvolle Aussicht im Jesajabuch sind zu beachten. Keine rein innerweltlichen Bestrebungen werden die neue und allseits friedliche Lage herbeiführen können. Menschliche Bemühungen allein werden das in Aussicht Gestellte nicht herbeizwingen können. Zuerst werden mittels der Tora und durch JHWH selbst Recht geschaffen und Schlichtungen herbeigeführt werden müssen, bevor die Konversionen der Rüstungsgüter erfolgen und die alten Gewohnheiten, das Kriegshandwerk zu lernen, enden. Beide, JHWH und auch seine Tora, werden Initiatoren jenes manifesten Friedens sein, in dem sich erst die Waffen und das Kriegshandwerk erübrigen werden. Die Völkerwelt wird keinen Frieden „machen“, sondern einen solchen geschenkt bekommen. Die Völker werden friedlich agieren, nachdem sie „von oben“ her und ohne Gewalteinwirkung befriedet worden sind.
Der Abschnitt endet auf eine beachtenswerte Weise und gelangt im Vers 2,5 an sein Ziel. Jesaja hat in diesem Schlussvers immer noch das Wort. Doch Jesaja ändert in diesem Vers seine Sprechrichtung. Dabei wechselt er von einer Zeitdimension in eine andere. Bei Letzterem, dem Zeitwechsel, sei begonnen. Der literarische Jesaja blickte bisher im Abschnitt in die Zukunft und besprach das, was eintreten kann. Nun wendet sich Jesaja der Gegenwart zu, in der er agiert und in welcher er redet. Jesaja spricht dabei erstmals im Abschnitt seine Adressaten, seine Hörer, an – und damit letztlich auch die Leser des Buches. Dabei stellt sich Jesaja sofort auf die Seite seiner Adressaten und reiht sich ihnen ein, wenn er ein Wir, ein „uns“ aufblitzen lässt. Jesaja geht es letztlich um die eigene Gegenwart und die seiner Adressaten.
Der Prophet zieht aus dem zukünftigen Verhalten der Völker die Konsequenzen für sein Hier und Heute. Dabei greift er in seiner Wortwahl, mit der er sich seinen Adressaten zuwendet, bezeichnenderweise auch die Sprechweise unter den Völkern auf: „Haus Jakob, kommt doch! Wir wollen gehen im Licht JHWHs! (Jes 2,5).“ Hat Jesaja soeben noch die künftige Aufmunterung unter den Völkern zur Wallfahrt auf den Berg JHWHs zitiert – „Kommt doch (2,3)!“ –, so macht er daraus einen Appell an sich selbst und an seine Klientel: „Kommt doch! (2,5).“ Hat Jesaja kurz zuvor die Bereitschaft der herbeikommenden Völker wiedergegeben, den Pfaden JHWHs zu folgen: „Wir wollen gehen (2,3)“, so appliziert er jetzt Vergleichbares auf seine Gemeinschaft und auf das, was sie tun solle: „Wir wollen gehen (2,5).“
Aufschlussreich ist in Jes 2,5 zudem, dass Jesaja den Eigennamen „Jakob“ aufgreift. Die Völker nennen ihr Ziel, den Tempel auf dem Zion, „Haus des Gottes Jakobs“ (2,3). Wie erwähnt, deuten die Völker damit an, wer auch für sie die Gottheit im Heiligtum aufgrund der bekannt gewordenen Geschichte ist. Jesaja spricht nun seine Adressaten als lebendiges „Haus Jakob“ (2,5) an. Die von den Völkern gesuchte Gottheit ist jene, welche mit den Adressaten vor Ort eine gemeinsame Vergangenheit teilt. JHWH hatte sich in der Welt bekundet und dies u.a. auch zugunsten derer getan, die unter dem Signalwort „Jakob“ firmieren. Die so Benannten leben aufgrund von Gottes Handeln auf dem Berg und in Jerusalem. Die künftige Hinwendung der Völker zum „Gott Jakobs“ betrifft – so Jesaja – seine jetzigen Adressaten als „Haus Jakobs“.
Jesaja erzeugt so im letzten Vers einen Nachklang zum erwarteten Gespräch unter den Völkern. Jesaja lässt zwar verhalten, aber doch gut vernehmbar das lokale Ziel der Völker, ihre religiöse Ausrichtung und ihre ethisch-religiös...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. VORWORT
  6. KATHOLISCHE KIRCHE IN DEUTSCHLAND – WIE GEHT ES WEITER? VERSUCH EINER FRIEDLICHEN VERSTÄNDIGUNG ÜBER NOTWENDIGE GEMEINSAME SCHRITTE
  7. ISRAEL UND DIE VÖLKER IN JES 2,1–5. EIN MODELL FÜR DIE SELBSTBESINNUNG DER KIRCHE?
  8. VERTRAUEN: FUNDAMENT DER BEZIEHUNGEN ZWISCHEN BISCHÖFEN UND THEOLOGEN
  9. WACHSENDE BEDEUTUNG DER LAIEN FÜR DIE KIRCHE
  10. DAS AMT IN DER KRISE
  11. „SOFORT FIEL ES WIE SCHUPPEN VON SEINEN AUGEN ...“ (APG 9,18). GLAUBENSERFAHRUNG UND GLAUBENSZEUGNIS
  12. RECHTSENTWICKLUNG UND GOTTESERKENNTNIS
  13. WAS WIR ALS CHRISTEN VON ANDEREN LERNEN KÖNNEN
  14. LITURGIE UND ORTSKIRCHE
  15. VATICANUM II – DAS TOR ZU EINER MODERNEN CHRISTLICHEN ETHIK WIRD GEÖFFNET
  16. AUF WEGEN DES ERBARMENS. GEDANKEN ZUR SITUATION DER KIRCHE
  17. CHRISTLICHE LEBENSFÜHRUNG ALS AUFGABENSTELLUNG DER THEOLOGISCHEN ETHIK
  18. „DAS DAMALS NICHT VERGESSEN, ABER IN DIE ZUKUNFT SCHAUEN.“ ASPEKTE DES BISCHOFSDIENSTES IN DER DDR UND IM VEREINTEN DEUTSCHLAND
  19. DER KULTURWISSENSCHAFTLICHE ANSPRUCH DER THEOLOGISCHEN ETHIK
  20. „WER UNTER EUCH DER GRÖSSTE SEIN WILL, DER SEI DER DIENER ALLER“ – WIE CHRISTLICH IST MACHT? ÜBERLEGUNGEN ZUR MACHTAUSÜBUNG IN DER KIRCHE
  21. KONFESSIONSVERSCHIEDEN – KONFESSIONSVERBUNDEN
  22. WO GOTT WOHNT – ASPEKTE DER REALITÄT GOTTES IN PRAKTISCH-THEOLOGISCHER PERSPEKTIVE
  23. MISSBRAUCH – VERTRAUENSVERLUST – SCHUTZ DER GERINGSTEN: EIN PARADIGMENWECHSEL FÜR KIRCHENLEITUNGEN IN DEN MISSBRAUCHSFÄLLEN
  24. AUTORINNEN UND AUTOREN